Hegel: Herr und Knecht

Gegenstand dieses Projekts ist die Philosophie Georg Wilhelm Friedrich Hegels
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maximimaxima
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Sa 7. Okt 2017, 12:58

novon hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 04:59
Kann man Hegel diesbezüglich nicht nur noch quasi anekdotisch lesen? Das alles ist doch bereits in Recht bzw. Rechtsstaatlichkeit aufgegangen, abgefrühstückt?
Die Frage muss mit einem klaren Jein beantwortet werden. Es ist umstritten welche historischen Verhältnisse Hegel als Folie für das Herr und Knecht Kapitel dienten. Meiner Meinung nach tatsächlich eher feudale Verhältnisse als Klassenverhältnisse.

Aber man muss auch berücksichtigen, dass Hegel hier das Verhältnis zweier Subjekte, also eine Interaktionsdyade beschreibt. Es geht ihm hier gar nicht unbedingt um gesellschaftliche Verhältnisse. Der Kern ist ein Verhältnis zwischen zwei Subjekten, das durch ein Machtungleichgewicht charakterisiert ist. Und hier öffnet sich dann ein weiter Interpretationsspielraum, der auch aktuelle Verhältnisse einschließt. Das Herr und Knecht-Verhältnis kann dann als Folie dienen um so unterschiedliche Verhältnisse wie Mutter-Säugling, Chef-Arbeiter, Lehrer-Schüler o.ä. zu analysieren.

Wenn man dann die Einbettung des Kapitels in die Phänomenologie des Geistes betrachtet wird deutlich, dass es Hegel hier um die Genese des Wissens und der Wissenschaft geht. Und das ist natürlich nach wie vor aktuell.




Hermeneuticus
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Sa 7. Okt 2017, 13:08

novon hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 04:59
Kann man Hegel diesbezüglich nicht nur noch quasi anekdotisch lesen? Das alles ist doch bereits in Recht bzw. Rechtsstaatlichkeit aufgegangen, abgefrühstückt?
Hmm, hältst Du denn "Selbstbewusstsein" ebenfalls für abgefrühstückt? Brauchen wir das nicht mehr? Ist es belanglos, darüber nachzudenken, worin Selbstbewusstsein besteht und wie man dazu kommt? Ist in den aktuellen philosophischen Diskussionen über "Geist" diesbezüglich alles geklärt?




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Tarvoc
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Sa 7. Okt 2017, 15:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 07:37
Ich kenne das aus anderen Foren: "Wozu brauchen wir Ethik? Wir haben doch positives Recht!"
Die Übertragung des rechtspositivistischen Arguments auf die Moral geht deshalb fehl, weil sie suggeriert, die Gesellschaft entstünde aus dem Recht und nicht umgekehrt. Große Teile menschlicher gesellschaftlicher Verhältnisse können gar nicht ohne Weiteres durchgehend rechtlich geregelt werden, sind aber Bedingungen dafür, dass überhaupt funktionierende Rechtsverhältnisse bestehen können.



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novon
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So 8. Okt 2017, 02:28

Tarvoc hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 05:13
novon hat geschrieben :
So 1. Okt 2017, 23:14
Hermeneuticus hat geschrieben :
So 1. Okt 2017, 14:17

Überall dort, wo Menschen instrumentalisiert werden. Wo sie oder ihre Leistungen als Mittel zu Zwecken dienen, die nicht ihre eigenen sind. Solche Instrumentalisierungsverhältnisse müssen sich nicht auf Personen als ganze erstrecken und mit völliger Unfreiheit einhergehen (wie bei Sklaven oder Zwangsprostituierten). Sie können auch auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt sein und nur zeitweilig bestehen (z.B. Lohnarbeit unter unfairen Bedingungen).
Kann es sein, dass derartige Verhältnisse (hier) durchweg illegal sind?
Lohnarbeit ist hierzulande natürlich nicht durchweg illegal. Auch nicht "unter unfairen Bedingungen" - wobei der Begriff der "Fairness" natürlich so vage ist, dass schon zweieinhalb Jahrzehnte Neoliberalismus den Fairnessbegriff der "alten" BRD so vollständig und bis zur Unkenntlichkeit erodieren konnten, dass heute selbst Ein-Euro-Jobs von einigen Leuten als "fair" betrachtet werden.

