Wahrheit
- Jörn Budesheim
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Dass es falsch ist, andere zum Spaß zu quälen, ist wahr.
Wahrheit umfasst theoretische, praktische und ästhetische Wahrheiten, und was es sonst noch geben mag.
Wahrheit umfasst theoretische, praktische und ästhetische Wahrheiten, und was es sonst noch geben mag.
Meines Erachtens ist diese Aussage unvollständig. Ihr fehlt der Bezug. Vielleicht willst Du folgendes sagen:Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 24. Feb 2024, 20:34Dass es falsch ist, andere zum Spaß zu quälen, ist wahr.
Aussage 1: "Jörns moralische Regel verbietet es, andere aus Spaß zu quälen."
Aktion A: Andere wurden aus Spaß gequält.
In Bezug auf Aussage 1 war Aktion A falsch.
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Und dann steckt da noch eine weitere Wahrheit drin (zuerst das Wort "falsch", dann das Wort "wahr"). Dadurch kommt noch eine Ebene hinzu:
Aussage 2: "In Bezug auf Aussage 1 war Aktion A falsch."
Sachverhalt S: Aktion A entspricht nicht Aussage 1.
In Bezug auf Aussage 2 ist der Sachverhalt S wahr.
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Diese komplexe Fortsetzung ist für mich jetzt aber nur Spielerei. Das wesentliche Problem, meiner Auffassung nach, ist die Nichterwähnung Deiner persönlichen moralischen Regel. Du gehst vermutlich davon aus, dass Deine Regel universal für jeden Menschen gelte. Es ist aber empirisch nachweisbar, dass diese nicht universal gilt. Du kannst sie in Deinem Falsch-wahr-Satz also nicht stillschweigend als "universal" voraussetzen.
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Hanno Sauer, Moral hat geschrieben : Dass wir Menschen universelle moralische Werte miteinander teilen, lässt sich [...] mit rigorosen sozialwissenschaftlichen Methoden nachweisen. Der Schwartz Value Survey bestätigt seit Jahrzehnten immer wieder, dass es fundamentale Werte gibt, die von allen Menschen in allen Kulturen für verbindlich gehalten werden. Persönliche Sicherheit und Freiheit, Fürsorge und Toleranz, Glück, Autonomie und Selbstverwirklichung werden in allen Kulturen weltweit als wichtig eingestuft. Die unterschiedlichen Prioritäten, die diesen Werten eingeräumt werden, verdanken sich vor allem sozioökonomischen Unterschieden und nicht radikal divergierenden Moralvorstellungen. Die Human Relations Area Files sind eine ethnografische Sammlung, die Tausende Dokumente aus allen kulturellen Regionen der Welt archiviert. Oliver Curry und seine Kollegen wählten aus dieser Sammlung auf der Basis strenger Kriterien 3460 Abschnitte aus 603 verschiedenen Quellen aus, die sechzig verschiedenen Gesellschaften – großen und kleinen, einfachen und komplexen, traditionellen und wirtschaftlich entwickelten – von allen Kontinenten und aus verschiedenen Jahrhunderten entstammten, und untersuchten diese auf moralische Inhalte. Sie instruierten Mitarbeiter, die nichts von der Studienhypothese wussten, die Auswahl unabhängig voneinanderzu treffen, und ließen diese dann von einer weiteren unabhängigen Person daraufhin kodieren, ob die ausgewählten Verhaltensmuster als gut oder schlecht beschrieben wurden. Die interkulturelle Übereinstimmung zu Werten wie Hilfsbereitschaft, Kooperation, Respekt, Fairness, Tapferkeit oder Besitz lag bei 99,9 Prozent.
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Ich wollte in diesem Thread ja gerade nicht über Subjektivismus, Relativismus oder Nihilismus sprechen, sondern im Gegenteil über Wahrheit in ihren verschiedenen Aspekten. (Ich bin mir immer noch nicht sicher, was die richtige Formulierung für mein Anliegen gewesen wäre.)
