Ludwig Wittgenstein über Privatsprache

Gemeinsame Lektüre und Besprechung philosophischer und anderer Literatur.
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Jörn Budesheim
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Sa 17. Mär 2018, 10:25

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 09:57
Sofern ich nicht ein gewichtiges Argument übersehe, begeht Wittgenstein eine petitio principii, denn er setzt als Voraussetzung fest, was er noch zu beweisen hätte, nämlich dass eine private Sprache zur Beliebigkeit führt.
Ich finde nicht, dass er das voraussetzt. Es setzt voraus, dass man zwischen richtigen und falschen Verwendungen eines Zeichens unterscheiden können muss. Und er sieht, dass man in deinem Szenario nicht zwischen "ist richtig" und "erscheint mir richtig" unterscheiden kann. Daraus folgt, dass du dich nicht im Gebrauch des Ausdrucks irren kannst und daraus folgt, dass der Ausdruck keine Bedeutung hat. Zumindest nach meinem bisherigen Verständnis.

Ich plane jedoch nicht ein Wittgenstein-Apologet zu werden. Ich will erst noch tiefer in das Verständnis einsteigen. Was mir auf jeden Fall plausibel erscheint, dass Sprache nicht irgendetwas privates sein kann, in welcher Hinsicht auch immer. Sprache muss im Großen und Ganzen etwas öffentliches sein. Das Bedeutungen nicht im Kopf sind, halte ich ohnehin für im Grunde selbstverständlich.




Tosa Inu
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Sa 17. Mär 2018, 10:46

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 10:25
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 09:57
Sofern ich nicht ein gewichtiges Argument übersehe, begeht Wittgenstein eine petitio principii, denn er setzt als Voraussetzung fest, was er noch zu beweisen hätte, nämlich dass eine private Sprache zur Beliebigkeit führt.
Ich finde nicht, dass er das voraussetzt. Es setzt voraus, dass man zwischen richtigen und falschen Verwendungen eines Zeichens unterscheiden können muss. Und er sieht, dass man in deinem Szenario nicht zwischen "ist richtig" und "erscheint mir richtig" unterscheiden kann. Daraus folgt, dass du dich nicht im Gebrauch des Ausdrucks irren kannst und daraus folgt, dass der Ausdruck keine Bedeutung hat. Zumindest nach meinem bisherigen Verständnis.

Ich plane jedoch nicht ein Wittgenstein-Apologet zu werden. Ich will erst noch tiefer in das Verständnis einsteigen. Was mir auf jeden Fall plausibel erscheint, dass Sprache nicht irgendetwas privates sein kann, in welcher Hinsicht auch immer. Sprache muss im Großen und Ganzen etwas öffentliches sein. Das Bedeutungen nicht im Kopf sind, halte ich ohnehin für im Grunde selbstverständlich.
Deine Argumentation hier ist aber eher ein Plädoyer für den Holismus der Sprache.
Dass etwas richtig oder falsch ist, ergibt nur Sinn im Kontext einer bereits vorhandenen Sprache. Ansonsten wird die Erstbenennung schlicht zu einer Definition und die kann nicht falsch sein.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Sa 17. Mär 2018, 10:49

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 10:46
Ansonsten wird die Erstbenennung schlicht zu einer Definition und die kann nicht falsch sein.
Es geht jedoch dabei nicht allein um die "Erstbenennung", sondern auch um die Frage, wie es weiter geht. Denn dieser Taufakt soll ja das Fundament der privaten Sprache sein und sich nicht darin erschöpfen.




Tosa Inu
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Sa 17. Mär 2018, 11:07

Klar, sagt ja auch keiner, dass das einfach ist.
Es gilt in der Philosophie allgemein als Konsens, so weit mir das bekannt ist, dass die Entstehung der Sprache im Dunkeln liegt.
Es gibt etliche gute Gründe dafür, dass Sprache eigentlich nicht entstehen konnte, aber irgendwie passt das alles nicht so recht zusammen und außerdem ... wir sprechen ja.

