Was heißt Natur?

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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NaWennDuMeinst
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Mo 8. Jun 2020, 01:09

Hallo Jörn.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 6. Jun 2020, 06:48
Wittgenstein hat sinngemäß gesagt, einen Satz verstehen, heißt verstehen, was der Fall ist, wenn der Satz wahr wäre. Und an dieser Stelle hänge ich offensichtlich fest. Ich kann mir wirklich noch nicht ausmalen, was eigentlich gemeint ist.
Da bin ich wirklich sehr erleichtert, dass es nicht nur mir so geht.
Wir stimmen überein darin, dass der Satz "der Berg denkt" wohl nicht wörtlich zu nehmen ist (also im Sinne von: "Der Berg hat ein denkendes Bewusstsein").
Was also kann gemeint sein?
Verschiedene Sachen kamen mir in den Sinn.

Zuerst meinte ich es sei gemeint, dass wir uns den Berg einfach nur denkend vorstellen sollen. Es geht also gar nicht darum ob der Berg nun wirklich denkt oder nicht, sondern sich gewissermaßen hineinzuversetzen in einen Berg. Irgendwie liegen mir Berge bei der Übung nicht so, aber Bäume fallen mir leichter.
Ich habe schon das eine oder andere Mal versucht mir vorzustellen ein Baum zu sein. Ein großer. Mit einer riesigen Krone. Und dann versuchte ich mir vorzustellen wie es sich wohl als Baum lebt. Wie muss das sein, wenn der Wind durchs Geäst streicht. Stell Dir das vor. Hunderttausende Blätter und jedes einzelne wird vom Wind bewegt, gibt den Reiz der Windberührung an den Baum weiter. Das muss ein phantastisches Gefühl sein. Auch die Sonne müsste ich als Baum viel intensiver spüren können, einfach weil ich viel mehr Fläche zur Verfügung hätte um die Sonnenstrahlen aufzufangen. Und wie ist es als Baum wohl im Wald? Als einer unter vielen Bäumen? Und im Sturm, und als Behausung für die Vögel, usw. Sich in andere Dinge gedanklich hineinzuversetzen ist eine Übung die ich durchaus gerne mache. Ich wäre auch gerne mal eine Frau. Wie muss das wohl sein, schwanger zu sein? Wenn man fühlt wie das Leben in einem wächst? Für diese Verbindung können wir die Frauen doch einfach nur beneiden.
Und so neide ich dem Baum auch ein bißchen seine Krone. Können mir solche Gedanken ein größeres Verständnis für die Natur bescheren? Vielleicht.

Dann habe ich versucht den Weg über die Bedeutung zu gehen. Gemeint ist nicht, dass der Berg denkt, sondern dass er prägender Teil des Denkens ist.
Ich bin in der Stadt aufgewachsen und diese Erfahrung prägt mein Denken. Ich denke urban.
Jemand der am Hang oder Fuß eines Berges aufgewachsen ist, dessen Denken ist von den Erfahrungen eines Lebens an und mit dem Berg geprägt.
Das trifft umso mehr zu, wenn der Berg nicht nur einfach die Heimstätte, sondern auch Lebensgrundlage ist. Dann hat er Bedeutung als Ernährer und ihn zu verstehen, kann (über-)lebenswichtig sein.
Oder wenn er das Leben ständig bedroht (wie zum Beispiel ein aktiver Vulkan). Auch dann ist es umso wichtiger die "Bestie Berg" genau zu kennen und stets zu wissen "was der Berg denkt".
Für die Gemeinschaft am Fuße des Berges ist der Berg der Ort der sie ernährt, oder der Ort an dem die Geister der Ahnen wohnen, wo sie hingehen, wenn sie sich nach ihnen sehen oder Rat suchen. Für Andere ist der Berg der Ort, wo ihnen ihre Gottheit zehn Gebote überbrachte. Welch ungemein wichtiger Ort.
Alles Denken dreht sich um den Berg, so wie sich bei mir als Stadtkind alles um die Stadt dreht.


Zum Schluß hab ich versucht mich "aus meiner Hülle zu lösen" um Teil meiner Umgebung zu werden, bzw die Umgebung Teil meiner Selbst werden zu lassen.
Wenn ich in meinem Arbeitszimmer sitze, dann sehe ich, dass dieses Zimmer irgendwie auch "Ich" ist. So wie das Haus die Handschrift des Architekten trägt, ist mein Arbeitszimmer voll von allem was ich bin. Und es ist gestaltet nach meinem Willen und meinen Vorstellungen. Wenn ich mich in den Zimmer aufhalte, dann ist die Grenze, die meine "Hautbarriere" normalerweise darstellt gedanklich schnell überschritten und sie kommt mir dann willkürlich vor. Wieso endet denn mein "Ich" an meiner Hautgrenze? Warum nicht an dem Regal da drüben wo alle meine Urlaubserinnerungen stehen? Das bin doch auch ich, oder?
Von dort aus ist die Vorstellung nicht mehr weit, dass auch das Haus in dem ich lebe ein Stück weit zu mir gehört und irgendwann auch der Baum und der Berg und "meine" Stadt.
Diesen Gedanken musste ich dann aber aufgeben, weil ich einsehen musste, dass diese "Ausdehnung" meines Ichs zu Recht auch als übergriffig empfunden werden kann.
Denn wenn mein Kollege in den Raum kommt, wird der darauf bestehen, dass mein Ich spätestens an seiner "Hautgrenze" ein Ende findet.
Und umgekehrt natürlich auch. Ich bin ich. Und Du bist Du. Da bestehen wir wahrscheinlich beide drauf. Diese Grenzen haben für uns durchaus existenzielle Bedeutung.

