Grundlagen der Philosophie?

Hier geht es um die Philosophie selbst, denn sie kann sich selbst zum Gegenstand des Nachdenkens machen - zum Beispiel: Was ist Philosophie? Was sind die Themen der Philosophie? Wie grenzt sie sich von anderen Disziplinen ab? ...
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AufDerSonne
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Mi 7. Feb 2024, 07:05

Hat die Philosophie verlässliche Grundlagen? Ich habe noch keine gefunden. Leider. Aber ich denke, das kommt schon noch mit der Zeit.
Ist halt bei der Philosophie ein bisschen komplizierter als bei der Mathematik. Oder nicht?



Ohne Gehirn kein Geist!

Michael7Nigl
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Mi 7. Feb 2024, 07:07

Hallo AufDerSonne,

die Philosophie auf verlässliche Grundlagen zu stellen, war das große Projekt einiger Philosophen, z.B. Descartes oder Kant.

Descartes suchte nach einem fundamentum inconcussum, einem unerschütterlichen Fundament, worauf er seine prima philosophia, also seine Metaphysik - die Wurzel alles Seienden -, gründen konnte. Diese Suche beschreibt er sehr anschaulich in seinem Buch "Meditationes de prima philosophia". Er findet dort jenes Fundament in der absoluten Gewissheit seiner eigenen Existenz: cogito sum - ich denke, ich bin. Dass man an dieser Erkenntnis nicht zweifeln kann, erklärt er in den ersten beiden Kapiteln seines Buches. Die übrigen Kapitel nutzen diese Grundlage, um aufbauend auf einem Gottesbeweis die Verlässlichkeit unserer Wissenschaften zu zeigen.

Liest Du gerne? In meinen Augen ist Descartes die beste Einführung in die Philosophie innerhalb der Primärliteratur.
Wenn Du lieber mit Videos lernst, kann ich Dir den folgenden Überblick des Philosophen Thomas Buchheim empfehlen:


Kants Projekt, die Philosophie auf verlässliche Grundlagen zu stellen, vergleicht Kant selbst mit der kopernikanischen Wende in der Astronomie (und ist schwieriger zu verstehen als Descartes): Wir können apodiktische philosophische Erkenntnis nur dann haben, wenn sich unser Erkennen nicht nach den Gegenständen richtet, sondern die Gegenstände nach unserem Erkennen. Dass dem tatsächlich so sei, führt er in seiner "Kritik der reinen Vernunft" aus und begründet damit die Transzendentalphilosophie. Deren Kernaussage lautet: Die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis sind zugleich die Bedingungen der Möglichkeit von Gegenständen überhaupt.

Anderen Philosophen erging es möglicherweise mehr wie Dir momentan, dass sie keine verlässlichen Grundlagen finden konnten. So war z.B. Sokrates der Auffassung, dass er nichts wüsste, und sah es als seine Aufgabe, auch seine Mitmenschen darüber zu befragen, was sie wüssten. Dabei stellte er diese jedes Mal bloß und machte sich damit so viele Feinde, dass er schließlich von den Athenern zum Tode verurteilt wurde (nachzulesen in Platons "Apologie des Sokrates"). Sokrates fand seine Weisheit darin, dass er sich seines Nichtwissens bewusst war und sich nicht wie seine Mitmenschen einbildete etwas zu wissen, was sie aber tatsächlich nicht wussten.

Ein weiteres Beispiel dafür scheint mir Heideggers Philosophie zu sein, die sich als Ganzes mit einer einzigen Frage beschäftigt: Was ist Sein?
In seinem Hauptwerk "Sein und Zeit" geht es nur darum, diese Frage überhaupt erst stellen zu können.

Du siehst: Wenn Du noch auf der Suche nach Grundlagen der Philosophie bist, befindest Du Dich in bester Gesellschaft.
Zuletzt geändert von Michael7Nigl am Mi 7. Feb 2024, 07:45, insgesamt 1-mal geändert.




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AufDerSonne
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Mi 7. Feb 2024, 07:09

Michael7Nigl hat geschrieben :
Di 6. Feb 2024, 20:02
Du siehst: Wenn Du noch auf der Suche nach Grundlagen der Philosophie bist, befindest Du Dich in bester Gesellschaft.
Das Video ist interessant. Ich habe mich gerade gefragt, ob ich existiere oder nicht. :D
Aber dann kann man also sagen, die verlässliche Grundlage der Philosophie gibt es nicht. Denn es gibt mehrere, Kant und Descartes und andere. Also man ist sich da noch nicht einig, was genau die Grundlage der Philosophie sein könnte. Siehst du das auch so?

