Metaphysik und Ontologie

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Consul
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Do 2. Mai 2024, 22:22

Consul hat geschrieben :
Do 2. Mai 2024, 22:20
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 2. Mai 2024, 07:39
"Theoretische Entitäten" sind solche, die angeblich nur in der Theorie existieren, zum Beispiel subatomare Partikel. Sie sollen nur Teil der Theorie sein, um sich bestimmte Regelmäßigkeiten zu erklären, aber nicht "wirklich" in der physikalischen Raumzeit vorkommen.
Was "nur in der Theorie existiert", existiert nicht. Demnach sind theoretische "Entitäten" Nonentitäten.
(Gleichermaßen bedeutet "x existiert nur in der Phantasie" "x existiert nicht". Was in der Vorstellung von etwas Nichtexistentem existiert, sind nur die Vorstellungsbilder davon und nicht das Vorgestellte.)



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Jörn Budesheim
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Sa 4. Mai 2024, 10:25

Zu sagen, dass etwas existiert und zugleich zu behaupten, es würde nicht existieren ist ein offensichtlicher Widerspruch. Das kannst du gerne glauben, das steht dir natürlich offen, aber ich werde darüber nicht weiter diskutieren.




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Consul
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Sa 4. Mai 2024, 11:55

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 10:25
Zu sagen, dass etwas existiert und zugleich zu behaupten, es würde nicht existieren ist ein offensichtlicher Widerspruch. Das kannst du gerne glauben, das steht dir natürlich offen, aber ich werde darüber nicht weiter diskutieren.
Du hast mich missverstanden! Ich habe geschrieben:

"(Gleichermaßen bedeutet "x existiert nur in der Phantasie" "x existiert nicht". Was in der Vorstellung von etwas Nichtexistentem existiert, sind nur die Vorstellungsbilder davon und nicht das Vorgestellte.)"

Soll heißen: Wenn man z.B. sagt, Harry Potter existiere nur in der Phantasie, dann bedeutet das, dass darin nur Vorstellungen von Harry Potter existieren, und Harry Potter selbst gar nicht existiert—weder im Geist/Gehirn von Personen noch sonst irgendwo. Da ist kein Widerspruch!
Zuletzt geändert von Consul am Sa 4. Mai 2024, 12:00, insgesamt 1-mal geändert.



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Consul
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Sa 4. Mai 2024, 11:58

Quk hat geschrieben :
Do 2. Mai 2024, 21:02
Aber die Fiktion an sich ist real.
Repräsentationen von Fiktivem sind real (wie die Harry-Potter-Bücher), aber nichts Fiktives ist selbst real.



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Jörn Budesheim
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Sa 4. Mai 2024, 12:12

Wer sagt, dass Harry Potter in der Vorstellung existiert, kann gleichzeitig sagen, dass Harry Potter nicht existiert, das ist ein direkter Widerspruch.

Du schaffst dir das Problem nur, weil du - ohne jede Begründung - nur einen Bereich, oder wie Quk sagt, nur eine Bühne akzeptierst. Aber das ist nicht mein Problem, das ist dein Problem.

Außerdem: Wie ist es möglich, dass etwas, über das man wahre Aussagen machen kann, nicht existiert? Das ist ausgeschlossen. Und über Harry Potter sind sicher einige Dinge wahr, da ich das Buch nicht kenne, kann ich dir nicht sagen, welche.




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Quk
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Sa 4. Mai 2024, 12:22

Consul hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 11:58
Quk hat geschrieben :
Do 2. Mai 2024, 21:02
Aber die Fiktion an sich ist real.
Repräsentationen von Fiktivem sind real (wie die Harry-Potter-Bücher), aber nichts Fiktives ist selbst real.
Das sehe ich auch so; schließlich sind die Begriffe "fiktiv" und "real" nicht gleichbedeutend. In diesem Sinn habe ich das zitierte nicht so gemeint. Das Relevante in dieser Diskussion ist für mich die geistige Qualität, die zweifellos real ist. Das geistige Bild von zwei schwarzen Scheiben, die aussehen wie Potters Brille, sind zweifellos zwei schwarze Scheiben. Da stellt sich mir nicht die Frage, ob dieses Bild fiktiv sei (oder illusorisch). Fiktion oder Illusion brauchen ja einen Bezug auf etwas außerhalb dieser Fiktion oder Illusion. Es ist eine Frage der Korrespondenz. Jedoch braucht das geistige Bild per se für seine Existenz keine Korrespondenz zu etwas außerhalb des Geistes. Sprich: Es muss keine Repräsentation von irgendetwas sein. Nehmen wir beispielsweise das Quale "gelb"; es ist keine Repräsentation von etwas anderem. Es ist nur gelb und sonst nichts. Das Gelb ist real, wenn es ist.