Einer der wesentlichen Punkte ist, dass Sprache im Sinne der Begriffsbildung, auf Affekte zurückgreifen kann, die auch ein unbewusstes Kommunikationssystem darstellen. Der Unterschied zu den Begriffen ist, dass Letzteren bewusst gebraucht werden müssen (bis auf wenige Ausnahmen). Aber damit sind Referenzpunkte vorhanden, anhand deren man Sprache konstruieren kann und damit vielleicht doch so eine Art natürliche Metasprache.

Klar ist aber, dass sich Logik, Kunst, Mathematik und Sprache nicht auf ihre evtl. natürliche Quelle haben beschränken lassen. Sie alle sind zu neuen Horizonten aufgebrochen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Jörn Budesheim
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Sa 17. Mär 2018, 11:11

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 11:07
Es gilt in der Philosophie allgemein als Konsens, so weit mir das bekannt ist, dass die Entstehung der Sprache im Dunkeln liegt.
Hmmm ... wie kommst du jetzt auf dieses Thema?




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Alethos
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 09:32
Wenn zwei die selbe Sprache nutzen, haben wir es allerdings nicht mit einer Privatsprache zu tun.
Ja, aber es bleibt doch denkbar, dass ein Individuum, ganz abgeschottet von aller Zivilisation, in einem Urwald bspw., Dinge so zu benennen beginnt, wie er es nun eben tut. Diese Begriffe sind doch dann Privatbegriffe. Das Argument, dass er für die Definition eines Begriffs wiederum auf andere Begriffe zurückgreifen muss, die einer Allgemeinsprache entlehnt sind, greift hier nicht, da er sich die Definition des Begriffs auch zuführen kann, indem er auch dafür eigene Begriffe kreiert.

Das Verstehen ist nicht daran gebunden, eine Allgemeinsprache zu haben, sondern an die Korrelation eines Gegenstands an einen Begriff, durch den wir im Mannigfaltigem zu unterscheiden und klassifizieren beginnen und in der Folge Relationen und Kausalitäten entdecken.

Ich sehe ein, dass dies nur theoretische Erwägungen sind, aber sie zeigen doch, dass Sprache an sich keine Allgemeinheit zwangsläufig voraussetzt, sondern dass Kommunikation Allgemeinheit voraussetzt. Sprache muss nicht Kommunikation bedeuten in einem apodiktischen Sinne.



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Sa 17. Mär 2018, 11:28

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 10:25
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 09:57
Sofern ich nicht ein gewichtiges Argument übersehe, begeht Wittgenstein eine petitio principii, denn er setzt als Voraussetzung fest, was er noch zu beweisen hätte, nämlich dass eine private Sprache zur Beliebigkeit führt.
Ich finde nicht, dass er das voraussetzt. Es setzt voraus, dass man zwischen richtigen und falschen Verwendungen eines Zeichens unterscheiden können muss. Und er sieht, dass man in deinem Szenario nicht zwischen "ist richtig" und "erscheint mir richtig" unterscheiden kann. Daraus folgt, dass du dich nicht im Gebrauch des Ausdrucks irren kannst und daraus folgt, dass der Ausdruck keine Bedeutung hat. Zumindest nach meinem bisherigen Verständnis.

Ich plane jedoch nicht ein Wittgenstein-Apologet zu werden. Ich will erst noch tiefer in das Verständnis einsteigen. Was mir auf jeden Fall plausibel erscheint, dass Sprache nicht irgendetwas privates sein kann, in welcher Hinsicht auch immer. Sprache muss im Großen und Ganzen etwas öffentliches sein. Das Bedeutungen nicht im Kopf sind, halte ich ohnehin für im Grunde selbstverständlich.
Und ich plane zu verstehen, was überhaupt gesagt wird :)