Fazit: Ich kann mir vorstellen, dass solche Übungen den Geist erweitern. Sie schärfen das Bewusstsein für alles was uns umgibt. Das ist, so würde ich meinen, eine wichtige Voraussetzung für einen Naturforscher. Vielleicht ist ja das mit dem "denkenden Berg" gemeint. Sich einfach zu öffnen und aufnahmebereit zu sein. Weil einem sonst vielleicht das Wichtigste entgeht?
Was ein Gedicht W. C. Williams bedeutet oder ein Lächeln oder ein wilder Tanz - das können uns die Naturwissenschaften nicht sagen.
Wohl nicht. Für Poesie braucht man andere Rezeptoren. Ich kann mich erinnern, dass ich von den Gedichtsanalysen im Deutschunterricht immer angewidert war. Ich hatte immer das Gefühl man täte dem Autor des Gedichts Unrecht, wenn man es auf Versmaße reduziert. Denn das worauf so ein Gedicht abzielt (oder wo es hinzielt) liegt doch ganz woanders.
Andererseits ist auch die Frage wie es sich umgekehrt verhält. Liefern uns Poesie und Lyrik einen eigenen Zugang zur Natur?
Doch. Ich würde sagen ja. Einen anderen, sicher. Aber doch einen wertvollen. Als Beispiel nenne ich mal Hemmingways "Der alte Mann und das Meer". Keine Poesie, aber auch keine Naturwissenschaft. Und dennoch: Die Sichtweise Hemmingways, der die Natur in seinem Roman als brutal und erbarmungslos beschreibt, die einem Fischer auch das letzte Stück Fisch nicht gönnt, war mir vorher fremd. So hatte ich die Natur vorher nie betrachtet. Und ja, es steckt Wahrheit darin. Es ist eine Seite der Natur, auch wenn sich das Erbarmungslose an ihr sicher nicht messen lässt.



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Jörn Budesheim
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Ich hoffe, dass ich morgen oder am WE hier weitermachen kann!




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Warum die Dinge hinter unserem Rücken über uns tuscheln (nach Art des Kinderbuchs dargestellt)

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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 8. Jun 2020, 01:09
Ich habe schon das eine oder andere Mal versucht mir vorzustellen ein Baum zu sein. Ein großer.
Andreas Weber hat geschrieben : Aber poetische Objektivität lässt sich nicht analysieren oder messen. Sie ist nur durch Erfahrung zu erkennen – so wie die Wahrheit eines Gedichts nur aus dem Mitvollzug eines empfindenden Wesens verstanden werden kann, das Sprache als Mittel zur Verwandlung durch ein anderes Selbst begreift. Poetische Objektivität ist Objektivität nur durch das Teilen. Sie ist objektiv aus einer geteilten Perspektive in der ersten Person.
Jörn Budesheim hat geschrieben : Bild
Der Autor schreibt an einer Stelle, dass es darum geht, eine andere Haltung einzunehmen. Das ist meines Erachtens ein ganz wichtiger Punkt. Denn die Betrachtung der Welt allein aus der Perspektive der dritten Person, macht ganz leicht alles zu verfügbaren Objekten. Obwohl das nicht zwingend ist: "Ich bin versucht zu sagen, dass Schrödinger den üblichen Ablauf naturwissenschaftlicher Forschung umkehrt. Sie beginnt normalerweise mit Staunen und endet mit Erkenntnis, während Schrödingers Forschung mit Erkenntnis begann und im Staunen endete" (Robert Pogue Harrison)

Ich will noch mal zu dem denkenden Berg kommen. Obwohl ich Höhenangst habe, habe ich vor vielen Jahren mal einige Bergwanderungen gemacht. Auch wenn man bei "Berg" zunächst vielleicht an kalten, anonymen Stein denkt, so deckt sich das mit meiner Erfahrung aus diesem Spaziergängen eigentlich überhaupt nicht. Das war ein lebendiger Zusammenhang. Ein lebendiges Netz aus Perspektiven der ersten, zweiten und dritten Person.