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Jörn Budesheim
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Sa 4. Mai 2024, 12:26

Quk hat geschrieben :
Do 2. Mai 2024, 21:02
Aber die Fiktion an sich ist real.
Hier bin ich mir nicht ganz sicher, was du meinst. Was wäre ein Beispiel für Fiktion? Hänsel und Gretel?

Die Fiktion existiert - ich glaube, das ist unzweifelhaft. Aber dann gibt es auch Hänsel und Gretel. Denn das kann man nicht trennen. Die Fiktion besteht aus den Figuren und der Geschichte, die entwickelt wird. Deshalb kann es nicht nur die Fiktion geben, aber nicht die Figuren.

Das wäre so, als würde man sagen, die natürlichen Zahlen existieren, aber die 7 nicht, oder: das Wohnzimmer existiert, aber die Couch nicht.

Was ich damit sagen will: Wenn die Fiktion an sich real ist, wie du sagst, dann müssen auch die Figuren, aus denen sie besteht, real sein.




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Quk
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Sa 4. Mai 2024, 12:42

Ich habe das zitierte leider aus einem gedachten Kontext gerissen. Statt "Fiktion" hätte ich schreiben müssen "Geistesinhalte" oder "Qualia". Denn eine Fiktion braucht, um Fiktion sein zu können, einen Vergleich mit etwas nicht-fiktivem. Greta Garbo auf der Bühne eines Wachsfigurenkabinetts im Vergleich mit der Greta Garbo auf der Menschenbühne. Der Mensch kann seine korrespondierende Wachsfigur nachahmen (mittels Schminke und Starrheit), dann ist er die Illusion einer Wachsfigur. Umgekehrt kann die Wachsfigur einen korrespondierenden Menschen nachahmen. Es ist also egal, welche der beiden Bühne man "real" nennt. Beide sind auch dann real, wenn man keine Korrespondenz setzt. Das Gelb im Geist ist gelb, egal ob es mit etwas anderem korrespondiert oder nicht. Das Gelb benötigt für seine Existenz keine Korrespondenz. Das Gelb ist sich selbst. Es ist.




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Consul
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So 5. Mai 2024, 01:25

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 12:12
Wer sagt, dass Harry Potter in der Vorstellung existiert, kann gleichzeitig sagen, dass Harry Potter nicht existiert, das ist ein direkter Widerspruch.
Wer wörtlich an die vorstellungsimmanente Existenz von Harry Potter glaubt, kann natürlich nicht widerspruchsfrei anfügen, dass Harry Potter nicht existiert. – Aber für mich ist "Harry Potter existiert nur in der Vorstellung" eine verquere, nicht wörtlich zu nehmende Ausdrucksweise; denn fiktive Personen wie Harry Potter existieren gar nicht—weder vorstellungsimmanent noch vorstellungstranszendent.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 12:12
Du schaffst dir das Problem nur, weil du - ohne jede Begründung - nur einen Bereich, oder wie Quk sagt, nur eine Bühne akzeptierst. Aber das ist nicht mein Problem, das ist dein Problem.
Wenn du die Bedeutung von "fiktiv" ("fiktional") nicht verstehst und "fiktive Realitäten" für eine Art von Realität hältst, dann ist das nicht mein Problem.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 4. Mai 2024, 12:12
Außerdem: Wie ist es möglich, dass etwas, über das man wahre Aussagen machen kann, nicht existiert? Das ist ausgeschlossen. Und über Harry Potter sind sicher einige Dinge wahr, da ich das Buch nicht kenne, kann ich dir nicht sagen, welche.
Wahre negative Existenzaussagen wie "Harry Potter existiert nicht" setzen natürlich nicht die Existenz von Harry Potter voraus. Andere wahre Aussagen über ihn wie "Harry Potter ist Engländer" lassen sich paraphrasieren, wodurch ihre echten Wahrmacher zum Vorschein kommen, z.B.: "Laut den von Joanne Rowling verfassten Geschichten ist Harry Potter ein Engländer." / "In den Texten über Harry Potter ist er als Engländer dargestellt."

