Fragen zur Sinnfeld-Ontolgie

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
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Mi 8. Mai 2024, 07:58

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Apr 2021, 18:59
Warum ist es denn denknotwendig (wenn ich dich richtig verstehe) deiner Ansicht nach? Und bitte nicht die offene Frage vergessen: wo gibt es die Welt?
Die räumliche Welt als Ganzes befindet sich nirgendwo. Sie besetzt keinen Ort, da es Orte nur innerhalb des Weltraumes gibt.



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Mi 8. Mai 2024, 08:52

Alethos hat geschrieben :
Fr 30. Apr 2021, 22:25
Jeder Gegenstand hat ein Gegebensein. Es gibt ihn. „Es gibt ihn“ heisst soviel wie, dass er existiert. Was bedeutet es aber für die Existenz eines Gegenstands, dass sie zusammenfällt mit seinem Gegebensein?
Dann ist sein Gegebensein wörtlich zu verstehen: Dass er existiert, weil er gegeben wird. Aber durch wen oder was? Durch sein Vorkommen in der Gemeinsamkeit mit anderen Dinge, die einen Bereich bilden. Die Existenz eines Gegenstands ergibt sich vor dem Hintergrund eines Bereichs. Wo Dinge gemeinsam existieren, bilden sie einen Bereich. Dass sie einen Bereich bilden können, ergibt sich durch die Eigenschaftsstruktur des Bereichs. Diese ist dessen Sinn.
"Es liegt nun nahe, mit einem Zeichen (Namen, Wortverbindung, Schriftzeichen) außer dem Bezeichneten, was die Bedeutung des Zeichens heißen möge, noch das verbunden zu denken, was ich den Sinn des Zeichens nennen möchte, worin die Art des Gegebenseins enthalten ist. Es würde danach in unserem Beispiele zwar die Bedeutung der Ausdrücke 'der Schnittpunkt von a und b' und 'der Schnittpunkt von b und c' dieselbe sein, aber nicht ihr Sinn. Es würde die Bedeutung von 'Abendstern' und 'Morgenstern' dieselbe sein, aber nicht der Sinn."

(Frege, Gottlob. "Über Sinn und Bedeutung." 1892. In Funktion, Begriff, Bedeutung, 6. Aufl., hrsg. v. Günther Patzig, 40-65. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1986. S. 41)
"Fregesche Sinne als Arten des Gegebenseins von Dingen an sich, ja als Eigenschaften von Dingen an sich zu verstehen…"

(Gabriel, Markus. Sinn und Existenz: Eine realistische Ontologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2016. S. 470)

"Damit es überhaupt eine Pluralität an Wahrheiten über einen Gegenstand gibt, muss er unter Beschreibungen existieren."

(Gabriel, Markus. Sinn und Existenz: Eine realistische Ontologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2016. S. 470)

"Ohne Sinne gäbe es keine Gegenstände und ohne eine Pluralität von Sinnen (und damit auf unserer Seite: ohne eine Pluralität von Begriffen) keine Sinnfelder. Könnte ein Gegenstand auf keine Art gegeben werden, nicht einmal als etwas, das uns auf keine Art gegeben werden kann (weil wir etwa nicht über Sonarwahrnehmung verfügen), wäre nichts über ihn wahr. Und könnte ein Gegenstand nur auf eine einzige Art gegeben werden, könnte man keine Gedanken über ihn haben, da man nur dann Gedanken über einen Gegenstand haben kann, wenn man ihn auf verschiedene Weisen präsentieren kann. Diese Aussagen stellen ontologische Wahrheiten dar und drücken nicht nur ontologische Verpflichtungen aus, die etwa mit unserem begrifflichen Schema einhergehen und damit (wenn auch für uns unzugängliche) Alternativen haben könnten.

