Ronny Daniel Kupfer hat geschrieben : [...] Stekeler erörtert nun den Kampf um Anerkennung im weiteren Verlauf seiner Analyse als den Kampf der präsentischen Neigungen des Leibes (Knecht) mit den zeitlich nicht unmittelbar an die Gegenwart gebundenen Absichtserklärungen des Geistes (Herr) oder der „Seele“. Siegt der Geist (die Geistseele) mit seinen Vorhaben, Maximen und Plänen nicht gegen den trägen und von Neigungen erfüllten Leib (die Leibseele), so wird dessen Absicht im Nachhinein (post hoc) als bloßes Gerede entwertet. Es kämpfen demnach zwei Bewusstseinsformen miteinander: Ein „überpräsentisches“ zeitliches (auf diese Weise vernünftiges und planvolles) Selbstbewusstsein (Herr) und ein nur präsentisches (instrumentelles und auf diese Art beschränktes) Bewusstsein (Knecht).
Dieses auf Sokrates zurückzuführende und bis zu Kant reichende Philosophem (oder Modell) eines Kampfes der Vernunftseele gegen den Leib, respektive des Kampfes der praktischen Vernunft gegen die Neigungen, wird nun von Hegel als untauglich verworfen und dekonstruiert, betont Stekeler und fügt hinzu: „Denn wenn der Herr gewinnt, wenn also die Absicht umgesetzt wird, ist es der Knecht, der arbeitende Leib, der die Absicht realisiert. Der Knecht ist daher strukturell der Herr des Verfahrens, nicht etwa das für sich allein kraftlose Selbst oder Selbstbewusstsein.“ [...]
Quelle: Das Verhältnis von Herr und Knecht in Hegels Phänomenologie des Geistes aus inter- bzw. intrasubjektiver Perspektive (Ronny Daniel Kupfer)
Hegel: Herr und Knecht
- Jörn Budesheim
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Es gibt übrigens auch Interpretationen von Herr und Knecht als Allegorie, die vorschlagen man könne das Verhältnis der beiden intrasubjektiv deuten.
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Dass Hegel Geist als "reine begriffliche Entwicklung" verstehe, die nicht konstitutiv an die individuelle, körperliche Existenz gebunden sei, ist - Pardon, wenn ich das so klar sage - schlicht falsch. Das kann man nur glauben, wenn man Hegels Texte, die sich mit dem "Objektiven Geist" befassen, nicht zur Kenntnis genommen hat. Wie geht denn eine solche Interpretation mit Hegels lapidarer Feststellung zusammen: "Der Geist ist das sittliche Leben eines Volks (...); das Individuum, das eine Welt ist."? Allein schon der Umstand, dass Hegel Selbstbewusstsein als notwendig gebunden an die Beziehung auf ein anderes, zweites Selbstbewusstsein versteht, widerlegt Deine These schon. ("Das Selbstbewußtsein erreicht seine Befriedigung nur in einem anderen Selbstbewußtsein.")Tarvoc hat geschrieben : ↑Di 3. Okt 2017, 13:21Ganz generell hängt das damit zusammen, dass Hegel den Geist als reine begriffliche Entwicklung versteht, nicht als konstitutiv an materielle menschliche Körper geknüpfte Entwicklung (weswegen der Kampf auf Leben und Tod in der ganzen Dialektik auch nur einen einzigen kurzen, kaum entwickelten Ausgangspunkt darstellt).
Ich meine, man darf das Herr-Knecht-Verhältnis nicht buchstäblich interpretieren, als Beschreibung konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse. Es dient an dieser Stelle der PdG nur als Modell für ein extrem asymmetrisches Verhältnis zwischen zwei Individuen, .d.h. für ein Verhältnis, in dem keine gegenseitige Anerkennung stattfindet. Und in diesem modellhaften Sinne habe ich mein "überall" gemeint. Ich wollte also nicht sagen: Überall, wo ein asymmetrisches Verhältnis zwischen Personen vorliegt, haben wir ein Herr-Knecht-Verhältnis vor uns. Sondern: Das Asymmetrie-Verhältnis, das Hegel mit der Herr-Knecht-Beziehung illustriert, lässt sich überall aufzeigen, wo ein Mensch von Menschen instrumentalisiert wird.Überall ist etwas übertrieben. Ich habe zwar keinen unmittelbaren Beweis dafür, aber ich glaube, noch nicht mal Hegel selbst hätte diesem Allquantor so ohne weiteres zugestimmt. (...) aber Marx hat z.B. im Anhang zu den Pariser Manuskripten gezeigt, dass die Anerkennungsstruktur dort eine andere ist als in Hegels Herr-Knecht-Verhältnis...Hermeneuticus hat geschrieben : ↑So 1. Okt 2017, 14:17Überall dort, wo Menschen instrumentalisiert werden.
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Hegels Argument in diesem Zusammenhang bleibt für mich dunkel und ich bin mir nicht sicher, ob es ein haltbares Argument ist. Der Herr erfährt seine Selbstständigkeit und die (absolute) Freiheit des Willens dadurch, dass er aus dem Kampf auf Leben und Tod siegreich hervor geht. In der Hegelschen Terminologie erfährt der Herr dadurch sein Fürsichsein.Bartleby hat geschrieben : ↑Di 3. Okt 2017, 22:59
Tatsächlich ist der "Herr" in diesem Verhältnis, der sich das komfortable Bedientwerden gefallen lässt, indem er die Früchte fremder Arbeit und Mühen entgegennimmt und konsumiert, darin ja auch der passive, unproduktive und unselbständige Teil. Nicht so recht nachvollziehen kann ich allerdings auch: inwiefern kann sich der "Knecht" "als jemand erfahren, der etwas von sich aus macht"? Er erkennt sein Gegenüber ursprünglich offenbar ja gerade nicht selbständig und aus freien Stücken als selbständig an, sondern weil er von ihm unterworfen wurde und um nicht vernichtet zu werden, also aus einer durchaus realen Ohnmachtserfahrung heraus. Insofern ist er doch von der Gnade eines anderen abhängig. Bzw. kann, wenn es zum erneuten Kräftemessen kommen sollte, die fatale Erfahrung, dass ein anderer der Stärkere ist bzw. seiner eigenen Abhängigkeit, auch jederzeit erneut machen. Vielleicht liegt hier auch ein Anknüpfungspunkt zu dem Aspekt von Körper- und anderen Strafen.
