Was sind Begriffe - was ist Begriffs-Realismus?

Hier geht es einerseits um die Erörterung logischer Grundstrukturen in der Philosophie und andererseits um Sprachanalyse als philosophische Methode, Theorien der Referenz und Bedeutung, Sprechakttheorien u.ä.
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Jörn Budesheim
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Mo 13. Jan 2020, 14:07

Der Begriff (Ooops) "Proposition" ist ein sehr gängiger Begriff in der Philosophie und offenbar hängen die Begriffe "Begriff" und "Proposition" zusammen. Neben anderem muss man ja erklären können, wieso verschiedene Sätze zum Beispiel aus verschiedenen Sprachen ein und dieselbe Bedeutung haben können. Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Wenn man Begriffe und Wörter gleichsetzt, muss man darauf ja eine Antwort haben, oder?




storyway
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Mo 13. Jan 2020, 16:08

Ich mag die Begriffe nicht wichten. Ich gehe gerne bei der Benutzung des Wortes vom Begreifen aus. Wie mehrere Finger der Hand das Begreifen unterstützen, können mehrere Worte eine Tatsache oder einen Sachverhalt greifbar machen, also begreifen. Diese Worte bilden dann den sich ständig wandelnden Begriff.




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Jörn Budesheim
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Mo 13. Jan 2020, 17:02

Ich hab deinen Beitrag (und alle anderen auch) hierher verschoben. Hoffentlich ist dabei nichts durcheinander geraten, denn die Antwort liest sich so, als würde sie sich speziell auf etwas beziehen ... mir ist nur nicht ganz klar worauf?




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Paradox
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Mo 13. Jan 2020, 18:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 13:50

In der aktuellen Information-Philosophie (2|2018) wird ein Buch von Andreas Kemmerling [...] vorgestellt. [...] Im Anschluss an die Buchvorstellung wird Kemmerling interviewt. Kemmerling bezeichnet sich selbst als Realist in Bezug auf Begriffe.

Was versteht er darunter? Um das zu erläutern, klärt er zunächst, wie er selbst den Begriff “Begriff” versteht. Er bezeichnet damit nicht etwas “Psychisches” zum Beispiel eine mentale Repräsentation. Er sagt: “Ich meine damit etwas, das keine Repräsentation ist, wohl aber der Inhalt einer Repräsentation sein kann. Begriffe in diesem zweiten Sinn sind Bestandteile wahrheitsfähiger Inhalte, sogenannte Propositionen. Und gewöhnlich sind sie etwas [...] das von mehren Subjekten erfasst wird oder zumindest erfasst werden kann.”
Mit dieser Aussage Kemmerlings kann ich leben. Er verwendet den Begriff 'Begrifff' für den Inhalt der Repräsentation (also für das was ich Eigenschaft, Klasse, Art nennen würde), ich dagegen verwende den Begriff 'Begriff' für den Repräsentanten des Inhalts (also für das, was Kemmerling wohl Wort, psychischer Inhalt nennen dürfte). Bei Kämmerling finde ich aber kein Drittes, das sich zwischen die Repräsentation und ihrem Inhalt einnisten würde. Was Kemmerling Begriff nennt, würde ich - um es einmal krass auszudrücken - ein Ding, eine Sache, ein Objekt nennen.

Um die Proposition steht es nicht viel anders als um den Begriff. Auch hier gilt, dass das Wort 'Proposition' ursprünglich ein sprachliches Element bezeichnet, dass dann in Analogie auf die bezeichnete Sache übertragen worden ist - weil zwar das Wort für das Wort vorhanden war, nicht aber das Wort für die durch das Wort bezeichnete Sache.

Neben anderem muss man ja erklären können, wieso verschiedene Sätze zum Beispiel aus verschiedenen Sprachen ein und dieselbe Bedeutung haben können. Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Wenn man Begriffe und Wörter gleichsetzt, muss man darauf ja eine Antwort haben, oder?
Ich bin mir nicht recht sicher, ob ich diese Frage richtig verstehe. Wenn es verschiedene Sprachen gibt, gibt es notwendigerweise unterschiedliche Lautfolgen, Schriftzeichen, Wörter, Begriffe um Sachen zu bezeichnen. Ich sehe auch kein Problem darin, dass sich die Bedeutungen von Wörtern/Begriffen aus verschiedenen Sprachen mitunter so nahe kommen, dass man sie fast Eins zu Eins übersetzen kann. Dann gibt es aber auch wieder Wörter, wo das deutlich schwieriger ist.



