Materialismus und Idealismus, Sein und Werden
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Man könnte und sollte vielleicht die große Kluft überwinden, die zwischen den Lagern der Realisten und der Idealisten besteht. Ich selbst würde für mich in Anspruch nehmen, in einem gewissen Sinn beides zu sein: Realist und Begriffsrealist, also das Gegenteil des Realisten. Und so kann man den Platonismus vieler Mathematiker verstehen, so bin auch ich trotz meines Materialismus ein Platoniker. Man muß nur den Realismus der Welt vom Realismus der Begriffe, Gedenkendinge trennen. Ersterer besagt, daß die Dinge, kontingent oder notwendig: sind, und nicht nichtsind. Begriffen, abstrakten Gedankenobjekten kommt eine andere Wirklichkeit zu. Sie trennen nicht das Wirkliche vom Irrealen, sondern das Denkmögliche vom Denkunmöglichen, oder sagen wir es genauer, weil man ja Quatsch denken kann: das notwendig wirkmäßige Denken vom nichtnotwendigen, arbiträren, das dem Begriff nach kein analysierendes und synthesierendes Denken, sondern bloß Vorstellen ist. Der eine Realismus trennt das Sein vom Nichtsein, der andere das Möglichsein vom Unmöglichsein. Und hierfür benutzen wir den Begriff Wahrheit, einen Metabegriff, der unser Denken der Welt beurteilt. Wir erreichen inhaltliche Wahrheit, wenn wir die Notwendigkeit des Seins erkennen, wir erreichen formale Wahrheit, wenn wir die Notwendigkeit der Formen des Denkens der Welt erkennen, d.i. die Wahrheit des Denkens.
Warum ist dies eine dialektische Konzeption der Welt und der Wahrheit (des Denkens der Welt)? Weil die Begriffe Welt und Wahrheit reflexiv, imprädikativ rekursiv, zirkulär definiert sind (und sein müssen, wenn diese Konzeption selbst Wahrheit beansprucht).
Warum ist dies eine dialektische Konzeption der Welt und der Wahrheit (des Denkens der Welt)? Weil die Begriffe Welt und Wahrheit reflexiv, imprädikativ rekursiv, zirkulär definiert sind (und sein müssen, wenn diese Konzeption selbst Wahrheit beansprucht).
- Jörn Budesheim
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Was heißt Begriffsrealismus? Was auch immer es heißt, jedenfalls ist es ein Realismus und nicht das Gegenteil von Realismus. Hier ein Beispiel:
Auch für die Frage nach dem "Psychologismus" spannend.information-philosophie.de, in 'Fragen an Andreas Kemmerling' hat geschrieben : Um zu erklären, was ich mit diesem Terminus [Begriffsrealismus] meine, muß ich zunächst einmal sagen, wie ich das Wort „Begriff“ verwende. Und zwar nicht, um damit etwas Psychisches zu bezeichnen, wie z. B. eine mentale Repräsentation. Ich meine damit etwas, das keine Repräsentation ist, wohl aber der Inhalt von Repräsentationen sein kann. Begriffe in diesem zweiten Sinn sind Bestandteile wahrheitswertfähiger Inhalte, sogenannter Propositionen. Und gewöhnlich sind sie etwas [...] das von mehreren Subjekten erfaßt wird oder zumindest erfaßt werden kann.
[...] Mir geht es um Begriffe nur im ‚logischen‘ Sinn dieses Wortes: um Komponenten des Inhalts dessen, was wir denken, nicht um das psychische Material, mit dem wir denken. Frege macht eine entsprechende Unterscheidung zwischen dem, was er als Vorstellung bzw. als Sinn (eines Begriffsworts) bezeichnet, wobei er übrigens mit letzterem nicht die sprachliche Bedeutung des Worts meint.
Mit ‚Realismus‘ in puncto Glaubensbegriff [im allerallgemeinsten Sinn von: etwas für wahr halten] meine ich nun dies: daß er ist, was er ist, und sich nicht darin erschöpft, was wir (derzeit) von ihm wissen. [...] De facto sind manche Begriffe, die wir haben, durch unsere sprachliche Kompetenz im Umgang mit den Wörtern, die wir für sie haben, nicht vollständig erfaßt.
Für einen ‚Begriffsrealisten‘ ist also, trotz ihres engen Zusammenhangs, zu trennen zwischen der sprachlichen Bedeutung des Wortes „glauben“ und dem Begriff, den das Wort ausdrückt. Meines Erachtens gibt es [...] oft so etwas wie einen begrifflichen Überschuß gegenüber dem, was sich im semantisch kompetenten Umgang mit dem betreffenden Wort manifestiert.
