Gabriels Fiktionaler Realismus.

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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NaWennDuMeinst
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Mo 1. Mär 2021, 01:38

Der fiktionale Realismus behauptet, dass Autoren dadurch, dass sie einen Eigennamen (wie „Faust“) in einem literarischen Text
verwenden, um eine fiktive Geschichte zu erzählen, einer fiktionalen Gestalt zu Existenz verhelfen, über die man dann wahre Aussagen machen kann.
Gabriel scheint der Meinung zu sein, dass schon die Wahrheit eines Satzes wie „Faust liebt Gretchen“ (oder die Falschheit von „Faust
liebt Wagner“) im Rahmen eines Gesprächs über Goethes Faust hinreicht, um einen solchen fiktionalen Realismus zu rechtfertigen.
Das sehen die meisten Vertreter dieser Position anders:

Dass Faust in Goethes Faust Gretchen liebt, kann man einfach als die Annahme verstehen, dass in Goethes Faust erzählt, behauptet oder so getan wird, als gebe es da eine Person namens Faust, die eine Frau namens Gretchen liebt. Dazu muss außer dem literarischen Werk selbst niemand existieren, sowenig wie der Äther in irgendeiner Form existieren muss, damit der Äther „in“ - d.h. gemäß - einer falschen Theorie das Weltall erfüllt.
„Faust liebt Gretchen“ halten wir deswegen zu Recht für wahr, weil wir diesen Satz implizit als eingebettet in einen intensionalen Kontext verstehen.

Das überzeugendste Argument für den fiktionalen Realismus resultiert aus der Wahrheit von meta-fiktionalen Aussagen, bei denen diese Analyse scheitert,
weil man sie nicht als Aussagen verstehen kann, die gemäß der jeweils relevanten Fiktion wahr sind.
Beispiele sind „Mephisto wurde von Goethe erfunden“ oder „Faust ist berühmter als Völler“.

Weil es nur solche Aussagen sind, die uns laut den meisten fiktionalen Realisten auf die Existenz von fiktionalen Gegenständen verpflichten, sind diese auch nicht zu der Annahme gezwungen, dass fiktionale Gegenstände diejenigen Eigenschaften haben, die ihnen in den fiktionalen Geschichten zugeschrieben werden, also wirklich Menschen, Hexen oder Einhörner sind. Fiktionale Gegenstände werden deswegen in der Regel nicht als Konkreta verstanden, sondern als Abstrakta, die gar nicht die Eigenschaften haben können, die man haben müsste, um ein Mensch, eine Hexe oder ein Einhorn zu sein. Fiktionale Realisten erkennen allerdings an, dass fiktionale Gegenstände durch die Eigenschaften, die ihnen in den sie betreffenden Fiktionen zugeschrieben werden, „charakterisiert“ werden können und machen Vorschläge dazu, wie man dieses
Charakterisierbarsein anders verstehen kann als Exemplifikation.