In dem Text wird ja eigentlich auch nicht einfach postuliert, dass der Berg denkt. Sondern wir selbst werden aufgefordert, wie der Berg zu denken.
"»denken wie ein Berg«, wie es Aldo Leopold, ein Pionier der Ökophilosophie, formuliert. Zu ihr gehört, aus der Perspektive nicht des Individuums, sondern des schöpferischen und imaginativen Lebens heraus zu denken und dadurch etwas zu verstehen, was jenseits unserer begrenzten Imagination liegt. Dieses Jenseits ist die Objektivität des Poetischen. »Nur der Berg hat lang genug gelebt, um dem Heulen eines Wolfs auf objektive Weise zu lauschen«, schreibt Leopold."

Das heißt vielleicht, zu erkennen, dass wir selbst nur diesen kurzen Moment hier sind und verlernt haben, den Wert der Dinge zu schätzen, weil wir durch eine Aufklärung gegangen sind, die dafür nicht mehr wirklich einen Platz bietet. Leopold schreibt: »Gegenüber dem endlosen Mittelmaß des Gewöhnlichen hält eine Kranich-Niederung ein paläontologisches Adelspatent, erworben im Lauf der Äonen, und widerrufbar allein durch die Schrotflinte.«

Dieser Wert ist jedoch nicht mit Lineal und Lupe zu finden. Er zeigt sich nur in der fraglichen Haltung, zu der der Autor auffordert. Daraus folgt nicht, dass dieser Wert bloß eine Illusion dieser Haltung ist. Wie man das jedoch im Einzelnen ausbuchstabiert und philosophisch (habe auch naturwissenschaftlich) argumentativ begründet, ist meines Erachtens die große Aufgabe für eine zweite Aufklärung!




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Jörn Budesheim
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Mi 17. Jun 2020, 18:49

Franz Josef Wetz, Hans Blumenberg hat geschrieben : Die pantheistischen Stoiker verstanden unter Welt einen am Augenschein orientierten harmonischen Ordnungszusammenhang. In Bezug auf das physische Weltall gebrauchten sie die absolute Metapher des »Kosmos«, was so viel wie »wohlgegliederte Schmuckordnung« heißt. Die ungegenständliche Totalität der Wirklichkeit sei ein vollkommenes Schmuckstück (theoretische Funktion). Dieses verdiene bewundernde Betrachtung. Der Mensch sei sogar auf die Welt gekommen, um diese Schmuckordnung, das physische Weltall, anzuschauen (pragmatische Funktion). Ganz anders verhält es sich hingegen bei den atomistischen Epikureern: Ihnen zufolgebesteht die Welt aus einer Unendlichkeit von Atomen, die sich im leeren Raum bewegen und sich hierbei verbinden und trennen. Auch der atomare Weltzusammenhang hat den Charakter einer absoluten Metapher, insofern durch ihn zugleich die Wertlosigkeit und Gleichgültigkeit der Natur gegenüber den in ihr ablaufenden Prozessen angezeigt wird (theoretische Funktion). Die Welt ist weder göttlich noch geschöpflich, sondern einfach natürlich. Natürlichkeit bedeutet wiederum, als Metapher verstanden, Befreiung von den furchterregenden Göttern (pragmatische Funktion). Denn ist die Welt das Natürliche, das von selbst da ist, so ist es nicht weiter verwunderlich, dass es sie überhaupt gibt und dass sie so beschaffen ist, wie sie ist. Als das Nächstliegende ist sie für die Epikureer nichts, das nach bewundernder Betrachtung verlangt, sondern vielmehr etwas, um das sich der Mensch nicht zu kümmern braucht und dem er folglich mit Gleichgültigkeit begegnen soll (pragmatische Funktion).




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Mi 17. Jun 2020, 19:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 17. Jun 2020, 18:49
Franz Josef Wetz, Hans Blumenberg hat geschrieben : [...] Als das Nächstliegende ist sie für die Epikureer nichts, das nach bewundernder Betrachtung verlangt, sondern vielmehr etwas, um das sich der Mensch nicht zu kümmern braucht und dem er folglich mit Gleichgültigkeit begegnen soll (pragmatische Funktion).
Wie kommt er nur darauf? Ist denn die Natur, die sich aus Atomen zusammensetzt, weniger bewundernswert? Ich finde eine Natur, in der alles aus winzigen Elementarteilchen entsteht, jedenfalls nicht weniger erstaunlich, als eine Welt die von Göttern "beseelt" (und bevölkert) ist. Und ich denke auch nicht, dass sie (die Natur, die Welt) uns deshalb irgendwie "gleichgültiger" wäre oder sogar sein sollte.