Für den Knecht sind nun nach Hegel zwei Momente wesentlich dafür, dass er sein "Fürsichsein" am eigenen Leib erfährt. In der Person des Herren hat er das Fürsichsein ja schon zum Gegenstand. Jedoch hat er es noch nicht an sich sich selbst. Doch durch die Todesangst, die er im Kampf auf Leben und Tod erfahren hat, und durch die Arbeit, das Formieren der selbstständigen Dingwelt, wird auch er sich selbst bewusst.
Die Angst vor dem Tod ist eine Erfahrung der Negativität, der Unbeständigkeit des Sein. Es ist zu fragen, inwieweit für diese Erfahrung ein Kampf auf Leben und Tod eine unabdingbare Voraussetzung darstellt oder ob sie auch auf anderem Wege gemacht werden kann!
Nein, das widerlegt meine These überhaupt nicht. Eine Beziehung auf ein anderes, zweites Selbstbewusstsein ist immer noch eine Beziehung auf ein Selbstbewusstsein (Geist). Dass das dann auch in seiner wirklichen Körperlichkeit gedacht wird, ist damit überhaupt noch nicht gesagt. Dass Hegel Letzteres auch irgendwo getan hat, mag ja sein (obwohl seine Texte zum objektiven Geist auch nicht gerade das sind, was mir dazu einfiele). Zumindest in der Herr-Knecht-Dialektik der Phänomenologie spielt das aber so wie ich das sehe eine deutlich zu geringe Rolle.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mi 4. Okt 2017, 07:42Allein schon der Umstand, dass Hegel Selbstbewusstsein als notwendig gebunden an die Beziehung auf ein anderes, zweites Selbstbewusstsein versteht, widerlegt Deine These schon.
Klar, das sind alles nur abstrakte allgemeine Metaphern oder Modelle und nicht etwa buchstäblich zu nehmende Beschreibungen konkreter materieller Körper und ihrer Verhältnisse, aber Hegel hat sich damit natürlich trotzdem auf die konkrete materielle, körperliche Wirklichkeit menschlichen Lebens bezogen. Sieht hier noch jemand den Selbstwiderspruch in deiner Darstellung, oder bin ich der einzige?Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mi 4. Okt 2017, 07:42Ich meine, man darf das Herr-Knecht-Verhältnis nicht buchstäblich interpretieren, als Beschreibung konkreter gesellschaftlicher Verhältnisse.
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Und vor allem auch, wie eine derartige Erfahrung von "Negativität", von übermächtiger Bedrohung, Hilflosigkeit, Unterlegen- und Ausgeliefertsein wie Todesangst (oder in modifizierter Form vielleicht auch Existenzangst, Angst vor Liebesentzug o.ä. ...) denn überhaupt einen positiven Selbstbezug begründen kann. Zumal der Knecht, auch wenn er im Zuge seiner Arbeit Herr des Verfahrens ist und selbstwirksam die Dinge formiert, ja auch nicht für sich selbst, sondern unter diesem Druck und für einen anderen arbeitet, ein fremdes "Fürsichsein", an dessen Launen, Wünschen und Bedürfnissen er sich dabei folglich auch zu orientieren hat.maximimaxima hat geschrieben : ↑Mi 4. Okt 2017, 09:48Für den Knecht sind nun nach Hegel zwei Momente wesentlich dafür, dass er sein "Fürsichsein" am eigenen Leib erfährt. In der Person des Herren hat er das Fürsichsein ja schon zum Gegenstand. Jedoch hat er es noch nicht an sich sich selbst. Doch durch die Todesangst, die er im Kampf auf Leben und Tod erfahren hat, und durch die Arbeit, das Formieren der selbstständigen Dingwelt, wird auch er sich selbst bewusst.
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So wie ich das verstehe, wird der positive Selbstbezug für Hegel ja nicht durch die Erfahrung der Negativität begründet, sondern dadurch, dass der Knecht sowohl in der Arbeit am Gegenstand als auch in der Erweisung der Anerkennung gegenüber dem Herrn sich selbst als Handelnder erfährt.Bartleby hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 00:01Und vor allem auch, wie eine derartige Erfahrung von "Negativität", von übermächtiger Bedrohung, Hilflosigkeit, Unterlegen- und Ausgeliefertsein wie Todesangst (oder in modifizierter Form vielleicht auch Existenzangst, Angst vor Liebesentzug o.ä. ...) denn überhaupt einen positiven Selbstbezug begründen kann.
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Deine These ist, "dass Hegel den Geist als reine begriffliche Entwicklung versteht, nicht als konstitutiv an materielle menschliche Körper geknüpfte Entwicklung".Tarvoc hat geschrieben : ↑Mi 4. Okt 2017, 17:19Nein, das widerlegt meine These überhaupt nicht.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Mi 4. Okt 2017, 07:42Allein schon der Umstand, dass Hegel Selbstbewusstsein als notwendig gebunden an die Beziehung auf ein anderes, zweites Selbstbewusstsein versteht, widerlegt Deine These schon.
Aber Hegel macht im Text unmissverständlich klar, dass die Beziehung der beiden selbstbewussten Wesen auch eine körperlich-dinglich vermittelte ist. Denn die beiden sind für einander zunächst einmal Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung und dann vor allem Gegenstände der Begierde, also gewissermaßen Verbrauchsgüter, deren Zweck durch ihre Vernichtung, ihren Verzehr realisiert wird. In ihrer negativen Beziehung auf einander machen sie dann allerdings die Erfahrung, dass der Gegenstand ein lebendiges, widerständiges und bewusstes Wesen ist. - Die negative, sinnliche und dingliche Beziehung zwischen Ego und Alter bleibt als wesentliches Moment bestehen, auch dann, wenn die beiden sich gegenseitig anerkennen und somit als selbstbewusste Wesen derselben Gattung respektieren.Eine Beziehung auf ein anderes, zweites Selbstbewusstsein ist immer noch eine Beziehung auf ein Selbstbewusstsein (Geist). Dass das dann auch in seiner wirklichen Körperlichkeit gedacht wird, ist damit überhaupt noch nicht gesagt.