Ich frage mich gerade, ob es denn Grundlagen in der Physik oder Mathematik gibt. In der Physik war es lange Zeit Newton. Bis Einstein kam mit seiner Relativitätstheorie. Heute kommt noch die Quantenmechanik dazu.
Daraus folgt doch, dass die Grundlagen eines Fachgebiets ändern können oder erweitert werden können.
In der Mathematik weiss ich, dass zum Beispiel Evariste Galois mit seiner Gruppentheorie die Grundlagen erweitert hat.

Diese Art von Grundlagen scheint es in der Philosophie nicht zu geben. Ich meine solche, die allgemein akzeptiert werden. Ist das richtig?
Also es gibt kein allgemein akzeptiertes verlässliches Fundament, wie in der Mathematik und der Physik, worauf man aufbauen könnte. Das ist schade.
Vielleicht wird eine Zeit kommen, wo man die Grundlagen entdeckt hat, und dann darauf aufbauen kann.

Es könnte sein, dass es in der Philosophie schwieriger ist Grundlagen zu finden, weil sie so breit gefächert ist. Man kann über alles philosophieren. Aber man kann nicht alles berechnen oder alles mit Naturgesetzen erfassen, wie in der Mathematik und Physik. Mathematik und Physik sind klar umgrenzte Gebiete, die Philosophie ist viel weiter gefasst. Oder nicht?

Jedenfalls hat das Video Spass gemacht und mich zum Nachdenken über den Existenzbegriff angeregt.
Folgende Aussage wäre interessant: Materie existiert nicht. Was hätte es zur folge, wenn diese Aussage wahr wäre? Das wäre krass. Ich meine, wenn dieser Satz so bewiesen würde, dass er von keinem vernünftigen Menschen mehr angezweifelt werden könnte, dann hätte das doch weitreichende Konsequenzen. Was wäre dann mein Tisch? Was wäre ein Gegenstand?



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Michael7Nigl
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Mi 7. Feb 2024, 07:38

In der Philosophie hat man einen anderen Wahrheitsbegriff als in den Wissenschaften oder im Alltag.
In der Mathematik etwa ist das wahr, was logisch aus den Axiomen folgt.
In der Physik gilt (vereinfacht gesagt) eine Hypothese als wahr, bis sie widerlegt ist.
Im Alltag betrachte ich als wahr, was mir glaubhaft erscheint.

Die Wissenschaften sind auch voraussetzungsreicher als die Philosophie, bspw. wird davon ausgegangen, dass es eine objektive Welt gibt, Raum und Zeit etc. In der Philosophie werden diese Dinge alle hinterfragt. Deswegen war es für Philosophen wie Descartes oder Kant auch so wichtig, unbezweifelbare Gewissheiten zu entdecken.

Für mich ist Descartes Einsicht in die Unbezweifelbarkeit der eigenen Existenz durchaus eine verlässliche Grundlage des Philosophierens. Die größeren Entwürfe haben mich aber bis jetzt nicht überzeugt, wenngleich z.B. Kants transzendentaler Ansatz zu den faszinierendsten Gedanken zählt, die mir in der Philosophie begegnet sind.

Meine Hoffnung auf philosophische Erkenntnis liegt in den Naturwissenschaften, denn dort gibt es Fortschritt und ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Materie auf der einen Seite und Existenz, Dasein, subjektivem Erleben etc. auf der anderen Seite hergestellt werden kann.

Mich freut es sehr, dass Dir das Einführungsvideo gefallen hat. Bei Interesse kannst Du noch mehr davon finden:
https://www.philosophie.lmu.de/de/medie ... vortraegen




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Jörn Budesheim
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Mi 7. Feb 2024, 09:41

Wenn die Philosophie ohne Fundament ist, zeigt dann nicht ihre Geschichte, dass sie ganz gut ohne auskommt?




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AufDerSonne
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Mi 7. Feb 2024, 10:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2024, 09:41
Wenn die Philosophie ohne Fundament ist, zeigt dann nicht ihre Geschichte, dass sie ganz gut ohne auskommt?
Ich weiss nicht, ob die Philosophie ganz ohne Fundament ist. Macht sich nicht jeder, der sich intensiver mit Philosophie befasst, sein eigenes kleines Fundament? Bildet seine eigenen Ideale aus?
Und ich habe nicht Philosophie studiert. Ich denke, wenn man Philosophie studiert an der Uni, bekommt man schon eine Art von Fundament.