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Do 18. Jun 2020, 06:16

Schimmermatt hat geschrieben :
So 8. Mär 2020, 20:54
„Ich“ - Leiden an der aporetischen Existenz

Ich habe gar kein psychologisches Problem, es ist das Leben selbst. Ich sehe es nur klarer, deutlicher, schärfer als die anderen. Die neiden mir meinen „Durchblick“ meistens nicht, aber sie grenzen mich trotzdem aus – ich verstehe das, ich bin anstrengend. Ich bin anders, anders ist schlecht – sagt kaum einer, denkt aber jeder. Man ist ja tolerant.
Ich habe versucht, wie die anderen zu sein. Andere halten das Leben doch auch aus! Stell‘ Dich nicht so an, andere haben viel Härteres durchgemacht und jammern nicht. Die Anderen können alles Mögliche besser als ich. Ich kann bloß besser bis zum Grund gucken. Da ist übrigens keiner, aber das kann man nicht denken. Vieles kann man nicht denken.
Ich weiß, dass das Leben endlich ist. Ich weiß, dass es mich eigentlich aber jetzt schon gar nicht gibt. „Ich“ ist eine Ansammlung von Molekülen, die gelernt hat, zu diesem Aggregat „Ich“ zu sagen. Pädagogen und Kinderpsychologen finden das mit dem Ich gut, sie nennen es Identität, so was sollte man formieren. Formiere ich also. Gesund ist das, mancher erlernten Illusion zu folgen. Gesund ist gut. Wahrheit ist auch gut. Das reicht, um wahr eben das zu nennen, was gesund ist. Das reicht, um wahr eben das zu nennen, was sich flauschig anfühlt.
Ich pack‘ das nicht. Ich weiß, dass ich nicht bin. Cogito, ergo… nihil. Besser: Cogitans, ergo nihil. Der Gedanke ist so ungesund, die Sprache gibt keine passende Grammatik her, um ihn auszudrücken. Contradictio in adiecto – die sophistische Welt spottet.
Ich habe die Illusionen daher gut gelernt: jeder Mensch hat eine Seele, das „Ich“ ist metaphysisch ewig, der Körper ist nur zeitweilig Gefäß dafür. Ich habe sie so gut gelernt, dass es weh tut, zu wissen, dass sie nicht stimmen. Das Universum bleibt gleichgültig gegen meine Wünsche und Hoffnungen, gegen alle Wünsche und Hoffnungen, es ist selbst nicht ewig.
Ich bin depressiv. Das ist die Heilung – nicht für mich, aber für die anderen, die ich störe, beim flauschig fühlen bei ihren Wahrheiten. Nimm‘ ein paar Tabletten, sagt man, vielleicht wirst Du wie die anderen. Die können alles besser.
Ich werde in eine Kur geschickt – dann kann ich wieder funktionieren! Vielleicht nehme ich ja auch Drogen, davon kann man mich ja heilen. Als würde ich an zu vielen Illusionen leiden… als würden Drogen nützen.
Ich liebe meine Frau. Ich verteidige sie, verteidige, dass sie ein Wesen ist, dass sie ein schönes Wesen ist, ein edles, nicht nur ein Bioroboter. Ich kann ihr nur vor den wunderschönen Kopf gucken, vielleicht ist sie ja mehr. Sie ist meine Hoffnung. Die Liebe wird uns nicht die Wahrheit zeigen, letztendlich auch nicht glücklich machen. Sie muss es aber.
Ich habe jeden Absatz mit „Ich“ begonnen. Bin ich ein Lügner? Frag‘ die Anderen! Die gibt es, die können alles besser.




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Fr 19. Jun 2020, 08:49

Ich weiß ehrlich gesagt nicht wie er darauf kommt, dass wir Menschen, so wir aus Atomen bestehen, deshalb alle nur "Bioroboter" wären. Mir ist auch nicht klar woher er die "Erkenntnis" nimmt, dass da sonst nichts ist.
Ich finde um gedanklichen dort hinzugelangen wo er sich befindet, bedarf es schon einer ganzen Menge mehr Annahmen als nur die, dass die Welt aus Teilchen besteht.
Ich bezweifle ernsthaft, dass ein naturwissenschaftlich geprägter Blick auf die Welt allein das verursacht hat.



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Friederike
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So 21. Jun 2020, 14:35

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 8. Jun 2020, 01:09
Zum Schluß hab ich versucht mich "aus meiner Hülle zu lösen" um Teil meiner Umgebung zu werden, bzw. die Umgebung Teil meiner Selbst werden zu lassen. [...] Von dort aus ist die Vorstellung nicht mehr weit, dass auch das Haus in dem ich lebe ein Stück weit zu mir gehört und irgendwann auch der Baum und der Berg und "meine" Stadt. Diesen Gedanken musste ich dann aber aufgeben, weil ich einsehen musste, dass diese "Ausdehnung" meines Ichs zu Recht auch als übergriffig empfunden werden kann. Denn wenn mein Kollege in den Raum kommt, wird der darauf bestehen, dass mein Ich spätestens an seiner "Hautgrenze" ein Ende findet. Und umgekehrt natürlich auch. Ich bin ich. Und Du bist Du. Da bestehen wir wahrscheinlich beide drauf. Diese Grenzen haben für uns durchaus existenzielle Bedeutung.
Ich wohne in demselben Haus, in derselben Straße, in derselben Stadt wie Du. Gemeinsam sind uns die Orte, aber wie wir sie erleben, da gibt es doch so viele Möglichkeiten wie es Menschen gibt, die in oder an den Orten leben? "So müssen sie das Gedicht lesen, sehen sie, genau so. Sie können es aber auch ganz anders lesen" (A. Kusch).