Überhaupt stellt sich die Frage, ob das Begriffspaar "faire Lohnarbeit" Sinn ergibt. Fairness ist nämlich gar kein der Sache inhärentes ökonomisches Kriterium, sondern ein rein äußerliches. Der Arbeitsmarkt als solcher interessiert sich nicht für Fairness. Jeder Standard von Fairness, den man sich überhaupt ausdenken kann, muss ihm künstlich aufgezwungen werden.
Zunächst mal wäre (hier und heute; im Folgenden vorausgesetzt) im Sinne von Arbeitsverhältnissen allerdings von rechtsverbindlichen Vertragsverhältnissen die Rede und nicht von Herr-Knecht-Verhältnissen (letztere ließen sich problemlos auf Willkürverhältnisse eindampfen, sei es, um etwaigen Personalisierungsattitüden im Voraus den Boden zu entziehen). Da geht es nicht um "Fairness" (schwammig, oder?), sondern um Vertragstreue und Rechtsverbindlichkeit. Wer was als fair einsortiert ist doch wohl jedem selbst überlassen, oder?
Tarvoc hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 05:13
Dass in der Lohnarbeit der Arbeiter für den Profit des Arbeitgebers instrumentalisiert ist, ist auch leicht einzusehen.
Tschuldige, aber könntest du bitte kurz mal skizzieren, worauf du mit "Lohnarbeit", "Arbeiter" und "Arbeitgeber" abzielst? Ich bin angestellt, verdiene sehr vernünftig und der Erfolg meines Arbeitgebers ist auch mein Erfolg. (Im 19ten Jhd. mag das anders gewesen sein.)
Tarvoc hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 05:13
Arbeiter tauchen in den ökonomischen Rechnungen von Konzernen primär als Kostenfaktoren auf.
Käme drauf an, ob dein Begriff von Arbeiter noch in Jhd. 19 rumlungert...
Tarvoc hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 05:13
Dass das mEn nicht mehr Herrschaft und Knechtschaft im klassischen Hegelschen Sinne ist, habe ich ja schon angedeutet. Ein Instrumentalisierungsverhältnis ist es trotzdem.
Hättest du etwas dagegen, Hegels Verständnis einer Herr-Knecht-Beziehung als Willkürverhältnis zu bestimmen?




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Tarvoc
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So 8. Okt 2017, 04:29

novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 02:28
Ich bin angestellt, verdiene sehr vernünftig und der Erfolg meines Arbeitgebers ist auch mein Erfolg.
Nein, der Erfolg deines Arbeitgebers ist der Überschuss des Verkaufspreises der von dir hergestellten Ware über die Material- und Herstellungskosten und den Lohn deiner Arbeit. (Profit)
novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 02:28
Tarvoc hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 05:13
Arbeiter tauchen in den ökonomischen Rechnungen von Konzernen primär als Kostenfaktoren auf.
Käme drauf an, ob dein Begriff von Arbeiter noch in Jhd. 19 rumlungert...
Nein, so rechnen Konzerne auch heute. Wie sollten sie denn bitte auch sonst rechnen? Glaubst du, es ist reiner Zufall, dass Billiglohnländer für Konzerne interessant sind? :roll:



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novon
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So 8. Okt 2017, 22:31

Tarvoc hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 04:29
novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 02:28
Ich bin angestellt, verdiene sehr vernünftig und der Erfolg meines Arbeitgebers ist auch mein Erfolg.
Nein, der Erfolg deines Arbeitgebers ist der Überschuss des Verkaufspreises der von dir hergestellten Ware über die Material- und Herstellungskosten und den Lohn deiner Arbeit. (Profit)
Ich hab kein Problem damit, dass ich ebenso davon profitiere angestellt zu sein, wie mein Arbeitgeber davon, dass ich für ihn arbeite. Ich setze dabei eine gewisse Angemessenheit der Relation der jeweiligen Profite voraus. Manche Praktiken in der Ecke kann man sicherlich fragwürdig nennen (z. B. Managergehälter, Kinderarbeit oder auch Lohnsklaverei, wie sie in einigen Ländern praktiziert wird, etc.), im Großen und Ganzen schiene mir das allerdings nicht der Fall zu sein.
Und außerdem profitieren alle (gesellschaftlich) davon, dass komplexe Produkte überhaupt nur dadurch möglich sind, dass Arbeitskraft in Firmen gebündelt ist. Welche Alternativmodelle wären diesbezüglich denn denkbar?
Tarvoc hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 04:29
novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 02:28
Tarvoc hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2017, 05:13
Arbeiter tauchen in den ökonomischen Rechnungen von Konzernen primär als Kostenfaktoren auf.
Käme drauf an, ob dein Begriff von Arbeiter noch in Jhd. 19 rumlungert...
Nein, so rechnen Konzerne auch heute. Wie sollten sie denn bitte auch sonst rechnen? Glaubst du, es ist reiner Zufall, dass Billiglohnländer für Konzerne interessant sind? :roll:
Konzerne wären imo ein anderes Thema (bei dem so einiges sich als recht fragwürdig herausstellt; diese haben allerdings eher nichts damit zu tun, dass Leute durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen; Entfremdung halte ich übrigens nicht für eine notwendige Begleiterscheinung von Lohnarbeit).