Wer das so sieht, der wird [...] keine deskriptive Sprachanalyse betreiben. [...] Dieser Realismus – der manchen Begriffen sozusagen ein Eigenleben über den Gebrauch der Wörter hinaus zubilligt, die wir für sie haben – ist keine Lehre, die ich predige, sondern eher so etwas wie eine Grundeinstellung, die ich gegenüber manchen Begriffen [wie zum Beispiel Wahrheit, Existenz, Zeit, gut, ich] einnehme.
Quelle: https://www.information-philosophie.de/ ... &y=4&c=132
- Jörn Budesheim
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Idealismus ist ein vielschichtiger Begriff, der zwar oft, aber keineswegs grundsätzlich den Gegenbegriff zum Realismus darstellt. In dem Lexikon-Eintrag unten wird dazu Platon genannt. Analog kann man sich Folgendes ausmalen: Es gibt auch heute Naturwissenschaftler:innen, die Bewusstsein/Informationen/Zahlen oder ähnliches - also "Ideales" in einem weiten Sinn - als die grundlegenden Entitäten der Wirklichkeit ansehen. Diese sind Idealisten und Realisten zugleich. Ähnliches gilt in Bezug auf Zahlen, was wir gerade parallel diskutieren. Wer auf die unabhängige "ideale" Realität der Zahlen pocht, ist ein Idealist und Realist zugleich in Bezug auf die Zahlen.
Wörterbuch der Philosophischen Begriffe hat geschrieben : Idealismus, als Neubildung zu Ideal:[Aufzählung und Absätze zur leichteren Lesbarkeit von mir eingefügt]
- im praktisch-ethischen Sinne das Streben nach Verwirklichung von Idealen, das Ausgerichtetsein an Idealen, Beherrschtsein von Idealen, auch die Neigung, die Wirklichkeit nicht zu betrachten, wie sie nach Meinung des Realisten ist, sondern wie sie sein sollte; daher der Idealist: der auf das Seinsollende blickende Mensch;
- als Neubildung zu Idee (griechisch idea, englisch idea) Verwendung für eine neuzeitliche erkenntnistheoretische Schule. Im metaphysischen Sinne ist Idealismus zunächst die Lehre Platos und Plotins von den Ideen als der wahren Wirklichkeit, von der unsere Sinne nur die Schattenbilder wahrnehmen (Idola).
- Insofern im Platonismus gerade die Ideen das Wirkliche sind, wurde die auf ihm beruhende Metaphysik des Mittelalters Realismus genannt.
- Im weiteren Sinne heißt dann Idealismus jede Philosophie, die in der Raumzeitwelt unserer Wahrnehmung nur eine Scheinwelt oder auch nur Erscheinungen sieht, hinter der eine uns unerkennbare Welt-an-sich oder eine nur denkbare geistige Wirklichkeit steht. Am radikalsten ist dieser Gedanke des Idealismus von George Berkeley ausgeprägt worden (esse est percipi).
- Idealismus Kant leugnet nicht die Existenz einer von uns unabhängigen Außenwelt-an-sich, aber sein kritischer oder transzendentaler Idealismus bestreitet, dass wir sie als solche erkennen können.
- Der deutsche Idealismus, im Wesentlichen fußend auf Gottfried Wilhelm Leibniz, vorbereitet durch Gotthold Ephraim Lessing, Johann Gottfried Herder u. a., vor allem aber durch Friedrich Schiller und Friedrich Hölderlin, erweitert den erkenntnistheoretischen Idealismus Kants um weitere spekulative Gesichtspunkte: Nach Johann Gottlieb Fichte ist die Außenwelt selbst ein Erzeugnis des Ich, das sie sich als Nicht-Ich entgegensetzt, um sich mit ihr auseinanderzusetzen: subjektiver Idealismus;
- Friedrich Wilhelm Joseph Schelling sieht in der Identitätsphilosophie Außen- und Innenwirklichkeit als Seiten eines Ganzen an (Indifferenz);
- Georg Wilhelm Friedrich Hegel sucht mit seiner dynamischen Auffassung, die Entfaltung der Vernunft in der natürlichen und geschichtlichen Wirklichkeit zu erweisen.
