Realität und mögliche Verstehensweisen eines Neuen Realismus

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Jörn Budesheim
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So 21. Mär 2021, 09:34

Es erleichtert ja auch die Kommunikation ungemein, wenn man ein und dieselbe Zeichenfolge für zwei gegengesetzte Begriffe verwendet.




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iselilja
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So 21. Mär 2021, 09:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 09:34
Es erleichtert ja auch die Kommunikation ungemein, wenn man ein und dieselbe Zeichenfolge für zwei gegengesetzte Begriffe verwendet.
Eben das ist ja nicht der Fall. Das könnte man höchstens Gabriel vorwerfen, dass er Begriffe in einem völlig verzerrten Sinn gebraucht. Das tue ich stellenweise sogar. Dennoch bin ich nicht blind und glaube schon zu erkennen, wann Begriffe Potential haben, etwas vernünftig darstellen zu können.

Am Ende ist es die Realität, in der sich die Begriffe und ihre angemessene Verwendung "beweisen" müssen. Und genau um diese Realität geht es hier ja thematisch. Wenn wir also im Laufe einer Analyse oder einer sonstigen Beschäftigung mit einer Sache den Eindruck gewinnen, dass damit etwas nicht so ganz stimmt, dann liegt das daran, dass es da eine Realität gibt, der wir den Maßstab unseres Urteils entnehmen können. Dazu muss man sie aber auch in den Blick nehmen. ;-)




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Jörn Budesheim
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Ganz genau, es gab schließlich auch für das, was du meintest, nur dieses eine Wort und du hattest überhaupt keine Wahl, etwas anderes zu nehmen, um die Doppeldeutigkeit zu vermeiden.




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iselilja
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So 21. Mär 2021, 10:06

Wie soll ich es Dir erklären @Jörn..

es ist etwas anderes, zu behaupten, dies oder das sei so und so (ein Teeglas habe bspw. diese bestimmte Form), als zu behaupten, aus einem Teeglas könne man nur Tee aber keinen Kaffee trinken. Verstehst Du was ich sagen will?




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NaWennDuMeinst
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So 21. Mär 2021, 11:00

iselilja hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 10:06
Wie soll ich es Dir erklären @Jörn..

es ist etwas anderes, zu behaupten, dies oder das sei so und so (ein Teeglas habe bspw. diese bestimmte Form), als zu behaupten, aus einem Teeglas könne man nur Tee aber keinen Kaffee trinken. Verstehst Du was ich sagen will?
Du meinst die Funktion eines Gegenstands?



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iselilja
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So 21. Mär 2021, 13:05

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 11:00
iselilja hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 10:06
Wie soll ich es Dir erklären @Jörn..

es ist etwas anderes, zu behaupten, dies oder das sei so und so (ein Teeglas habe bspw. diese bestimmte Form), als zu behaupten, aus einem Teeglas könne man nur Tee aber keinen Kaffee trinken. Verstehst Du was ich sagen will?
Du meinst die Funktion eines Gegenstands?
Nein, das beziog sich jetzt eher darauf, inwieweit man Begriffe anders verwenden darf oder sollte. Insofern also eher sowas wie die Funktionalität eines Begriffes. Was versteht man, wenn man das Wort XY liest. Konkret ging es um den Begriff Sinnfeld.




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infinitum
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 19. Mär 2021, 15:49
transfinitum hat geschrieben :
Do 18. Mär 2021, 20:54
Heisst das nun, wenn ein Objekt in keinem eindeutigen Sinnfeld erscheint, dann existiert dieses nicht?
Mir ist nicht ganz klar, worauf diese Frage zielt. Ich hab den Vortrag vor längerem mal gesehen - und fand ihn eher quälend. Wenn du mir eine Zeitangabe gibts, dann schaue ich mir die fragliche Stelle gerne an.
ich hatte bei Minute 20:48 auf dieser Folie die Definition von Existenz von Gabriel gesehen und mich dann gefragt, wann etwas nicht existiert. Meine Idee war, wenn es eine nicht "eindeutige" Zuordnung zu einem Sinnfeld gäbe. Aber ich habe nun ein wenig weiter gelesen und diese Frage hat sich mir beantwortet, denn es ist durchaus möglich, dass ein Begriff in mehreren Sinnfeldern gleichzeitig "zuhause" sein kann und damit gibt es schon eine nicht-eindeutige Zuordnung.
So bleibt aber nun, dass etwas nicht existiert, wenn es keinem Sinnfeld zugeordnet werden kann. Kann man das so sagen?