Der Begriff der Realität ist interessant. Die ist doch für alle in etwa gleich. Wenn ich etwas behaupte, das nicht der Realität entspricht, dann entspricht es für niemanden der Realität. Dann ist es einfach falsch oder besser unmöglich.

Und eben, über die Geschichte der Philosophie weiss ich zu wenig. Es scheint, dass in der Logik seit Aristoteles viel gelaufen ist. Sie hat sich weiterentwickelt. Dann auch mit Frege und Russell und anderen.
Hat denn für dich, Jörn, die Philosophie ein Fundament? Ich denke, du weisst mehr darüber als ich.



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Jörn Budesheim
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AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2024, 10:31
Und ich habe nicht Philosophie studiert. Ich denke, wenn man Philosophie studiert an der Uni, bekommt man schon eine Art von Fundament.
Ich habe Kunst studiert. Und während dieses Studiums habe ich auch philosophische Vorlesungen gehört und Seminare besucht, auch nach dem Studium. Ein fundamentum inconcussum wurde weder für die Kunst noch für die Philosophie vermittelt.

Vielleicht gibt es so etwas in der Mathematik. Über die große Grundlagenkrise weiß ich zu wenig, dazu kann ich nichts sagen. Wenn es in der Mathematik/Geometrie eine solide Grundlage gäbe, würde das nicht bedeuten, dass es sinnvoll wäre, so etwas auf andere Bereiche zu übertragen. Es gab ja solche Versuche, Philosophie nach dem Vorbild der Geometrie zu betreiben. "In der Philosophie ist natürlich das Beweisen komplizierter, schwieriger, wackeliger und angreifbarer als in der Mathematik. Das ist ein altes Problem, das Spinoza durch Verwendung der mathematischen Methode in der Philosophie lösen wollte." (Daniel Kehlmann, "Der bestirnte Himmel über mir...")

Ich hätte da meine Zweifel, weil der Mensch eben nicht nach Art der Geometrie ist :) Vielleicht ist es auch nur ein Versuch, die menschlichen Abgründe zu überspielen.




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Mi 7. Feb 2024, 11:07

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2024, 10:58
Vielleicht gibt es so etwas in der Mathematik.
In der Mathematik hat ja Euklid das ganze mathematische Wissen von seiner Zeit zusammengefasst. Die "Elemente". Dieses Werk hatte grossen Einfluss auf Mathematiker, Physiker und Philosophen bis heute. So steht es wenigstens bei Wikipedia. Mir kommt gerade in den Sinn, dass viele Leute heute der Meinung sind, dass das mathematische Wissen zu gross sei, um es "zusammenfassen" zu können. Ich glaube das nicht unbedingt.

Die Elemente des Euklid hätten zur Folge gehabt, dass man Versuche unternommen habe, andere Gebiete axiomatisch zu fundieren. So Wikipedia.

Ich finde auch, wie Michael7Nigl, dass Descartes, ich denke also bin ich, eine gute Grundlage für vieles ist. Kant kenne ich zu wenig.



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Jörn Budesheim
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Mi 7. Feb 2024, 11:19

"Ich denke, also bin ich" ist eine absurde und sinnlose Egologie. Man kann sie vielleicht ein wenig (aber nicht mehr) retten mit dem Versuch von Donald Davidson: "Ich denke, also bist du".




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AufDerSonne
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Mi 7. Feb 2024, 11:21

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 7. Feb 2024, 10:58
Ich hätte da meine Zweifel, weil der Mensch eben nicht nach Art der Geometrie ist :) Vielleicht ist es auch nur ein Versuch, die menschlichen Abgründe zu überspielen.
Das ist eben sein starkes Argument, dass der Mensch nicht nach Art der Geometrie ist. Ich möchte nur einwenden, dass man den Menschen auch zu kompliziert machen kann.
Wenn man zum Beispiel genauer hinschaut, wie ein Mensch etwas lernt, dann ist recht genau vorgegeben, was da abläuft im Gehirn/im Menschen. Und lernen ist etwa für alle Menschen gleich. Der Lernprozess ist immer der gleiche.
Was ich problematischer finde ist, ob man den Menschen psychologisch analysieren kann. Ob der Mensch eine Psyche hat, die man erforschen kann.



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Jörn Budesheim
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Mi 7. Feb 2024, 11:21

Wenn übermorgen Wikipedia zur Grundlage der Philosophie wird, dann bin ich übrigens raus! Und wenn die Hirnforschung zur Grundlage wird, dann auch!




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