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maximimaxima
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So 8. Okt 2017, 22:52

Interessant Frage: Spricht Hegel im Herr und Knecht Kapitel von nicht-entfremdeter Arbeit? Ich denke: Ja!
Und was heißt eigentlich entfremdete Arbeit? Der junge Marx hat dazu einiges Erhellendes geschrieben, durchaus mit Blick auf Hegel würde ich vermuten.

Entfremdung ist im Übrigen eine Kategorie, die im heutigen (linken) Diskurs Hochkonjunktur hat. (Ganz im Gegensatz zu den Eigentumsverhältnissen.) Selbstverwirklichung scheint ja - zumindest oberflächlich betrachtet - ein Gegenentwurf zur Entfremdung zu sein.




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novon
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Mo 9. Okt 2017, 00:08

Ja, schwuppdiwupp wird klar,
dass oben
nicht Hegel, sondern Marx
der Kontext war.
Ganz offenbar.




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Tarvoc
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Mo 9. Okt 2017, 00:49

novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 22:31
Ich hab kein Problem damit, dass ich ebenso davon profitiere angestellt zu sein, wie mein Arbeitgeber davon, dass ich für ihn arbeite.
Dir ist offenbar der ökonomische Profitbegriff und der Unterschied zwischen Lohn und Profit nicht klar. Soll ich es dir nochmal erläutern?
novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 22:31
Und außerdem profitieren alle (gesellschaftlich) davon, dass komplexe Produkte überhaupt nur dadurch möglich sind, dass Arbeitskraft in Firmen gebündelt ist. Welche Alternativmodelle wären diesbezüglich denn denkbar?
Arbeiterkooperativen. Dass es von den Arbeitern verschiedene Privatbesitzer gibt, die den produzierten Mehrwert abschöpfen, ist überhaupt keine Notwendigkeit für irgendwas.
novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 22:31
Konzerne wären imo ein anderes Thema.
Kleinunternehmen rechnen auch nicht grundsätzlich anders.
novon hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 00:08
Ja, schwuppdiwupp wird klar,
dass oben
nicht Hegel, sondern Marx
der Kontext war.
Ganz offenbar.
Marx ist schon ab der ersten Seite im Gespräch, und zwar explizit. Dass man in einem Thread zu Hegels Herr-Knecht-Dialektik nicht über Lohnarbeit diskutieren kann, ohne Marx mit zu bedenken, sollte eigentlich schon philosophiegeschichtlich klar sein.



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novon
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Mo 9. Okt 2017, 01:30

