Metaphysik und Ontologie

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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Mo 18. Dez 2023, 18:27

Manchmal wird gesagt, die Begriffe Metaphysik und Ontologie seien fast synonym. Das mag sein, aber ich glaube, dass die folgende Unterscheidung, die ich hier in ein oder zwei Sätzen skizzieren möchte, durchaus üblich ist.

In der Metaphysik geht es immer ums Ganze. Wenn man sich fragt, was die Welt im Innersten zusammenhält, dann betreibt man Metaphysik, und zwar völlig unabhängig davon, was man glaubt, was die Welt im Innersten zusammenhält. Wer also Materialist ist und glaubt, dass die Materie die Welt im Innersten zusammenhält, ist in diesem Sinne ein Metaphysiker.

Ich glaube, das ist eine sehr verbreitete Vorstellung von Metaphysik, ich habe ein sehr dickes Lehrbuch über Metaphysik, in dem diese Vorstellung vorausgesetzt wird. Das ist auch das Verständnis von Metaphysik z.B. von Markus Gabriel, wenn auch natürlich sehr knapp zusammengefasst.

Die Ontologie, die Lehre vom Sein, untersucht hingegen die Frage, was es überhaupt bedeutet, zu existieren. Oder anders ausgedrückt, was der Begriff "Existieren" bedeutet. Ontologie fragt gewissermaßen nach dem Wesen und der Bedeutung des Existenzbegriffs. Daraus ergibt sich natürlich auch die Frage, was es überhaupt gibt. Während die Metaphysik in der Regel den Zug zum Ganzen hat, ist dies bei der Ontologie keineswegs ausgemacht.

In diesem Thread, wie in allen meinen Threads, die sich um Philosophie drehen, bitte keine Wikipedia-Zitate posten.




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AufDerSonne
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Mo 18. Dez 2023, 19:30

Mir ist der Unterschied zwischen Metaphysik und Ontologie, wie du ihn beschreibst, noch nicht ganz klar.
Die Frage, was es überhaupt gibt, hängt doch mit der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, zusammen. Also das, was die Welt im Innersten zusammenhält, muss doch auch existieren.

Ich glaube zum Beispiel nicht, dass die Materie die Welt im Innersten zusammenhält. Aber ich glaube, dass die Materie existiert. Und ich glaube, dass Gott nicht existiert. Ich glaube viel schneller daran, dass der Tisch in meinem Zimmer existiert, als dass etwas wie Gerechtigkeit existiert. Ich habe bei materiellen Gegenständen ein grösseres Vertrauen in deren Existenz als bei Begriffen wie Gerechtigkeit oder Wahrheit usw.



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Jörn Budesheim
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Di 19. Dez 2023, 09:03

AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 18. Dez 2023, 19:30
Mir ist der Unterschied zwischen Metaphysik und Ontologie, wie du ihn beschreibst, noch nicht ganz klar.
Die Frage, was es überhaupt gibt, hängt doch mit der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, zusammen.
Und zwei Fragen, die womöglich zusammenhängen, können nicht verschieden sein?




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AufDerSonne
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Di 19. Dez 2023, 10:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 19. Dez 2023, 09:03
AufDerSonne hat geschrieben :
Mo 18. Dez 2023, 19:30
Mir ist der Unterschied zwischen Metaphysik und Ontologie, wie du ihn beschreibst, noch nicht ganz klar.
Die Frage, was es überhaupt gibt, hängt doch mit der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält, zusammen.
Und zwei Fragen, die womöglich zusammenhängen, können nicht verschieden sein?
Doch schon.
Zum Existenzbegriff hätte ich noch eine Frage. Müsste man nicht unterscheiden zwischen leblosen und lebendigen Dingen?
Es ist doch ein ganz anderes Problem, was es für den Menschen bedeutet zu existieren, als etwa für den Mond oder einen Stein.

Könnte man auch sagen, die Ontologie stellt die Frage, was ist etwas, während die Metaphysik mehr danach fragt, woraus besteht etwas?



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Jörn Budesheim
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Die Frage ist, was der Begriff "Existieren" bedeutet.