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Nun, ich bin ja gar nicht so streng, ich akzeptiere den Begriff "Begriffsrealismus", man könnte ihn als eine contradictio in adjecto verwerfen, hebt er doch den Unterschied res extensa - res cogitans auf. Für mich ist es kein 'Selbstwiderspruch, weil der Dualismus von Gedanke und Gedachtem, was in irgend einem Sinn immer sich auf Reales bezieht, unzulässig ist. Ich habe ja im Initialbeitrag die Begründung geliefert.
- Jörn Budesheim
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Aus deinem Start-Text geht nicht klar hervor, wie du die vielen Begriffe verwendest, zudem - wie mir scheint - uneinheitlich. Basierend auf der Überschrift hab ich mal eine Paraphrase versucht:
"Man könnte und sollte vielleicht die große Kluft überwinden, die zwischen den Lagern der Materialisten und der Idealisten besteht. Ich selbst betrachte mich als eine Art Synthese aus beidem: Materialist und Idealist. Diese Perspektive hilft zu verstehen, warum viele Mathematiker platonistische Ansichten vertreten; auch ich bin trotz meines Materialismus ein Platoniker.
Es ist wichtig, zwischen der Realität der Welt und der Realität der Begriffe zu unterscheiden: Die Dinge sind seiend, nicht nicht-seiend. (notwendig/kontingent??) Begriffen kommt eine andere Art von Wirklichkeit zu. Sie trennen nicht das Seiende vom Nichtseienden, sondern das Denkmögliche vom Denkunmöglichen. Der Materialist trennt Sein vom Nichtsein, während der Idealist das Möglichsein von Unmöglichsein trennt.
Ich benutze den Begriff Wahrheit als Metabegriff, um unser Denken über die Welt zu beurteilen. Inhaltliche Wahrheit erreichen wir, wenn wir die Notwendigkeit des Seins erkennen, und formale Wahrheit, wenn wir die Notwendigkeit der Denkformen erkennen, d.h. die Wahrheit des Denkens."
"Man könnte und sollte vielleicht die große Kluft überwinden, die zwischen den Lagern der Materialisten und der Idealisten besteht. Ich selbst betrachte mich als eine Art Synthese aus beidem: Materialist und Idealist. Diese Perspektive hilft zu verstehen, warum viele Mathematiker platonistische Ansichten vertreten; auch ich bin trotz meines Materialismus ein Platoniker.
Es ist wichtig, zwischen der Realität der Welt und der Realität der Begriffe zu unterscheiden: Die Dinge sind seiend, nicht nicht-seiend. (notwendig/kontingent??) Begriffen kommt eine andere Art von Wirklichkeit zu. Sie trennen nicht das Seiende vom Nichtseienden, sondern das Denkmögliche vom Denkunmöglichen. Der Materialist trennt Sein vom Nichtsein, während der Idealist das Möglichsein von Unmöglichsein trennt.
Ich benutze den Begriff Wahrheit als Metabegriff, um unser Denken über die Welt zu beurteilen. Inhaltliche Wahrheit erreichen wir, wenn wir die Notwendigkeit des Seins erkennen, und formale Wahrheit, wenn wir die Notwendigkeit der Denkformen erkennen, d.h. die Wahrheit des Denkens."
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Ist das für dich eine relevante Unterscheidung? Denkt man deiner Ansicht nach "heute" so wie vor fast einem halben Jahrtausend?
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Jain. ich formuliere es so: Realismus der Wirklichkeit, Idealismus der Möglichkeit. Der Sinn meines Beitrags war, daß man sich so einigen könnte.
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Möglichkeiten gehören für mich zur Wirklichkeit.
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Du verstehst nicht. Ich benutze und korrigiere Begriffe. Der Descartessche Dualismus hat sinnvoll Begriffe eingeführt, aber ich teile nicht den Dualismus, im Gegenteil. Du denkst mehr im Modus von vor fast einem halben Jahrtausend als ich.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 26. Aug 2024, 11:22
Ist das für dich eine relevante Unterscheidung? Denkt man deiner Ansicht nach "heute" so wie vor fast einem halben Jahrtausend?
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Ich halte diese Begriffe nicht für sinnvoll. Die Wirklichkeit besteht nach meiner Vorstellung weder aus zwei "Substanzen" noch aus zwei Teilen "Idealität" und "Materialität". Wir stehen auch nicht vor der Wahl: Materialismus und/oder Idealismus. Das halte ich alles für abwegig.
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Das sei Dir unbenommen. Mögest Du auf Deinem Weg zur Erkenntnis finden. Ich gehe einen anderen Weg, und mein Vorschlag, Brücken der Verständigung zu bauen, hat bei Dir nicht funktioniert. da müssen wir einen grundsätzlichen Dissens konstatieren und sollten es dabei belassen.
