Re: Meditation und ihr philosophischer Gehalt
Verfasst: Mi 15. Apr 2020, 06:44
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Dieser Beitrag ist vor zwei Jahren geschrieben worden. Das ist für mich ein kleines Jubiläum, denn so lange (oder so kurz) meditiere ich jetzt :-)Tosa Inu hat geschrieben : ↑Sa 11. Aug 2018, 12:55Irgendwelche Vorstellungen über Meditation haben die meisten Menschen, viele haben Meditation irgendwann mal probiert.
Eine Einführung in das Thema könnte dieser Text sein:
Letztlich soll es aber um mehr gehen, nämlich die Frage, was am Ende von all dem zu halten ist. Sind das jetzt nur Hirngewitter?psyheu hat geschrieben : Aller Anfang ist schwer – Meditation (1)
Ich hatte vielleicht einfach Glück, mein erstes Mal in Meditation war schön. Es war eine geführte Meditation, aus der Konserve, damals noch mit Kassette. Mit einem „Klack“ war es dann nach einer halben Stunde vorbei. Als ich danach die zweite Seite hörte, wusste ich am Ende, dass ich etwas Besonderes erlebt hatte. Ausgestattet mit Sendungsbewusstsein wollte ich meiner Mitwelt das Erlebnis auch zukommen lassen, das Ergebnis war, dass ich erkennen musste, dass niemand in meinen näheren Umfeld das wohl auch nur annähernd so wie ich empfand. Doch seitdem war wenigstens mein Interesse für das Thema Meditation geweckt, bis heute.
Was das für ein Empfinden war, vermochte ich anfangs noch nicht zu fassen, doch nach einiger Zeit war klar, dass es eine Art Heimatgefühl war, das ich mit der Meditation verband. Der Vorteil der geführten Meditation war ganz einfach deren Unkompliziertheit. Hinlegen, Augen schließen, zuhören, fertig.
Doch der Anfang kann auch anders sein. Die häufigere Vorstellung und vielleicht auch häufigere Praxis der Mediation ist die des Sitzens mit überkreuzten Beinen. Technisch ist das weitaus anspruchsvoller, der Rücken gerade, die Schultern aber entspannt und dann aufpassen, dass man nicht zusammensackt. Dann soll man noch auf den Atem achten, je nach Schule ganz bewusst oder mit geringer Aufmerksamkeit, gleichzeitig gibt es die Anweisung einfach alles was auftaucht mit Gleichmut zu betrachten, kommen und wieder gehen zu lassen und wenn man sich eines zu Anfang nicht gut vorstellen kann, dann, dass das irgendwen entspannt und jemals klappen könnte.
Das tut es dann auch zuverlässig bei den meisten nicht, wenn doch, ist man vermutlich ein Naturtalent für Meditation. Der Anfang ist eher so, dass man unruhig wird, vielleicht sogar leicht überfordert ist, von all den Anweisungen, die man erhält, man muss an dies, das und jenes denken, aber das ist wie Fahrrad- oder Autofahren, irgendwann Routine. Doch auch die muss man sich erst erwerben und das geht nur, wenn man sich wieder und wieder hinsetzt und das oft auftretende Feuerwerk des Körpers und der Empfindungen aussitzt. Viele Neulinge haben nach dem erstem Mal Sitzen klitschnasse Hände gehabt und das wohl, weil in der Meditation ein wesentlicher Impuls von uns bewusst unterdrückt wird, sofort zu reagieren. Wir sind es in aller Regel gewohnt, auf Einfälle, Empfindungen und körperliche Signale direkt einzugehen, sie zu agieren. Neuerdings kommt noch das Phänomen hinzu, eventuell aufkommende Langeweile sofort mit dem Smartphone zu bekämpfen. Alle paar Minuten durchbricht eine neue Nachricht unsere Alltagsverrichtungen und wir gewöhnen uns an das immer Neue (und sei dies auch noch so banal). Stille, Ruhe, Bewegungslosikgeit und keine Nachrichten, das kennen manche heute kaum noch.
In der Meditation reagiert man idealerweise auf nichts. An sich etwas Schönes in einer Zeit, in der viele Menschen über Überforderung klagen. Doch mit dieser Anweisung konfrontiert, dreht das Bewusstsein bei Vielen von uns ein wenig durch. Auf einmal scheint es das Wichtigste der Welt zu sein, dass man sich bewegt. Die Position noch mal ändert, korrigiert, dann kratzt es hier, zieht da, es schmerzt, kurz, man ist unentspannt, bis gerädert.