Ich zitiere aus dem 9. Absatz der Exposition:
Das lässt sich zwar nur aus dem Zusammenhang mit den vorherigen Ausführungen ganz verstehen, die eine vorläufige Skizze zum Begriff des Lebens bzw. Lebendigen bieten. Aber es wird wohl so viel deutlich, dass Selbstbewusstsein über die negative Beziehung auf konkrete, sinnliche Gegenstände vermittelt ist. Erst, wenn Ego und Alter einander sich in ihrer Gegenständlichkeit nicht vernichten, wenn sie ihre Begierde hemmen und einander als Ihresgleichen anerkennen, ist ihr je eigenes Selbstbewusstsein realisiert. Die unversehrte, lebendige Körperlichkeit von Ego und Alter ist also ein notwendiges Moment des Selbstbewusstseins - und damit auch des Geistes. Denn genau mit dieser Beziehung zweier lebendiger Individuen, die sich gegenseitig trotz ihrer konkreten, leiblichen Unterschiedenheit respektieren und als Gattungswesen anerkennen, ist, wie Hegel sagt, der "Begriff des Geistes" vorhanden.Hegel hat geschrieben : In diesen drei Momenten ist erst der Begriff des Selbstbewußtseins vollendet:
a) reines ununterschiedenes Ich ist sein erster unmittelbarer Gegenstand,
b) Diese Unmittelbarkeit ist aber selbst absolute Vermittlung, sie ist nur als Aufheben des selbständigen Gegenstandes, oder sie ist Begierde. Die Befriedigung der Begierde ist zwar die Reflexion des Selbstbewußtseins in sich selbst oder die zur Wahrheit gewordene Gewißheit,
c) Aber die Wahrheit derselben ist vielmehr die gedoppelte Reflexion, die Verdopplung des Selbstbewußtseins. Es ist ein Gegenstand für das Bewußtsein, welcher an sich selbst sein Anderssein oder den Unterschied als einen nichtigen setzt und darin selbständig ist. Die unterschiedene, nur lebendige Gestalt hebt wohl im Prozesse des Lebens selbst auch ihre Selbständigkeit auf, aber sie hört mit ihrem Unterschiede auf, zu sein, was sie ist; der Gegenstand des Selbstbewußtseins ist aber ebenso selbständig in dieser Negativität seiner selbst; und damit ist er für sich selbst Gattung, allgemeine Flüssigkeit in der Eigenheit seiner Absonderung; er ist lebendiges Selbstbewußtsein.
Hegel hebt zwar hervor, dass die Beziehung des Selbstbewusstseins auf anderes Selbstbewusstsein letztlich keine gegenständliche ist, aber ihre "geistige" Beziehung bleibt doch durch ihre gegenständliche, sinnliche Beziehung vermittelt.Hegel hat geschrieben : Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein. Erst hierdurch ist es in der Tat; denn erst hierin wird für es die[144] Einheit seiner selbst in seinem Anderssein; ich, das der Gegenstand seines Begriffs ist, ist in der Tat nicht Gegenstand; der Gegenstand der Begierde aber ist nur selbständig, denn er ist die allgemeine unvertilgbare Substanz, das flüssige sichselbstgleiche Wesen. Indem ein Selbstbewußtsein der Gegenstand ist, ist er ebensowohl Ich wie Gegenstand. – Hiermit ist schon der Begriff des Geistes für uns vorhanden. Was für das Bewußtsein weiter wird, ist die Erfahrung, was der Geist ist, diese absolute Substanz, welche in der vollkommenen Freiheit und Selbständigkeit ihres Gegensatzes, nämlich verschiedener für sich seiender Selbstbewußtsein[e], die Einheit derselben ist; Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist.
Also, auch hier im Selbstbewusstseins-Kapitel wird schon klar, dass für Hegel die Pluralität von körperlichen, gegenständlichen Individuen ein notwendiges (konstitutives) Moment von "Geist" ist. Natürlich geht das "geistige" Verhältnis der Individuen nicht in ihren gegenständlichen Beziehungen zueinander auf - denn sonst wäre es eben nur ein körperliches oder organisches Verhältnis -, aber zum Geist gehört für Hegel grundsätzlich die irreduzible Pluralität von natürlichen, lebendigen, freien und "für sich seienden" Individuen. Anders wäre auch die von mir schon zitierte Feststellung - "Der Geist ist das sittliche Leben eines Volks" - völlig unverständlich. Denn ein Volk ohne eine Vielheit von körperlichen Individuen ist keins.
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Noch eine Bemerkung:
Diese Sätze zeigen, dass Du ein Verständnis von "Geist" hast, das eben nicht das hegelsche ist. Du gehst nämlich von einem dualistischen Verhältnis von Geist und Körper aus: Körper ist das, was mit "Geist" nicht gesagt ist. D.h. Du verwendest die beiden Begriffe disjunktiv. Die Pointe von Hegels Geist-Begriff liegt aber genau darin, diesen Gegensatz nicht als abstrakten oder absoluten Gegensatz zu verstehen. Geist ist die Einheit, die den Gegensatz des Geistigen zu seinem Anderen, dem Nicht-Geistigen, in sich schließt und "aufhebt".
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Zur Bekräftigung meiner Position möchte ich noch eine Stelle aus dem "Vernunft"-Kapitel der PdG zitieren. "Vernunft" versteht Hegel zwar als eine Vorstufe von "Geist", aber bereits hier wird unmissverständlich klar, dass diese Ausdrücke immer Einheiten von vielen konkreten, lebendigen Individuen "aus Fleisch und Blut" bezeichnen.