In Gabriels Texten fehlt jegliche Auseinandersetzung mit diesen Feinheiten der gegenwärtigen Debatte über den fiktionalen Realismus und auch die mit den verschiedenen Positionen, die diesen kritisieren und alternative Analysen der relevanten Phänomene vorschlagen (vgl. Kripke (2013), 55-73, für eine ausführlichere Darstellung dieses Gedankengangs). Kripke macht hier deutlich, dass sein fiktionaler Realismus nicht aus der Wahrheit von Sätzen wie ‚Gretchen liebt Faust’ folgt, sondern nur aus
der Wahrheit von meta-fiktionalen Sätzen wie ‚Manche Kritiker bewundern Desdemona.
Formal am ausgefeiltesten ist Ed Zaltas Unterscheidung zwischen ‚encoding’ und ‚exemplification’ von Eigenschaften (vgl. (1988) 14-23) Everett/Hofweber (2000)).
Wir erwähnen die Feinheiten deswegen so ausführlich, weil sie einen großen Unterschied machen für die Bedeutung und die Haltbarkeit der These KONTINUITÄT.
Dass einzelnen fiktionalen Texten je eigene Gegenstandsbereiche zugeordnet sind, kann man nun nämlich auf zwei verschiedene Weisen verstehen. In einer (relativ) harmlosen Lesart bedeutet sie nicht mehr, als dass der fiktionale Realismus in seiner heute üblichen Standardform wahr ist.
Zu jedem fiktionalen Text gibt es diejenigen fiktionalen Gegenstände, die durch ihn zur Existenz kommen, wobei diese fiktionalen Gegenstände als abstrakte Gegenstände verstanden werden, die nicht die ihnen in den Texten zugeschriebenen Eigenschaften haben, sondern durch diese allenfalls in einer genauer zu spezifizierenden Weise charakterisierbar sind.
Viele Passagen bei Gabriel klingen allerdings nach einer viel weniger harmlosen Lesart. Dieser zweiten Lesart zufolge gibt es zu jedem fiktionalen Text einen Bereich von Gegenständen, in dem all diejenigen Dinge wirklich existieren, von denen in der Fiktion die Rede ist.
Diese Dinge haben tatsächlich die Eigenschaften, die ihnen in der Geschichte zugeschrieben werden - sie sind z.B. Hexen, Einhörner oder Menschen -, und unterscheiden sich von den Gegenständen, die in wahren nichtfiktionalen Texten beschrieben werden, nur dadurch, dass sie eben in einem anderen „Bereich“ vorkommen als diese.

KONTINUITÄT ist in dieser zweiten Lesart nicht nur unbegründet (wie wir gerade gesehen haben), sondern wirft auch schwerwiegende philosophische Probleme auf, die fiktionale Realisten durch die Unterscheidung zwischen Exemplifikation und Charakterisierbarkeit zu vermeiden versuchen. Eine absurde Konsequenz der zweiten Lesart ist z.B., dass es für ein und dieselbe Art von Dingen - z.B. Menschen - zwei grundsätzlich verschiedene Weisen gäbe, zur Existenz zu kommen, einmal durch Geburt, einmal durch Ausgedachtwerden. Zweitens sind Figuren in literarischen Werken nicht vollständig charakterisiert, es scheint aber ebenso absurd anzunehmen, dass jemand, der die Eigenschaft des Menschseins exemplifiziert, dies schafft, ohne z.B. eine bestimmte Körpergröße zu haben, wie anzunehmen, dass Faust eine ganz bestimmte Körpergröße hat, obwohl uns Goethe nichts davon erzählt. Drittens wird in Fiktionen manchmal von ein und derselben Sache behauptet, dass sie eine Eigenschaft hat, als auch, dass sie sie nicht hat.
Ein Gegenstand kann aber nicht eine Eigenschaft sowohl exemplifizieren als auch nicht exemplifizieren. Zudem bringt die zweite Lesart einen starken antirealistischen Zug in Gabriels Theorie. Denn wenn Hexen in der Welt von Goethes Faust einfach deswegen existieren, weil Goethe eine entsprechende Geschichte erzählt, existieren Elementarteilchen in der Welt - oder dem Sinnfeld - der Physik dann nicht einfach deswegen, weil die Physik das-und-das behauptet?
Postmodernejunkies auf Entzug, die auf der Suche nach einer Ersatzdroge sind, werden diese Lesart von Gabriels Thesen sicher mögen, aber was sie dadurch bekommen, ist eben weder durch Argumente gestützt noch eine echte Alternative zu ihren früheren Ansichten.

Quelle:
Gibt es den neuen Realismus?
von Catharine Diehl und Tobias Rosefeldt (HU Berlin)
https://www.catharinediehl.com/uploads/ ... s_2015.pdf



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NaWennDuMeinst
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Mo 1. Mär 2021, 01:52

Kommen wir zur Titelfrage: Gibt es Gabriels „neuen“, oder wie es jetzt heißt, „neutralen“ Realismus?