Quelle und mehr ...
Haben meditative Erfahrungen irgendeine objektive oder gesellschaftliche Releveanz, oder sind es lediglich rein subjektive Erfahrungen?
Wie hoch oder weit geht es hinuas oder nach innen, oder vielleicht tatsächlich in andere Welten? Was spricht für deren Existenz, was dagegen?
Ist das vielleicht nur ein biologischer Stand by Modus, der konstruktivistisch von A bis Z erklärt werden kann?
Kann man aus Meditationen echte Erkennntnisse ableiten und falls ja, welche wären das?
Stimmt es, dass man über Meditationserfahrungen nicht reden kann?
Was lehrt uns Meditation über das Verhältnis von Innen und Außen, sowie, über das Ich?
Bewundernswert! Das scheint ja auf sehr fruchtbaren Boden gefallen zu sein. Ich meditiere jetzt mehr oder weniger regelmäßig seit einem Vierteljahr, mal schauen, wie lange das anhält.Dieser Beitrag ist vor zwei Jahren geschrieben worden. Das ist für mich ein kleines Jubiläum, denn so lange (oder so kurz) meditiere ich jetzt
Ich habe das auch mal von ihm gehört, und zwar in dem Film "Blueprint for Zen-Practice" https://www.youtube.com/watch?v=EPtFy1tzFpM, der auf youtube zu sehen ist (2 Std. 9 min). Das sind Auszüge aus Gesprächen mit diversen europäischen Zenmeistern, denen allen dieselben 9 Fragen gestellt wurden. Das kompette Interview mit Muho ist auch auf Youtube zu finden https://www.youtube.com/watch?v=MgD3N8D89tE (46 min).Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 15. Feb 2020, 08:33
Ich überlege gerade, wo ich jetzt stehe. Ich habe vor längerer Zeit mal einen Interview mit ABT MUHÔ gelesen. Da hat er mit einer sehr schönen Metapher gearbeitet. Die Gedanken, die durch unseren Geist ziehen, sind in dieser Metapher Schäfchen auf einer Wiese. Zu Beginn seiner meditativen Praxis hat er diese Schäfchen gleichsam von oben betrachtet, wie ein kleiner Adolf Hitler, wie er sich selbst ausgedruckt hat. Er hat dann versucht, von oben (vom Himmel) herab Ordnung in die Sache zu bringen. Unnötig zu sagen, dass dies zu nichts geführt hat. Dann hat er erläutert, dass er die Schäfchen in seiner jahrzehntelangen meditativen Praxis im Grunde nie losgeworden ist. Nur hat er jetzt ein anderes Verhältnis zu ihnen gewonnen. Er blickt jetzt nicht mehr von oben herab, mit dem Ziel alles in den Griff zu bekommen, sondern er empfindet sich selbst gleichsam als die Wiese, auf der die Schafe grasen. Ich meine, er hat davon gesprochen, dass er die Bühne ist, auf der sich das alles abspielt.
Dieses Bild gefällt mir ganz gut. Allerdings kann ich mich nur schwer selbst darauf einordnen. Ziemlich sicher bin ich nicht mehr im Hitler Stadium aber auch die Wiese bin ich noch nicht ...
@Jovis, vorhin habe ich dieses Bild versucht zu imaginieren - "merkwürdig" trifft mein Befinden dabei ausgezeichnet. Zuerst hat das Beängstigende dominiert, weil es mir so vorkam, als würde der zentrale Festhaltepunkt, der Punkt, der alles kontrolliert ... oder besser, der alles zusammenhält, also mein "Ich" verschwinden. Da ist auf einmal gar nichts mehr. Eigentlich auch nichts mehr von mir, was die Person Friederike und wie sie sich als Bühne erlebt, beobachtet. Das befreiende Moment kam später erst, obwohl "befreiend" mir zu groß scheint; eher trifft es die "Empfindung von Weite". Es geschieht einfach, das Leben geschieht, ohne mich - das ist wirklich eine total unvertraute Vorstellung, aber schön.Jovis hat geschrieben : ↑Sa 15. Aug 2020, 17:02Mich hat seitdem besonders das Bild der Bühne beschäftigt. Wir sind demnach nicht die Schauspieler und nicht die Zuschauer in unserem Leben und schon gar nicht der Regisseur. Sondern "nur" die Bühne, auf der sich dies alles abspielt. Nicht ich lebe mein Leben, sondern das Leben lebt mich, sozusagen. Ich empfinde diese Vorstellung als befreiend und beängstigend zugleich. Das Leben lebt quasi durch mich hindurch. (Was ist das allerdings, dieses "Leben"?)