Das Zitat stammt aus dem Abschnitt B des Vernunft-Kapitels: "Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst". Der Abschnitt beginnt übrigens mit der lapidaren Feststellung: "Das Selbstbewußtsein fand das Ding als sich und sich als Ding; d.h. es ist für es, daß es an sich die gegenständliche Wirklichkeit ist."
In den Absätzen 4, 5 und 6 lesen wir dann:

Das Zitat stammt aus dem Abschnitt B des Vernunft-Kapitels: "Die Verwirklichung des vernünftigen Selbstbewußtseins durch sich selbst". Der Abschnitt beginnt übrigens mit der lapidaren Feststellung: "Das Selbstbewußtsein fand das Ding als sich und sich als Ding; d.h. es ist für es, daß es an sich die gegenständliche Wirklichkeit ist."
In den Absätzen 4, 5 und 6 lesen wir dann:
(Wenn mir die persönliche Bemerkung gestattet ist: Das sind verblüffende, in ihrer Klarheit und Scharfsinnigkeit umwerfende Sätze...)Hegel hat geschrieben : In dem Leben eines Volks hat in der Tat der Begriff der Verwirklichung der selbstbewußten Vernunft, in der Selbständigkeit des Anderen die vollständige Einheit mit ihm anzuschauen oder diese von mir vorgefundene freie Dingheit[264] eines Anderen, welche das Negative meiner selbst ist, als mein Fürmichsein zum Gegenstande zu haben, seine vollendete Realität. Die Vernunft ist als die flüssige allgemeine Substanz, als die unwandelbare einfache Dingheit vorhanden, welche ebenso in viele vollkommen selbständige Wesen wie das Licht in Sterne als unzählige für sich leuchtende Punkte zerspringt, die in ihrem absoluten Fürsichsein nicht nur an sich in der einfachen selbständigen Substanz aufgelöst sind, sondern für sich selbst; sie sind sich bewußt, diese einzelnen selbständigen Wesen dadurch zu sein, daß sie ihre Einzelheit aufopfern und diese allgemeine Substanz ihre Seele und Wesen ist; so wie dies Allgemeine wieder das Tun ihrer als Einzelner oder das von ihnen hervorgebrachte Werk ist.
Das rein einzelne Tun und Treiben des Individuums bezieht sich auf die Bedürfnisse, welche es als Naturwesen, d.h. als seiende Einzelheit hat. Daß selbst diese seine gemeinsten Funktionen nicht zunichte werden, sondern Wirklichkeit haben, geschieht durch das allgemeine erhaltende Medium, durch die Macht des ganzen Volks. – Nicht nur aber diese Form des Bestehens seines Tuns überhaupt hat es in der allgemeinen Substanz, sondern ebensosehr seinen Inhalt; was es tut, ist die allgemeine Geschicklichkeit und Sitte aller. Dieser Inhalt, insofern er sich vollkommen vereinzelt, ist in seiner Wirklichkeit in das Tun aller verschränkt. Die Arbeit des Individuums für seine Bedürfnisse ist ebensosehr eine Befriedigung der Bedürfnisse der anderen als seiner eigenen, und die Befriedigung der seinigen erreicht es nur durch die Arbeit der anderen. – Wie der Einzelne in seiner einzelnen Arbeit schon eine allgemeine Arbeit bewußtlos vollbringt, so vollbringt er auch wieder die allgemeine als seinen bewußten Gegenstand; das Ganze wird als Ganzes sein Werk, für das er sich aufopfert und eben dadurch sich selbst von ihm zurückerhält. – Es ist hier nichts, das nicht gegenseitig wäre, nichts, woran nicht die Selbständigkeit des Individuums sich[265] in der Auflösung ihres Fürsichseins, in der Negation ihrer selbst, ihre positive Bedeutung, für sich zu sein, gäbe. Diese Einheit des Seins für Anderes oder des sich zum Dinge Machens und des Fürsichseins, diese allgemeine Substanz redet ihre allgemeine Sprache in den Sitten und Gesetzen eines Volks; aber dies seiende unwandelbare Wesen ist nichts anderes als der Ausdruck der ihr entgegengesetzt scheinenden einzelnen Individualität selbst; die Gesetze sprechen das aus, was jeder Einzelne ist und tut; das Individuum erkennt sie nicht nur als seine allgemeine gegenständliche Dingheit, sondern ebensosehr sich in ihr oder [sie] als vereinzelt in seiner eigenen Individualität und in jedem seiner Mitbürger. In dem allgemeinen Geiste hat daher jeder nur die Gewißheit seiner selbst, nichts anderes in der seienden Wirklichkeit zu finden als sich selbst; er ist der anderen so gewiß als seiner. – Ich schaue es in allen an, daß sie für sich selbst nur diese selbständigen Wesen sind, als ich es bin; ich schaue die freie Einheit mit den anderen in ihnen so an, daß sie wie durch mich, so durch die anderen selbst ist, – sie als mich, mich als sie.
In einem freien Volke ist darum in Wahrheit die Vernunft verwirklicht; sie ist gegenwärtiger lebendiger Geist, worin das Individuum seine Bestimmung, d.h. sein allgemeines und einzelnes Wesen, nicht nur ausgesprochen und als Dingheit vorhanden findet, sondern selbst dieses Wesen ist und seine Bestimmung auch erreicht hat.
(Zitiert nach zeno.org. Unterstreichungen von mir.)

Das war vielleicht schlecht formuliert. Ich behaupte natürlich nicht, dass Hegel einen körperlosen Geist herbeifantasiert. Meine Behauptung ist, dass die Entwicklung des Geistes bei Hegel oft nicht tatsächlich als eine körperliche Entwicklung thematisiert ist. Würde man sie so thematisieren, müsste man ja empirisch vorgehen! Es ist ja ein Unterschied, ob man irgendwo am Rand mal schreibt: "Natürlich muss dem auch irgendeine körperliche Entwicklung entsprechen", oder ob man tatsächlich darstellt, wie die Entwicklung auf der Ebene der menschlichen Körper tatsächlich vorgeht. (Dazu unten mehr.)Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 11:56Deine These ist, "dass Hegel den Geist als reine begriffliche Entwicklung versteht, nicht als konstitutiv an materielle menschliche Körper geknüpfte Entwicklung".