Ich bin gespannt, ob sich noch eine dezidierte Meinung zu diesem Thema kundtun möchte.
Ich bin gespannt, ob sich noch eine dezidierte Meinung zu diesem Thema kundtun möchte.
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Diese Brücke kann es nicht geben, weil du im ersten Schritt entschieden hast, dass letztlich doch alles materiell fundiert sein muss. Abstrakte Gebilde sind nur erlaubt, wenn sie im Denken/Hirn realisiert sind. Damit ist meine Sicht der Dinge von vornherein ausgeschlossen.
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Wen hast du denn im Sinn, der deinem grundlegenden Materialismus nicht teilt? Da scheint es einen recht großen forumweiten Konsens zu geben :-)
Der budesheim-endemannsche Brückenbauversuch :-) Der eine Philosoph steht an diesem Ufer, und am Ufer gegenüber steht ein ander Philosoph.
Beide rufen sich zu: "Ich will eine Brücke zum anderen Ufer bauen."
Beide rufen sich zu: "Aber du lässt mich nicht."
Beide rufen sich zu: "Warum nicht?"
Beide rufen sich zu: "Weil du keine Brücke zulässt."
Beide rufen sich zu: "Ich will eine Brücke zum anderen Ufer bauen."
Beide rufen sich zu: "Aber du lässt mich nicht."
Beide rufen sich zu: "Warum nicht?"
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- Jörn Budesheim
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Ich kann mich nicht entsinnen, so etwas gesagt zu haben. Unsere Positionen schließen sich gegenseitig aus - Brücke unmöglich. Wenn ich recht habe, hat Wolfgang unrecht, hat Wolfgang recht, hab ich unrecht. Beide recht haben können wir nicht, aber wir können uns beide irren. Wolfgang hat auch keine Brücke vorgeschlagen, sondern eine Umdeutung des Platonismus/Idealismus/… . Dass er diesen nicht akzeptiert, sieht man im Zahlenfaden sehr schön, er findet ihn sogar absurd und wer ihn vertritt, ist naiv. Nach "Brückebauen" klingt das nur sehr bedingt.
Stimmt eigentlich. Jetzt habe ich vergessen, wie ich auf dieses Bild kam ... :-)Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 26. Aug 2024, 15:30Ich kann mich nicht entsinnen, so etwas gesagt zu haben.
Kannst du mir etwas Abstraktes nennen, dass nichts mit Denken zu tun hat?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 26. Aug 2024, 13:12Diese Brücke kann es nicht geben, weil du im ersten Schritt entschieden hast, dass letztlich doch alles materiell fundiert sein muss. Abstrakte Gebilde sind nur erlaubt, wenn sie im Denken/Hirn realisiert sind. Damit ist meine Sicht der Dinge von vornherein ausgeschlossen.
Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.
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Burkart hat hier die entscheidende Frage gestellt. Meine Antwort:Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 26. Aug 2024, 13:12Abstrakte Gebilde sind nur erlaubt, wenn sie im Denken/Hirn realisiert sind. Damit ist meine Sicht der Dinge von vornherein ausgeschlossen.
In der Tat, diese rote Linie, Wahrheit zu einem Ding an sich zu erklären, das ohne Anbindung zur Wirklichkeit sowie ohne Anbindung zum Denken außerhalb von Raum und Zeit existiert, vermag ich nicht zu überspringen, das ist für mich Obskurantismus, Esoterik, auch Spiritualismus ragt weit in den Bereich jenseits der kritischen Vernunft.
Aber ich habe ja um eine Erläuterung gebeten, wo und wie dieses Geistige ohne Bezug zur Welt sein kann. In welchem Sinn kann man von einer Wahrheit sprechen, die niemand denkt? Und da habe ich eine Lösung angeboten, denn so unbefriedigend es ist, von einer Wahrheit zu sprechen, wenn sie nie, nirgends gedacht wird, wurde, es niemanden gibt, der sie denken kann; so ist andrerseits das stärkste Argument für eine solche vom Gedachtwerden unabhängige Wahrheit, daß es auch unbefriedigend ist, wenn nach dem materialistischen Konzept es eine im Denken realisierte Wahrheit gibt, die völlig verschwindet, wenn sie nicht mehr gedacht wird. Die Welt verschwindet ja auch nicht, wenn ich die Augen zumache. Da bietet sich an, sie in die Latenz übergehen zu lassen. Wahrheit als eine Potenz, die real wird, wenn sie gedacht wird, sich in einem Subjekt manifestiert.