Tarvoc hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 00:49
novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 22:31
Ich hab kein Problem damit, dass ich ebenso davon profitiere angestellt zu sein, wie mein Arbeitgeber davon, dass ich für ihn arbeite.
Dir ist offenbar der ökonomische Profitbegriff und der Unterschied zwischen Lohn und Profit nicht klar. Soll ich es dir nochmal erläutern?
Wenn du so fragst: Ja, bitte. Ich sehe als (persönlichen) Profit an, dass es möglich ist, Dinge zu erwerben, die ansonsten vollständig jedwedem Zugriff entzogen wären, oder so...
Tarvoc hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 00:49
novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 22:31
Und außerdem profitieren alle (gesellschaftlich) davon, dass komplexe Produkte überhaupt nur dadurch möglich sind, dass Arbeitskraft in Firmen gebündelt ist. Welche Alternativmodelle wären diesbezüglich denn denkbar?
Arbeiterkooperativen. Dass es von den Arbeitern verschiedene Privatbesitzer gibt, die den produzierten Mehrwert abschöpfen, ist überhaupt keine Notwendigkeit für irgendwas.
Das verstehe ich nicht so recht. Welchen Unterschied möchtest du geltend machen? Warum sollte die kumulierende Instanz nicht auch profitieren?
Tarvoc hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 00:49
novon hat geschrieben :
So 8. Okt 2017, 22:31
Konzerne wären imo ein anderes Thema.
Kleinunternehmen rechnen auch nicht grundsätzlich anders.
Meinerseits wäre der Punkt, dass Konzerne nicht produzieren, sondern Gebilde des Finanzwesens sind. Marx erfasst derartiges afaik noch nicht einmal ansatzweise. Jhd. 19 eben.
Tarvoc hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 00:49
novon hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 00:08
Ja, schwuppdiwupp wird klar,
dass oben
nicht Hegel, sondern Marx
der Kontext war.
Ganz offenbar.
Marx ist schon ab der ersten Seite im Gespräch, und zwar explizit. Dass man in einem Thread zu Hegels Herr-Knecht-Dialektik nicht über Lohnarbeit diskutieren kann, ohne Marx mit zu bedenken, sollte eigentlich schon philosophiegeschichtlich klar sein.
[/quote]
Ja, Marx liefert im Kontext viel relevantes. (Ob das "ab der ersten Seite" jeder so mitbekommen hat, schiene mir infrage zu stehen...)




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Tarvoc
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Mo 9. Okt 2017, 01:38

novon hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 01:30
Wenn du so fragst: Ja, bitte.
In ökonomischen Begriffen ist der Profit der Überschuss des Verkaufswerts des produzierten Produkts über den Arbeitslohn und die Materialkosten. Also nein, Arbeiter machen keinen Profit. Sie bekommen Lohn. Das berechnet sich anders. Der Lohn steht in überhaupt keinem zwingenden ökonomischen Verhältnis zum Verkaufswert der produzierten Produkte. Der Profit trivialerweise schon.
novon hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 01:30
Welchen Unterschied möchtest du geltend machen?
Den zwischen Arbeit für einen anderen und Arbeit für sich selbst. Es ist ein Unterschied, ob die Belegschaft selbst eine Kooperative führt oder nur aus Angestellten besteht.
novon hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 01:30
Meinerseits wäre der Punkt, dass Konzerne nicht produzieren, sondern Gebilde des Finanzwesens sind.
Nicht ganz. Konzerne und Unternehmen sind die rechtlichen Eigentümer der Produktionsstätten und Produktionsmittel. Dass die Konzerne und ihre Eigentümer nicht eigentlich produzieren, sondern die bei ihnen angestellten Arbeiter, ist ja genau der Punkt. Im Übrigen gibt es Konzerne natürlich nicht erst im Finanzwesen, sondern bereits im Bereich des Industrie- und Handelskapitals.



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maximimaxima
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Di 10. Okt 2017, 10:00

Tarvoc hat geschrieben :
Mo 9. Okt 2017, 00:49
Marx ist schon ab der ersten Seite im Gespräch, und zwar explizit. Dass man in einem Thread zu Hegels Herr-Knecht-Dialektik nicht über Lohnarbeit diskutieren kann, ohne Marx mit zu bedenken, sollte eigentlich schon philosophiegeschichtlich klar sein.
Marx hat sicher viel zu einer bestimmten Rezeption des Herr und Knecht Kapitels beigetragen, damit jedoch auch andere Lesarten verstellt. Ich denke da an die privilegierte Erkenntnisposition der Arbeiterklasse, die Entfremdung der Arbeit sowie deren Aufhebung und Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen mit der notwendigen Revolution des Proletariats.
Nun ist diese Revolution ausgeblieben aus verschiedenen Gründen. Die Entfremdung der Arbeit scheint nicht ohne weiteres aufzuheben zu sein, auch wenn Selbstverwirklichung und flache Hierarchien mit viel Möglichkeit zur betrieblichen Mitbestimmung uns das glauben machen wollen.

Bei Hegel jedoch findet man in dem Herr und Knecht Kapitel auch die (normative) Idee der wechselseitigen und symmetrischen Anerkennung. Die Subjekte erkennen sich gegenseitig als sich anerkennend an. Dagegen ist das Herr und Knecht Verhältnis ein einseitiges asymmetrisches Verhältnis, das auf Gewalt und Durchsetzung bzw. Aufzwingung des eigenen Willen des Einen beruht. Die Idee der wechselseitigen Anerkennung scheint jedoch in diesem Verhältnis schon auf. So finde ich es durchaus plausibel intersubjektive Beziehungen und die soziale Entwicklung als ein Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen der gewaltförmigen Unterdrückung des Anderen und der wechselseitigen Anerkennung zu begreifen.