Das ist aber der Punkt. Mit diesem Unterschied zwischen der "letztlichen" Nicht-Gegenständlichkeit und der gegenständlichen Vermittlung wird u.A. der Dualismus durch die Hintertür wieder eingeführt.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 11:56Hegel hebt zwar hervor, dass die Beziehung des Selbstbewusstseins auf anderes Selbstbewusstsein letztlich keine gegenständliche ist, aber ihre "geistige" Beziehung bleibt doch durch ihre gegenständliche, sinnliche Beziehung vermittelt.
Die Frage ist, ob das über die bloße Feststellung hinausgeht.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 11:56Also, auch hier im Selbstbewusstseins-Kapitel wird schon klar, dass für Hegel die Pluralität von körperlichen, gegenständlichen Individuen ein notwendiges (konstitutives) Moment von "Geist" ist.
Wenn es keinen Unterschied zwischen Geist und Körper gibt, wenn beide wirklich monistisch zusammenfallen bzw. Momente des selben darstellen, sollte das doch gar kein Problem darstellen.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 11:56Natürlich geht das "geistige" Verhältnis der Individuen nicht in ihren gegenständlichen Beziehungen zueinander auf - denn sonst wäre es eben nur ein körperliches oder organisches Verhältnis
Nein, ich sage, dass die beiden Begriffe disjunktiv verwendet werden können. Ich selbst bin in der Tat Monist. Ich sage lediglich, dass es keineswegs vorauszusetzen ist, dass Hegel selbst sein Ziel der Überwindung des Dualismus auch bereits erreicht hat. Schon dass Geist eine sehr viel zentralere und prominentere Stellung in seinem Denken einnimmt als Körper, lässt daran zweifeln.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 11:56Diese Sätze zeigen, dass Du ein Verständnis von "Geist" hast, das eben nicht das hegelsche ist. Du gehst nämlich von einem dualistischen Verhältnis von Geist und Körper aus: Körper ist das, was mit "Geist" nicht gesagt ist. D.h. Du verwendest die beiden Begriffe disjunktiv.
Im Übrigen bedeutet das Lippenbekenntnis, dass der Geist natürlich immer auch irgendwelche Körper braucht, noch lange nicht, dass er tatsächlich in seiner wirklichen Körperlichkeit gedacht wird.
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Das ist freilich eine neue These. Aber für das Kapitel "Selbstbewusstsein" bleibt festzuhalten, dass Hegel Alter und Ego durchaus als konkrete, lebendige, körperliche Wesen thematisiert. Vergleicht man etwa Hegels Konzeption von Selbstbewusstsein mit derjenigen Descartes' oder Kants, tritt das ganz markant hervor. Selbstbewusstsein wird von ihm eben nicht verstanden als "rein geistige" Beziehung des Denkens auf sich selbst, sondern als ein (gesamt)gesellschaftliches Verhältnis. Und als solches ist es auch empirisch beschreibbar.
Aber nun darf man nicht übersehen, dass auch empirische Beschreibungen nicht ohne Begriffe, d.h. ohne Unterscheidungen und Abstraktionen auskommen. In sie ist also bereits "Geist" investiert, bevor der Empiriker überhaupt nur einen Satz gesagt hat. Der Umstand, dass er in seinem beschreibenden Reden sich immer schon als "Geist" betätigt, sollte nicht nonchalant unter den Tisch fallen gelassen werden. Besonders, wenn man eine "monistische" Metaphysik vertritt, die die Reduzierbarkeit des Geistes auf Materielles geltend machen will...
Der Unterschied - ja. Aber wieso "Dualismus"?Das ist aber der Punkt. Mit diesem Unterschied zwischen der "letztlichen" Nicht-Gegenständlichkeit und der gegenständlichen Vermittlung wird u.A. der Dualismus durch die Hintertür wieder eingeführt.
Die Unterscheidung ist aber absolut sinnvoll. In meinen Verhältnissen zu anderen Menschen läuft - selbstverständlich - immer ein gegenständliches Verhältnis mit. Aber sind Verhältnisse zwischen Individuen, die wir unter den Bezeichnungen "Anerkennung", "Respekt", "Achtung" "Rücksicht" "Fürsorge", "Liebe"... kennen, wirklich angemessen zu beschreiben als räumlich-zeitliche Beziehungen und physikalische Kräfteverhältnisse zwischen Gegenständen? Das müsstest Du schon näher erklären, falls Du das wirklich meinst.
Es handelt sich zunächst einmal nur um die Rekonstruktion dessen, was Hegel meint und was er nicht meint. Du hattest ja eine These zur Bedeutung von "Geist" bei Hegel aufgestellt. Und der These habe ich widersprochen, und zwar anhand von Hegels Texten.Die Frage ist, ob das über die bloße Feststellung hinausgeht.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 11:56Also, auch hier im Selbstbewusstseins-Kapitel wird schon klar, dass für Hegel die Pluralität von körperlichen, gegenständlichen Individuen ein notwendiges (konstitutives) Moment von "Geist" ist.
Keineswegs. In meinen Verhältnissen zu andern Menschen stelle ich auch ihre "geistigen" Fähigkeiten und Eigenschaften über die "körperlichen". Ich könnte mich z.B. nicht in eine bildschöne Frau verlieben, die sie sich im Umgang dann als dumm, ordinär, begriffsstutzig und hauptsächlich an materiellen Gütern interessiert entpuppte. Aber ich bin weit davon entfernt, Geist und Körper als zwei getrennt existierende Entitäten zu verstehen (denn nichts anderes bedeutet doch "Dualismus").Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 11:56Aber hier zeigt sich eben, dass das bei Hegel nicht so ist. Der Geist hat einen höheren Stellenwert als der Körper, und das zeigt schon, dass hier immer noch eine dualistische Konzeption vorherrscht.