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 19. Mär 2021, 15:49
Was ist ein Sinnfeld? Was heißt es, dass etwas in einem Sinnfeld erscheint? Ich versuche mal es zu erklären, sowohl in eigenen Worten als auch mit Zitaten von Gabriel selbst.

Gabriel: "Zu erscheinen bedeutet hierbei nicht im Allgemeinen, Gegenstand eines Subjekts (Objekt) zu sein. Der Ausdruck »Erscheinung« benennt vielmehr die Relation zwischen einem Sinnfeld und seinen Gegenständen, die darin besteht, dass diese in jenem wirklich sind. Erscheinung ist eine Einrichtungsfunktion, d. ‌h. die Zuordnung von Gegenständen zu Feldern. Diese Funktion kann so handgreiflich sein wie die Kräfte, die das Universum zusammenhalten, oder so diskursiv verhandelbar wie die Mitgliedschaft in einem Fitnessstudio."

Unter einem Sinnfeld kann man sich eine "Ordnung" vorstellen. Ein Beispiel, das Gabriel in dem Zitat gibt, ist das Fitnessstudio. Ein Fitnessstudio besteht aus vielen Elementen, die es zu dem machen, was es ist: Geräte, Trainer, Mitglieder, Duschen, Menschen, die abnehmen wollen, Verträge, Öffnungszeiten, Kurse etc. Das Fitnessstudio ist der Bereich (das muss nicht raumzeitlich gemeint sein, es kommen ja auch rechtliche Gegenstände vor) und die Gegenstände in der Aufzählung erscheinen darin. Aber sie erscheinen darin nicht wie ein ungeordneter, beliebiger Haufen, sondern gemäß einer Ordnung, die sie zusammen zu einem Fitnessstudio machen. Wir haben hier also einen Bereich (=Sinnfeld), der bestimmte Arten von "Gegenständen" enthält (Geräte, Trainingspläne, Trainer,...) wobei "Regeln" diese Gegenstände miteinander sinnhaft verbinden. Mit Gegenstand muss jetzt nicht unbedingt ein dreidimensionales Objekt gemeint sein. Sehr vereinfacht gesagt, ist ein Gegenstand alles, was Gegenstand eines Urteils werden kann, alles, worüber man reden kann.

Die Idee der SFO, so wie ich sie verstehe, ist: Alles, was es gibt, ist das, was es ist, nur innerhalb eines Kontextes (=Sinnfeld) zu dem es gehört. Ein paar Beispiele:
  • Die Zahl "5" ist, was sie ist, in der Reihe der natürlichen Zahlen. Das ist ihr Kontext, der Bereich, in dem sie zählt.
  • Man spricht manchmal von der "Welt" der Musik. Das ist ein ähnlicher Gedanke, schätze ich. Welt ist hier als sinnhafter Zusammenhang zu verstehen, zu dem alles gehört, was eben der Bereich der Musik ausmacht: Konzerte, Instrumente, Zuhörer, Partituren, Platten ... ach so: Musik.
  • Aber auch die Naturgesetze zählen zu den "Anordnungsregeln", die einen Bereich ausmachen können und die Gegenstände, die darin vorkommen sind, Quarks, Elektronen, Atome, Felder, Planeten, Galaxien etc.
  • Eine weitere Ordnung ist eine Demokratie. Darin kommen Wahlen vor, Parteien, Parlamente, Wahlkämpfe, Regierungserklärungen, Oppositionen, Ausschüsse und vieles andere mehr.
Der Bereich "legt fest", was in ihm überhaupt möglich ist. Im Bereich der natürlichen Zahlen sind keine Großbrände möglich zum Beispiel :-)

