So 17. Sep 2017, 15:06
Damit die Diskussion nicht wie eine bloße Wortklauberei erscheint, vielleicht ein paar Bemerkungen zum Problemhintergrund: Seit Platon und Aristoteles wurde gesehen, dass die Individualität der Dinge sich nicht begrifflich fassen lässt. Begriffe sind immer allgemein, sie heben also an den Gegenständen stets das heraus, was sie mit anderen Gegenständen gemeinsam haben. Auch Definitionen wie "Der Mensch ist ein ungefiederter Zweibeiner" oder "Der Mensch ist das Tier, das den Logos hat" erfassen etwas, von dem angenommen wird, es sei allen individuellen Gegenständen gemeinsam und darum das "Wesentliche". Die Bestimmung des Wesens ist dasjenige, nach dem mit "Was ist ein x?" gefragt wird. Problematisch bleibt, wie mit dem Rest zu verfahren sei, also mit all dem, durch das Individuen von ihrer Wesens- oder Art-Bestimmung abweichen. Soll man es - wie Platon - wegen seiner Unerkennbarkeit als "unwesentlich" behandeln, als nicht im eigentlichen Sinne seiend? Oder muss man anerkennen, dass jedes Ding auf seine ganz individuelle, bestimmte Weise "ist", der gegenüber unsere allgemeinen Begriffe stumpf bleiben? Jedenfalls wurde das Wort "existieren" in die philosophische Diskussion eingeführt, um damit dasjenige Sein der Dinge zu bezeichnen, das von ihrem Was-Sein, also ihrer allgemeinen Wesensbestimmung, nicht abgedeckt wird. Und damit war zugleich klar, dass "Existenz" zwar gebraucht wird wie jeder andere Allgemeinbegriff, aber seiner Bedeutung nach keiner sein konnte. "Sein" im Sinne der individuellen Existenz meint etwas, das diesseits oder jenseits der Allgemeinbegriffe rangiert.
Kant gehört zu den Philosophen, die die nicht-begriffliche Natur der Existenz ("Dasein") akzentuiert haben. Sein Diktum "Dasein ist kein reales Prädikat" - d.h. "Dasein" ist keine sachhaltige Bestimmung, keine "Eigenschaft", die begrifflich erfasst oder zugewiesen werden kann - ist vor diesem Hintergrund zu verstehen. Sein kritischer Schüler Hegel kam zu einem anderen Ergebnis. Er hielt Existenz für begrifflich explizierbar; allerdings hatte er auch ein Verständnis von "Begriff", das vom traditionellen Verständnis des Allgemeinbegriffs abwich und die "abstrakte" Allgemeinheit nur als ein "Moment" des Begrifflichen ansah. Er teilte also durchaus Kants Ansicht, dass sich Dasein nicht allgemein bestimmen lasse, mithin keine "Eigenschaft" im üblichen Sinne sei.
Festzuhalten bleibt: Wenn "Existenz" als Allgemeinbegriff, d.h. als ein klassifikatorischer Begriff aufgefasst wird, muss auch zugegeben werden, dass damit die je eigene Seinsweise der Individuen gerade nicht erfasst wird. Denn die "Eigenschaft zu sein" kommt allem und jedem zu, das nicht Nichts ist, d.h. es ist überflüssig, nichtssagend, tautologisch, von einem Ding zu sagen, es existiere. Wenn man also der individuellen Seinsweise jedes Dings etwas Gutes tun will, d.h. wenn man sie philosophisch würdigen möchte, dann muss man die sprachkritische Wendung gegen das "abstrakte" Allgemeine in irgendeiner Weise mitvollziehen und nach anderen Mitteln und Wegen suchen, der individuellen Existenz sprachlich-theoretisch gerecht zu werden. Denn um nichts anderes ginge es ja, als um eine im Medium der Sprache ausgearbeitete Theorie, aus der das Individuelle nicht als vernachlässigenswerte Größe, als "quantité négligeable" herausfiele.