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Tarvoc
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Di 10. Okt 2017, 11:28

maximimaxima hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 10:00
Marx hat sicher viel zu einer bestimmten Rezeption des Herr und Knecht Kapitels beigetragen.
Marx' Leistung diesbezüglich scheint mir eher darin zu bestehen, eine Dialektik der Anerkennung auf freien Märkten entwickelt zu haben, die Instrumentalisierungsverhältnisse aufweist, die nicht dem klassischen Herr-Knecht-Schema entsprechen. (Marx' Dialektik entwickelt sich in den Pariser Manuskripten ganz kurz und knapp zusammengefasst u.A. am Beispiel zweier Warenproduzenten, die sich auf dem Markt gegenseitig instrumentalisieren - womit wir zu der Situation kommen, dass jeder sich selbst gegenüber dem anderen subjektiv für den Herrn hält, objektiv dem anderen gegenüber aber als Knecht handelt - was sich darin ausdrückt, dass beide versuchen, einander zu übervorteilen. Damit zeigt er übrigens auch, dass das Proletariat noch gar nicht ins Spiel kommen muss: Instrumentalisierungsverhältnisse bestehen im Kapitalismus bereits innerhalb der Kapitalistenklasse. Ähnliche Gedanken finden sich auch in den ersten Kapiteln des Kapitals, noch bevor die Arbeitsware und die Arbeiterklasse begrifflich entwickelt werden.)



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novon
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Di 10. Okt 2017, 22:25

Gewähnte oder reale Instrumentalisierung?




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Tarvoc
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Di 10. Okt 2017, 23:28

novon hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 22:25
Gewähnte oder reale Instrumentalisierung?
Reale. Die beiden wähnen sich selbst ja gerade nicht instrumentalisiert, sondern nur den jeweils anderen.



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maximimaxima
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Di 10. Okt 2017, 23:49

Tarvoc hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 11:28
maximimaxima hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 10:00
Marx hat sicher viel zu einer bestimmten Rezeption des Herr und Knecht Kapitels beigetragen.
Marx' Leistung diesbezüglich scheint mir eher darin zu bestehen, eine Dialektik der Anerkennung auf freien Märkten entwickelt zu haben, die Instrumentalisierungsverhältnisse aufweist, die nicht dem klassischen Herr-Knecht-Schema entsprechen.
Mein Einwand dazu ist der folgende: Die Marktteilnehmer begegnen sich als Käufer und Produzent, Arbeitnehmer und Arbeitgeber o.ä.. Dies ist meines Erachtens kein Verhältnis, das auf Anerkennung beruht, sondern auf vertraglichem Handeln. Sicher muss man als Voraussetzung des Marktes eine moralische Vergemeinschaftung in irgendeiner Weise voraus setzen. Das hat Marx aber afaik (höhöhö, ich kann auch netzjargon) weniger interessiert.
Die Anerkennung, die sich die Marktteilnehmer gegenseitig entgegen bringen, kann maximal die Anerkennung als (Rechts-)Person sein. Demgegenüber stehen jedoch die Anerkennung individueller konkreter Bedürfnisse auf der einen Seite (zu verorten in der Familie/Liebe) und die Solidarität zwischen den Subjekten auf der anderen Seite (zu verorten im Staat).
Tarvoc hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 11:28
(Marx' Dialektik entwickelt sich in den Pariser Manuskripten ganz kurz und knapp zusammengefasst u.A. am Beispiel zweier Warenproduzenten, die sich auf dem Markt gegenseitig instrumentalisieren - womit wir zu der Situation kommen, dass jeder sich selbst gegenüber dem anderen subjektiv für den Herrn hält, objektiv dem anderen gegenüber aber als Knecht handelt - was sich darin ausdrückt, dass beide versuchen, einander zu übervorteilen.
Das ist doch dann eher eine amoralische Haltung und höchstens eine defizitäre Form der Anerkennung.