Das Denken gehört zu dem, was es gibt, und beschäftigt sich nicht »von außen« mit dem, was es gibt. Diese Konzeption des Denkens ist ein Bestandteil der Antwort auf die Form des Skeptizismus, die sich auf einen Denkpsychologismus berufen könnte. Das Denken und seine Grundstrukturen befinden sich ebenso »da draußen« wie jeder andere Gegenstand, auf den wir uns so beziehen können, dass wir ihn erfassen oder verfehlen können. Gerade der Umstand, dass wir Theorien des Denkens entwickeln und sich dabei weitgehender Dissens hinsichtlich seiner Natur zeigt, spricht dagegen, das Denken aus dem Bereich dessen, was es gibt, auszugrenzen.

In diesem Kontext scheint es mir auch keine Quelle sprachlicher Verwirrung (jedenfalls keine Äquivokation) zu sein, dass wir das Wort »Sinn« sowohl für fregesche Sinne als auch für Sinnesmodalitäten verwenden. Fregesche Sinne und unsere Sinnesorgane gehören zusammen, was zur These verführt, dass es kein nichtbegriffliches Gegebenes in der Sinneswahrnehmung gibt, dass das Begriffliche grenzenlos ist usw. Allerdings ist es dann wiederum irreführend, wenn man einen »objektiven Geist« einführt, wie Johnston dies tut, da Sinnfelder nicht irgendwie primär mental sind. Trotz leicht ironischer Untertöne in seinem objektiven Idealismus scheint mir Johnston viel zu beeindruckt von seiner Entdeckung, dass Tatsachen intelligibel oder manifest sind, was ihn eigentlich nicht beeindrucken sollte, wenn er uns wirklich nur für Probesonden von Präsenz und nicht für kleine Sinnschöpfer hält. Es scheint mir dagegen mit rechten Dingen zuzugehen, wenn wir verstehen, dass wir etwas erkennen können, wenn uns auch nur eine endliche Auswahl an Arten des Gegebenseins verfügbar ist. So liegen die Dinge eben, und dies überrascht uns nur, wenn wir zuvor erwarteten, dass die Dinge selbst in einem tendenziell ewigen, semantisch kalten, das heißt sinnlosen Universum existierten, ehe der »Scheinwerfer« der Intelligibilität auf sie gerichtet wurde, der in unseren Gehirnen installiert ist."

(Gabriel, Markus. Sinn und Existenz: Eine realistische Ontologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2016. S. 471-3)
Will er damit sagen, das es kein Sein ohne Gegebensein (oder zumindest ohne mögliches Gegebensein) gibt?
Versteht er unter "Gegebensein" Begriffensein, Wahrgenommensein oder Vorgestelltsein?

Fregesche Sinne sind keine (konkreten) Sinneseindrücke, sondern (abstrakte) verdinglichte Wort- oder Satzbedeutungen, die selbst sinnlich unwahrnehmbar sind und sich von denjenigen (konkreten) mentalen Repräsentationen unterscheiden, die in der heutigen Kognitionspsychologie als Begriffe bezeichnet werden.

Wenn Gabriel die These erwähnt, "dass es kein nichtbegriffliches Gegebenes in der Sinneswahrnehmung gibt", dann geht es dabei um Folgendes:
"The central idea behind the theory of nonconceptual mental content is that some mental states can represent the world even though the bearer of those mental states need not possess the concepts required to specify their content."

"Die zentrale Idee hinter der Theorie des nichtbegrifflichen geistigen Inhalts ist, dass manche geistigen Zustände die Welt repräsentieren können, obwohl die Träger jener geistigen Zustände nicht die Begriffe besitzen müssen, welche zur Spezifizierung ihres Inhalts erforderlich sind."
[© meine Übers.]