Ich war neulich mit meiner Tochter und ihrer Familie in einem Tierpark, und überall wuselten Kinder und Eltern und Großeltern umher (mit mehr oder weniger Corona-Abstand), und ich hatte plötzlich, noch unter dem Eindruck von Muhos Bild, das Gefühl, als seien all diese Menschen Bühnen, auf denen, ohne dass sie es richtig wissen, dieses merkwürdige Stück namens Leben gespielt wird. Wir alle (denn ich will mich da nicht ausschließen) hatten das Gefühl, etwas zu TUN - mit den Kindern lachen, auf sie aufpassen, sich unterhalten, gucken ... - aber in Wirklichkeit GESCHAH einfach alles. Das war sehr merkwürdig.
In Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften wird diese merkwürdige Inversion von Aktiv und Passiv auf essayistische Weise ausgestaltet. Mit "Seinesgleichen geschieht" ist der entsprechende Teil des Romans überschrieben. Über Ulrich, den Protagonisten des Romans, schreibt Musil einmal, er sei kein Philosoph. "Philosophen waren für ihn Gewalttäter, die keine Armee zur Verfügung haben und sich deshalb die Welt in der Weise unterwerfen, dass sie sie in ein System sperren." -Friederike hat geschrieben : ↑Mo 17. Aug 2020, 11:45
Es geschieht einfach, das Leben geschieht, ohne mich - das ist wirklich eine total unvertraute Vorstellung, aber schön.
Ich finde es ganz erstaunlich, Friederike, wie du mein Empfinden hast nachempfinden können! Und du bist ja sogar noch darüber hinaus gelangt, wenn du nicht einmal mehr der Beobachter warst.Friederike hat geschrieben : ↑Mo 17. Aug 2020, 11:45@Jovis, vorhin habe ich dieses Bild versucht zu imaginieren - "merkwürdig" trifft mein Befinden dabei ausgezeichnet. Zuerst hat das Beängstigende dominiert, weil es mir so vorkam, als würde der zentrale Festhaltepunkt, der Punkt, der alles kontrolliert ... oder besser, der alles zusammenhält, also mein "Ich" verschwinden. Da ist auf einmal gar nichts mehr. Eigentlich auch nichts mehr von mir, was die Person Friederike und wie sie sich als Bühne erlebt, beobachtet. Das befreiende Moment kam später erst, obwohl "befreiend" mir zu groß scheint; eher trifft es die "Empfindung von Weite". Es geschieht einfach, das Leben geschieht, ohne mich - das ist wirklich eine total unvertraute Vorstellung, aber schön.
Ja, das ist das, was mich am Zazen so anzieht: Man sitzt offenbar tatsächlich einfach nur, alles andere ist egal. Ich glaube aber, das Zazen auch nicht mit Meditation gleichgesetzt werden will. Den Unterschied habe ich allerdings noch nicht ganz verstanden.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 18. Aug 2020, 13:35Interessant: die "Wiederbelebung" des Fadens und das Interview hat tatsächlich einen kleinen Einfluss auf meine Praxis. Die Frage, ob ich es "richtig" mache, meldet sich wieder an Ich hatte mich zwar schon vorher manchmal gefragt, ob das überhaupt "im strengen Sinn" Meditation ist, aber irgendwie war es mir egal. Witzig. Bei dem Interview ist mir am meisten in Erinnerung geblieben, dass er gar keinen besonders starken Fokus aufs Atmen gelegt hat, während es bei vielen anderen geradezu das Zentrum der Übungen ist.
Ich habe ja mit einer App gestartet, die nutze ich immer noch. Allerdings jetzt nur noch die Umsonst-Version und da sind keine geführten Meditation mehr dabei. Sondern im Prinzip nur Anfang- und End Gong, so wie das Zählen der Meditationen.
