Hegel: Herr und Knecht
Sicherlich gibt es viele verschiedene Auslegungen von Herr und Knecht. Diese kurze und einfache Zusammenfassung basiert auf einem Text von Georg W. Bertram. Im zweiten Beitrag folgt ein Zitat aus Hegels Phänomenologie mit zentralen Stellen und Quellenangabe zum Weiterlesen. Ziel kann hier natürlich nicht sein, eine letztgültige Interpretation des schwierigen Textes von Hegel vorzulegen, sondern einen ersten Einstieg in das Thema zu bieten und Lust auf mehr zu machen.
Nach Ansicht Bertrams handeln Hegels Gedanken zu Herr und Knecht von der “sozialen Natur” des Menschen. Mit “sozial” ist jedoch nicht primär “gemeinnützig, mildtätig, barmherzig” gemeint, sondern eher allgemein “die Gesellschaft betreffend”. Hegel will dafür argumentieren, dass Menschen als gesellschaftliche/soziale Wesen auf symmetrische Beziehungen zwischen einzelnen Individuen angewiesen sind. Dementsprechend geht es in dem Gedankenexperiment um zwei Fragen.
- Inwiefern sind wir Menschen durch Beziehungen zu anderen Menschen geprägt?
- Warum sind soziale Verhältnisse, in denen asymmetrische Beziehungen vorherrschen, nicht stabil?
Das Szenario
Hegel entwirft folgende Szene: Die Protagonisten der Handlung sind zwei Individuen. Einer der beiden hat im Kampf mit dem anderen anerkannt, dass dieser der Stärkere ist. Um nicht von ihm vernichtet zu werden, hat es sich untergeordnet. Damit sind die Rollen verteilt: Der Stärkere ist der Herr, der Untergeordnete ist der Knecht. Doch ihre Stellung hängt in dieser Konstellation untrennbar zusammen. Warum? Herren gibt es nur, insofern es Knechte gibt, und Knechte nur, wenn es Herren gibt. Hegel hebt (nach Bertram) insbesondere zwei Aspekte hervor:
- Die Beschäftigung des Knechts mit der äußeren Welt ist durch den Umstand bestimmt, dass er für den Herrn arbeitet. Daher kann er die Dinge nicht für sich genießen, denn er überlässt sie dem Herrn. Für den Herrn heißt das, dass er die Gegenstände "rein" genießen kann, er kann ohne jeden Aufwand über alles um ihn herum verfügen.
- Der Herr hat ein Gegenüber, das ihn anerkennt. Der Knecht bestätigt ihn in seiner Selbständigkeit: Mit jedem Ding, das der Knecht dem Herrn (z.B. zum Essen) gibt, behandelt er ihn aufs neue als jemanden, der selbständig ist. Doch das beruht nicht auf Gegenseitigkeit: Der Herr behandelt den Knecht nicht als seinesgleichen. Er ist für ihn kein Individuum, das Anerkennung verdient.
Eine Interpretation
Im Zentrum der Interpretation steht der Begriff der Anerkennung. Hegel spielt nach Ansicht von Bertram auf Grundlage der Beziehung von Herr und Knecht durch, welche Auswirkungen die ungleiche Anerkennung für beide hat. Das Ergebnis überrascht: Die fehlende Anerkennung ist insbesondere für den Herren destabilisierend. Also für den, der den anderen nicht anerkennt! Wie kommt Hegel dazu? Sein Argument lautet, dass Anerkennung auf Gegenseitigkeit beruht: man kann Anerkennung nur dann erfahren, wenn man selbst denjenigen anerkennt, von dem man anerkannt wird.
Wie jedoch sieht die Sache aus Sicht des Knechts aus? Bertram erläutert dies so: Zwar wird der Knecht vom Herrn nicht anerkannt, aber er selbst erkennt sein Gegenüber als selbständig an. Er erfährt sich selbst daher immer wieder als jemand, der etwas von sich aus macht. Mit jedem Ding, dass er für den Herrn bereitet, macht er diese Erfahrung. Gegenüber seinem Herrn macht er die Erfahrung, dass das Anerkennen eines Anderen grundsätzlich ein selbständiges Tun ist. Hegel folgert: “Die Wahrheit des selbstständigen Bewusstseins ist demnach das knechtische Bewusstsein.”
Dieser Gedankengang führt Hegel zu der These, dass asymmetrische Beziehungen instabil sind: Beide haben zwar ein Bedürfnis nach Anerkennung. Doch weder Herr noch Knecht können sie in ihrer ungleichen Wechselbeziehung finden. Daher müssen beide danach streben, andere Gegenüber zu finden, die sie tatsächlich anerkennen. Bertram: “Dabei ist es wesentlich, dass symmetrische Relationen zwischen Einzelnen zustande kommen.”