Ich kann mir die Situation nicht recht vorstellen @wenndumeinst, in der Dein Versuch einer Ausdehnung Deines Selbst auf Ablehnung gestoßen ist. Das imaginäre Inbesitznehmen durch den Einen schließt doch das Inbesitznehmen durch eine Andere nicht aus.




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Mo 22. Jun 2020, 01:39

Friederike hat geschrieben :
So 21. Jun 2020, 14:35
Ich kann mir die Situation nicht recht vorstellen @wenndumeinst, in der Dein Versuch einer Ausdehnung Deines Selbst auf Ablehnung gestoßen ist.
Das Ich ist begrenzt. Es hört da auf, wo das Ich des anderen beginnt. Und das ist gut so.
Das bedeutet natürlich nicht, dass zwei sich nahestehende Menschen sich nicht als eins empfinden und wahrnehmen können (das halte ich sogar bis zu einem gewissen Grad für normal), aber ich denke nicht, dass man das voraussetzen oder von jedem x-beliebigen Menschen erwarten darf. Ich glaube jeder Mensch hat auch ein Recht darauf, andere Menschen von sich fern zu halten. Manche "Persönlichkeiten" muss ich allein schon zum Selbstschutz, zur geistigen Hygiene von mir fern halten.
Das imaginäre Inbesitznehmen durch den Einen schließt doch das Inbesitznehmen durch eine Andere nicht aus.
Sofern sich beide auf den selben Gegenstand beziehen klappt das vielleicht noch (so denkt sich halt jeder seinen Gegenstand). Aber wenn es um das jeweilige eigene Ich geht kann das problematisch werden (Ich bestimmte mein Ich, und nicht jemand Anderes).
Ich weiß nicht, wie sich solche Vorstellungen zum Beispiel mit der Vorstellung von Privatssphäre und pers. Entfaltung vereinbaren lassen.
Ich bin nicht Du. Und ich für meinen Teil bestehe da auch drauf. Dein Ich, so ausgedehnt es auch sein mag, endet an meiner "Hautgrenze". Alles andere würde ich als unerlaubten Übergriff empfinden, sofern ich dem nicht freiwillig zugestimmt hätte. Und ich sehe eben keinen zwingenden Grund warum ich dem zustimmen müsste. Im Gegenteil: Ich vertrete ja die Ansicht, dass ein Mensch das Recht haben soll, das zu verweigern.
Ist ein wenig schwer zu erklären, aber ich glaube es geht eben darum, den anderen als "eigenständig" zu respektieren und eben nicht als Teil meiner Selbst anzunehmen, so wie ich auch wünsche als eigenständig wahrgenommen zu werden.



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Mo 22. Jun 2020, 10:15

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 22. Jun 2020, 01:39
[...] Ich bin nicht Du. Und ich für meinen Teil bestehe da auch drauf. Dein Ich, so ausgedehnt es auch sein mag, endet an meiner "Hautgrenze". Alles andere würde ich als unerlaubten Übergriff empfinden, sofern ich dem nicht freiwillig zugestimmt hätte. Und ich sehe eben keinen zwingenden Grund warum ich dem zustimmen müsste. Im Gegenteil: Ich vertrete ja die Ansicht, dass ein Mensch das Recht haben soll, das zu verweigern.
Ist ein wenig schwer zu erklären, aber ich glaube es geht eben darum, den anderen als "eigenständig" zu respektieren und eben nicht als Teil meiner Selbst anzunehmen, so wie ich auch wünsche als eigenständig wahrgenommen zu werden.
S e h r interessant (obwohl ich nicht weiß, warum ich das so interessant finde), Du hast in Deiner Antwort die Perspektive gewechselt. Jetzt schreibst Du auf einmal hauptsächlich aus der Position desjenigen, der sich den Bemächtigungsversuchen durch andere Personen widersetzt. Klar, die Achtung der Würde der Person (oder ist das zu hochgegriffen?), der Aura einer Person ( :lol:, auf das total richtige Wort komme ich nicht) ist eine wechselseitige Handlung, aber zuvor im Zusammenhang mit der Ausdehnung des Selbst, um sich mit der Welt/der Umgebung vertraut zu machen, hast Du die Perspektive desjenigen eingenommen, der erst durch die Reaktion seiner Mitmenschen auf den Übergriff aufmerksam geworden ist. Das macht ja auch nichts, weil man durch Erfahrung lernt 8-). Mir fällt es nur auf und vielleicht fällt mir später noch etwas Weiterführendes dazu ein.