Markus Gabriel: "Existenz besteht darin, dass ein Gegenstand in einem Sinnfeld erscheint. Derselbe Gegenstand erscheint in mehreren Sinnfeldern. Wir können Angela Merkel als Beispiel eines existierenden Gegenstandes verwenden, dann erscheint sie im Sinnfeld der Ontologie. Da sie aber auch im Sinnfeld der jüngeren europäischen Geschichte in ihrer Rolle als Bundeskanzlerin erscheint, steht sie unter rechtlichen Anordnungsregeln, die auf letztlich unscharfe Weise vorzeichnen, welche Handlungsspielräume sie hat, solange sie als Bundeskanzlerin gelten kann. Angela Merkel kann auch in einem Dokumentarfilm erscheinen oder in ihrer Rolle als Ehefrau; sie kann im Sinnfeld meines subjektiven Gesichtsfelds auftauchen (wenn ich sie sehe) usw. Die Bundesrepublik, Dokumentarfilme, Ehen, mein subjektives Gesichtsfeld usw. sind Sinnfelder, deren Positionen faktisch durch Gegenstände besetzt sind, die in ihren Feldern in Abgrenzung zu anderen Gegenständen Eigenschaften aufweisen." [Hervorhebung von mir]
Vielen Dank! Ich glaube, ich habe Sinnfelder damit nun besser verstanden. Gabriel vergleicht somit ein Sinnfeld mit einem Kontext oder Zusammenhang, in dem ein Begriff erscheinen kann.
Etwas unklar bleibt mir allerdings, wenn ein Begriff mehrere Sinnfelder hat, ob es dann Gewichtungen gibt, welches einem Sinnfeld mehr mit einem Begriff verknüpft ist, als ein anderes Sinnfeld mit dem gleichen Begriff.
Also wenn Angela Merkel im Sinnfeld Bundesregierung, Ehefrau Merkel oder Physik-Alumni erscheint, spielt es eine Rolle, welches Sinnfeld dominanter ist? Und wie erkennt man eine Dominanz eines Sinnfelds? Hängt Gabriels Realitätsbegriff davon ab, wie viel Gegenstände in einem Sinnfeld erscheinen oder wie zusammenhängend oder kompliziert die Gegenstände untereinander verwoben sind?



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Jörn Budesheim
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So 21. Mär 2021, 17:01

Es geht aber nicht per se um die Begriffe, es geht um die Dinge selbst. Angela Merkel als Person erscheint in diesen verschiedenen Sinn-Feldern. Oder: Das Bier selbst ist im Kühlschrank. Die Äpfel selbst sind Teil der Biosphäre. Alles was es gibt, gibt es in realen Zusammenhängen.




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Jörn Budesheim
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So 21. Mär 2021, 17:10

transfinitum hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 16:55
Hängt Gabriels Realitätsbegriff davon ab, wie viel Gegenstände in einem Sinnfeld erscheinen oder wie zusammenhängend oder kompliziert die Gegenstände untereinander verwoben sind?
Nein.




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iselilja
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So 21. Mär 2021, 18:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 17:01
Es geht aber nicht per se um die Begriffe, es geht um die Dinge selbst. Angela Merkel als Person erscheint in diesen verschiedenen Sinn-Feldern. Oder: Das Bier selbst ist im Kühlschrank. Die Äpfel selbst sind Teil der Biosphäre. Alles was es gibt, gibt es in realen Zusammenhängen.
Hervorhebung von mir.

Darf ich den Satz etwas präzisieren?
Es gibt immer reale Zusammenhänge zu etwas. Egal was es ist. Was allerdings nicht impliziert, dass alles deshalb real sei.




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iselilja
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So 21. Mär 2021, 19:32

Nehmen wir bspw. eine Lüge. Betrachten wir nur diese Lüge als Aussage, dann betrachten wir sie isoliert, als wäre sie nicht Teil dieser Welt. Tatsächlich gibt es aber immer Zusammenhänge (Kontexte), in denen diese Lüge auftaucht. Man könnte an dieser Stelle breits von Sinnfeld sprechen.