Wenn wir seine eigene Bedingung für Existenz zu Grunde legen - existieren tut nur, was sich hinreichend von anderem unterscheidet -, zögern wir, diese Frage mit ‚ja’ zu beantworten. Wie die vorangegangenen Interpretationsversuche gezeigt haben, ist es im Falle der zentralen Thesen der Position weitgehend unklar, was genau sie besagen sollen. Bei dem Versuch, diese Thesen zu präzisieren, hat sich eine allgemeine Tendenz gezeigt: Entweder ergeben sich dadurch Thesen, die zwar wahr und plausibel sind, aber dafür auch völlig unkontrovers, metaphysisch uninteressant und alles andere als „neu“.
Oder wir gelangen zu Thesen, die philosophisch zwar substantiell, dafür aber weder einleuchtend noch argumentativ durch das, was Gabriel dazu schreibt, gestützt sind.
Es hat sich ferner gezeigt, dass etliche von Gabriels Überlegungen auf Unkenntnis oder aber massivem Missverständnis grundlegender Annahmen und Begrifflichkeiten derjenigen Theorien zu beruhen scheinen, die für das von ihm verhandelte Thema einschlägig sind. Diese theoretischen Unsicherheiten stehen in einem merkwürdigen Kontrast zu dem autoenthusiasmierten Selbstbewusstsein, mit dem Gabriel seine eigenen Thesen anpreist und die seiner Gegner attackiert.

Es ist Zeit zu fasten.



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Jörn Budesheim
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Mo 1. Mär 2021, 07:12

Dieser Aufsatz, wenn ich mich nicht irre, befindet sich auch im philosophischen Jahrbuch Kontroversen 2, dort findet sich auch die ausführliche Antwort von Markus Gabriel, wobei er auf die verfälschende und verzerrende Darstellung seiner Position hinweist, die bis hin zu fehlerhaften und frei erfundenen Zitaten geht, was die Autoren, soweit ich mich entsinne, sogar zugeben und durch Versehen entschuldigen ... Wenn man diesen Aufsatz besprechen will (falls es der Aufsatz ist, von dem ich glaube, dass er es ist - ich schau später im Büro noch mal genauer nach) dann sollte man die Antwort Gabriels ebenso parat haben, sonst fehlt ja ein entscheidender Teil.




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Mo 1. Mär 2021, 07:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 07:12
Dieser Aufsatz, wenn ich mich nicht irre, befindet sich auch im philosophischen Jahrbuch Kontroversen 2, dort findet sich auch die ausführliche Antwort von Markus Gabriel, wobei er auf die verfälschende und verzerrende Darstellung seiner Position hinweist, die bis hin zu fehlerhaften und frei erfundenen Zitaten geht, was die Autoren, soweit ich mich entsinne, sogar zugeben und durch Versehen entschuldigen ... Wenn man diesen Aufsatz besprechen will (falls es der Aufsatz ist, von dem ich glaube, dass er es ist - ich schau später im Büro noch mal genauer nach) dann sollte man die Antwort Gabriels ebenso parat haben, sonst fehlt ja ein entscheidender Teil.
Da mir nicht bekannt ist, dass es eine Antwort Gabriels gegeben hat, kann ich das auch nicht parat haben.
Das halte ich auch für unnötig, denn wie man sieht, stellt sich die Antwort ja von ganz alleine ein (womit ich wiederum auch gerechnet habe).



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Jörn Budesheim
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Wie gesagt, ich schaue gleich noch mal nach, ob das wirklich der fragliche Aufsatz ist. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass es das ganze Jahrbuch online gibt, so dass man dann auch die Antwort Gabriels fairerweise lesen könnte.




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Mo 1. Mär 2021, 10:56

Bild


So startet des Aufsatz DIEHL ROSEFELDT im Jahrbuch-Kontroversen 2. Es startet so wie das verlinkte PDF, könnte also der gleiche Aufsatz sein.




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Hier die Inhaltsangabe:

Bild

Oder hier > https://d-nb.info/1098566270/04




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Jörn Budesheim
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Catharine DIEHL (Berlin) und Tobias ROSEFELDT (Berlin) kommen im Jahrbuch gleich zweimal zu Wort.

