EberhardWesche hat geschrieben : ↑ Do 22. Feb 2018, 11:37
@ Jörg
Meine Kritik an Gabriels These "Die Welt gibt es nicht" stützt sich auf dessen eigenwillige Umdeutungen der Wörter "Welt" und "Existenz".
Hallo Eberhard, eine Kleinigkeit vorweg. Ich heiße nicht Jörg, sondern Jörn. :-)
Wenn man deine Kritik an Gabriel liest und sein Buch, besser gesagt seine vielen Bücher, Reden, Artikel und seine Aufsätze nicht kennt, dann muss man einen seltsamen Eindruck davon erhalten. Im Grunde besteht - so wie du es darlegst - alles aus einem simplen Taschenspielertrick; das muss der Eindruck sein. Der Taschenspielertrick funktioniert im Prinzip folgendermaßen: Man nehme einen gängigen Begriff, nämlich den Begriff "die Welt", definiere ihn in einer gewissen Art und Weise um, um dann zu zeigen, dass es nichts geben kann, was auf diesen Begriff zutrifft. Fertig.
Das ist allerdings meines Erachtens ein ganz falscher Eindruck, der da erweckt wird. Erstens geht es in der Philosophie keineswegs einfach bloß darum die Begriffe, so wie wir sie verwenden, zu analysieren und ihre Verwendung unangetastet zu lassen. Es geht in der Philosophie auch darum herauszuarbeiten, wie wir diese Begriffe sinnvollerweise verwenden sollten. Nach meiner Meinung ist es nicht wirklich so, dass Gabriel sich einfach hinstellt, den Begriff mehr oder weniger nach Belieben definiert, um ihn dann entsprechend dieser Definition zu widerlegen.
In Wahrheit geht Gabriel in diesem Buch sowie in anderen Büchern und seinen Vorträgen durchaus der Begriffsgeschichte des Begriffs "Welt" nach und fragt selbstverständlich auch, wie wir den Begriff im Alltag verwenden. Aber nicht nur da, sondern auch in der Philosophie und in der Wissenschaft. Gabriel erörtert im übrigen ziemlich ausführlich den (relativ engen) Zusammenhang zwischen unserem Selbstbild und unserem Weltbild. Das heißt, er geht auch der Frage nach, was es für uns bedeuten kann, diesen oder jenen Begriff von "der Welt" zu haben. Dazu zwei Beispiele: Wer sich die Welt als ein wohlgeordnetes Ganzes, also einen Kosmos vorstellt, in dessen Zentrum wir stehen, der wird ein anderes Selbstbild haben, als derjenige, der meint die Welt wäre eine kalte Heimat, die uns selbst eigentlich nicht wirklich enthält - und wenn doch, dann nur ganz am Rande. Wer also glaubt, die Welt bestünde in Wahrheit nur aus "Atomen und Leere", wird möglicherweise der Ansicht sein, dass wir selbst nichts anderes sind, als auf Selbsterhaltung optimierte Biomaschinen
In Wahrheit geht es Gabriel in diesen und seinen anderen Büchern keineswegs und irgendwelche Glasperlenspiele, sondern um die Frage "Was bedeutet das alles?" und was ist unser Platz in diesem Kuddelmuddel.
Du schreibst: "Unter 'Welt' verstehe ich die Gesamtheit dessen, was es gegenwärtig gibt, was es ehemals gegeben hat oder was es zukünftig geben wird." Das besagt meines Erachtens nicht sehr viel, da die meisten Begriffe, die die nutzt, ihrerseits nach einer Klärung verlangen (was heißt "es gibt"?).
Und zudem (das scheint mir noch wichtiger zu sein) entspricht diese Redeweise nicht deinen eigenen Vorgaben. Denn du verwendest hier den Begriff "Welt" selbst nicht so ohne weiteres im alltäglichen Sinn. Dazu ein paar Beispiele: Im Alltag sprechen wir z.b. von der Welt der Musik, der Zirkuswelt oder der Welt der Finanzen. Das macht klar, dass es bei dem Begriff "Welt" in aller Regel um einen Gesamtzusammenhang geht, wobei die Dinge, die von diesem Gesamtzusammenhang umfasst werden, nicht einfach nach Belieben zusammen gewürfelt sind, sondern von einer bestimmten Art und Weise sind. Zu der Welt der Musik dürften Musiker, Musikstücke, Konzertsäle, Noten, Schallplatten Musik CDs, Radiosender, Flöten, Gitarren, Trommeln und vieles mehr zählen. Es dürfte allerdings klar sein, dass man sich in diesem Beispiel die Welt nicht etwa wie eine Schachtel vorstellen darf, in welche die fraglichen Dinge einfach hinein geschüttet werden. So eine Welt - wie die Welt der Musik - ist im Grund nichts anderes als ein Gegenstandsbereich,
"der eine bestimmte Art von Gegenständen enthält, wobei Regeln feststehen, die diese Gegenstände miteinander verbinden."
Ein anderes Beispiel: Wir sagen z.b., dass Hans in seiner eigenen kleinen Welt lebt. Auch hier bezeichnet der Begriff Welt nicht etwa ein zufälliges Sammelsurium (oder eine Menge) von Dingen, sondern eine Gesamtheit, die in einer spezifischen Art und Weise "zusammen gehalten" wird, nämlich dadurch, dass sie Hans ganz eigene Welt ist.
Um etwas Vergleichbares, wie in den letzten Abschnitten dargestellt, geht es Gabriel selbst in folgender Passage:
»Die Welt ist alles, was der Fall ist«
Vom Universum muss man die Welt unterscheiden. Doch was ist das eigentlich, die Welt? Worauf bezieht sich der Ausdruck »die Welt«? Im Alltag verwenden wir ihn heutzutage unter anderem für die Erde, für unseren Planeten, auf dem wir leben. Im Englischen hat es sich auch eingebürgert, mehr oder weniger bewohnbare Planeten, auch außerhalb unseres Sonnensystems, als »Welten« zu bezeichnen. Darüber hinaus gibt es auch noch die Verwendung von »Welt« im Sinne der Welt eines Romans, der Welt der Aborigines, der Welt des Glücklichen oder der Welt der Römer. Sozusagen von Natur aus neigen wir alle erst einmal dazu, die Welt mit der Gesamtheit aller vorhandenen Gegenstände zu identifizieren. Doch damit es eine solche Gesamtheit geben kann, muss es eine Art Regel oder ein Gesetz geben, das diese Gesamtheit zusammenhält. Die Welt der Römer ist nicht einfach nur die Gesamtheit der Gegenstände, die es damals im Imperium Romanum gab, sondern auch ihr Verhältnis zueinander und eine bestimmte Art und Weise, mit diesen Gegenständen umzugehen, also die römische Kultur, ihre Sitten und Gebräuche. Ludwig Wittgenstein hat in den ersten Sätzen seines Tractatus logico-philosophicus als Erster auf diesen entscheidenden Punkt aufmerksam gemacht:
1. Die Welt ist alles, was der Fall ist.
1.1 Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge.
Was damit gemeint ist, kann man folgendermaßen erläutern: ... [Es folgt eine kurze Erläuterung des Zusammenhangs von Gegenstand und Tatsache.]
Lange Rede, kurzer Sinn: Nach meinem Verständnis, ist die Art und Weise, wie Gabriel den Begriff Welt in seinem Buch einführt und verwendet, sehr weit von dem entfernt, wie du es darstellst.