Denn da gibt es eine reale Person, die diese Aussage tätigt. Da gibt es reale Umstände, die die Person dazu bringen zu lügen. usw. Dann gibt es ferner auch andere Zusammenhänge, die nicht real sind. So könnte bspw. in einer anderen Person eine falsche Vorstellung entstehen, warum die Person lügt. Diese beiden Personen können nun auch noch interagieren. usw.

Man kann sich also leicht vorstellen, wie sich so ein Sinnfeld strukturieren kann. Die "Qualität" eines solchen Feldes kann man eigentlich nicht so genau bestimmen, man kann aber durchaus sagen, dass sie immer reale Verweisungen hat. Ohne gehts nicht, denn da muss als Minimalfaktor irgendwo ein realer Mensch sein, der all das denkt.




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iselilja
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Mo 22. Mär 2021, 05:53

transfinitum hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 16:55

So bleibt aber nun, dass etwas nicht existiert, wenn es keinem Sinnfeld zugeordnet werden kann. Kann man das so sagen?


Meinst Du mit "keinem Sinnfeld zuordnen" keinem einzigen Sinnfeld zuordnen oder keinem bestimmten, weil bei mehreren möglich?
Du müsstest vielleicht mal ein Beispiel bringen. Dann könnte man das daran bestimmt klären.




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Jörn Budesheim
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Mo 22. Mär 2021, 07:02

transfinitum hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 16:55
So bleibt aber nun, dass etwas nicht existiert, wenn es keinem Sinnfeld zugeordnet werden kann. Kann man das so sagen?
Gemäß der Theorie von Gabriel nicht. Entsprechend der SFO gibt es einfach alles (in den diversen Sinnfeldern), außer der Welt (als Sinnfeld aller Sinnfelder). Fragt sich also, wie die Theorie die Nichtexistenz behandelt. Denn offensichtlich gibt es ja vieles, was es nicht gibt ;) hier also eine kleine Skizze von Gabriels Meontologie, also seiner Theorie der Nichtexistenz, gemäß meinem Verständnis.
Noch im Jahre 1659 fanden in Nürnberg zwei Aufsehen erregende Hexenprozesse mit Todesurteil statt
Das heißt, dass zwei Frauen sterben mussten, weil man glaubte, sie seien Hexen. Nun würde man als aufgeklärter Mensch doch wohl sagen, dass es Hexen gar nicht gibt. Während die SFO geltend gemacht, dass es alles gibt, außer der Welt. Wie kann man das nun aufdröseln?

Wenn man nach der Existenz von etwas fragt, dann impliziert man damit in aller Regel auch einen bestimmten Bereich. "Ist noch Bier da?" (Das Beispiel von Alethos.) Gemeint ist natürlich Bier in der Küche im Kühlschrank und nicht überhaupt irgendwo. Die Kläger in Nürnberg waren sicher der Ansicht, dass sich zwei Hexen im Gerichtssaal befanden. Aber sie haben sich geirrt, Hexen in diesem Sinn existieren nicht. Sie kommen in unserer Wirklichkeit im gemeinten Sinne nicht direkt vor, sondern es gibt sie allein in Fantasien der Ankläger oder entsprechenden Traktaten oder Büchern oder Erzählungen etc.pp. und aus diesen Bereichen können sie schließlich nicht aussteigen und die Kläger wortwörtlich verhexen.