Aber da die Meinungen darüber, welche Bereiche - um es mal so zu formulieren - "der Wahrheit zugänglich sind", so weit auseinander gehen, fürchte ich, dass das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war 😢.
Aber da die Meinungen darüber, welche Bereiche - um es mal so zu formulieren - "der Wahrheit zugänglich sind", so weit auseinander gehen, fürchte ich, dass das von Anfang an zum Scheitern verurteilt war 😢.
Es lässt sich rigoros empirisch nachweisen, dass viele Menschen aus Spaß andere quälen und dies durch ihre persönlichen moralischen Regeln rechtfertigen. Somit ist die These, dass jeder Mensch die gleichen Regeln in sich habe, falsifiziert. Ich halte solche universale Thesen für ideologische Wunschträume. Wenn die wahr wären, gäbe es keine Kriege und nicht den geringsten Sadismus auf der Welt.
Der einzige moralische Wert, den ich vielleicht als universal auffassen könnte, wenn überhaupt, ist: Vertrauen. Vertrauensbruch könnte eventuell -- universal -- als unmoralisch gelten.
Fragen in Surveys anzukreuzen sind erst mal nur Kreuze, nicht notwendigerweise auch Wahrheiten. Menschen haben auch private Geheimnisse.
Der einzige moralische Wert, den ich vielleicht als universal auffassen könnte, wenn überhaupt, ist: Vertrauen. Vertrauensbruch könnte eventuell -- universal -- als unmoralisch gelten.
Fragen in Surveys anzukreuzen sind erst mal nur Kreuze, nicht notwendigerweise auch Wahrheiten. Menschen haben auch private Geheimnisse.
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Das ist eigentlich lustig. Denn ich habe diese Formulierung extra gewählt, um Diskussionen darüber zu vermeiden. Hätte ich nur zwei Wahrheitswerte ins Spiel gebracht, so meine Überlegung, dann wäre sicher jemand gekommen und hätte darauf hingewiesen, dass es auch Logiken mit mehreren Wahrheitswerten gibt :)Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 21. Feb 2024, 10:59...
- Aussagen-Wahrheit: Sätze können wahr, falsch, weder noch oder annähernd wahr oder falsch sein.
- ...
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Man kann den (vom Wahrscheinlichkeitsbegriff verschiedenen) Begriff der Wahrheitsähnlichkeit (Lat. verisimilitudo, Engl. truthlikeness) oder Wahrheitsnähe verwenden. Die Aussagen "Ein Fußball hat einen Durchmesser von 10cm" und "Ein Fußball hat einen Durchmesser von 1km" sind beide falsch, aber die erste ist viel wahrheitsähnlicher/wahrheitsnäher als die letzte.Lucian Wing hat geschrieben : ↑Mi 21. Feb 2024, 13:14Kannst du mal einen Beispielsatz machen, bei dem die Proposition "annähernd wahr oder falsch" wäre? Als Wahrheitswert gibt es doch nur wahr/falsch.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Wissen hängt von Wahrheit ab, aber Wahrheit nicht von Wissen: Wenn es nicht wahr ist, dass p, dann kann niemand wissen, dass p. Es kann aber wahr sein, dass p, ohne dass jemand weiß, dass p. Es kann kein unwahres Wissen geben, sondern nur ungewusste Wahrheiten.
(Man kann selbstverständlich kein Beispiel für letztere nennen. Der Satz "Ich weiß nicht, dass p" ist selbstwidersprüchlich—im Gegensatz zu "Ich weiß nicht, ob p".)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Wahrheiten und Falschheiten gibt es nur dann, wenn es Repräsentationen (oder Geistesvorgänge/-zustände oder Sprechakte mit repräsentationalem Inhalt) gibt, die wahr oder falsch sein können: Aussagesätze, Aussagen, Gedanken, Urteile, Annahmen, Behauptungen, Glaubungen, Meinungen, Überzeugungen. Folglich gibt es in einer Welt ohne zeichenverwendende geistbegabte Wesen weder Wahrheiten noch Falschheiten.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mi 21. Feb 2024, 10:59Welche Formen der Wahrheit gibt es? (Ich bin mir nicht sicher, ob "Formen" hier ein glücklicher Ausdruck ist, sei's drum.)