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BluePillTrap
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So 31. Dez 2023, 22:07

Ich möchte euch nicht bei euren Interpretationen und Gesprächen stören, jedoch möchte ich euch beide darauf hinweisen dass die Interpretation der Rechtfertigung in euren Erklärungen lediglich die äußere moralische Hülle einer Vorstellung ist, der Mensch rechtfertigt nämlich fast immer alles assoziiert durch das moralische Empfinden zu einer Vorstellung der Erklärung, wenn er versucht eine philosophisch klassifizierte Imagination, die zum Instrument des falschen und richtigen Denkens werden kann, zu beantworten.




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Jörn Budesheim
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Mo 1. Jan 2024, 09:26

BluePillTrap hat geschrieben :
So 31. Dez 2023, 22:07
Ich möchte euch nicht bei euren Interpretationen und Gesprächen stören, jedoch möchte ich euch beide darauf hinweisen dass die Interpretation der Rechtfertigung in euren Erklärungen lediglich die äußere moralische Hülle einer Vorstellung ist, der Mensch rechtfertigt nämlich fast immer alles assoziiert durch das moralische Empfinden zu einer Vorstellung der Erklärung, wenn er versucht eine philosophisch klassifizierte Imagination, die zum Instrument des falschen und richtigen Denkens werden kann, zu beantworten.
Praktischerweise bietet sogenannte KI seit kurzem die Möglichkeit, philosophische Texte mittels künstlicher Intelligenz in einfaches Deutsch zu übersetzen, welche der drei Versionen, die das KI-Programm anbietet, ist die Beste?
  • Menschen neigen dazu, ihre Gedanken und Ideen durch ein moralisches Konzept zu bewerten. Wenn sie versuchen, eine philosophische Idee zu erklären, greifen sie oft auf ihre moralischen Gefühle zurück. Dies kann dazu führen, dass sie Dinge als richtig oder falsch betrachten.
  • Oft messen Menschen ihre Ideen an moralischen Maßstäben, wenn sie versuchen, sie zu erklären. Das bedeutet, dass sie ihre Ideen danach beurteilen, was sie für moralisch akzeptabel halten. Dies geschieht vor allem, wenn sie versuchen, komplexe philosophische Ideen zu verstehen.
  • Wenn Menschen versuchen, komplexe Ideen zu erklären, neigen sie dazu, ihre moralischen Überlegungen als Grundlage zu nehmen. Das bedeutet, dass sie sich oft darauf konzentrieren, ob etwas moralisch richtig oder falsch ist, anstatt andere Aspekte der Idee zu untersuchen.




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Consul
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 18. Dez 2023, 18:27
Die Ontologie, die Lehre vom Sein, untersucht hingegen die Frage, was es überhaupt bedeutet, zu existieren. Oder anders ausgedrückt, was der Begriff "Existieren" bedeutet. Ontologie fragt gewissermaßen nach dem Wesen und der Bedeutung des Existenzbegriffs.
Nicht nur, denn die Ontologie als Kategorienlehre, d.h. als formale Ontologie im Sinne Husserls und als analytische Ontologie im Sinne von Donald Williams, fragt auch nach den allgemeinsten oder obersten Arten des Seienden sowie deren Beziehungen. Es geht darin also um Kategorien und Kategoriensysteme, sodass man auch von kategorialer Ontologie (Kategoriologie) sprechen kann.

Den zweiten Hauptteil der Metaphysik nennt Husserl materiale Ontologie und Williams spekulative Kosmologie. Diese befasst sich mit den besonderen Seins- oder Weltregionen (Husserl spricht auch von regionaler Ontologie) und umfasst die spekulative Physik, die spekulative Chemie, die spekulative Biologie, die spekulative Psychologie und auch die spekulative Theologie—wobei es gar keine nichtspekulative Theologie gibt, während sich die anderen Disziplinen zu empirischen Wissenschaften entwickelt haben (in denen allerdings immer noch genügend Raum für theoretische Spekulation bleibt).



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Consul
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AufDerSonne hat geschrieben :
Di 19. Dez 2023, 10:22
Zum Existenzbegriff hätte ich noch eine Frage. Müsste man nicht unterscheiden zwischen leblosen und lebendigen Dingen?
Es ist doch ein ganz anderes Problem, was es für den Menschen bedeutet zu existieren, als etwa für den Mond oder einen Stein.
Es gibt unterschiedliche Arten von Existentem, aber keine unterschiedlichen Arten des Existierens. Das heißt, Menschen und Steine sind unterschiedliche Arten von Entitäten, deren Unterschiede in unterschiedlichem Sosein und nicht in unterschiedlichem Dasein bestehen. Menschen und Steine existieren im selben Sinn von "existieren".