Wenn man sagt, dass man in Privatsprache (man setze einmal voraus, dass sie möglich sind), nicht zwischen 'erscheint mir richtig' und 'ist richtig' unterscheiden kann, unterstellt man, dass es eine Richtigkeit gebe. Wenn man aber zugleich sagt, dass es diese Richtigkeit nur geben könne, sofern es eine Allgemeinsprache gibt, die es unterscheiden kann, impliziert man, dass Richtigkeit in der Sprache liegt resp. in deren richtigen Anwendung. Nirgends wird aber klar, warum dies lediglich in dieser oder der anderen Allgemeinsprache möglich sein soll und nicht in einer Privatsprache. Denn dass wir mit einer Sprache, in der wir uns verständigen können, einander dahingehend prüfen, dass wir richtig unterscheiden, bedeutet ja zunächst nur, dass wir ein intersubjektives Verständnis von Richtigkeit festigen, durch das eine Richtigkeit wahrscheinlicher wird. Aber das bedeutet nicht, dass ich meine eigenen Empfindungen, die sich für mich je voneinander unterscheiden, ebenso mit grösster Wahrscheinlichkeit richtig klassifizieren kann. Was sollte denn das allgemeine Kriterium von Allgemeinsprachen sein, durch das sich die Wahrscheinlichkeit einer Richtigkeit als gefestigter darstellen sollte als die Wahrscheinlichkeit meiner Attribuierung von Begriffen zu Gegenständen?



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Jörn Budesheim
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Sa 17. Mär 2018, 11:38

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 11:18
Ich sehe ein, dass dies nur theoretische Erwägungen sind, aber sie zeigen doch, dass Sprache an sich keine Allgemeinheit zwangsläufig voraussetzt, sondern dass Kommunikation Allgemeinheit voraussetzt. Sprache muss nicht Kommunikation bedeuten in einem apodiktischen Sinne.
Du argumentierst gegen die Voraussetzung Allgemeinheit. Aber das zentrale Argument ist der Unterschied zwischen richtig und falsch.




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Sa 17. Mär 2018, 11:40

Ich möchte anmerken, dass ich lediglich die Unmöglichkeit von Privatsprachen infrage stelleund nicht die Einsicht, dass Sprache in unserem Sinn immer Öffentlichkeit bedeutet.

Die Öffentlichkeit liegt begründet in der Referenzrichtung von Sprache, sie verweist auf Dinge ausser uns, sie ist Kommunikationsmittel, d.h. sie vollzieht sich als ars communis. Ferner denke ich, dass Sprache durch die Dinge gesprochen wird, die sie betrifft. Unterschiedliche Sprachen unterscheiden sich nur formal voneinander, nicht inhaltlich.
Aber das ist erstens eine noch unausgereifte These und zweitens hat es mit Wittgenstein wenig zu tun (den ich wirklich noch nicht kenne, weshalb ich mich erst weiter äussern werde, wenn ich mich entweder bei Wittgenstein schlau gemacht habe oder mir jemand hilft, Wittgenstein zu verstehen)



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Sa 17. Mär 2018, 11:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 11:38
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 11:18
Ich sehe ein, dass dies nur theoretische Erwägungen sind, aber sie zeigen doch, dass Sprache an sich keine Allgemeinheit zwangsläufig voraussetzt, sondern dass Kommunikation Allgemeinheit voraussetzt. Sprache muss nicht Kommunikation bedeuten in einem apodiktischen Sinne.
Du argumentierst gegen die Voraussetzung Allgemeinheit. Aber das zentrale Argument ist der Unterschied zwischen richtig und falsch.
Vielleicht kannst du mir erklären, warum Allgemeinsprachen besser zwischen richtig und falsch unterscheiden können sollen und Privatsprachen überhaupt nicht.