Was genau (oder meinetwegen auch nur ungefähr) ist aber mit "seinesgleichen" gemeint? Worauf bezieht sich das? Mir kam dieses "Geschehen" völlig unvorhersehbar und unbekannt vor, das machte zu einem Teil die Fremdheit dieses Erlebnisses aus. "Seinesgleichen" legt aber nahe, dass es die Fortführung von etwas Bekanntem ist.Nauplios hat geschrieben : ↑Mo 17. Aug 2020, 13:35Was Du mit dem Ausdruck "Das Leben lebt mich" und "In Wirklichkeit GESCHAH einfach alles", Jovis, ansprichst, ist das Musil'sche "Seinesgleichen geschieht" oder wie Du es beschreibst, Friederike: "Das Leben geschieht". - Der Philosophie setzt Musil das entgegen, was er "Essayismus" nennt als Reflektionsform der Moderne. Ich denke, daß sich für den Begriff "Leben" hier Anknüpfungspunkte ergeben, die geeignet sind, jenes "Merkwürdige" zu entschlüsseln, was im "Geschehen" beschlossen liegt. -
Das 83. Kapitel im Mann ohne Eigenschaften heißt: "Seinesgleichen oder warum erfindet man nicht Geschichte?". Ich zitiere nur mal eine kurze Passage daraus:Jovis hat geschrieben : ↑Di 18. Aug 2020, 18:58
Was genau (oder meinetwegen auch nur ungefähr) ist aber mit "seinesgleichen" gemeint? Worauf bezieht sich das? Mir kam dieses "Geschehen" völlig unvorhersehbar und unbekannt vor, das machte zu einem Teil die Fremdheit dieses Erlebnisses aus. "Seinesgleichen" legt aber nahe, dass es die Fortführung von etwas Bekanntem ist.
Die Vorstellung von Philosophie, die Musil da seinem Protagonisten in den Mund legt, ist aber doch recht einseitig. Mir fällt als Gegenbeispiel gleich die sogenannte Lebensphilosophie ein, von der ich allerdings nur Wikipediawissen habe, die aber gerade so schön passt, weil du das "Leben" aufgegriffen hast. Und es gibt bestimmt noch etliche weitere "unsystematisch" Philosophierende.
Ich finde, es macht einen Teil des Reizes dieser Praxis (inklusive der Theorie dazu) aus, dass man gelegentlich merkwürdige Erfahrungen macht :-) ein Beispiel von mir selbst: Bis vor kurzem waren ja die Mauersegler noch da. Ich höre sie mit dem linken Ohr von der Straße her und mit dem rechten Ohr vom Garten. Für einen Moment hatte ich vor ein paar Wochen eine großartige akustische Täuschung - einer flog hinter mir mitten durch die Wohnung, das Pfeifen war wie ein Riss durchs Zimmer. Das Ganze dauerte vermutlich nur den Bruchteil einer Sekunde, aber es war sehr beeindruckend.
Ich finde das gar nicht so off topic. Das ist ja ein ganz fundamentaler Punkt, den man bei der Meditation lernt: Das Geschehenlassen. Und Ulrich, so, wie du ihn beschrieben und zitiert hast, würde damit arge Probleme haben, wenn er eine solche Abneigung gegen das "Seinesgleichen geschieht" hat. Ich bin mit dem Buch vor vielen Jahren ziemlich weit gekommen, wurde aber immer unwilliger beim Lesen, weil es einerseits nach meinem Gefühl immer mehr zerfaserte, aber vor allem, weil mir die Hauptfigur mit ihrer gequälten Individualitätssucht immer unsympathischer wurde. Und das bestätigt sich bei deinen Zitaten wieder.
Das ist das genaue Gegenteil dessen, was in der Meditation erstrebt wird. Dort soll man gerade durch das Geschehenlassen, durch das Zurückstellen des eigenen Fühlens und Denkens, zum Kern der Wirklichkeit kommen.
Dazu ein gewisser Brad Warner auf Youtube:Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 18. Aug 2020, 18:53Zu dem Unterschied zwischen Zazen und Meditation kann ich leider auch überhaupt gar nichts beitragen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich nicht mal gewusst hätte, dass es so ist müsste ich mal nachlesen.