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Consul
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Mi 1. Mai 2024, 05:47

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 19. Dez 2023, 10:32
Die Frage ist, was der Begriff "Existieren" bedeutet.
Zu sagen, dass etwas existiert, bedeutet, dass es nicht nur etwas Ausgedachtes oder Eingebildetes ist.
"Der Beweis, dass etwas ist, hat keinen andern Sinn, als dass etwas nicht nur Gedachtes ist. Dieser Beweis kann aber nicht aus dem Denken selbst geschöpft werden. Wenn zu einem Objekt des Denkens das Prädikat des Seins hinzukommen soll, so muss zum Denken selbst etwas vom Denken Unterschiednes hinzukommen.

Sein ist etwas, wobei nicht ich allein, sondern auch die andern, vor allem auch der Gegenstand selbst beteiligt ist. Sein heißt Subjekt sein, heißt für sich sein. Und das ist wahrlich nicht einerlei, ob ich Subjekt oder nur Objekt bin, ein Wesen für mich selbst oder nur ein Wesen für ein andres Wesen, d.h. nur ein Gedanke."

(Feuerbach, Ludwig. "Grundsätze der Philosophie der Zukunft." 1843. In Entwürfe zu einer Neuen Philosophie, Hrsg. Walter Jaeschke u. Werner Schuffenhauer, 25-99. Hamburg: Meiner, 1996. S. 63)
Fußnote:
Feuerbach gebraucht den Subjektbegriff im alten ontologischen Sinn und nicht im psychologischen Sinn, sodass hier Fürsichsein ≠ Bewusstsein. Auch ein empfindungsloser Stein ist ein Subjekt, insofern er nicht nur ein gedachter oder vorgestellter Stein und somit mehr ist als ein bloßes Objekt des Denkens oder Vorstellens.



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Jörn Budesheim
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Consul hat geschrieben :
Mi 1. Mai 2024, 05:47
Zu sagen, dass etwas existiert, bedeutet, dass es nicht nur etwas Ausgedachtes oder Eingebildetes ist.
Das ist ja nur eine negativer Hinweis: existieren ist nicht das und das, was existieren heißt ist damit der wohl gar nicht gesagt, oder?

Wenn man das Zitat nicht als Definition nimmt, ist es ebenfalls falsch oder sagen wir zumindest nicht erschöpfend. Es mag zwar Kontexte geben, in denen existieren so verwendet wird, aber es gibt natürlich auch ganz andere Kontexte, in denen es ganz anders verwendet wird, hier nur ein Beispiel: Atome existieren wirklich, sie sind nicht nur theoretische Entitäten.




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Consul
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Mi 1. Mai 2024, 23:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 1. Mai 2024, 07:25
Consul hat geschrieben :
Mi 1. Mai 2024, 05:47
Zu sagen, dass etwas existiert, bedeutet, dass es nicht nur etwas Ausgedachtes oder Eingebildetes ist.
Das ist ja nur eine negativer Hinweis: existieren ist nicht das und das, was existieren heißt ist damit der wohl gar nicht gesagt, oder?
"Sein heißt Subjekt sein, heißt für sich sein." (Feuerbach) – Das ist eine positive Bestimmung.

"x existiert" =def "x ist ein Subjekt des Seins und nicht notwendigerweise ein Objekt des Denkens/Vorstellens"
"Xe existieren" =def "Xe sind Subjekte des Seins und nicht notwendigerweise Objekte des Denkens/Vorstellens"

"x existiert nicht" =def "x ist kein Subjekt des Seins und notwendigerweise (nichts weiter als) ein Objekt des Denkens/Vorstellens"
"Xe existieren nicht" =def "Xe sind keine Subjekte des Seins und notwendigerweise (nichts weiter als) Objekte des Denkens/Vorstellens"

"x existiert" =def "x ist kein nichtiges Hirngespinst/keine leere Einbildung/kein wesenloser Schatten von Bildern oder Worten"
"Xe existieren" =def "Xe sind kein nichtigen Hirngespinste/keine leere Einbildungen/keine wesenlosen Schatten von Bildern oder Worten"