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Sa 17. Mär 2018, 13:00

Tosa Inu hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 11:07
Klar ist aber, dass sich Logik, Kunst, Mathematik und Sprache nicht auf ihre evtl. natürliche Quelle haben beschränken lassen. Sie alle sind zu neuen Horizonten aufgebrochen.
Ja, und darum ist mein Einwand recht kleinlich, dass es Privatsprachen durchaus geben kann. Denn dass es denkbar ist, dass ich das Mannigfaltige der Erscheinungen mit eigenen Begriffen unterscheiden und klassifizieren kann, bedeutet ja zunächst nur, dass der Gründungsakt von Sprache als ein simples semantisches Referenzieren auf Gegenstände als individuell vollziehbar denkbar ist. Sprache aber ist vielmehr ein Referenzieren innerhalb eines Referenzierungssystems, zu dem nicht nur die sprachliche Struktur gehört (die man sich wohl ganz alleine geben könnte), sondern auch die Sprechenden, die sich zwecks Verständigung aufeinander und auf das sie Betreffende beziehen. Sprache ist in diesem Sinne eigentliche Öffentlichkeit, weil sie die Bedeutung, die die übermittelt, vom Offenbaren entlehnt, das das uns gemeinsam Gegebene darstellt. Und das uns gemeinsam Gegebene, d.h. einander Vermittelte, ist uns in allen Formen nur in Sprache gegeben.

Gleichzeitig aber (und hierauf ging eher mein Einwand, dass es Privatsprachen geben kann), sollten wir uns vom Unstand, dass sich uns Welt über Sprache erklärt nicht in die Irre führen lassen und die Gegenstände für die Sprache halten, durch die wir uns die Gegenstände vermitteln. Ich denke, dass der individuelle, sozusagen private Weltzugang, z.B. indem ich es bin, der sieht, fühlt, empfindet oder denkt, vielmehr darauf hinweist, dass es einen Welteinlass ins Individuum gibt. Es gibt die Privatheit des Inderweltseins, durch die der Mensch in der Stille der eigenen Sprache in Freiheit sein kann. Wir sind, so will ich sagen, nicht nur Wesen der Öffentlichkeit, und hiermit durch den allgemeinsprachlichen Weltbezug definierte Individuen, sondern in erster Linie freie Menschen in der Natur unseres Daseins.
Das wollte ich lediglich eingeworfen haben.