Hier der Link zum zweiten Text, wo es auch um die inkorrekten Zitate geht: https://www.catharinediehl.com/uploads/ ... l_2016.pdf

Den Text von Gabriel hab ich leider (bisher) nicht finden können. Letztlich ist so eine Kritik/Antwort-Situation natürlich wunderbar, um sich einer Postion zu nähern. Aber dafür braucht man natürlich beides: Kritik und Antwort.




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Jörn Budesheim
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Yeah, gefunden!

Hier gibt es ein PDF, in dem zumindest einiges drin ist, vielleicht sogar alles, komplett konnte ich es natürlich noch nicht testen! http://genotypeinczgrxr.onion.ly/LG/223 ... 5dc562df15




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Alethos
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Super! Freue mich auf die Lektüre...



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Alethos
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Mo 1. Mär 2021, 12:52

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 01:38
Viele Passagen bei Gabriel klingen allerdings nach einer viel weniger harmlosen Lesart. Dieser zweiten Lesart zufolge gibt es zu jedem fiktionalen Text einen Bereich von Gegenständen, in dem all diejenigen Dinge wirklich existieren, von denen in der Fiktion die Rede ist.
Diese Dinge haben tatsächlich die Eigenschaften, die ihnen in der Geschichte zugeschrieben werden - sie sind z.B. Hexen, Einhörner oder Menschen -, und unterscheiden sich von den Gegenständen, die in wahren nichtfiktionalen Texten beschrieben werden, nur dadurch, dass sie eben in einem anderen „Bereich“ vorkommen als diese.
Ich muss zugeben, dass ich „Fiktionen“ nicht gelesen habe, aber mich würde wirklich erstaunen, wenn Gabriel das behaupten sollte, dass Hexen in Faust dieselben Eigenschaften haben sollen wie Hexen aus Fleisch und Blut in Köln. Das folgt gerade nicht aus der SFO, dass Gegenstände unabhängig von ihrem Gegenstandabereich Eigenschaften haben können.

Selbstverständlich haben Menschen in Geschichten einen Körper und haben diese und diese Eigenschaften, aber das sind nicht Körper und Eigenschaften, wie sie Körper und Eigenschaften sind in anderen Bereichen. Der „blaue Ball“ in einer Erzählung ist natürlich blau, aber er ist nicht in derselben Weise mit dieser Eigenschaft ausgestattet wie derselbe Gegenstand in der Lebenswelt. Das Blausein ist in beiden Fällen real und in beiden Fällen beschreibt es eine farbliche Eigenschaft des Objekts, aber da es sich bei diesen Objekten einmal um einen textlichen Gegenstand handelt, das andere Mal um einen raumzeitlichen, müssen auch die den Objekten zukommenden Eigenschaften textliche und raumzeitliche sein.



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Mo 1. Mär 2021, 13:34

Alethos hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 12:52
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 01:38
Viele Passagen bei Gabriel klingen allerdings nach einer viel weniger harmlosen Lesart. Dieser zweiten Lesart zufolge gibt es zu jedem fiktionalen Text einen Bereich von Gegenständen, in dem all diejenigen Dinge wirklich existieren, von denen in der Fiktion die Rede ist.
Diese Dinge haben tatsächlich die Eigenschaften, die ihnen in der Geschichte zugeschrieben werden - sie sind z.B. Hexen, Einhörner oder Menschen -, und unterscheiden sich von den Gegenständen, die in wahren nichtfiktionalen Texten beschrieben werden, nur dadurch, dass sie eben in einem anderen „Bereich“ vorkommen als diese.
Ich muss zugeben, dass ich „Fiktionen“ nicht gelesen habe, aber mich würde wirklich erstaunen, wenn Gabriel das behaupten sollte, dass Hexen in Faust dieselben Eigenschaften haben sollen wie Hexen aus Fleisch und Blut in Köln. Das folgt gerade nicht aus der SFO, dass Gegenstände unabhängig von ihrem Gegenstandabereich Eigenschaften haben können.