Nonconceptual Mental Content: https://plato.stanford.edu/entries/cont ... onceptual/



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Mi 8. Mai 2024, 09:32

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 22. Apr 2023, 11:20
Hier noch mal eine kleine Liste von Dingen, die existieren und uns begegnen von Derek Parfit, die natürlich ebenso unvollständig ist, wie die kleine Liste, die ich oben versucht habe: "Tatsachen, Bedeutungen, Naturgesetze, der Äquator, philosophische Theorien, Nationen, Kriege, Hungersnöte, Überziehungskredite, Preise, Sternbilder, Metaphern, Symphonien, fiktionale Charaktere, Moden, literarische Stile, Probleme, Erklärungen, Zahlen, logische Wahrheiten, Pflichten und Gründe."

Nach meiner Theorie sollte man nicht nach einer Theorie der Existenz Ausschau halten, die all das glattbügelt, sondern ihre Pluralität anerkennt
Vor der ontologischen Anerkennung einer angeblichen Entität sollte man als Philosoph eine eingehende und sorgfältige Begriffsanalyse durchführen, anstatt die naive Volksontologie unhinterfragt für bare Münze zu nehmen. Man hüte sich vor falschen, trügerischen Hypostasierungen!
Nur wenn die Analyse zu einem gut begründeten und rational glaubhaften kategorialen Pluralismus führt, dann soll es so sein.
Man sollte immer die Gefahr ontologischer Selbsttäuschungen berücksichtigen, "welche durch Hypostasierung der Fiktionen entstehen, wenn man eben Non-Entia imaginaria in Entia irrtümlicherweise verwandelt." (*

(* Vaihinger, Hans. Die Philosophie des Als Ob. 7./8. Aufl. Leipzig: Meiner, 1922. S. 607)
"Most things do not exist."

"Die meisten Dinge existieren nicht."
[© meine Übers.]

(Routley, Richard, and Val Routley. Noneist Explorations I. Vol. 2 of The Sylvan Jungle. Edited by Dominic Hyde. Cham: Springer, 2019. p. 67)



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Do 9. Mai 2024, 01:16

Ich muss mich genauer ausdrücken: In Jörns obiger Liste sind ganz unterschiedliche Sachen aufgezählt. Es gibt natürlich eine große Vielzahl verschiedener Artbegriffe bzw. Arten von Seiendem; aber nicht alle davon sind Kategorien im ontologischen Sinn, d.i. allgemeinste, höchste Artbegriffe bzw. Arten von Seiendem.

Es gibt außerdem einen Unterschied zwischen monokategorialen Ontologien, worin es nur eine grundlegende Kategorie gibt, die auf keine andere zurückführbar ist, und polykategorialen Ontologien, worin es mindestens zwei grundlegende und unzurückführbare Kategorien gibt. (Aristoteles' Ontologie umfasst zehn Kategorien und ist damit polykategorial.)

Des Weiteren gibt es einen Unterschied zwischen der universalen Ontologie, die sich mit den Kategorien des gesamten Seins befasst (z.B. Substanzen und Attribute), und regionalen Ontologien, die sich mit den Kategorien eines bestimmten Seinsbereichs befassen wie die Sozialontologie (mit Institutionen und Organisationen als Kategorien).

Ein letzter Unterschied ist hier relevant, nämlich derjenige zwischen einem neutralen, rein deskriptiven Kategorienschema, das alle möglichen ontologischen Kategorien geordnet auflistet, und einem nichtneutralen, evaluativen Kategorienschema, das nur die verwirklichten/wirklichen bzw. für verwirklicht/wirklich erachteten Kategorien enthält. Ein Ontologie, der z.B. nicht an die Existenz von Sachverhalten glaubt, wird diese nicht in seine nichtneutrale Kategorienliste aufnehmen.

Ich nehme aus deiner Liste als Beispiel Nationen heraus, die zum Bereich der Sozialontologie gehören. Ein Sozialontologe stellt sich diesbezüglich die folgenden Fragen:
1. Was genau ist eine Nation?
2. Sind Nationen Teil der sozialen Realität (und damit der einen totalen Realität)?
3. Falls ja, lassen sich Nationen als soziale Entitäten ontologisch auf nichtsoziale, mentale oder/und physische Entitäten(komplexe) reduzieren?