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Sa 17. Mär 2018, 13:46

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 13:00
Ja, und darum ist mein Einwand recht kleinlich, dass es Privatsprachen durchaus geben kann. Denn dass es denkbar ist, dass ich das Mannigfaltige der Erscheinungen mit eigenen Begriffen unterscheiden und klassifizieren kann, bedeutet ja zunächst nur, dass der Gründungsakt von Sprache als ein simples semantisches Referenzieren auf Gegenstände als individuell vollziehbar denkbar ist.
Und wie schon gesagt, glaube ich, dass Du hier richtig liegst.
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 13:00
Sprache aber ist vielmehr ein Referenzieren innerhalb eines Referenzierungssystems, zu dem nicht nur die sprachliche Struktur gehört (die man sich wohl ganz alleine geben könnte), sondern auch die Sprechenden, die sich zwecks Verständigung aufeinander und auf das sie Betreffende beziehen. Sprache ist in diesem Sinne eigentliche Öffentlichkeit, weil sie die Bedeutung, die die übermittelt, vom Offenbaren entlehnt, das das uns gemeinsam Gegebene darstellt. Und das uns gemeinsam Gegebene, d.h. einander Vermittelte, ist uns in allen Formen nur in Sprache gegeben.
Ja.
Die fehlende Anschlussfähigkeit ist das eine Argument, aber gewichtiger ist, dass wir mit einer Privatsprache das Rad jedesmal neu erfinden müssten. So können wir aber auf einen gewaltigen Pool an schon Erlebten und Bewältigtem, eingebettet in eine komplexe Sprache, zurückgreifen, was ungeheure Vorteile hat, aber natürlich auch den Nachteil einer gewissen Präformation. Wofür es keinen Begriff gibt, das existiert für uns fast nicht.
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 13:00
Gleichzeitig aber (und hierauf ging eher mein Einwand, dass es Privatsprachen geben kann), sollten wir uns vom Unstand, dass sich uns Welt über Sprache erklärt nicht in die Irre führen lassen und die Gegenstände für die Sprache halten, durch die wir uns die Gegenstände vermitteln. Ich denke, dass der individuelle, sozusagen private Weltzugang, z.B. indem ich es bin, der sieht, fühlt, empfindet oder denkt, vielmehr darauf hinweist, dass es einen Welteinlass ins Individuum gibt.
Aber bereits vorselektiert.
Darum redet Sellars davon, dass es ein Mythos sei, dass Welt uns als Gegebenes erscheint, vielmehr ist sie Interpretiertes. Mit dem Ding bekommen wir die Einordnung gleich mit. Aber Welt ist eben nicht nur Zettel an Dinge heften und dann damit jonglieren, sondern teilweise bezieht sich Sprache nur noch auf andere sprachliche Konstrukte. Ich würde nicht so weit gehen wie der radikale Konstruktivismus oder andere postmoderne Strömungen und denken, dass alles nur Sprache oder Wahrnehmung ist, es gibt da schon was Reales. Andererseits würde ich nicht so weit gehen, wie Gabriel und den Interpretationen von Interpretationen einen eigenen ontologischen Status zusprecen.
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 13:00
Es gibt die Privatheit des Inderweltseins, durch die der Mensch in der Stille der eigenen Sprache in Freiheit sein kann. Wir sind, so will ich sagen, nicht nur Wesen der Öffentlichkeit, und hiermit durch den allgemeinsprachlichen Weltbezug definierte Individuen, sondern in erster Linie freie Menschen in der Natur unseres Daseins.
Das wollte ich lediglich eingeworfen haben.
:!:
Ja. Frege wunderte sich darüber, dass eine endliche Zahl an Zeichen uns einen unendlichen sprachlichen Raum zur Verfügung stellt und Chomsky stellt emprische fest, dass wir diesen privanten Raum felißig nutzen. Fast jeder längere Satz in so wie er ausgesprochen wird zum erstem Mal in der Geschichte der Erde ausgesprochen.
Wir interpretieren das öffentliche Werkzeug und sortieren es neu.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Sa 17. Mär 2018, 15:29

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 11:42
Privatsprachen
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 11:42
Allgemeinsprachen
Was meinst du mit Allgemeinsprachen??




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Alethos
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Sa 17. Mär 2018, 16:56

Das soll nur der Unterscheidung von Sprachen dienen: Privatsprache vs. öffentliche (Allgemein-)Sprache, wobei letzteres alle spezifischen Sprachen umfasst: Hindu, Computersprache, Deutsch, Musik, Gebärden- oder Körpersprachen etc.



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Sa 17. Mär 2018, 18:22

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 13:00
der Gründungsakt von Sprache als ein simples semantisches Referenzieren auf Gegenstände als individuell vollziehbar denkbar ist.
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 11:42
Vielleicht kannst du mir erklären, warum Allgemeinsprachen besser zwischen richtig und falsch unterscheiden können sollen und Privatsprachen überhaupt nicht.
Ich befürchte, das kann ich nicht. Ich bin kein Wittgenstein-Kenner und auch nicht sein offizieller Verteidiger :-) Meine eigene Vorstellungen davon, was Sprache ist, ist (gelinde gesagt) einem ziemlichen "Antisubjektivismus" verpflichtet. Und das macht mir den Gedanken Wittgensteins gewissermaßen "spontan" sympatisch.