Man kann allerdings alternativ argumentieren, dass Sätze wie "Harry Potter ist Engländer" falsch sind, eben weil er nicht existiert, und dass nur die beiden anderen Beispielsätze wahr sind.



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So 5. Mai 2024, 02:32

"…Die Ansicht, das Wort 'Zerberus' müsse etwas bezeichnen, ist also verfehlt, wie wir gesehen haben; in einer stümperhaften Anstrengung, einen bezeichneten Gegenstand herbeizuschaffen, ist trotzdem daraus die Idee entstanden, Zerberus sei ein Ding in der Vorstellung. Oft begegnet man anderen Ausflüchten mit dem gleichen Zweck. Da ist z.B. die relativierende Doktrin, nach der Zerberus in der Welt der griechischen Mythologie existiert, aber nicht in der Welt der modernen Wissenschaft. Damit sagt man auf verdrehte Weise nur, dass die Griechen geglaubt haben, Zerberus existiere, und dass sie (wenn wir der modernen Naturwissenschaft so weit trauen wollen) Unrecht hatten. Mythen, die behaupten, Zerberus existiere, sind ästhetisch wertvoll und anthropologisch bedeutsam; darüber hinaus haben sie eine innere Struktur, auf die wir unsere genauen logischen Techniken anwenden können. Aber es kommt vor, dass Mythen dem Buchstaben nach falsch sind, und man verdunkelt die Sache nur, wenn man sie anders ausdrückt. Es gibt nur eine Welt, und so etwas wie Zerberus gibt es nicht, gab es nicht, und wird es darin nicht geben."

(Quine, W. V. O. Grundzüge der Logik. 7. Aufl. Übers. v. Dirk Siefkes. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1990. S. 259)



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So 5. Mai 2024, 02:58

"There is really only one world, and there is not, never was, and never will be any such thing as Cerberus."

(Quine, W. V. Methods of Logic. 4th ed. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1982. p. 266)

"A curious thing about the ontological problem is its simplicity. It can be put in three Anglo-Saxon monosyllables: "What is there?" It can be answered, moreover, in a word—"Everything"—and everyone will accept this answer as true. However, this is merely to say that there is what there is. There remains room for disagreement over cases; and so the issue has stayed alive down the centuries."

(Quine, Willard V. "On What There Is." The Review of Metaphysics 2/5 (1948): 21–38. p. 21)
Quine widerspricht sich hier, denn einerseits sagt er, dass die richtige Antwort auf die Frage, was es gebe, "alles" sei; und andererseits sagt er, dass es Zerberus nicht gebe, woraus folgt, dass es nicht alles gibt. Natürlich, wenn "alles" als "alles, was es gibt" gelesen wird, dann erhalten wir die Binsenwahrheit "Es gibt alles, was es gibt"—wobei Meinong einwenden würde:
"Wer paradoxe Ausdrucksweise liebt, könnte also ganz wohl sagen: es gibt Gegenstände, von denen gilt, dass es dergleichen Gegenstände nicht gibt."

(Meinong, Alexius. Über Gegenstandstheorie. In Untersuchungen zur Gegenstandstheorie und Psychologie, hrsg. v. Alexius Meinong, 1-50. Leipzig: Barth, 1904. S. 9)
Streng genommen sollte man nie sagen, "Es gibt Gegenstände, die nicht existieren", sondern nur "Einige Gegenstände existieren nicht". Und wenn einige Gegenstände nicht existieren, dann existieren nicht alle Gegenstände.



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Consul
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So 5. Mai 2024, 03:35

"Fiktion: 1. etwas, was nur in der Vorstellung existiert; etwas Vorgestelltes, Erdachtes."