Ein Sozialontologe muss kein reduktiver Materialist sein; aber wenn er einer ist, dann kann er Nationen als soziale Entitäten und damit als Teile der Realität nur dann anerkennen, wenn sie letztendlich nichts weiter sind als Komplexe oder Systeme materieller/physischer Entitäten.
Aus der Sicht der reduktiven Materialisten gilt dies gleichermaßen für alle anderen Arten von Sachen, die in Jörns Liste erwähnt werden. Sie können beispielsweise Pflichten als immaterielle Entitäten nicht anerkennen, aber sehr wohl (zu etwas) verpflichtete Personen, sofern Personen materielle Entitäten sind.



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Do 9. Mai 2024, 03:37

"Wie ist eine Theorie möglich, die über uns Menschen mit unseren ganz besonderen Merkmalen – uns geistbegabte, vernünftige, Sprechakte vollziehende, mit freiem Willen ausgestattete soziale und politische Menschenwesen – Aufschluss gibt, wo wir doch in einer Welt leben, die, wie wir wissen, unabhängig von uns aus physikalischen Teilchen ohne Geist und ohne Sinn besteht? Wie können wir unsere soziale und mentale Existenz in einem Reich nackter physikalischer Tatsachen erklären? Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir es vermeiden, verschiedene ontologische Bereiche zu unterstellen – einen Bereich des Psychischen und einen Bereich des Physischen oder, schlimmer noch, einen Bereich des Psychischen, einen des Physischen und einen des Sozialen. Hier ist nur von einer einzigen Wirklichkeit die Rede, und wir müssen erklären, wie sich die menschliche Realität in diese eine Realität einfügt."

(Searle, John R. Wie wir die soziale Welt machen: Die Struktur der menschlichen Zivilisation. Übers. v. Joachim Schulte. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2012. S. 10)
Dieses ontologische Integrationsproblem umgeht Gabriel mit seiner Sinnfeld-Ontologie, indem er leugnet, dass es so etwas wie die eine Wirklichkeit oder Welt überhaupt gibt. Der große Nachteil ist, dass er somit grundsätzlich außerstande ist, eine (ontogenetisch, evolutionär) einheitliche, zusammenhängende Weltgeschichte zu erzählen, in der alles seinen Platz findet.

Fußnote: Ob wir tatsächlich einen "freien Willen" haben, und falls ja, welche Art davon, sei hier dahingestellt.



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Quk
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Do 9. Mai 2024, 07:47

Nicht alle Sachen müssen einen Zusammenhang haben.

Abgesehen von zusammenhanglosen Ausnahmen können Körper und Geist sehr wohl miteinander wechselwirken und damit Zusammenhänge herstellen.

Überhaupt sehe ich "Körper"- und "Geist"-Elemente als reine Informations-Elemente, daher steht dem Informationsaustausch wenig im Weg.




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Consul
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Mo 27. Mai 2024, 21:53

"Meine eigene Antwort auf die Frage, was Existenz ist, läuft darauf hinaus, dass es die Welt nicht gibt, sondern nur unendlich viele Welten, die sich teilweise überlappen, teilweise aber in jeder Hinsicht unabhängig voneinander sind. Wir wissen schon, dass die Welt der Bereich aller Bereiche ist und dass Existenz etwas damit zu tun hat, dass etwas in der Welt vorkommt. Dies bedeutet dann aber, dass etwas nur in der Welt vorkommt, wenn es in einem Bereich vorkommt. Daraus schließe ich, dass wir die Gleichung

Existenz = das Vorkommen in der Welt

etwas verbessern müssen, wenn sie auch schon in die richtige Richtung weist. Hier ist meine eigene Gleichung:

Existenz = Erscheinung in einem Sinnfeld

Diese Gleichung ist der Grundsatz der Sinnfeldontologie. Die Sinnfeldontologie behauptet, dass es nur dann etwas und nicht nichts gibt, wenn es ein Sinnfeld gibt, in dem es erscheint. Erscheinung ist ein allgemeiner Name für »Vorkommen« oder »Vorkommnis«. Der Erscheinungsbegriff ist aber neutraler."