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Jörn Budesheim
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Mo 13. Jan 2020, 18:14

Was heißt es eigentlich, einen Begriff zu haben? Nehmen wir den Begriff der "Tasse". Ein Wort dafür zu haben, das reicht ja nicht.

Um den Begriff einer Tasse zu haben, muss man z.b. wissen, dass sie in aller Regel, eine bestimmte große Größe hat, so dass sie gut in die Hand passt. Man muss wissen, dass sie ein Gefäß ist, aus dem man etwas trinkt z.b. Kaffee, Tee oder Milch. Vielleicht gehört auch dazu zu wissen, dass Tassen oftmals auf dem Tisch stehen, etwa zum Frühstück :) Manchmal gehören Tassen zu einem kompletten Service ... es gibt sicherlich kein fest angebbares Set von Wissen, dass man haben muss, um einen Begriff einer Tasse zu haben. All diese Dinge hängen jedoch nicht daran, dass man bestimmte Wörter verwendet, sondern daran, "welche Rollen" Tassen in unserem Leben, in unserer Kultur spielen. Diese Rollen können natürlich zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen variieren, sodass hier ein gewisses "Spiel" für den Begriff bedeutet.

Das und anderes mehr, ist das, was diesen Begriff ausmacht. Und das hängt natürlich nicht an den Worten, die man nutzt, weil in unterschiedlichen Sprachen dafür ja ganz du unterschiedliche Wörter genommen werden können und selbst in einer Sprache gibt es viele verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten dafür.




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Jörn Budesheim
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Mo 13. Jan 2020, 18:28

Um einen Begriff von "Blau" zu haben, muss man wissen wie blau aussieht. Wer komplett farbenblind ist, der kann sicherlich nur einen sehr flachen Begriff von blau entwickeln, wenn überhaupt einen.

Man muss wissen, die Erfahrung gemacht haben, dass es ein helles Blau gibt, wie bei strahlendem Himmel und natürlich dunklere Blautöne, wie z.b. bei den Bildern von Yves Klein. Um zu wissen, was blau ist, muss man wahrscheinlich auch wissen, dass es Übergänge zu anderen Farben gibt, z.b. in Richtung grün beim türkis. Um einen Begriff von Blau zu haben, braucht es also bestimmte Erfahrungen.

Aber auch solche Begriffe sind Teil eines Netzes von Begriffen. Sie können in verschiedenen Netzen gleichsam an verschiedenen Stellen stehen, so dass ihre Bedeutungen variieren können.




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Mo 13. Jan 2020, 18:53

Paradox hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 18:06
Ich sehe auch kein Problem darin, dass sich die Bedeutungen von Wörtern/Begriffen aus verschiedenen Sprachen mitunter so nahe kommen, dass man sie fast Eins zu Eins übersetzen kann.
Für mich ist das auch kein Problem. Aber für dich, soweit ich dich bisher verstehe, sollte es eine sein :) für mich sind Cat und Katze zwei verschiedene Wörter für denselben Begriff. Du musst davon ausgehen, dass wir es hier mit zwei verschiedenen Begriffen zu tun haben, oder? Und wenn das so ist, dann kann ich nicht erkennen, wieso man Sprachen überhaupt übersetzen kann? Denn sie stehen dann ja per Definition aus lauter ganz verschiedenen Begriffen.




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Mo 13. Jan 2020, 19:45

Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 13:17
Vielleicht lässt sich der 'Begriff' als Gegebensein von logischen Strukturen denken, in die die Sache eingeordnet ist. Die Katze als 'Begriff' ist dann die Form des Gegebenseins der Katze in der Sinnstruktur von Ober- und Unterbegriffen. Diese ontologische Struktur ist aber nichts apriori Sprachliches, handelt es sich doch um eine denk- und sprachunabhängige Wirklichkeit. Es ist ja nicht so, dass wir die Katze unter den Begriff des Vierpföters brächten, denn durch die vier Pfoten befindet sie sich sinngemäss unter diesem Begriff durch sich selbst. Dass wir Wörter wie 'vier' und 'Pfoten' verwenden, hat zunächst mit unserer Übersetzungsleistung zu tun, dank der wir die Wirklichkeit, wie sie ist, ausdrücken. Es hat aber keinen konstitutiven Charakter für die Wirklichkeit der Ordnung der Dinge selbst, ob wir sie mit 'quatres pattes' oder mit 'vier Pfoten' wiedergeben.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das richtig verstehe. Aber ich meine meine letzten Ausführungen zum Begriff "der Tasse" dürften ungefähr dementsprechend, oder?