—DUDEN: Das Fremdwörterbuch (11. Aufl.)
Hier wird irreführenderweise der bedeutsame Unterschied zwischen dem innergeistigen Inhalt und dem außergeistigen Gegenstand der Vorstellung verwischt, den Kasimir Twardowski (1866-1938) schon vor 130 Jahren in aller Klarheit beschrieben hat: In der Vorstellung existieren als deren Inhalt nur geistige Bilder, durch die der seiende oder nichtseiende Vorstellungsgegenstand vergegenwärtigt (repräsentiert) wird.

Harry Potter existiert als Fiktion (fiktive Person) weder innerhalb noch außerhalb unserer Vorstellung. Er ist ein nichtexistenter Vorstellungsgegenstand, der durch existente Vorstellungsinhalte (geistige Bilder) vergegenwärtigt wird. Und keiner dieser Vorstellungsinhalte heißt "Harry Potter", denn keiner davon ist Harry Potter.
"Indem wir den Vorstellungsakt mit dem Malen, den Inhalt mit dem Bild und den Gegenstand mit dem auf der Leinwand fixierten Sujet, etwa einer Landschaft, verglichen haben, ist auch das Verhältnis, in welchem der Akt zum Inhalt und Gegenstand der Vorstellung steht, annähernd zum Ausdrucke gelangt. Für den Maler ist das Bild ein Mittel, die Landschaft darzustellen, er will eine – wirkliche oder ihm in der Phantasie vorschwebende – Landschaft abbilden, 'malen', und er tut dies, indem er ein Bild malt. Er malt eine Landschaft, indem er ein Bild dieser Landschaft anfertigt, malt. Die Landschaft ist das 'primäre' Objekt seiner malenden Tätigkeit, das Bild das 'sekundäre' Objekt. Analog ist es beim Vorstellen. Der Vorstellende stellt irgendeinen Gegenstand, z. B. ein Pferd vor. Indem er dies tut, stellt er aber einen psychischen Inhalt vor. Der Inhalt ist in ähnlichem Sinne das Abbild des Pferdes, in welchem das Bild das Abbild der Landschaft ist. Indem der Vorstellende einen Gegenstand vorstellt, stellt er zugleich einen sich auf diesen Gegenstand beziehenden Inhalt vor. Der vorgestellte Gegenstand, d. h. der Gegenstand, auf den sich die vorstellende Tätigkeit, der Vorstellungsakt richtet, ist das primäre Objekt des Vorstellens; der Inhalt, durch welchen der Gegenstand vorgestellt wird, das sekundäre Objekt der vorstellenden Tätigkeit.

Um also die doppelte Bedeutung zu unterscheiden, welche dem Worte 'Vorstellen' bald in seiner Anwendung auf den Inhalt, bald in seiner Anwendung auf den Gegenstand zukommt, wollen wir uns der Ausdruckweise bedienen, welche wir bei Zimmermann finden. Vom Inhalt werden wir sagen, dass er in der Vorstellung gedacht, vorgestellt werde; vom Gegenstand werden wir sagen, dass er durch den Vorstellungsinhalt (oder die Vorstellung) vorgestellt werde. Was in einer Vorstellung vorgestellt wird, ist ihr Inhalt; was durch eine Vorstellung vorgestellt wird, ist ihr Gegenstand. Auf diese Weise wird es möglich sein, das Wort 'Vorstellen' beizubehalten – seine Ersetzung durch ein anderes würde die Verwirrung nur vermehren – und doch die Missverständnisse, welche dieses Wort infolge seiner Doppeldeutigkeit hervorzurufen geeignet scheint, zu vermeiden. Man braucht nur, wenn man davon spricht, dass etwas vorgestellt werde, beizufügen, ob es in der Vorstellung oder durch die Vorstellung vorgestellt werde. Im ersten Falle ist mit dem Vorgestellten der Vorstellungsinhalt, im zweiten der Vorstellungsgegenstand gemeint. Wir sagten, der Inhalt sei gleichsam das Mittel, durch welches der Gegenstand vorgestellt werde."

(Twardowski, Kasimir. Zur Lehre vom Inhalt und Gegenstand der Vorstellungen: Eine psychologische Untersuchung. Wien: Hölder, 1894. S. 17-8)



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Jörn Budesheim
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So 5. Mai 2024, 07:49

"Es gibt wirklich nur eine Welt, und so etwas wie Cerberus gibt es nicht, gab es nie und wird es nie geben."