Der Irrtum der Kläger bestand darin zu glauben, dass Hexen in einem bestimmten und für sie natürlich besonders relevanten Bereich vorkommen. Aber in diesem Bereich gibt es sie schlicht nicht. Was bei Irrtum in einem Bereich nicht existiert, das erscheint gemäß SFO dann allerdings in einem anderen Bereich und eben nicht dem, der gemeint war.
Markus Gabriel hat geschrieben : In diesem Rahmen ergibt sich eine naheliegende Meontologie: Was nicht existiert, existiert an anderer Stelle, indem es aus einem Sinnfeld ausgeschlossen und einem anderen zugewiesen wird. Dabei entsteht allerdings kein Sinnfeld all dessen, was nicht existiert, sodass man wiederum zwei Klassen von Gegenständen – die existierenden und die nicht-existierenden – in einem Gesamtbild unterbringen könnte. Denn was nicht existiert, wird unter jeweils spezifischen Bedingungen aus einem Sinnfeld ausgeschlossen. Gegenstände, die in einem Sinnfeld unmöglich sind (etwa runde Vierecke in einer euklidischen Geometrie oder widersprüchliche Gegenstände, denen Prädikate zugeschrieben werden, die in einer gegebenen inferentiellen Ordnung miteinander unverträglich sind), weisen eine ganz andere Art der Nicht-Existenz auf als etwa fiktive Gegenstände wie Mephistopheles, die in dem Sinne nicht existieren, dass sie in unserem Bereich des Wirklichen nur indirekt, d. ‌h. nur in einem fiktionalen Sinnfeld eingebettet erscheinen, das sie nicht verlassen können ...
Man kommt in diese Theorie nicht herein und interpretiert sie auch nicht korrekt, wenn man nicht grundsätzlich bedenkt, dass sie "zweistellig" ist - Gegenstand in einem Bereich. (Zweistellig ist kein Ausdruck von Gabriel, den nutze ich nur hier um diesen Punkt hervorzuheben.) 100 Taler in der Fantasie, sind eben nicht hundert Taler im Supermarkt, zahlen kann man damit nur in der Fantasiewelt, aber nicht im Rewe.

Die SFO verlangt dennoch nicht, dass wir unsere Alltagssprache komplett renovieren, da in Gesprächen in der Regel hinreichend klar ist, über welchen Gegenstandsbereich gerade gesprochen wird. Das hängt auch mit dem principle of charity zusammen, ohne welches Kommunikation gar nicht möglich wäre. Wenn heute beispielsweise jemand zu uns sagt, dass er gerade eine Hexe gesehen hat, dann vermuten wir (gemäß dem Prinzip des Wohlwollens) schon, dass er damit irgendein Fantasiestück meint, vielleicht einen Film - möglicherweise auch Karneval - denn wir verstehen, was gemeint ist, wenn wir wissen was der Fall ist, wenn die Aussage wahr ist. Und da wir wissen, dass Hexen keine biologische Spezies ist, interpretieren wir eben (zumindest zunächst) anders, WENN wir nach dem principle of charity interpretieren.




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Jörn Budesheim
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Mo 22. Mär 2021, 17:41

transfinitum hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 16:55
Aber ich habe nun ein wenig weiter gelesen und diese Frage hat sich mir beantwortet, denn es ist durchaus möglich, dass ein Begriff in mehreren Sinnfeldern gleichzeitig "zuhause" sein kann und damit gibt es schon eine nicht-eindeutige Zuordnung.
Ich will noch einmal betonen, dass es nicht (grundlegend) um Begriffe geht. Wenn wir an die beiden Beispiele denken, die Markus Gabriel gegeben hat, nämlich das Fitnessstudio und auch Angela Merkel, dann ist hoffentlich klar, dass Angela Merkel selbst und ein Fitnessstudio selbst gemeint sind und nicht die Begriffe "Angela Merkel" und "Fitnessstudio".




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iselilja
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Mo 22. Mär 2021, 18:10

Begriffsnetz = Sinnfeld.png
Begriffsnetz = Sinnfeld.png (13.34 KiB) 6687 mal betrachtet
Hexe kindermordend gehässig hinterlistig und durchtrieben Frau alte Frau Besenstiel kocht Menschen gern im Bund mit dem Teufel schwarze katze

Hier mal ein Beispiel, wie man sich das etwa vorstellen kann, wenn sich Begriffe sinnvoll strukturieren. Sie "vernetzen sich" mit anderen Begriffen. Im Bild ist jetzt nur ein Beispiel, was keine Gewähr für Korrektheit übernimmt, es ist nur eine vage Zusammenstellung um es einigermaßen anschaulich zu machen.

Begriffe sind aber eigentlich immer derart strukturiert, dass sie im Netz anderer Begriffe schweben. Solche Netze sind zumeist gigantisch. Fokussieren tuen wir aber beim Sprechen, denken, Assoziieren usw. zumeist nur einen kleinen Ausschnitt eines solchen Netzes, wie im Bild eben versucht darzustellen.