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Ich für meinen Teil glaube nicht, dass meinn Ich an meiner Haut-Grenze endet. Um sich das zu vergegenwärtigen reicht es schon, wie ich finde, sich klar zu machen, dass jeder eine Vergangenheit hat, die zu ihm gehört. Mein 17 jähriges Alter-Ego ist ein Teil von mir und der befindet sich nicht in den Grenzen meiner Haut :)




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Mo 22. Jun 2020, 19:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 22. Jun 2020, 18:17
Mein 17 jähriges Alter-Ego ist ein Teil von mir und der befindet sich nicht in den Grenzen meiner Haut :)
Natürlich nicht, denn es befindet sich in den Grenzen des Polaroidbilds, das dich als 17-jährigen zeigt. Und jetzt sag' nicht, es hätte damals noch keine Polaroidfotografie gegeben :)



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:)




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Alethos hat geschrieben :
Mo 22. Jun 2020, 19:08
Und jetzt sag' nicht, es hätte damals noch keine Polaroidfotografie gegeben
Eine Polaroid-Kamera konnte ich mir gar nicht leisten, deswegen musste ich malen, ich hatte ja sonst nichts :)




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Aus Not mach' eine Tugend :)

Aber zurück zum Thema: Allein der Umstand, dass wir Spuren hinterlassen, gibt doch eine Antwort auf die Frage, ob wir die Natur als rein atomares Puzzle verstehen dürfen oder eher als ein Kaleidoskop von Perspektiven deuten sollen.

Dass ich bspw. eine Geschichte habe, die nicht allein in meinen Erinnerungen, sondern in allen Gegenständen gespeichert ist, mit denen ich in Berührung stand, und an der alle Orte teilhaben, an denen ich je war, das zeigt doch, dass die Natur nicht bloss ein Zusammenhang des Lebendigen ist, sondern ein Zueinander aller Dinge. Die Natur ist die Heimat des Seins in der Fülle aller Seienden - der lebendigen und der toten, der jetzt Seienden und der Gewesenen.
Wir können doch nicht so tun, als lebten wir in einem heute, das nie ein gestern kannte, als entsprängen wir nicht derselben Geschichte, die den Staub an unseren Sohlen oder den Dreck unter unseren Fingernägeln trägt. Hier einen Kieselstein aus der Weltgeschichte ausblenden zu wollen, der in meiner Kindheitserinnerung das tragende Element meiner Sandburg war, das wird einfach niemandem gerecht: weder mir noch der Weltgeschichte noch einem
umfassenden Naturbegriff.

Und wir sollten nicht davor zurückschrecken, die Natur in dieser Grösse und zugleich in dieser Intimität zu denken, bloss weil wir uns zu klein vorkommen oder uns für zu selbstverständlich nehmen oder einem Naturbegriff den ontologischen Vorrang geben. Wir würden irren, glaube ich, wenn wir die Natur unter dem Primat einer wie auch immer geheissenen privilegierten Perspektive beschreiben - der meinigen, derjenigen der Naturwissenschaften, der Romantik etc; sie ist der Inbegriff des Inklusiven, weil sie alle und alles in vielfältiger Weise betrifft.



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Mi 24. Jun 2020, 01:42

Friederike hat geschrieben :
Mo 22. Jun 2020, 10:15
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 22. Jun 2020, 01:39
[...] Ich bin nicht Du. Und ich für meinen Teil bestehe da auch drauf. Dein Ich, so ausgedehnt es auch sein mag, endet an meiner "Hautgrenze". Alles andere würde ich als unerlaubten Übergriff empfinden, sofern ich dem nicht freiwillig zugestimmt hätte. Und ich sehe eben keinen zwingenden Grund warum ich dem zustimmen müsste. Im Gegenteil: Ich vertrete ja die Ansicht, dass ein Mensch das Recht haben soll, das zu verweigern.
Ist ein wenig schwer zu erklären, aber ich glaube es geht eben darum, den anderen als "eigenständig" zu respektieren und eben nicht als Teil meiner Selbst anzunehmen, so wie ich auch wünsche als eigenständig wahrgenommen zu werden.
S e h r interessant (obwohl ich nicht weiß, warum ich das so interessant finde), Du hast in Deiner Antwort die Perspektive gewechselt. Jetzt schreibst Du auf einmal hauptsächlich aus der Position desjenigen, der sich den Bemächtigungsversuchen durch andere Personen widersetzt. Klar, die Achtung der Würde der Person (oder ist das zu hochgegriffen?), der Aura einer Person ( :lol:, auf das total richtige Wort komme ich nicht) ist eine wechselseitige Handlung, aber zuvor im Zusammenhang mit der Ausdehnung des Selbst, um sich mit der Welt/der Umgebung vertraut zu machen, hast Du die Perspektive desjenigen eingenommen, der erst durch die Reaktion seiner Mitmenschen auf den Übergriff aufmerksam geworden ist. Das macht ja auch nichts, weil man durch Erfahrung lernt 8-). Mir fällt es nur auf und vielleicht fällt mir später noch etwas Weiterführendes dazu ein.
Das ist purer Zufall. Ich hätte zuerst auch davon schreiben können wie es sich anfühlt, wenn der andere sein Ich bis über die Grenzen des eigenen Ichs hinweg ausdehnt.
Es ging einfach nur darum zu beschreiben, dass diese Ausdehnung nicht unendlich weit gehen kann, sondern dass sie an einem ganz bestimmten Punkt enden muss, aus Achtung vor dem Anderen, der das vielleicht nicht will. Umgekehrt natürlich genauso. Das kannst Du halten wie ein Dachdecker.