Selbstverständlich haben Menschen in Geschichten einen Körper und haben diese und diese Eigenschaften, aber das sind nicht Körper und Eigenschaften, wie sie Körper und Eigenschaften sind in anderen Bereichen. Der „blaue Ball“ in einer Erzählung ist natürlich blau, aber er ist nicht in derselben Weise mit dieser Eigenschaft ausgestattet wie derselbe Gegenstand in der Lebenswelt. Das Blausein ist in beiden Fällen real und in beiden Fällen beschreibt es eine farbliche Eigenschaft des Objekts, aber da es sich bei diesen Objekten einmal um einen textlichen Gegenstand handelt, das andere Mal um einen raumzeitlichen, müssen auch die den Objekten zukommenden Eigenschaften textliche und raumzeitliche sein.
Es geht eigentlich um was anderes, nämlich um die Frage ob diese fiktionalen "Figuren" existieren.
Wie in dem Text beschrieben, gehen selbst fiktionale Realisten nicht davon aus, dass sie existieren, jedenfalls nicht auf der Ebene der Fiktion, weil dass dann eben absurde Konsequenzen mit sich bringt (siehe Beispiele)
Auf einer Metaebene existieren sie :"Faust ist bekannter als Völler", aber eben nicht so wie Du das hier mMn immer zu erklären versucht hast.
In wie fern Gabriel das auch so vertritt wie in dem Text vorgeworfen, dazu wird vielleicht Jörn noch was beitragen.
Nichts desto trotz bestätigt der Text für mich eigentlich, dass mit dieser Vorstellung von den existierenden fiktionalen Figuren irgendwas schief ist.
Das Ganze muss einen zwangsläufig stutzig machen.



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 11:06
Letztlich ist so eine Kritik/Antwort-Situation natürlich wunderbar, um sich einer Postion zu nähern.
Absolut. Mir hilft sowas immer sehr.
Aber dafür braucht man natürlich beides: Kritik und Antwort.
Wie gesagt: Ich wusste nicht mal, dass es eine Antwort gibt. Das stand da ja nirgendwo. Das ist halt das Problem, wenn Google nackte Dokumentlinks anzeigt. Der Kontext fehlt dann. Vielleicht gibt es da auch eine Webseite, die auch auf die Antwort verlinkt hat. Nur ich seh sie halt nicht.



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Mo 1. Mär 2021, 13:43

Alethos hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 12:52
... wirklich erstaunen, wenn Gabriel das behaupten sollte, dass Hexen in Faust dieselben Eigenschaften haben sollen wie Hexen aus Fleisch und Blut in Köln.
Das wäre auch langweilig. Hexen in Geschichten können zaubern und auf Besen fliegen, Hexen im Karneval nicht. Hexen in Geschichten kann ich jedoch nicht küssen, da ich in einem anderen Bereich vorkomme und nicht in den fraglichen Geschichtenbereich hinüberwechseln kann. Zudem sind die Hexen in der Geschichte (falls ich derjenige bin, der die Geschichte liest) ja teilweise abhängig von meiner Interpretationsleistung. Ich selbst bin zwar in gewisser Hinsicht auch abhängig von meiner eigenen Interpretationsleistung, aber nicht völlig, meine Knochen dürften relativ interpretationsunabhängig sein :-)




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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 13:41
Nur ich seh sie halt nicht.
Ich hab ja was gefunden > http://genotypeinczgrxr.onion.ly/LG/223 ... 5dc562df15




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Eine absurde Konsequenz der zweiten Lesart ist z.B., dass es für ein und dieselbe Art von Dingen - z.B. Menschen - zwei grundsätzlich verschiedene Weisen gäbe, zur Existenz zu kommen, einmal durch Geburt, einmal durch Ausgedachtwerden.
In Romanen kommen Menschen in aller Regel auch durch Geburt ins Leben. Aber das wäre mal ein schöner Plot. Vielleicht ein Science fiction, wo sich Eltern ihre Kinder komplett ausdenken können.