Sinnfelder sind m.E. etwas ganz ähnliches.. wenn nicht sogar genau das. Denn zwischen was sollte sich auch ein Sinn etablieren, wenn nicht zwischen Begriffen? ;-)


ps: Man kennt ja diese Endlosspiele, wo aus einem Wort ein nächstes assoziiert werden soll. Das geht nur deshalb, weil Menschen über solche komplexen Muster verfügen.




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iselilja
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Mo 22. Mär 2021, 18:35

Wenn jetzt also zwei Menschen eine unterschiedliche Vorstellung von "Hexe" haben, dann bedeutet das im Grunde nichts weiter, als dass in ihrem Gehirn sich jeweils unterschiedlich starke Vernetzungen gebildet haben. Bei dem einen überwiegen die einen Begriffe in der Peripherie, bei dem anderen andere Begriffe. Zumeist gibt es aber doch einen kernhaften gemeinsamen Nenner gleicher Begriffe, die allerdings wiederum unterschiedlich stark konnotiert sein können. Das hängt dann nämlich davon ab, womit diese wiederum stärker oder auch schwächer verbunden sind.
Zuletzt geändert von iselilja am Mo 22. Mär 2021, 18:48, insgesamt 1-mal geändert.




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Mo 22. Mär 2021, 18:42

Die korrekte Aussage der SFO wäre daher m.E. (müsste lauten) .. Was in einem Sinnfeld erscheint, ist ein Begriff. :D




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Mo 22. Mär 2021, 21:32

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 22. Mär 2021, 07:02
transfinitum hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 16:55
So bleibt aber nun, dass etwas nicht existiert, wenn es keinem Sinnfeld zugeordnet werden kann. Kann man das so sagen?
Gemäß der Theorie von Gabriel nicht. Entsprechend der SFO gibt es einfach alles (in den diversen Sinnfeldern), außer der Welt (als Sinnfeld aller Sinnfelder).
Der Witz ist doch, dass die Funktion der Welt, nämlich alles unter sich zu vereinen, bei Gabriel die SFO selbst ist.
Auch er kommt ohne die Welt nicht aus.

(Aber jetzt bin ich wieder der Arsch, der sich echauffieren will).



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
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Mo 22. Mär 2021, 21:43

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 22. Mär 2021, 21:32
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 22. Mär 2021, 07:02
transfinitum hat geschrieben :
So 21. Mär 2021, 16:55
So bleibt aber nun, dass etwas nicht existiert, wenn es keinem Sinnfeld zugeordnet werden kann. Kann man das so sagen?
Gemäß der Theorie von Gabriel nicht. Entsprechend der SFO gibt es einfach alles (in den diversen Sinnfeldern), außer der Welt (als Sinnfeld aller Sinnfelder).
Der Witz ist doch, dass die Funktion der Welt, nämlich alles unter sich zu vereinen, bei Gabriel die SFO selbst ist.
Auch er kommt ohne die Welt nicht aus.

(Aber jetzt bin ich wieder der Arsch, der sich echauffieren will).
Eine Weltformel ohne Welt sozusagen. :-) Was etwa soviel Sinn macht wie ein Sinnfeld ohne Sinn.

ps: Echauffieren ist übrigens okay.. denn wenn es nichts mehr gibt worüber man sich aufregt, ist man vermutlich einfach nur schon lange emotional tot und weiß es bloß nicht.




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iselilja
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Di 23. Mär 2021, 21:11

Einem gewissen Hercule Poirot zufolge, pflegt die Wahrheit sich selbst zu enthüllen.

Es ist das Hartnäckige der Realität, an dem letztendlich alle Unwahrheit von selbst scheitert. Die inneren Widersprüche der Unwahrheit können keine funktionierende Ersatzrealität schaffen. Daher zerbrechen sie (die nur scheinbaren Wahrheiten) früher oder später immer. Denn die Realität steht immer zur Verfügung, um an ihr zu messen. Sie verschwindet nicht. Sie pausiert auch nicht.




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