Ich glaube zwar wie du und die meisten hier schätze ich, dass der Bezug auf Dinge ein wichtiger Teil der Sprache ist, aber bestimmt kein Gründungsakt oder dergleichen. Und ganz sicher ist damit lange nicht erschöpft, was Sprache ist, was sie ausmacht, notwendig für sie ist. Es gibt weitere Dimensionen, ohne die wir gar keine Sprache hätten. Das "Zeigen" auf die Dinge, das "Referenzieren" nenne ich (für diese Zwecke hier in diesem Beitrag und nicht für alle Ewigkeiten) mal die vertikale Dimension, weil sie gleichsam aus der Sprache herausführt oder in sie hineinen. Daneben haben wir es noch mit einer horizontalen Dimension zu tun. Das sind die sprachinternen Beziehungen, ohne die es gar keine Bedeutung geben könnte. "Ein simples semantisches Referenzieren" würde gar keine Sprache hervorbringen nach meinem Dafürhalten.

(Es wäre übrigens auch ziemlich witzlos, wenn wir alle bloß dumm rumstünden, auf die Dinge zeigten und ihren einen Namen nennen würden :-) -aber das nur nebenbei.)

Ich glaube auch nicht, dass es ein Zufall ist, dass Sprecher stets im Plural auftreten. Die soziale Dimension ist ebenso unabdingbar. Fragt sich jedoch, worin sie besteht ...

Sprachen, die nicht alle diese Dimensionen aufweisen (und vermutlich mehr) dürfte es nicht geben, schätze ich. Deswegen glaube ich wie Wittgenstein, dass es eine logisch private Sprache nicht geben kann, weil ihr die Dimension des Sozialen fehlt.

Dass man die Intuition hat, dass man das Benennen der Dinge auch ohne die obigen Zutaten allein für hinbekommen kann, kann ich jedoch gut nachvollziehen. Ob es sich beim "Verweisen" auf "innere" Gefühle (falls es so etwas gibt) allerdings so verhält wie beim Verweisen auf einen Stein, wage ich zu bezweifeln. Das ist schon eher eine seltsame Vorstellung.

Wir sind jedoch derart mit dem Spiel des Sprechens in den vielen Variationen vertraut, dass wir vermutlich für die allermeisten Bedingungen, die es ausmachen, blind sein dürften, die sind sozusagen für uns unsichtbar/transparent. Es geht uns das meiste so leicht von den Lippen, dass wir nicht mehr spüren, wie komplex das alles ist. Wenn Bertram recht hat und der Aspekt mit dem Unterschied zwischen richtig sein und bloß glauben, dass etwas richtig ist, so zentral ist, sollte man sich ihm zuwenden und die spontanen Intuitionen, dass das alles doch gehen müsste, vielleicht eine zeitlang ausblenden.

Was ist mit richtig (bzw. falsch) hier gemeint? Das ist ja erstmal noch offen, oder? Beliebt ist die Antwort, dass es zum Sprechen "Regeln" braucht, die man richtig oder falsch anwenden kann ... meint Wittgenstein das?




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Sa 17. Mär 2018, 18:39

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 16:56
Das soll nur der Unterscheidung von Sprachen dienen: Privatsprache vs. öffentliche (Allgemein-)Sprache, wobei letzteres alle spezifischen Sprachen umfasst: Hindu, Computersprache, Deutsch, Musik, Gebärden- oder Körpersprachen etc.
Ich selbst glaube gar nicht, dass es so etwas wie eine Sprache hinter dem Sprechen überhaupt gibt. Ich meine, jeder von uns spricht seinen eigenen Idiolekt. Ein Idiolekt ist jedoch keine Privatsprache. Aber das nur am Rande.




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Sa 17. Mär 2018, 18:59

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Mär 2018, 18:22
Was ist mit richtig (bzw. falsch) hier gemeint? Das ist ja erstmal noch offen, oder? Beliebt ist die Antwort, dass es zum Sprechen "Regeln" braucht, die man richtig oder falsch anwenden kann ... meint Wittgenstein das?
Schöner Beitrag.
Brandom (der in Expressive Vernunft Wittgenstein, Frege und Kant verbindet) hat auf einigen Seiten des Buches überzeugend nachgewiesen, dass Wittgensteins Begriff der Regel und was es bedeutet, einer Regel zu folge, dreideutig ist. Hier sollte man sich also nicht verwirren lassen.
Das nur als Einwurf.