Kannst Du die Kriterien erläutern, anhand derer sich beurteilen ließe, ob der Dualismus überwunden ist oder nicht?Nein, ich sage, dass die beiden Begriffe disjunktiv verwendet werden können. Ich selbst bin in der Tat Monist. Ich sage lediglich, dass es keineswegs vorauszusetzen ist, dass Hegel selbst sein Ziel der Überwindung des Dualismus auch bereits erreicht hat.

Das gilt aber auch für den Monisten, der ja, wie schon gesagt, auch nur mithilfe von Begriffen denkt...Im Übrigen bedeutet das Lippenbekenntnis, dass der Geist natürlich immer auch irgendwelche Körper braucht, noch lange nicht, dass er tatsächlich in seiner wirklichen Körperlichkeit gedacht wird.
Ein Kriterium habe ich ja schon dargelegt, sogar an zwei Stellen in meinem Beitrag.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 14:19Kannst Du die Kriterien erläutern, anhand derer sich beurteilen ließe, ob der Dualismus überwunden ist oder nicht?
Tarvoc hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 13:27Es ist ja ein Unterschied, ob man irgendwo am Rand mal schreibt: "Natürlich muss dem auch irgendeine körperliche Entwicklung entsprechen", oder ob man tatsächlich darstellt, wie die Entwicklung auf der Ebene der menschlichen Körper tatsächlich vorgeht.
Eine monistische Beschreibung müsste jeder geistigen Entwicklung eine körperliche korrellieren und beide in enger Verbindung miteinander beschreiben können. Dazu gehört etwa, dass man in der Beschreibung von Herrschaft und Knechtschaft nicht ausspart, wie sich nichtlethale Körperstrafen, körperlich auszehrende Arbeit, harte Disziplinierung, usw. konkret auf den Körper und damit auf das Bewusstsein auswirken.
Dass Empirie nicht ohne Begriffe auskommt und sich über diese zu vergewissern hat, ist natürlich völlig richtig. Wenn man die Begriffsentwicklung von der Empirie entkoppelt, läuft aber auch irgendwas schief.
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Nur ist eine philosophische Theorie, die Begriffe wie "Selbstbewusstsein", "Vernunft", "Geist" reflektiert und erläutert, etwas anderes als eine empirische Beschreibung. Der Umstand allerdings, dass Hegel "Geist" als ein gesellschaftliches, arbeitsteiliges, sittliches und rechtliches Freiheitsverhältnis versteht, zeigt doch ganz offensichtlich, dass er diesen Begriff zur empirischen Realität hin ÖFFNET. Wenn man "Geist" nach der Anleitung von Descartes und "Vernunft" nach Kants Anleitungen suchen will, dann muss man sich introspektiv in sich selbst versenken. Nach Hegels Anleitung dagegen bekommt man "Geist" zu fassen, wenn man die empirischen Lebensverhältnisse eines konkreten Volkes untersucht - sagen wir etwa: das Volk von Athen im 4. Jh. v. Chr. oder Frankreich nach der Revolution von 1789.
Nicht von ungefähr gilt Hegel als einer der Begründer der wissenschaftlichen Soziologie.
Ja. In der Hinsicht erkenne ich Hegels Leistungen natürlich ganz klar an.Hermeneuticus hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 14:53Der Umstand allerdings, dass Hegel "Geist" als ein gesellschaftliches, arbeitsteiliges, sittliches und rechtliches Freiheitsverhältnis versteht, zeigt doch ganz offensichtlich, dass er diesen Begriff zur empirischen Realität hin ÖFFNET.
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Was ist das Besondere der Todesangst? Die Erfahrung der eigenen Endlichkeit ist sicher einschneidende Erfahrung. Kindern wird die eigene Endlichkeit irgendwann im Altervon sechs Jahren bewusst. Ihnen wird klar, dass Menschen und Tiere sterben und dass auch sie selbst nicht ewig leben. Das schränkt doch erstmal eher die Bedeutung des eigenen Egos ein, ist vielleicht sogar eine narzißtische Kränkung. Der Wandel und die Unbeständigkeit der Welt kommen zu Bewusstsein, vielleicht auch die Größe und Unergründlichkeit des Universums. Manch einer sucht vielleicht Trost in einer Jenseitshoffnung, andere kokettieren mit einem naturalistischen Nihilismus.Bartleby hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 00:01Und vor allem auch, wie eine derartige Erfahrung von "Negativität", von übermächtiger Bedrohung, Hilflosigkeit, Unterlegen- und Ausgeliefertsein wie Todesangst (oder in modifizierter Form vielleicht auch Existenzangst, Angst vor Liebesentzug o.ä. ...) denn überhaupt einen positiven Selbstbezug begründen kann. Zumal der Knecht, auch wenn er im Zuge seiner Arbeit Herr des Verfahrens ist und selbstwirksam die Dinge formiert, ja auch nicht für sich selbst, sondern unter diesem Druck und für einen anderen arbeitet, ein fremdes "Fürsichsein", an dessen Launen, Wünschen und Bedürfnissen er sich dabei folglich auch zu orientieren hat.maximimaxima hat geschrieben : ↑Mi 4. Okt 2017, 09:48Für den Knecht sind nun nach Hegel zwei Momente wesentlich dafür, dass er sein "Fürsichsein" am eigenen Leib erfährt. In der Person des Herren hat er das Fürsichsein ja schon zum Gegenstand. Jedoch hat er es noch nicht an sich sich selbst. Doch durch die Todesangst, die er im Kampf auf Leben und Tod erfahren hat, und durch die Arbeit, das Formieren der selbstständigen Dingwelt, wird auch er sich selbst bewusst.
Die Angst vor dem Tod ist eine Erfahrung der Negativität, der Unbeständigkeit des Sein. Es ist zu fragen, inwieweit für diese Erfahrung ein Kampf auf Leben und Tod eine unabdingbare Voraussetzung darstellt oder ob sie auch auf anderem Wege gemacht werden kann!