(Quine, W. V. Methoden der Logik. 4th ed. Cambridge, MA: Harvard University Press, 1982. S. 266)

"Das Merkwürdige am ontologischen Problem ist seine Einfachheit. Es lässt sich in drei angelsächsischen Einsilbern ausdrücken: "Was ist da?" Es kann außerdem mit einem Wort beantwortet werden - "Alles" - und jeder wird diese Antwort als wahr akzeptieren. Dies bedeutet jedoch lediglich, dass es das gibt, was es gibt. Es bleibt Raum für Meinungsverschiedenheiten über Fälle; und so ist die Frage durch die Jahrhunderte hindurch lebendig geblieben."

(Quine, Willard V. "On What There Is." The Review of Metaphysics 2/5 (1948): 21-38. p. 21)

Übersetzt mit DeepL.com

Es gibt nicht nur eine Welt; das ist meines Erachtens unbegründete und daher dogmatische Metaphysik. Das wird einfach behauptet. Und das akzeptiere ich nicht.

Nichts existiert einfach so, alles existiert immer in Zusammenhängen. Welchen Ausdruck man dafür verwenden will, lasse ich offen. Eingeführt ist der Begriff Bereich, Markus Gabriel verwendet den Begriff Sinnfeld, weiter oben wurde Bühne vorgeschlagen, wenn auch vielleicht mit etwas anderem Zungenschlag.

Wenn wir im Alltag von Gegenständen* sprechen, sind die Bereiche, in denen sie sich befinden, in der Regel bekannt und werden nicht eigens thematisiert. Wenn ich vor dem Einkaufen frage, ob noch Butter da ist, dann ist klar, dass der Haushalt gemeint ist und nicht die Marktsituation insgesamt. Auch wenn solche Fälle natürlich denkbar sind. Aber ich spreche zum Beispiel nicht einfach von Grace, sondern füge hinzu, dass ich gestern zum ersten Mal Terminator Dark Fate gesehen habe und Grace ist eine neue Figur in dieser Fiktion. Das heißt, ich gebe den Existenzbereich an. Es gäbe keine Fiktion ohne Menschen (oder andere Wesen, die dazu fähig sind) die sie auf ihrer "mentalen Bühne" aufführen. Der Terminator existiert nur in der Fiktion und nicht zum Beispiel in New York. Figuren in Fiktionen können die Fiktion auch nicht verlassen und aus ihr heraustreten.

Deshalb sind Fiktionen auch nicht Gegenstand der Naturwissenschaften, sondern z.B. der Literaturwissenschaften. Ebenso untersuchen Literaturwissenschaft und Naturwissenschaft z.B. nicht die natürlichen Zahlen, weil sie nicht in ihren Gegenstandsbereich bilden, Zahlen werden von der Mathematik untersucht. Die Mathematik untersucht jedoch nicht die Gesellschaft, das ist nicht ihr Gegenstandsbereich, sondern der der Soziologie.

Alles, was es gibt, gibt es also immer in einem Gegenstandsbereich, was sich, wie man sieht, z.B. in den entsprechenden Forschungsbereichen ausdrückt. Der Ausdruck "es gibt" ist also grundsätzlich immer unvollständig, auch wenn dies in der Regel nicht thematisiert werden muss, da der entsprechende Kontext oft offensichtlich ist. Cerebus existiert nur im Comic. Kunstwerke wie Comics sind komplexe ontologische Gebilde, die sich aus verschiedenen Bereichen zusammensetzen. An anderer Stelle in diesem Forum habe ich meine Sichtweise erläutert, die sich an der Kunstontologie von Markus Gabriel orientiert: Kunstwerke sind "radikal autonome Individuen im Bereich der Kunst, die notwendig interpretiert werden". Sie würden also nicht existieren, wenn es uns nicht gäbe, anders als Bäume, Zahlen und Quarks.