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So 18. Mär 2018, 10:45

Alethos hat geschrieben :
Fr 16. Mär 2018, 20:03
Ich kann das Argument, dass es eine Privatsprache nicht geben kann, nicht wirklich nachvollziehen. Es ist doch mir möglich, einen Begriff zu erfinden für das Phänomen y, wonach ich jedem Phänomen y diesen Begriff gebe. Und dadurch, dass sich Phänomen y von Phänomen z unterscheidet, werden sich meine erfundenen Begriffe dieser Phänomene voneinander unterscheiden. Etwas zu etikettieren ist ein allgemeines menschliches Vermögen, aber das Etikett selbst ist deshalb nicht zwingend ein allgemeines, wenn ich es erfinde und nur für mich selbst anwende?

...

Was verstehe ich nicht?
Du musst mindestens eine öffentliche Sprache beherrschen, ehe Du eine solche Privatsprache entwickeln kannst. Ehe Du mindestens eine öffentliche Sprache erlernt hast, verfügst Du nicht über Begriffe, also kannst Du solche auch nicht Phänomenen zuweisen.

Das Beispiel mit den beiden Kindern und der taubstummen Oma widerlegt das nicht. Nur weil ich kein Chinesisch kann, ist Chinesisch noch lange keine Privatsprache. Dass wir die Zeichensprache der drei nicht verstehen, zeigt keineswegs, dass es sich hier um eine Privatsprache handeln würde.

"Privat" versteht Wittgenstein hier im Sinne Descartes. Das greift er an, nicht dass unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Kommunikationsformen entwickeln. Im wesentlichen sagt er, dass es kein sprachfähiges Wesen geben kann, dass nur über eine Privatsprache verfügt.




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So 18. Mär 2018, 11:00

Segler hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 10:45
Du musst mindestens eine öffentliche Sprache beherrschen, ehe Du eine solche Privatsprache entwickeln kannst. Ehe Du mindestens eine öffentliche Sprache erlernt hast, verfügst Du nicht über Begriffe, also kannst Du solche auch nicht Phänomenen zuweisen.
Unter diesen Voraussetzungen ist die Entwicklung einer Privatsprache möglich, wenn auch über den Umweg einer öffentlichen Sprache, oder?

Dass wir diesen Umweg machen müssen, müsste aber erst noch dargelegt werden. Die bislang vorgetragenen Beweise halte ich noch nicht für überzeugend. Das muss natürlich nicht an den Beweisen liegen.



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So 18. Mär 2018, 11:48

Segler hat geschrieben :
So 18. Mär 2018, 10:45
Das Beispiel mit den beiden Kindern und der taubstummen Oma widerlegt das nicht. Nur weil ich kein Chinesisch kann, ist Chinesisch noch lange keine Privatsprache. Dass wir die Zeichensprache der drei nicht verstehen, zeigt keineswegs, dass es sich hier um eine Privatsprache handeln würde.
Nein, das war anders und es geht nicht um Zeichensprache.
Bei der Oma lebten zwei Kinder, die beiden hören und sprechen konnten, von der Oma aber keinen Input bekamen, weil sie taubstumm war.
Die beiden sprachen aber untereinander eine von ihnen kreierte Sprache, die nur sie sprachen und die meines Erachtens, auch wenn es zwei waren, alle Kriterien einer Privatsprache erfüllt, weil das Prinzip eben sein, soll, wie Du richtig schilderst, dass man sich sein Inneres, nach Wittgenstein, anhand einer öffenltichen Sprache zunächst erschließen muss und dann erst nach draußen funken kann. Das ist hier widerlegt.

Was bleibt, ist, dass die Sprache nicht anschlussfähig ist, weil sie eben keiner spricht außer den beiden und sie höchstwahrscheinlich nicht sonderlich differenziert ist. Wir jedoch werden in eine Welt hochkomplexer sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten hineingeboren.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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