Die Negativität ist bei Hegel so etwas wie der Motor der Entwicklung, so wird vielleicht auch die Todesangst und diese negative Erfahrung ein Entwicklungsprozess angestossen, eine Dynamik in Gang gesetzt!?
Zur Fruch muss aber, wie auch Tarvoc schon bemerkt hat, das Dienen bzw. das Bilden hinzukommen. Die formgebende Arbeitist bei der Bewusstwerdung des Selbst und dem Selbstbezug genauso wesentlich wie die Furcht. Laut Hegel haben nur beide zusammen die Sprengkraft, um das Subjekt aus der Knechtschaft in die Freiheit zu bringen.
- maximimaxima
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Mir ist noch eine bessere Formulierung eingefallen: Nur die Furcht (vor dem eigenen Tod) und das formierende (Um-)Bilden der Naturstoffe zusammen haben die Kraft, um die Ketten der Knechtschaft des Subjekts zu sprengen.
Bei Hegel klingt das so: "Ohne das Bilden bleibt die Furcht innerlich stumm, und das Bewusstsein wird nicht für es selbst. Formiert das Bewusstsein ohne die erste absolute Furcht, so ist es nur ein eitler eigener Sinn; denn seine Form oder Negativität ist nicht die Negativität an sich; und sein Formieren kann ihm daher nicht das Bewusstsein seiner als des Wesens geben."
Strukturhomolog erscheint die Aussage Kants: "Begriffe ohne Anschauung sind leer. Anschauung ohne Begriffe sind blind" Handelt es sich bei Hegel um ein Zusammenspiel von Verstand und Sinnlichkeit? ist die Vergegenständlichung des Selbst im Arbeitsprodukt die Anschauung zu dem Begriff der Negativität an sich? Es spielt auch Vergänglichkeit und das Bleibende eine Rolle. Der Vergänglichkeit werden die Produkte der eigenen Arbeit als bleibender Fußabdruck in der Dingwelt entgegen gesetzt.
Das Herr und Knecht Verhältnis bei Hegel setzt die ungleiche Eigentumsverhältnisse ergo soziale Ungleichheit voraus. Das heißt der Herr hat die Arbeitsmittel, den Grund und Boden und die natürlichen Ressourcen mit Gewalt appropriiert. Der Knecht muss daher fremdbestimmt für ihn arbeiten. Gibt es dafür heute noch Entsprechungen in unserer Gesellschaft? Ist der Herr bei Hegel mehr feudaler Seigneur als moderner Kapitalherr? Ist Lohnarbeit immer noch in dem Maße an die Bearbeitung der Natur geknüpft oder ist steht heute die Maschine zwischen dem Mensch und der Natur? Sind nicht auch Dienstleistungen viel wichtiger in der heutigen Gesellschaft?
Bei Hegel klingt das so: "Ohne das Bilden bleibt die Furcht innerlich stumm, und das Bewusstsein wird nicht für es selbst. Formiert das Bewusstsein ohne die erste absolute Furcht, so ist es nur ein eitler eigener Sinn; denn seine Form oder Negativität ist nicht die Negativität an sich; und sein Formieren kann ihm daher nicht das Bewusstsein seiner als des Wesens geben."
Strukturhomolog erscheint die Aussage Kants: "Begriffe ohne Anschauung sind leer. Anschauung ohne Begriffe sind blind" Handelt es sich bei Hegel um ein Zusammenspiel von Verstand und Sinnlichkeit? ist die Vergegenständlichung des Selbst im Arbeitsprodukt die Anschauung zu dem Begriff der Negativität an sich? Es spielt auch Vergänglichkeit und das Bleibende eine Rolle. Der Vergänglichkeit werden die Produkte der eigenen Arbeit als bleibender Fußabdruck in der Dingwelt entgegen gesetzt.
Das Herr und Knecht Verhältnis bei Hegel setzt die ungleiche Eigentumsverhältnisse ergo soziale Ungleichheit voraus. Das heißt der Herr hat die Arbeitsmittel, den Grund und Boden und die natürlichen Ressourcen mit Gewalt appropriiert. Der Knecht muss daher fremdbestimmt für ihn arbeiten. Gibt es dafür heute noch Entsprechungen in unserer Gesellschaft? Ist der Herr bei Hegel mehr feudaler Seigneur als moderner Kapitalherr? Ist Lohnarbeit immer noch in dem Maße an die Bearbeitung der Natur geknüpft oder ist steht heute die Maschine zwischen dem Mensch und der Natur? Sind nicht auch Dienstleistungen viel wichtiger in der heutigen Gesellschaft?
So formuliert, ja natürlich. Der Großteil der Menschen hat keinen Besitz an, keine Kontrolle über und effektiv keinen Einfluss auf die Produktivkräfte. Gerade deshalb sind die meisten Leute auf Lohnarbeit angewiesen. Wie gesagt hat Marx aufgezeigt, dass die Subjektivierung auf einem kapitalistischen Markt etwas anders funktioniert als bei Herr und Knecht. Wer das nachlesen will: Ich beziehe mich auf den mit "Zum Begriff der Anerkennung" überschriebenen Anhang der Philosophisch-Ökonomischen Manuskripte. Um ein Abhängigkeitsverhältnis im von dir beschriebenen Sinne handelt es sich aber dennoch.maximimaxima hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 23:39Das Herr und Knecht Verhältnis bei Hegel setzt die ungleiche Eigentumsverhältnisse ergo soziale Ungleichheit voraus. Das heißt der Herr hat die Arbeitsmittel, den Grund und Boden und die natürlichen Ressourcen mit Gewalt appropriiert. Der Knecht muss daher fremdbestimmt für ihn arbeiten. Gibt es dafür heute noch Entsprechungen in unserer Gesellschaft?