Oder auch einfach:

"x existiert" =def "x ist da im Sein/im Sein vorhanden/Teil des Seins"
"Xe existieren" =def "Xe sind da im Sein/im Sein vorhanden/Teil des Seins"
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 1. Mai 2024, 07:25
Wenn man das Zitat nicht als Definition nimmt, ist es ebenfalls falsch oder sagen wir zumindest nicht erschöpfend. Es mag zwar Kontexte geben, in denen existieren so verwendet wird, aber es gibt natürlich auch ganz andere Kontexte, in denen es ganz anders verwendet wird, hier nur ein Beispiel: Atome existieren wirklich, sie sind nicht nur theoretische Entitäten.
Das Adjektiv "wirklich" dient zur Betonung, dass man ein ontologisch ernsthaftes Existenzialurteil fällt und sich damit ontologisch festlegt. Auch als Nichtplatonist kann ich in einem mathematischen Gespräch sagen, dass es eine natürliche Zahl zwischen 3 und 5 gibt; aber damit sage ich nicht, dass ich im Rahmen ernsthafter Ontologie glaube, dass es wirklich natürliche Zahlen gibt.

David Chalmers unterscheidet zwischen gewöhnlichen Existenzbehauptungen (ordinary existence assertions) in einem bestimmten Themengebiet wie der Mathematik, die nicht mit ernst gemeinten ontologischen Festlegungen einhergehen, und ontologischen Existenzbehauptungen (ontological existence assertions), die mit ernst gemeinten ontologischen Festlegungen einhergehen.
Wenn ich in einem Gespräch über Comics sage, dass es fiktive Superhelden ohne übernatürliche Kräfte gibt, dann ist das eine gewöhnliche Existenzaussage, die falsch wird, wenn sie als ernsthafte ontologische Existenzaussage aufgefasst wird. Denn in Wirklichkeit gibt es überhaupt keine fiktiven Personen.

Was ist eine "theoretische Entität"?
Für mich sind "Entität sein" und "existieren" Synonyme, sodass die Phrase "nichtexistente Entität" ein Widerspruch in sich ist.
Sogenannte theoretische Entitäten sind entweder unbeobachtbare Entitäten oder instrumentelle Fiktionen, und als Letzteres sind sie Nonentitäten.



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Jörn Budesheim
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Do 2. Mai 2024, 07:39

Consul hat geschrieben :
Mi 1. Mai 2024, 23:08
Was ist eine "theoretische Entität"?
"Theoretische Entitäten" sind solche, die angeblich nur in der Theorie existieren, zum Beispiel subatomare Partikel. Sie sollen nur Teil der Theorie sein, um sich bestimmte Regelmäßigkeiten zu erklären, aber nicht "wirklich" in der physikalischen Raumzeit vorkommen.




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Jörn Budesheim
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Do 2. Mai 2024, 07:49

Consul hat geschrieben :
Mi 1. Mai 2024, 23:08
Denn in Wirklichkeit gibt es überhaupt keine fiktiven Personen.
Damit (und in anderen Behauptungen) wird die Wirklichkeit ohne jede Begründung auf einen bestimmten Bereich eingeschränkt. Das heißt, genau das, was strittig ist, wird einfach vorausgesetzt.




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Quk
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Do 2. Mai 2024, 08:17

Ähnlich wie Jörn scheint auch mir so eine materialistische Einschränkung nicht plausibel. Ich veranschauliche meine These so:

Die Wirklichkeit hat verschiedene Bühnen. Die Wirklichkeit im Nachttraum etwa hat ihre eigene Bühne. Die Wirklichkeit im Wachsein hat wiederum ihre spezielle Bühne. Aber auf beiden Bühnen passiert Wirkliches.