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Paradox
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Mo 13. Jan 2020, 20:12

Wie lernt man den richtigen Gebrauch des Wortes 'blau' - insbesondere dann, wenn man komplett farbenblind ist. Das ist keine einfache Frage. Wittgenstein hat sich über derlei Fragen lange und intensiv den Kopf zerbrochen.

Einerseits haben Worte eine Bedeutung: sie deuten auf Sachen. Manche Worte deuten in diesem Sinne gar nicht. Sie haben eine rein grammatische Funktion. Dennoch ist ihr Gebrauch nicht willkürlich. Die Frage, wie man den richtigen Gebrauch von Wörtern mit augenscheinlich rein grammatischer Funktion lernt, ist übrigens weit schwieriger zu beantworten, als das vergleichsweise einfache Problem, die Bedeutung der Wörter 'Katze' oder 'Cat' zu erlernen.

Andererseits kann man Worte mit einander verknüpfen und die Bedeutung eines Wortes, das vielleicht noch nicht so geläufig ist, durch geschickte Aneinanderreihung anderer Worte mehr oder weniger gut eingrenzen, definieren. Auch die Bedeutung von Wörtern wie 'die', 'so' oder 'und' kann man auf diese Weise klären. Man versucht möglichst genau zu beschreiben, wie und wo sie in einem Satz vorkommen dürfen.

Worte, so kann man vielleicht zusammenfassen, haben eine Bedeutung und stehen in einem Kontext. Die Bedeutung eines Wortes ist sein richtiger Gebrauch. Den richtigen Gebrauch kann man wiederum mit Worten beschreiben. (Wittgensteins Gebrauchstheorie ist freilich nur eine von mehreren Theorie zur Klärung der Bedeutung des Worts 'Bedeutung'.)

Ein Wort für eine Sache zu haben, reicht also durchaus. Ein Wort hat man aber erst, wenn man es richtig zu gebrauchen weiß. Andernfalls ist es eine sinnlose Lautfolge.



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Mo 13. Jan 2020, 20:55

Ich denke nicht, dass wir uns hier einigen können :) Wörter sind Teil der natürlichen Sprachen, Begriffe gehören zum Denken. Das ist meines Erachtens ein elementarer Unterschied, den man nicht aufgeben kann.




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Alethos
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Mo 13. Jan 2020, 21:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 19:45
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das richtig verstehe. Aber ich meine meine letzten Ausführungen zum Begriff "der Tasse" dürften ungefähr dementsprechend, oder?
Ja, ungefähr stimmen unsere Ansichten überein. Jedenfalls halten wir beide Begriffe für etwas, das nicht an Worte gebunden ist, obwohl wir sie durch Worte ausdrücken. Dass wir 'Katze' sagen, Franzosen 'chat', Engländer 'cat', Spanier 'gato': Das sind nur Formdifferenzen, mit Frege gesprochen, verschiedene Sinne ein und desselben Begriffs. Der Begriff ist die Bedeutung des Wortes, das Wort lediglich seine Gegebenheit in der Form seines sprachlichen Ausdrucks.

Die Buchstaben in Wörtern ergeben in ihrer Gesamtheit als Wort nur einen Sinn, wenn sie durch die begriffliche Klammer festgehalten werden. Sie ist es, was dem Wort einen semantischen Gehalt gibt, weil sie dem Wort eine Bedeutung zuweist. Durch den Begriff denken wir den Gegenstand, weil wir das, was er bedeutet, begreifen.

Aber der Gegenstand ist nicht der Begriff. Der Begriff 'Pferd' lässt den Gegenstand, der da auf der Wiese steht, als Huftier denkbar werden. Es ist aber nicht der Begriff, der durchgeht, wenn ihn eine Vespe sticht, sondern der Gegenstand, der kontingenterweise Pferd heisst und nicht Guminon.



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Jörn Budesheim
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Mo 13. Jan 2020, 21:12

Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:06
obwohl wir sie durch Worte ausdrücken.
Nicht immer, daher ein kurzer Einschub: Begriffe können auch in Kunstwerken zu ihrem Recht kommen, auch dort kann "etwas als etwas" dargestellt werden.