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Mi 24. Jun 2020, 02:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 22. Jun 2020, 18:17
Ich für meinen Teil glaube nicht, dass meinn Ich an meiner Haut-Grenze endet.
Den Begriff Hautgrenze habe ich hier eingeführt. Deshalb nehme ich an, das bezieht sich auf meine Erläuterungen.
Allerdings habe ich das was Du schreibst nicht geschrieben. Ich habe geschrieben, dass Dein Ich an MEINER Hautgrenze endet.
Und umgekehrt. Du kannst Dein Ich verorten wo immer Du willst (ist mir schnuppe). Nur nicht bei mir. Da ist nämlich schon MEIN Ich ;-)
Um sich das zu vergegenwärtigen reicht es schon, wie ich finde, sich klar zu machen, dass jeder eine Vergangenheit hat, die zu ihm gehört. Mein 17 jähriges Alter-Ego ist ein Teil von mir und der befindet sich nicht in den Grenzen meiner Haut :)
Hast Du denn überhaupt ein Ich, oder gibt es für Dich nur ein Wir? Und wo ist da der Unterschied? Bin ich Du? Und wenn nein, wieso nicht? Und wie (wo) grenzt Du das ab, und warum? Was ich sagen will: Irgendwo/Irgendwie MUSS es eine Grenze des Ichs geben. Einfach weil Du nicht Ich bist. Es sei denn Du leugnest das Ich komplett. Keine Ahnung ob Du das sagen willst. Und wenn ich mir überlege was dann daraus folgen würde, dann wird mir schwindelig.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mi 24. Jun 2020, 02:40, insgesamt 6-mal geändert.



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Mi 24. Jun 2020, 02:10

Alethos hat geschrieben :
Mo 22. Jun 2020, 21:14
Dass ich bspw. eine Geschichte habe, die nicht allein in meinen Erinnerungen, sondern in allen Gegenständen gespeichert ist, mit denen ich in Berührung stand, und an der alle Orte teilhaben, an denen ich je war, das zeigt doch, dass die Natur nicht bloss ein Zusammenhang des Lebendigen ist, sondern ein Zueinander aller Dinge. Die Natur ist die Heimat des Seins in der Fülle aller Seienden - der lebendigen und der toten, der jetzt Seienden und der Gewesenen.
Wir können doch nicht so tun, als lebten wir in einem heute, das nie ein gestern kannte, als entsprängen wir nicht derselben Geschichte, die den Staub an unseren Sohlen oder den Dreck unter unseren Fingernägeln trägt. Hier einen Kieselstein aus der Weltgeschichte ausblenden zu wollen, der in meiner Kindheitserinnerung das tragende Element meiner Sandburg war, das wird einfach niemandem gerecht: weder mir noch der Weltgeschichte noch einem
umfassenden Naturbegriff.
Da muss ich doch mal nachfragen: Wer genau behauptet denn das, was Du oben beschreibst? Wer leugnet denn, dass jeder Mensch eine Geschichte hat?
So wie ich das verstehe geht es doch um was ganz anders. Um denkende Berge nämlich. Das wäre doch mal interessant zu ergründen wie das gemeint sein soll und wie das mehr sein kann als "nur" eine schöne Phantasie oder ein poetischer "Anfall".
Und wir sollten nicht davor zurückschrecken, die Natur in dieser Grösse und zugleich in dieser Intimität zu denken, bloss weil wir uns zu klein vorkommen oder uns für zu selbstverständlich nehmen oder einem Naturbegriff den ontologischen Vorrang geben. Wir würden irren, glaube ich, wenn wir die Natur unter dem Primat einer wie auch immer geheissenen privilegierten Perspektive beschreiben - der meinigen, derjenigen der Naturwissenschaften, der Romantik etc; sie ist der Inbegriff des Inklusiven, weil sie alle und alles in vielfältiger Weise betrifft.
Beschreibe doch die Natur wie Du willst. Wer hindert dich daran? Aber das Problem ist doch, dass wenn aus so einer Beschreibung etwas für alle Menschen folgen soll, wirst Du die Menschen von der Richtigkeit deiner Beschreibung überzeugen müssen. Ich bezweifle aber, dass Du da mit dem Gerede vom "denkenden Berg" und "dem Sein in der Fülle alles Seienden" irgendwie weiter kommst. Solche Beschreibungen befriedigen sicher auch ein Bedürfnis der Menschen (Nach Kunst, Nach Ästhetik, Spiritualität, whatever), aber mit der Vorstellung von denkenden Bergen kann man nun mal keine Autos bauen und auch nicht zum Mond fliegen.

Vielleicht hilft es ja sich nochmal zu überlegen, warum die Naturwissenschaften eigentlich da stehen wo sie heute stehen. Warum sind die überhaupt so weit verbreitet und so erfolgreich? War das reiner Zufall? Wie ist es dazu gekommen? Oder anders gefragt: Hat es auch Vorteile die Welt so zu betrachten? Falls nicht: Wieso machen wir es dann?