Beispiel:
Der Polizist Meier existiert auf beiden Bühnen. Auf der Bühne des Nachttraums werfe ich ihm eine Torte ins Gesicht. Auf der Bühne des Wachseins begrüße ich ihn. Auf der Bühne des Nachttraums werde ich bestraft, auf der Bühne des Wachseins ist die Straftat nicht passiert. Aber beide Szenen sind in ihren jeweiligen Wirklichkeiten existent. Sie fanden zweifellos statt. Gesellschaftlich relevant ist nur die jeweilige Bezugsbühne. Anstatt zu sagen, nur das System X könne existieren, sage ich, beide sind existent; lediglich ihre Bezüge sind zu beachten. Dadurch kann ich etwa der Kunst ihre eigene Wirklichkeit zugestehen, anstatt sie zu verleugnen. Auch die Empfindungen im Traum sind zweifellos echt. Empfindungen sind nie illusorisch. Nur Interpretationen können illusorisch sein. Also auch auf der Traumbühne sind die Sachen durchaus wirklich und es können dort beispielsweise auch Straftaten vorkommen, aber sie werden dann auch nur auf dieser Bühne verfolgt und nicht auf allen Bühnen. Umgekehrt kann ein in der Wachwelt Inhaftierter träumen, er sei nicht inhaftiert. Auf der Bühne des Traums ist er dann tatsächlich frei. Denn die Gedanken sind frei, nicht gefangen. Und wirklich sind sie auch. Im Traum.




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Jörn Budesheim
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Do 2. Mai 2024, 08:22

Ich denke, soweit ich dich verstanden habe, stimme ich dem zu. Gegenstände existieren immer auf gewissen Bühnen oder - wie ich sagen würde - in gewissen Bereichen, Gabriel spricht von Sinnfeldern, das meint etwas Ähnliches.




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Jörn Budesheim
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Do 2. Mai 2024, 08:54

Consul hat geschrieben :
Mi 1. Mai 2024, 05:24
Menschen und Steine existieren im selben Sinn von "existieren".
Das akzeptiere ich. Existieren heißt, so wie sich Quk ausdrückt bzw. ich ihn verstehe, auf einer Bühne vorkommen. Und Bühnen gibt es viele. Nach meiner Sicht unendlich viele. Bundeskanzler, Steine und Zahlen existieren im selben Sinn von "existieren", aber auf unterschiedlichen Bühnen.

Hans Meier, der Polizist aus dem Beispiel von Quk, ist aus meiner Sicht nicht auf einer Bühne "gefangen". (Das zur Sicherheit.) Als Polizist agiert er auf einer anderen Bühne als in seiner Rolle als Großvater. Er kann also die Bühne "wechseln" oder auf verschiedenen Bühnen gleichzeitig agieren. Wenn das Stück "Biologie" heißt, kommen andere Eigenschaften von Meier zum Vorschein, als wenn er in seiner Rolle als Opa zu sehen ist. All diese Bühnen sind für mich ganz real.




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Consul
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Do 2. Mai 2024, 19:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 2. Mai 2024, 07:49
Consul hat geschrieben :
Mi 1. Mai 2024, 23:08
Denn in Wirklichkeit gibt es überhaupt keine fiktiven Personen.
Damit (und in anderen Behauptungen) wird die Wirklichkeit ohne jede Begründung auf einen bestimmten Bereich eingeschränkt. Das heißt, genau das, was strittig ist, wird einfach vorausgesetzt.
Das Fiktive ist in der Tat von der Realität ausgeschlossen, weil "Fiktivität" und "Irrealität" Synonyme sind. Eine "fiktive Realität" ist genauso wenig eine Art von Wirklichkeit, wie ein falscher Freund eine Art von Freund und Falschgeld eine Art von Geld ist.



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Quk
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Do 2. Mai 2024, 21:02

Aber die Fiktion an sich ist real.

Ich denke, es kommt auf den Satzbau an, innerhalb dessen die Wörter "Fiktion" und "real" positioniert sind.

"Die Fiktion an sich ist real" ist ein anderer Ausdruck als "das Reale an sich ist fiktiv".




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Consul
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 2. Mai 2024, 07:39
"Theoretische Entitäten" sind solche, die angeblich nur in der Theorie existieren, zum Beispiel subatomare Partikel. Sie sollen nur Teil der Theorie sein, um sich bestimmte Regelmäßigkeiten zu erklären, aber nicht "wirklich" in der physikalischen Raumzeit vorkommen.
Was "nur in der Theorie existiert", existiert nicht. Demnach sind theoretische "Entitäten" Nonentitäten.
(Gleichermaßen bedeutet "x existiert nur in der Phantasie" "x existiert nicht". Was in der Vorstellung von etwas Nichtexistentem existiert, sind nur die Vorstellungen davon und nicht das Vorgestellte.)



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