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Paradox
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Mo 13. Jan 2020, 21:18

Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:06
Der Begriff 'Pferd' lässt den Gegenstand, der da auf der Wiese steht, als Huftier denkbar werden.
Warum sollte ich das Pferd, das da vor mir auf der Wiese steht, als Huftier denken und nicht als Pferd?

Ich weiß nicht, ob ich nun falsch liege. Aber mir scheint, du willst darauf hinaus, dass es kategorematische Zeichen (ich verwende diesen unschönen Ausdruck jetzt nur, um das strittige Wort 'Begriff' zu umgehen) von unterschiedlicher Allgemeinheit gibt. Das eine Wort bezeichnet eine Art (Pferd), das andere eine übergeordnete Gattung (Huftier). Was auf der Weide steht und wiehert, ist weder die Art noch die Gattung, sondern das konkretes Pferd.
Zuletzt geändert von Paradox am Mo 13. Jan 2020, 21:30, insgesamt 1-mal geändert.



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Alethos
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Paradox hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 20:12
Ein Wort für eine Sache zu haben, reicht also durchaus. Ein Wort hat man aber erst, wenn man es richtig zu gebrauchen weiß. Andernfalls ist es eine sinnlose Lautfolge.
Ich bin einverstanden. Aber deutet denn der 'richtige' Gebrauch nicht darauf hin, dass die Bedeutung objektiv ist? Man kann Wörter auch falsch gebrauchen, falsch aber nur mit Bezug auf den richtigen Gebrauch.

Aber, wenn man ein Wort falsch verwendet, dann wendet man es ja falsch nicht auf es selbst an, sondern auf etwas anderes bezogen. Ob dieses Andere nun eine Sprachpraxis ist oder ein ontologischer Gehalt, das ist einmal nebensächlich für meinen Punkt. Die Bedeutung eines Wortes macht erst möglich, dass wir auch einen Unsinn reden können, es eben falsch gebrauchen. Das kann aber nur sein, wenn mit der Wortbedeutung eine Wahrheitsfunktion verbunden ist, durch die sich eine richtige Wortbedeutung überhaupt ergibt. Die Wahrheitsfunktion ist sozusagen der Begriff. Hätten wir keine gemeinsamen Begriffe, könnten wir uns nicht einmal in der gemeinsamen Sprache mithilfe der besten Dolmetscher unterhalten, denn wir hätten gar kein gemeinsames Konzept der Wirklichkeit, im Grunde nicht einmal eine gemeinsame Sprache.

Die Sprachspiele, die wir manchmal sogar erfolgreich spielen, erfolgen doch nach Regeln, an die sich die Sprachverwender halten und diese Regeln müssen wir uns als eine gemeinsame 'Idee' vorstellen, die wir mit den verwendeten Wörtern ausdrücken. Ohne diese Idee wäre das Wort eine bedeutungsleere Hülle.



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Mo 13. Jan 2020, 21:37

Paradox hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:18
Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:06
Der Begriff 'Pferd' lässt den Gegenstand, der da auf der Wiese steht, als Huftier denkbar werden.
Warum sollte ich das Pferd, das da vor mir auf der Wiese steht, als Huftier denken und nicht als Pferd?

Ich weiß nicht, ob ich nun falsch liege. Aber mir scheint, du willst darauf hinaus, dass es kategorematische Zeichen (ich verwende diesen unschönen Ausdruck jetzt nur, um das strittige Wort 'Begriff' zu umgehen) von unterschiedlicher Allgemeinheit gibt. Das eine Wort bezeichnet eine Art (Pferd), das andere eine übergeordnete Gattung (Huftier). Was auf der Weide steht und wiehert, ist weder die Art noch die Gattung, sondern das konkretes Pferd.
Ja, es ist der Gegenstand, der da wiehert. Aber wir sehen ihn. Er ist ja Gegenstand der Wahrnehmung, der Anschauung. Und ich meine, da hatte Kant ganz recht, dass unsere Anschauung ohne Begriffe blind seien.
Ich glaube nicht, dass wir überhaupt erkennen könnten ohne Kategorien: Kategorien der Quantität, der Relation etc.

Was wir da also 'Pferd' nennen, ist begrifflich verfasste Wahrnehmung. Wir sehen kein Wort, wir sehen eine ontologische Struktur.