(Gabriel, Markus. Warum es die Welt nicht gibt. Berlin: Ullstein, 2013. S. 87)
Ich fürchte, seine Existenzdefinition is implizit zirkulär und damit ontologisch untauglich:

"Existenz = Erscheinung in einem [existierenden] Sinnfeld"

Ein nichtexistentes Sinnfeld wäre ein Nichts, und ein Etwas kann nicht in einem Nichts erscheinen oder vorkommen. (Ein leerer Raum, in dem plötzlich etwas erscheint, ist kein Nichts!) Das gilt auch für Sinnfelder selbst, die laut Gabriel ebenfalls in anderen Sinnfeldern erscheinen müssen, um zu existieren; denn ein Sinnfeld kann genauso wenig wie irgendetwas anderes in einem nichtexistenten Sinnfeld erscheinen. Das läuft dann infolge der grundlegenden (impliziten) Zirkularität seiner Existenzdefinition auf einen unendlichen Regress von Existenzvoraussetzungen hinaus:

Sinnfeld S1 existiert = S1 erscheint im [existierenden] Sinnfeld S2
Sinnfeld S2 existiert = S2 erscheint im [existierenden] Sinnfeld S3

Sinnfeld Sn existiert = Sn erscheint im [existierenden] Sinnfeld Sn+1
ad infinitum



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Jörn Budesheim
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Di 28. Mai 2024, 09:07

Eine Definition ist doch nicht zirkulär, wenn sie voraussetzt, dass der Gegenstand, den sie definiert, existiert.




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Ja, es gibt unendlich viele Sinnfelder. Darin sehe ich kein Problem, es gibt auch unendlich viele Zahlen.




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Di 28. Mai 2024, 12:36

Vielleicht noch ein paar Worte zu den verwendeten Begriffen. Gabriel nennt "Sinn" die Anordnungsregeln eines Bereiches (= Sinnfeld). Gegenstände existieren immer nur in Relation zu einem Bereich. Auch der Begriff "Bereich" ist also nicht absolut zu verstehen, er ist Teil der jeweiligen Relation. Der Ausdruck "Erscheinen" bezeichnet die Relation zwischen Bereich und Gegenständen. Tische und Stühle erscheinen im Bereich Wohnzimmer. Und das Wohnzimmer ist kein Behälter, sondern die "Ordnung" (mein Ausdruck), in der Tische und Stühle ein Wohnzimmer "bilden". Ein anderer Bereich ist der der "natürlichen Zahlen", in dem die "7" erscheint. Auch hier stehen Bereich und Gegenstand in der fraglichen Beziehung.

Die verwendeten Begriffe sind "formaler Art". Damit meine ich, dass sie nicht "materialer Art" sind. Das heißt: Sie sagen z.B. nicht, dass etwas MERZ oder Geist sein muss, um zu existieren - das wäre "materialer Art" -, sondern sie geben nur die notwendige "Form" an, also dass es immer der Relation von Bereich und Gegenstand bedarf, um von Existieren zu sprechen.

Die Tatsache, dass alle Bereiche existieren, bedeutet nicht, dass der Begriff "Existenz" bereits in der Erklärung von Gabriel vorkommt.




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Di 28. Mai 2024, 15:00

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 28. Mai 2024, 09:07
Eine Definition ist doch nicht zirkulär, wenn sie voraussetzt, dass der Gegenstand, den sie definiert, existiert.
Nein, aber hier geht es ja um den Existenzbegriff selbst. Eine Definition ist genau dann zirkulär, wenn das zu definierende Wort Teil der definierenden Wörter ist; und das ist bei Gabriels Definition von "Existenz" implizit der Fall, weil Existenz als Erscheinung in einem Sinnfeld immer Existenz in einem existierenden Sinnfeld ist: x existiert =def x erscheint in einem existierenden Sinnfeld.