…
[*]Darüber hinaus gibt es einen sogenannten ontologischen Wahrheitsbegriff. Wenn es wahr ist, dass das Universum mit einem Urknall begonnen hat, dann war das wahr, lange bevor es Wesen gab, die etwas meinen oder sagen konnten.
…
Dass in seiner solchen Welt nichts wahr ist, bedeutet allerdings nicht, dass darin nichts der Fall ist. Denn Tatsachen als Sachverhalte können auch dann bestehen, wenn es keine wahren Aussagen gibt, die sie repräsentieren.
P.S.:
In einer Welt, worin alle sprechenden Lebewesen ausgestorben, aber materielle Texte wie Bücher erhalten geblieben sind, kann es wahre und falsche materielle Satzexemplare geben.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Eine Skulptur als skulpturale Repräsentation nennen wir wirklichkeitstreu (realistisch) oder wirklichkeitsfern (unrealistisch), aber nicht wahr oder falsch.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 24. Feb 2024, 11:13In welcher Hinsicht wären dann die Nazi Skulpturen von Arno Breker wahr?
Eine Skulptur mit einer rein abstrakten Form ist überhaupt keine Repräsentation (Abbildung oder Darstellung) von etwas anderem, sodass man sie weder wirklichkeitstreu noch wirklichkeitsfern nennen kann, da sie in keiner Weise wirklichkeitsbezogen ist. Man kann sie höchstens als nichtrealistisch bezeichnen, aber nicht als unrealistisch.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Dem stimme ich zu. Meine vorigen Kommentare bezogen sich aber auf einen anderen Aspekt: Die Bedeutung der Wahrheitsnähe ist nicht identisch mit jener der Wahrheit. Ich richte einen genauen Blick auf die Frage, was es denn heißt, von einer "Nähe" zu sprechen. Die sogenannte "Nähe" bei obigem Fußball-Beispiel enthält nämlich durchaus einen eindeutigen mathematischen Ja-Nein-Ausdruck: Des wahren Balldurchmessers Differenz zu 10 cm ist kleiner als jene zu 1 km. Auf dieser eindeutigen Ebene kann es nur eine binäre Ja/Nein-Antwort geben, und nichts dazwischen. Die sogenannte "Wahrheitsnähe" liegt also auf einer anderen Mess-Ebene als die Ja-Nein-Ebene der Wahrheit. Diese beiden Ebenen würde ich nicht synonym setzen wollen, denn das hat meiner Auffassung nach schwerwiegende Folgen nicht nur in der Logik, sondern auch in politischen Diskussionen und so weiter. Aus Halbwahrheiten werden dann vermeintliche Ganzwahrheiten, weil irgendeine "Nähe" nicht im Detail definiert wurde. Wird die Nähe jedoch klar definiert, so ist selbige Definition dann entweder wahr oder falsch.Consul hat geschrieben : ↑Mi 1. Mai 2024, 05:57Man kann den (vom Wahrscheinlichkeitsbegriff verschiedenen) Begriff der Wahrheitsähnlichkeit (Lat. verisimilitudo, Engl. truthlikeness) oder Wahrheitsnähe verwenden. Die Aussagen "Ein Fußball hat einen Durchmesser von 10cm" und "Ein Fußball hat einen Durchmesser von 1km" sind beide falsch, aber die erste ist viel wahrheitsähnlicher/wahrheitsnäher als die letzte.Lucian Wing hat geschrieben : ↑Mi 21. Feb 2024, 13:14Kannst du mal einen Beispielsatz machen, bei dem die Proposition "annähernd wahr oder falsch" wäre? Als Wahrheitswert gibt es doch nur wahr/falsch.