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Mo 13. Jan 2020, 21:44

Der Anfang deines Posts gefällt mir gut, aber diese Stelle finde ich schwierig:
Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:28
Die Bedeutung eines Wortes macht erst möglich, dass wir auch einen Unsinn reden können, es eben falsch gebrauchen. Das kann aber nur sein, wenn mit der Wortbedeutung eine Wahrheitsfunktion verbunden ist, durch die sich eine richtige Wortbedeutung überhaupt ergibt. Die Wahrheitsfunktion ist sozusagen der Begriff...
Ich würde formulieren: man kann ein Wort richtig oder falsch gebrauchen. Wahrheit kommt aber nicht dem einzelnen Wort zu, nur dem vollständigen Satz, also einer bestimmte Beziehung zwischen Satzsubjekt und Prädikat. Du sprichst aber nicht von Wahrheit sondern von einer Wahrheitsfunktion. Bezieht sich das auf Frege und dessen Verwechslung von Begriff und Funktion?



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Mo 13. Jan 2020, 21:59

Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:37
Ja, es ist der Gegenstand, der da wiehert. Aber wir sehen ihn. Er ist ja Gegenstand der Wahrnehmung, der Anschauung. Und ich meine, da hatte Kant ganz recht, dass unsere Anschauung ohne Begriffe blind seien.
Ich glaube nicht, dass wir überhaupt erkennen könnten ohne Kategorien: Kategorien der Quantität, der Relation etc.

Was wir da also 'Pferd' nennen, ist begrifflich verfasste Wahrnehmung. Wir sehen kein Wort, wir sehen eine ontologische Struktur.
Wärst du auch mit der Formulierung einverstanden, die ich oben gebraucht habe, als ich schrieb:
Unser Verständnis von Wirklichkeit, unser Wahrnehmen und Empfinden ist bis in die feinsten Verästelungen von Sprache durchdrungen, sodass es oft nicht möglich und vermutlich auch nicht sinnvoll ist, zwischen 'bloßen Worten' und der gemeinten 'Wirklichkeit' zu unterscheiden. Wenn es das Wort, den Begriff 'Windhauch' nicht gäbe - was wäre die 'nackte Wahrnehmung', ohne diese begriffliche (= in Worte gefasste) Zuschreibung?
Meiner Meinung nach liegt beides nicht weit auseinander.



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Alethos
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Mo 13. Jan 2020, 22:20

Paradox hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:44
Der Anfang deines Posts gefällt mir gut, aber diese Stelle finde ich schwierig:
Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:28
Die Bedeutung eines Wortes macht erst möglich, dass wir auch einen Unsinn reden können, es eben falsch gebrauchen. Das kann aber nur sein, wenn mit der Wortbedeutung eine Wahrheitsfunktion verbunden ist, durch die sich eine richtige Wortbedeutung überhaupt ergibt. Die Wahrheitsfunktion ist sozusagen der Begriff...
Ich würde formulieren: man kann ein Wort richtig oder falsch gebrauchen. Wahrheit kommt aber nicht dem einzelnen Wort zu, nur dem vollständigen Satz, also einer bestimmte Beziehung zwischen Satzsubjekt und Prädikat. Du sprichst aber nicht von Wahrheit sondern von einer Wahrheitsfunktion. Bezieht sich das auf Frege und dessen Verwechslung von Begriff und Funktion?
Es handelt sich um eine Anspielung auf Frege, ja. Mir ist bewusst, dass Wahrheit nur in Urteilen möglich ist, nicht in einzelnen Wörtern. Wenn man aber ein wahres Urteil fällen will, müssen wir die Wörter so verwenden, dass sie sich zueinander sinnhaft verhalten.
Das können sie nach meinem Dafürhalten nur, wenn sie einer Sprachpraxis entlang verwendet werden und diese muss geformt sein durch einen vereinheitlichenden Blick auf die Wirklichkeit. Das heisst, dass das Wort jenen Gegenstand mit seinen spezifischen Eigenschaften bezeichnen muss, den er meint, denn nur so ist eine Sprache möglich. Wenn wir statt 'Pferd', im Fall, dass wir das Huftier meinen, 'Brot' sagen, dann kann kein wahrheitsfähiges Urteil resultieren, solange sich das Wort nicht auf jenen Begriff bezieht, den wir bezeichnen wollen. Das Urteil: 'Ein Pferd ist ein Huftier' ist ebenso wahr wie das Urteil: 'Das cheval ist ein Huftier.' Die Eigenschaften von 'Huftier' lassen zu, dass das Subjekt einmal 'Pferd' und 'cheval' heissen kann, weil mit beiden Wörtern ein Gegenstand gemeint ist, dessen Begriff eine Wahrheitsfunktion darstellt. Das Wort muss wahrheitsfähig sein, es muss wahre Urteile möglich machen, sonst ist es sinnlos.