Daher habe ich angeboten, diesen Bereich als den Möglichkeitsraum des Denkens zu betrachten. Das Denken muß sich zwar materialisieren, um zu sein. Aber alles, was sich materialisieren kann, existiert in der Möglichkeitsform, damit wäre auch elegant erklärt, wie wir im Denken Subjekt sind, wir realisieren uns als Subjekt, indem wir der Welt hinzufügen, was wir denken, ob richtig oder falsch. Wir manifestieren die virtuellen Dinge aus dem Möglichkeits- und Unmöglichkeitsraum der Wahrheit im Sein. So kommt richtig Gedachtes und Falsches in die Welt. Auch Falsches, also unmögliches Denken kann von der Möglichkeitsform zur Wirklichkeitsform wechseln, aber Wahrheit und Falschheit bleiben komplementär.
Und so bewahrheitet sich mein Konzept von der Wahrheit. Denn es überträgt sich der doppelte Aspekt der Wahrheit, inhaltliche Wahrheit zu sein, dh in der Realwelt die Dinge zu erfassen, wie sie sind, sie gedanklich zu repräsentieren, mit dem der formalen Wahrheit, logisch-mathematisch korrekt zu denken, schließen, kognitiv mit den Gedankenobjekten umzugehen. Wahrheit ist diese Konzeption des Denkens, Dinge mow korrekt geistig wiederzuspiegeln und mow korrekt mit ihnen kognitiv operieren zu können. Wobei die inhaltliche Wahrheit prinzipiell beschränkt ist, weil im Komplexen die Abbildmenge nicht so groß (mengentheoretisch: mächtig) sein kann wie die Urbildmenge, die Realität, denn sie ist selbst Teil dieser (eine Menge, die sich als Teil selbst enthält). Dagegen ist im Denken absolute Wahrheit möglich, allerdings nur zu einem geringen Komplexitätsgrad, seit Gödel wissen wir definitiv, daß uns Vollständigkeit bei komplexeren Objektbereichen nicht möglich ist.
- Jörn Budesheim
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Die Wahrheit ist nicht "ohne Bezug zur Wirklichkeit", sie ist ein Teil der Wirklichkeit, so wie die Zahlen ein Teil der Wirklichkeit sind. Und zwar der Teil, der (zum Beispiel) von Mathematikerinnen erforscht wird, der aber unabhängig von mentaler Aktivität existiert.Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Di 27. Aug 2024, 09:56Wahrheit zu einem Ding an sich zu erklären, das ohne Anbindung zur Wirklichkeit sowie ohne Anbindung zum Denken außerhalb von Raum und Zeit existiert
Der Mathematiker Jörg Neunhäuserer, der an der Universität Braunschweig lehrt, ist zum Beispiel ein Vertreter eines platonischen Realismus in der Ontologie der Mathematik. Er ist sogar der Ansicht, dass eine große Mehrheit der Mathematiker davon überzeugt ist, dass die Gegenstände, mit denen sie sich beschäftigen, unabhängig von mentaler Aktivität existieren. Nach einer von Consul zitierten Umfrage sind es deutlich mehr als ein Drittel (37.83%) der Philosophen, die den Platonismus akzeptieren oder ihm zuneigen. Ich glaube nicht, dass sie alle dem Obskurantismus, der Esoterik, auch dem Spiritualismus zuneigen.Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Di 27. Aug 2024, 09:56das ist für mich Obskurantismus, Esoterik, auch Spiritualismus ragt weit in den Bereich jenseits der kritischen Vernunft.
Das Ding an sich. Woraus besteht das? Aus MERZ?Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Di 27. Aug 2024, 09:56In der Tat, diese rote Linie, Wahrheit zu einem Ding an sich zu erklären, das ohne Anbindung zur Wirklichkeit ...
Woraus besteht Materie, Energie, Raum, Zeit? Sie bestehen nicht aus MERZ, sondern aus ...? Aus irgendetwas abstraktem oder aus Dingen an sich?
Besteht das Ding an sich aus Ansich? Ist Ansich ein Ding oder etwas abstraktes?
Und so weiter. Ich denke, letztendlich ist alles abstrakt.
Demnach lautet der zitierte Satzausschnitt im Kern letzendlich so:
"In der Tat, diese rote Linie, Wahrheit zu etwas Abstraktem zu erklären, das ohne Anbindung zur Wirklichkeit ..."