Tarvoc hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 11:28
Damit zeigt er übrigens auch, dass das Proletariat noch gar nicht ins Spiel kommen muss: Instrumentalisierungsverhältnisse bestehen im Kapitalismus bereits innerhalb der Kapitalistenklasse. Ähnliche Gedanken finden sich auch in den ersten Kapiteln des Kapitals, noch bevor die Arbeitsware und die Arbeiterklasse begrifflich entwickelt werden.)
Wobei natürlich Marx gerade die privilegierte Erkenntnisposition des Proletariats wahrscheinlich sehr stark aus Hegels "Herr und Knecht" und dem knechtischen Bewusstsein als dem selbstständigen Bewusstsein gezogen haben mag.




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novon
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Di 10. Okt 2017, 23:59

Tarvoc hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 23:28
novon hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 22:25
Gewähnte oder reale Instrumentalisierung?
Reale. Die beiden wähnen sich selbst ja gerade nicht instrumentalisiert, sondern nur den jeweils anderen.
Okay, also quasi beidseitig gewähnte Instrumentalisierung. Gebont.




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Tarvoc
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Mi 11. Okt 2017, 00:07

maximimaxima hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 23:49
Dies ist meines Erachtens kein Verhältnis, das auf Anerkennung beruht, sondern auf vertraglichem Handeln.
Ich verstehe die Opposition nicht. Gerade Hegel insistiert z.B. in der Rechtsphilosophie darauf, dass jeder Vertrag Anerkennung bereits voraussetzt.
maximimaxima hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 23:49
Tarvoc hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 11:28
Marx' Dialektik entwickelt sich in den Pariser Manuskripten ganz kurz und knapp zusammengefasst u.A. am Beispiel zweier Warenproduzenten, die sich auf dem Markt gegenseitig instrumentalisieren - womit wir zu der Situation kommen, dass jeder sich selbst gegenüber dem anderen subjektiv für den Herrn hält, objektiv dem anderen gegenüber aber als Knecht handelt - was sich darin ausdrückt, dass beide versuchen, einander zu übervorteilen.
Das ist doch dann eher eine amoralische Haltung und höchstens eine defizitäre Form der Anerkennung.
Ja, das ist ja gerade Marx' Punkt: Dass das, was uns auf Märkten als vermeintliche "Anerkennung" begegnet, allenfalls als defizitäre Form von Anerkennung zu bezeichnen ist. Wenn überhaupt.
maximimaxima hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 23:49
Wobei natürlich Marx gerade die privilegierte Erkenntnisposition des Proletariats wahrscheinlich sehr stark aus Hegels "Herr und Knecht" und dem knechtischen Bewusstsein als dem selbstständigen Bewusstsein gezogen haben mag.
Die privilegierte Erkenntnisposition des Proletariats spielt nur in der Deutschen Ideologie und vielleicht vage noch im Manifest eine Rolle. In der Deutschen Ideologie ist sie ein schlecht begründeter Taschenspielertrick, um gewisse Probleme mit seinem theoretischen Ansatz zu verdecken, die er später ganz anders löst. In den späteren Werken spielt diese Behauptung keine echte Rolle mehr. Und in den Pariser Manuskripten spielt sie (jedenfalls wenn ich das im Moment richtig im Kopf habe) noch keine wirkliche Rolle. Zu dem Zeitpunkt ist Marx ja noch Hegelianer und Feuerbachscher Humanist.



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Tarvoc
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Mi 11. Okt 2017, 00:09

novon hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 23:59
Okay, also quasi beidseitig gewähnte Instrumentalisierung.
Es ist insofern nicht nur gewähnt, weil beide in der Praxis tatsächlich für den anderen (bzw. für den Markt) produzieren. Dass sie sich dabei zu übervorteilen versuchen, ist dabei nur ein Symptom, wenn auch ein (jedenfalls insgesamt) notwendiges.



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maximimaxima
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Mi 11. Okt 2017, 00:21

Tarvoc hat geschrieben :
Mi 11. Okt 2017, 00:07
maximimaxima hat geschrieben :
Di 10. Okt 2017, 23:49
Dies ist meines Erachtens kein Verhältnis, das auf Anerkennung beruht, sondern auf vertraglichem Handeln.
Ich verstehe die Opposition nicht. Gerade Hegel insistiert z.B. in der Rechtsphilosophie darauf, dass jeder Vertrag Anerkennung bereits voraussetzt.
Ja, die Teilnahme am Markt setzt irgendeine Form von moralischer Vergemeinschaftung voraus. Das habe ich ja geschrieben. Und sie ist selbst bestenfalls die Anerkennung als Rechtsperson. "Meine Freiheit endet da, wo die Freiheit des anderen beginnt", oder so ähnlich.




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