(Meiner Meinung nach geht diese ganze Geschichte hier schon falsch los. Diese Behauptung die Naturwissenschaften hätten die Menschen von der Natur entfremdet, oder ihn entseelt oder was hier alles so mitschwingt, halte ich ehrlich gesagt für ziemlich an den Haaren herbeigezogen. Ein Menschen muss sich nicht selbst für einen "Bio-Roboter" halten, nur weil er überzeugt ist, dass es Hormone gibt. Das eine folgt überhaupt nicht zwingend aus dem anderen. Und genau deshalb habe ich mit dieser ganzen Diskussion Schwierigkeiten. Wer so denkt, der hat sicher noch ganz andere Probleme, geht von Voraussetzungen aus und zieht Schlüsse, die WEIT über die Naturwissenschaften hinausgehen.)



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Alethos
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Mi 24. Jun 2020, 12:59

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mi 24. Jun 2020, 02:10

Vielleicht hilft es ja sich nochmal zu überlegen, warum die Naturwissenschaften eigentlich da stehen wo sie heute stehen. Warum sind die überhaupt so weit verbreitet und so erfolgreich? War das reiner Zufall? Wie ist es dazu gekommen? Oder anders gefragt: Hat es auch Vorteile die Welt so zu betrachten? Falls nicht: Wieso machen wir es dann?
Vielleicht ist der falsche Eindruck entstanden, ich würde den Naturwissenschaften irgendwelche Legitimation absprechen - das Gegenteil ist der Fall. Ich bin sogar ein augesprochen wissenschaftsaffiner Mensch, faktenbasiert und empiriegläubig. Ich denke nur, dass die Naturwissenschaften keinen Wahrheitsanspruch über das Sein in seiner allgemeinen Form erheben können (weil es keine allgemeine Form hat): Nicht alles ist naturwissenschaftlich erklärbar und zwar nicht nur wegen epistemologischer Mängel oder unzureichender Instrumentepräzision, sondern ganz grundsätzlich, weil das Sein in seiner ganzen Fülle keine exklusiv naturwissenschaftliche Dimension hat.

Als Beispiel Erinnerungen: Natürlich ist meine Erinnerung irgendwo in meiner Hirnmasse gespeichert, aber ist deshalb der Gegenstand der Erinnerung - das Erlebte - ein genuin biophysisches Phänomen? Ist es nicht vielmehr so, dass das Geschehene sich auf die Orte und Menschen erstreckt, die das Geschehen ausmachten? Und ist es für diese Tatsache, dass es ein gewesenes Erlebnis ist, relevant, ob die Dinge aus Atomen bestand oder aus Seelenstaub oder in der Idee? Die Tatsache des Gewesenseins übersteigt den Bereich des physikalischen Seins, weil es hierbei gar nicht um diese Frage geht: woraus die Dinge im Grunde bestehen oder aus welchem Stoff sie gemacht sind, sondern es geht darum, was sie uns in ihrem jeweiligen Sein bedeuten. Sie bedeuten uns in vielfältiger Weise etwas, weil wir zu ihnen in irgendeiner, nicht zuletzt emotionalen, Beziehung stehen, aber sie bedeuten uns etwas, als das, was sie durch sich selbst sind: Erinnerungen, Menschen, Geschichten, Abstraktionen, Kunsterlebnisse. Ob die Farbe auf dem Bild aus Lichtwellen besteht, das ist doch völlig irrelevant für bestimmte Gedanken, die sie über sich als Teil eines Kunstphänomens anregen kann. Und ob der mir gegenübersitzende Mensch es wert sei, dass ich ihm zuhöre, meine Aufmerksamkeit schenke oder ihm im Notfall helfe, das entscheidet sich doch nicht am Kriterium seiner Anzahl Atome oder seiner wie auch immer gearteten biophysischen (oder anders erklärbaren physischen) Komposition. Nicht einmal, ob Moral ein evolutionäres Produkt oder eine Konvention ist, ist relevant für die Frage, ob man helfen solle, wenn Hilfe angezeigt ist, obwohl man es (auch) so erklären kann, weil doch in der moralischen Diskussion einzig zählt, welche Gründe für ein bestimmtes Handeln als moralisch richtiges Handeln sprechen.

Das Erklärungspotenzial der Naturwissenschaften ist anerkannt, aber nicht alles gehört in den Bereich der Naturwissenschaften. Und ich meine, das hat genuin ontologische Gründe, warum das so ist.

Wenn man nun also Naturwissenschaften synonym verwendet mit "Wissenschaften der Wirklichkeit", so muss man einschränken: nur eines Teils der Wirklichkeit. Der Naturbegriff der Naturwissenschaften ist sozusagen ein limitierter, weshalb der von mir anvisierte Naturbegriff den Blick auf die Wirklichkeit zu weiten versucht. Das darf als "Gelaber" über denkende Berge in die Denkgeschichte eingehen und dort für immer unbeachtet bleiben. Dieses Schicksal teilen sich die meisten Vorschläge :)



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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