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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 13:41
Das stand da ja nirgendwo.
Ich hatte dir ja den Tipp für das Jahrbuch Kontroversen 2 gegeben. Und wenn du dann einen Aufsatz daraus postest, muss ich natürlich annehmen, dass du wegen des Tipps darauf gekommen bist. Aber anscheinend hast du den Text ganz unabhängig davon gefunden?!




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 14:05
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 13:41
Das stand da ja nirgendwo.
Ich hatte dir ja den Tipp für das Jahrbuch Kontroversen 2 gegeben.
Ach, das ist das? OK.
Und wenn du dann einen Aufsatz daraus postest, muss ich natürlich annehmen, dass du wegen des Tipps darauf gekommen bist.
Ich verstehe. So war es aber nicht.
Aber anscheinend hast du den Text ganz unabhängig davon gefunden?!
Ja, ich habe bei Google einfach nach der Sinnfeldontologie gesucht. Und bin dann dabei in den Suchtreffern über den Direktlink gestolpert.
Dass Du mir genau das schonmal vorgeschlagen hattest war mir da gar nicht bewusst.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Mo 1. Mär 2021, 15:19, insgesamt 1-mal geändert.



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Mo 1. Mär 2021, 15:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 13:48
Eine absurde Konsequenz der zweiten Lesart ist z.B., dass es für ein und dieselbe Art von Dingen - z.B. Menschen - zwei grundsätzlich verschiedene Weisen gäbe, zur Existenz zu kommen, einmal durch Geburt, einmal durch Ausgedachtwerden.
In Romanen kommen Menschen in aller Regel auch durch Geburt ins Leben.
Ja? Wie geht denn so eine Buchgeburt?
Aber das wäre mal ein schöner Plot. Vielleicht ein Science fiction, wo sich Eltern ihre Kinder komplett ausdenken können.
Das könnte man so vielleicht wegerklären (ne, kann man eigentlich nicht, aber tun wir mal so). Aber nicht, dass Menschen keine Körpergrösse haben, weil sie in dem fiktionalen Text einfach nicht erwähnt wird (das ist eben der Unterschied zwischen etwas Realem, das seine Eigenschaften unabhängig einer Beschreibung hat, und etwas Ausgedachtem das seine Eigenschaften - bzw besser: Charakterisiserung - so und genau so hat wie es eben erdacht ist).



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Mo 1. Mär 2021, 17:14

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 1. Mär 2021, 15:17
Ja? Wie geht denn so eine Buchgeburt?
Wäre auch mal schön, aber meistens geht es wohl in solchen Romanen um normale Geburten, kann aber sein, dass auch mal Buchgeburten vorkommen.

Der Punkt ist dieser: Der Roman, das Kunstwerk, das Musikstück sind fiktional. Aber die Figuren in der Fiktion sind nicht noch mal fiktional. (Obwohl das natürlich vorkommen kann.) Das wäre eine Sprachverwirrung.

Wir hatten dazu mal einen Faden über Kunst. Das Kunstwerk ist nicht dort das Stück Papier mit Farbe drauf, sondern es existiert gleichsam "zwischen" Betrachter und Bildträger. Das ist meine Position und das deckt sich mit Gabriels Position. (Ich hab es aber aus einer anderen Lektüre gewonnen - basierend auf Graham Hamann) Die Kunst muss vom Betrachter eben betrachtet werden, erst in der ästhetischen Erfahrung existiert das Kunstwerk. Also nicht bloß in der Phantasie, sondern im Raum, den das Kunstwerk eröffnet. Daher ist auch die Größe Hulks bestimmt, und zwar indem der Leser/Betrachter die Figur (von der Vorlage getriggert) imaginiert. Vorlage und Leser müssen das im Team machen, sozusagen. Dabei hat der Leser große Freiheiten, aber keine Beliebigkeit - in Hänsel und Gretel kommt eine Hexe vor (und keine Fee), wenn der Leser das nicht rafft, hat er eine schlechte Interpretation hingelegt. Aber viele Details der Hexe muss er selbst imaginieren. So wird dieser Bereich aufgespannt.




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