Die Maschine ist in der Tat ein weiterer Faktor. Marx geht ja auch ziemlich stark darauf ein, gerade in den Manuskripten.maximimaxima hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 23:39Ist der Herr bei Hegel mehr feudaler Seigneur als moderner Kapitalherr? Ist Lohnarbeit immer noch in dem Maße an die Bearbeitung der Natur geknüpft oder ist steht heute die Maschine zwischen dem Mensch und der Natur?
Dienstleistungen haben natürlich Produktion zu ihrer Voraussetzung. Dass immer mehr Leute im Dienstleistungssektor beschäftigt sind, hängt mit den gesteigerten Produktivkräften zusammen. Inzwischen werden in gerade diesem Sektor ja immer mehr völlig überflüssige Jobs geradezu erfunden, damit die Leute überhaupt noch in Lohnarbeit gebracht werden können, weil unsere Wirtschaftsweise das eben für alle vorsieht, die nichts anderes zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. (Meine Mutter arbeitet in einem Jobcenter. Einen sinnloseren Job kann man sich kaum vorstellen. Die Irrationalität der Arbeitsvermittlung als Arbeitstätigkeit spiegelt die Irrationalität der ganzen Institution Lohnarbeit unter gegenwärtigen Verhältnissen fast direkt wieder.)maximimaxima hat geschrieben : ↑Do 5. Okt 2017, 23:39Sind nicht auch Dienstleistungen viel wichtiger in der heutigen Gesellschaft?
Don't just think outside the box. Think outside AND inside.
Kann man Hegel diesbezüglich nicht nur noch quasi anekdotisch lesen? Das alles ist doch bereits in Recht bzw. Rechtsstaatlichkeit aufgegangen, abgefrühstückt? Problem, dass das nicht global greift, aber derartige Verhältnisse sind ja wenigstens hier schon mal illegal. (Und dann kommt einer um's Eck und plappert von Eurozentrismus... Yoo...)
Ich plädiere für Export, auch wenn es ganz offenbar nicht makellos ist.
Ich plädiere für Export, auch wenn es ganz offenbar nicht makellos ist.
Lohnarbeit ist hierzulande natürlich nicht durchweg illegal. Auch nicht "unter unfairen Bedingungen" - wobei der Begriff der "Fairness" natürlich so vage ist, dass schon zweieinhalb Jahrzehnte Neoliberalismus den Fairnessbegriff der "alten" BRD so vollständig und bis zur Unkenntlichkeit erodieren konnten, dass heute selbst Ein-Euro-Jobs von einigen Leuten als "fair" betrachtet werden.novon hat geschrieben : ↑So 1. Okt 2017, 23:14Kann es sein, dass derartige Verhältnisse (hier) durchweg illegal sind?Hermeneuticus hat geschrieben : ↑So 1. Okt 2017, 14:17Überall dort, wo Menschen instrumentalisiert werden. Wo sie oder ihre Leistungen als Mittel zu Zwecken dienen, die nicht ihre eigenen sind. Solche Instrumentalisierungsverhältnisse müssen sich nicht auf Personen als ganze erstrecken und mit völliger Unfreiheit einhergehen (wie bei Sklaven oder Zwangsprostituierten). Sie können auch auf bestimmte Lebensbereiche beschränkt sein und nur zeitweilig bestehen (z.B. Lohnarbeit unter unfairen Bedingungen).
Überhaupt stellt sich die Frage, ob das Begriffspaar "faire Lohnarbeit" Sinn ergibt. Fairness ist nämlich gar kein der Sache inhärentes ökonomisches Kriterium, sondern ein rein äußerliches. Der Arbeitsmarkt als solcher interessiert sich nicht für Fairness. Jeder Standard von Fairness, den man sich überhaupt ausdenken kann, muss ihm künstlich aufgezwungen werden. Dass in der Lohnarbeit der Arbeiter für den Profit des Arbeitgebers instrumentalisiert ist, ist auch leicht einzusehen. Arbeiter tauchen in den ökonomischen Rechnungen von Konzernen primär als Kostenfaktoren auf. Warum sollte sich jemand freiwillig und ohne Zwang selbst instrumentalisieren? Dass der Zwang nicht mehr von den Arbeitgebern selbst direkt ausgeübt wird, ist schon klar. Da kommen eben die von dir angeführten Rechtsverhältnisse ins Spiel.
Dass das mEn nicht mehr Herrschaft und Knechtschaft im klassischen Hegelschen Sinne ist, habe ich ja schon angedeutet. Ein Instrumentalisierungsverhältnis ist es trotzdem.
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- Jörn Budesheim
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Recht ist ebenso in Bewegung und im Werden wie alles mögliche andere auch. Dass sich Einzelne oder Gruppen Rechte in Auseinandersetzung erkämpfen, ist in der Geschichte sicherlich keine Ausnahme. Der Hinweis auf positives Recht macht die Fragen nach dem ethisch Wahren nicht obsolet, das Recht wird ja nicht gewürfelt. Ich kenne das aus anderen Foren: "Wozu brauchen wir Ethik? Wir haben doch positives Recht!"
Roni Kupfer hat geschrieben : Die Instabilitäten im Verhältnis der Menschen und Gruppen zueinander sind der Grund für die weitere Entwicklung dieser Verhältnisse, wobei die Ausformung von Recht und also die Frage nach der Gerechtigkeit relevant wird. So ist das Recht (die Rechtsverhältnisse) eine Anerkennungsform oder ein Ausdruck der Anerkennung eben auf dieser institutionalisierten Ebene, welche durch Missachtung und Verletzung zu weiteren Kämpfen um Anerkennung (inklusive der damit verbundenen sozialen und politischen Konflikte) führt.[13] Im Prinzip ringen hier aus einer höheren Perspektive positives Recht und die Idee eines erst noch zu realisierenden idealen Rechtes miteinander, aber ganz konkret eben auch immer das bereits geltende positive Recht und dessen jeweilige fragwürdige Umsetzung. Auf diesen Ebenen lässt sich diese Problematik untersuchen und lässt sich auch das Modell von Herr und Knecht mehr oder weniger sinnvoll/ treffend anwenden.