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Di 14. Jan 2020, 06:09

Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 22:20
Das können sie nach meinem Dafürhalten nur, wenn sie einer Sprachpraxis entlang verwendet werden und diese muss geformt sein durch einen vereinheitlichenden Blick auf die Wirklichkeit.
Kann jemand, der nicht gemäß der Sprachpraxis reden kann, etwa nicht denken? Wir kommen auf die Welt, ohne sprechen zu können. Kommen wir auch auf die Welt, ohne denken zu können?
FAZ hat geschrieben : Das Kind vermag im Alter von drei bis vier Monaten die ersten Kategorien zu bilden, und mit sieben Monaten denkt ein Baby über Ursache und Wirkung nach.

[...]

Erfahrungen mit Lebewesen werden von Säuglingen grundlegend anders verarbeitet als Erfahrungen mit unbelebten Objekten. Schon einem wenige Monate alten Kind ist ansatzweise klar, daß unbelebte Objekte lediglich den Gesetzen der Physik unterworfen sind, während Lebewesen sich zusätzlich nach Regeln verhalten, die etwas mit ihren psychischen Zuständen, ihren Gefühlen, Motiven und Interessen zu tun haben.
Das heißt mit anderen Worten: lange bevor die Säuglinge sprechen können, können sie urteilen und offenbar auch verschiedene Sinnfelder/Bereiche auseinanderhalten. Sicherlich nicht auf demselben reflexiven Niveau wie ein Erwachsener, aber offenbar ist diese Fähigkeit früh da, auf jeden Fall lange bevor die Sprache da ist.

Wenn das Kind zwischen einem Stein (unbelebten Objekt) und einer Maus (Lebewesen) unterscheiden kann, dann hat es Begriffe und kann urteilen, selbst wenn diese Begriffe natürlich nicht so differenziert sind, wie die eines Erwachsenen. Auf der anderen Seite ist die Fähigkeit, zu erkennen/zu spüren, dass ein Gegenstand Interessen, Motive und Absichten hat schon relativ komplex.
Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 22:20
Es handelt sich um eine Anspielung auf Frege, ja. Mir ist bewusst, dass Wahrheit nur in Urteilen möglich ist, nicht in einzelnen Wörtern.
Paradox hat geschrieben : Wahrheit kommt aber nicht dem einzelnen Wort zu, nur dem vollständigen Satz, also einer bestimmte Beziehung zwischen Satzsubjekt und Prädikat.
Nur am Rande: natürlich können sich auch in einzelnen Wörtern, lange bevor sie zu wohlgeformten Sätzen verbunden werden, Urteile ausdrücken. Ich vermute, dass euch das klar ist, aber ich möchte es noch einmal hervorheben! Ein Beispiel: Sucht das Kind die Aufmerksamkeit des Vaters und zeigt auf einem Gegenstand bzw richtet seinen Blick auf ihn und sagt dann: "hottehü", dann ist auch darin ein Urteil. Etwas wird herausgepickt und ihm wird ein Prädikat zugewiesen: das da ist ein Pferd. (Natürlich ist die Sache in der Regel noch komplizierter, denn das Kind will uns ja wohl nicht einfach nur darüber informieren, dass sich dort ein Pferd befindet, auch ein einzelnes Wort ist schließlich eingebettet in unsere gesamten Lebenszusammenhänge.)




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Di 14. Jan 2020, 07:33

Alethos hat geschrieben :
Mo 13. Jan 2020, 21:06
Das sind nur Formdifferenzen, mit Frege gesprochen, verschiedene Sinne ein und desselben Begriffs. Der Begriff ist die Bedeutung des Wortes, das Wort lediglich seine Gegebenheit in der Form seines sprachlichen Ausdrucks.
Dass uns die Venus mal als Abend-, mal als Morgenstern gegeben ist, ist in der Sache begründet, es liegt meines Erachtens an einer objektiven Relation, vereinfacht gesagt zwischen uns und der Venus. Dass wir aber die fraglichen Wörter nutzen, um das auszudrücken, ist nicht der Sache geschuldet, sondern unseren Konvention. Wörter sind daher arbiträr, Begriffe nicht.




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