Zu Quine in kurz: es gibt keine Welt, insofern man sich darunter den einzigen existierenden Existenzbereich vorstellt. Es gibt in dieser Ontologie, die ich vertrete und die an Markus Gabriel orientiert ist, alles, außer der Welt, weil alles in irgendeinem der vielen verschiedenen Existenzbereich existiert. Dass es die Welt nicht gibt, heißt nicht, dass es nichts gibt, es heißt nur, dass es nicht einen einzigen Existenzbereich gibt, es ist also der Ontologie von Consul entgegengesetzt.

* mit Gegenständen meine ich natürlich nicht nur dreidimensionale Objekte wie z.b. Steine. Ich gebrauche den Begriff ähnlich wie in der Wendung "Gegenstand der Rede war..." in dieser Begriffsverwendung sind Zahlen ebenso Gegenstände, wie die Liebe, ein Gemüsebeet, Higgs-Bosonen oder der Urknall. Man könnte vielleicht sagen, dass alles über das etwas wahr sein kann, ein Gegenstand ist.




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Quk
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So 5. Mai 2024, 08:17

Stimme Deinem Kommentar komplett zu, Jörn.

(Im Sinn einer vorläufigen Zustimmung -- immer offen für Korrekturen.)

Speziell an dieser Stelle ...
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 07:49
Figuren in Fiktionen können die Fiktion auch nicht verlassen und aus ihr heraustreten.
... stimme ich zwar auch zu -- erfahrungsweise. Ich würde diesen Punkt aber etwas offener lassen :-) Wer weiß ... :-)




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So 5. Mai 2024, 10:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 07:49
Es gibt nicht nur eine Welt; das ist meines Erachtens unbegründete und daher dogmatische Metaphysik. Das wird einfach behauptet. Und das akzeptiere ich nicht.
Wenn es mehrere Welten gibt, gestehst du ihnen dann zu, dass alle mehr oder weniger direkt zusammenhängen? Also z.B. irgendwelche Schnittstellen haben...



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Quk
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So 5. Mai 2024, 12:15

Burkart hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 10:33
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 07:49
Es gibt nicht nur eine Welt; das ist meines Erachtens unbegründete und daher dogmatische Metaphysik. Das wird einfach behauptet. Und das akzeptiere ich nicht.
Wenn es mehrere Welten gibt, gestehst du ihnen dann zu, dass alle mehr oder weniger direkt zusammenhängen? Also z.B. irgendwelche Schnittstellen haben...
Popper hatte mal diesen Vorschlag gemacht (nur ein Vorschlag, kein Dogma):

Welt 1: Physische Welt
Welt 2: Individuelles Bewusstsein
Welt 3: Vom Individuum unabhängige, allgemeine Inhalte wie etwa Theorien, Kulturen, Geschichten etc.

Er schlug vor, Welt 2 als Schnittstelle zwischen Welt 1 und 3 aufzufassen.

Auch wenn man mehr als drei Welten vorschlagen möchte, wäre demnach eine Schnittstelle an sich wiederum eine "Welt" für sich.




Burkart
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So 5. Mai 2024, 14:46

Quk hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 12:15
Burkart hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 10:33
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 5. Mai 2024, 07:49
Es gibt nicht nur eine Welt; das ist meines Erachtens unbegründete und daher dogmatische Metaphysik. Das wird einfach behauptet. Und das akzeptiere ich nicht.
Wenn es mehrere Welten gibt, gestehst du ihnen dann zu, dass alle mehr oder weniger direkt zusammenhängen? Also z.B. irgendwelche Schnittstellen haben...
Popper hatte mal diesen Vorschlag gemacht (nur ein Vorschlag, kein Dogma):

Welt 1: Physische Welt
Welt 2: Individuelles Bewusstsein
Welt 3: Vom Individuum unabhängige, allgemeine Inhalte wie etwa Theorien, Kulturen, Geschichten etc.

Er schlug vor, Welt 2 als Schnittstelle zwischen Welt 1 und 3 aufzufassen.

Auch wenn man mehr als drei Welten vorschlagen möchte, wäre demnach eine Schnittstelle an sich wiederum eine "Welt" für sich.
Das ist ja schon mal ein ungefährer Ansatz, den ich grob eher so sehe:
1. (Physische) Welt - 2. Mensch (oder anderes Lebewesen) - 3. Ideen/Abstraktes.

Mir erscheinen die Schnittstellen zwischen ihnen klar:
Der Mensch ist Teil der Welt, die Ideen kommen aus dem menschlichen Denken.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Quk
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So 5. Mai 2024, 16:34

Mathe wäre in Welt 3.

Das individuelle Bewusstsein in Welt 2 (Schnittstelle) nimmt die Mathe auf und benutzt sie beim Legospielen in Welt 1.

Umgekehrt sieht der individuelle Mensch in Welt 1 ein Quadrat, in Welt 2 versteht er in dem Quadrat ein geometrisches Gesetz, und stellt dieses in Welt 3 hinein, wo es objektiv der Allgemeinheit zugänglich ist.




Wolfgang Endemann
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So 5. Mai 2024, 16:43

O.K. Wenn es hier weitergeht mit der Verallgemeinerung des Themas der Natur der Begriffe, dann kopiere ich mal meinen Kommentar aus dem anderen Thread.
Wird hier nicht Mystifikation betrieben? Früher hat man gewußt, was ein (unbearbeiteter) Stein ist, ein selten strukturiertes, meist amorphes kompaktes starres Ding, das sich nicht von selbst bewegt, schwer ist, farblich erscheint, usw. Heute weiß man viel mehr, wie es im Inneren ist und wirkt bis in eine Größenordnung, die weit unterhalb dessen ist, was wir sehen können, wo wir sogar an prinzipielle Grenzen des Beobachtbaren kommen. Und ganz unbeweglich ist das starre Ding auch nicht. Früh schon wußte man, daß es feste, flüssige und gasförmige Dinge gibt, ein bißchen später auch, daß das Aggregatzustände sind. Ganz früh wußte man schon, daß die Dinge sich gesetzmäßig bewegen. Man kannte also die Dingwelt, die strukturiert ist. Ich übespringe jetzt einmal die Stufe, auf der Dinge so komplex geworden sind, daß sie die komplexe Eigenschaft "Leben" angenommen haben. Ab einer bestimmten Stufe gibt es Bewußtsein, eine reflexive Form des dinglichen Seins, Tiere können und müssen unterscheiden, ob etwas ein totes Ding ist oder ein lebendiges, vor dem man fliehen muß oder das man fangen und dann verspeisen kann. Bewußtsein heißt, daß etwas nicht nur ist, sondern sich weiß, ein wie auch immer un-/realistisches Bild von sich und der Welt hat. Das ist der triviale Unterschied von unbelebter und belebter Materie, die belebte Materie ist unbelebte Materie mit Eigenschaften, die die unbelebte Materie nicht aufweist. Verwirrung stiftet das Wörtchen "ist", weil man es nicht konsistent verwendet. Mit dem Bewußtsein kommt selbstverständlich die Frage der Wahrheit auf, und so kommt es zu Wahrheitstheorien, die in Konkurrenz zueinander treten, die aber unvollständig sind und sich tatsächlich ergänzen.
Das ist eine materialistische und transmaterialistische Sicht. Kann mir jemand erklären, wo der Fehler dieser Sichtweise steckt? Warum alles nicht so einfach ist?




Wolfgang Endemann
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So 5. Mai 2024, 17:11

Beginnen wir mit der Frage, "was sind subatomare Partikel?"
Subatomare Partikel sind Objekte in einem theoretischen Konstrukt von Objekten und Strukturen, die man physikalischen Meßergebnissen zuordnen kann. Wenn dann sich aus der Theorie ergebende Sachverhalte im Modell im Experiment gemessen werden können, ist das eine Bestätigung, daß die Theorie richtig sein könnte, als Modell für diesen Realitätsbereich. Die Theorie bildet mehr oder weniger gut und mehr oder weniger unvollständig einen Teil der Realität ab.
Nach meinem Verständnis ist es nicht sinnvoll zu sagen, "was "nur in der Theorie existiert", existiert nicht", es existiert als ein falsches oder unanwendbares Modell für die Wirklichkeit. Diese Sicht verweist darauf, daß zwei Fragen zu klären sind, 1. ist die Theorie überhaupt konsistent und kommt damit überhaupt als Modell in Betracht, 2. läßt sie sich bestätigen.




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