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Di 28. Mai 2024, 15:11

Meines Erachtens taucht der Begriff Existenz in der Definition nicht auf, weder implizit noch explizit. Im letzten Beitrag hab ich erläutert, warum das so ist. Die Rede ist von Anordnungsregeln, also Sinn und der Relation von Bereich und Gegenstand, also dem Erscheinen.




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Di 28. Mai 2024, 15:16

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 28. Mai 2024, 15:11
Meines Erachtens taucht der Begriff Existenz in der Definition nicht auf, weder implizit noch explizit. Im letzten Beitrag hab ich erläutert, warum das so ist.
x existiert =def x erscheint in einem Sinnfeld.
Es gibt nur zwei Möglichkeiten: x erscheint entweder in einem existenten Sinnfeld oder in einem nichtexistenten Sinnfeld. Letzteres ist (aus dem bereits oben genannten Grund) unmöglich, sodass Ersteres zutreffen muss und Gabriels Definition somit implizit zirkulär ist. Sie ist nicht explizit zirkulär, weil "existieren" nicht ausdrücklich Teil des Definiens ist—was seine Definition aber nicht vor der Untauglichkeit bewahrt.
Zuletzt geändert von Consul am Di 28. Mai 2024, 15:27, insgesamt 2-mal geändert.



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Di 28. Mai 2024, 15:25

Aus deiner Argumentation folgt nicht, dass es einen Zirkel gibt, denn der Begriff Existieren wird nach meiner Ansicht in der Definition nicht in Anschlag gebracht. Das kannst du gerne anders sehen und dir die weitere Gabriel-Lektüre sparen :-)




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Di 28. Mai 2024, 15:27

"Die Sinnfeldontologie behauptet, dass es nur dann etwas und nicht nichts gibt, wenn es ein Sinnfeld gibt [meine Betonung], in dem es erscheint."

(Gabriel, Markus. Warum es die Welt nicht gibt. Berlin: Ullstein, 2013. S. 87)
"Es gibt etwas x =def Es gibt ein Sinnfeld, in dem x erscheint."

Diese Definition ist explizit zirkulär, weil "es gibt" ("es existiert") sowohl im Definiendum als auch im Definiens enthalten ist!



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Di 28. Mai 2024, 15:30

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 28. Mai 2024, 15:25
Aus deiner Argumentation folgt nicht, dass es einen Zirkel gibt, denn der Begriff Existieren wird nach meiner Ansicht in der Definition nicht in Anschlag gebracht. Das kannst du gerne anders sehen und dir die weitere Gabriel-Lektüre sparen :-)
"Existenz = Erscheinung in einem Sinnfeld" (Gabriel)

Das ist äquivalent zu:

"x existiert = x erscheint in einem Sinnfeld"



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Di 28. Mai 2024, 15:41

Das ist doch prima. Dann ist das Thema für dich ja gegessen. Das wolltest du doch auch.




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Di 28. Mai 2024, 16:07

Ich lese diese Texte nicht, um sie zu widerlegen, sondern um zu verstehen, wie Gabriel den Existenzbegriff entwickelt. Meine Referenz ist übrigens "Sinn und Existenz" und nicht "Warum es die Welt nicht gibt". Und was er da über die Struktur des Begriffs zu sagen hat, das finde ich spannend und das kaufe ich ihm ab. Es ist einfach viel zu plausibel.

Dinge existieren nicht einfach so, also schlechthin, sondern immer "irgendwo", was jetzt nicht unbedingt raumzeitlich zu verstehen ist. Das ist meines Erachtens neben anderem auch ein Bruch mit dem alten Substanzbegriff, nach dem Substanz bedeutet, für sich existieren zu können. So etwas gibt es nicht.

Die Dinge existieren vielmehr in Kontexten. Der Physiker Carlo Rovelli sieht das übrigens ganz ähnlich. Er arbeitet sogar mit ähnlichen Metaphern, um das zu verdeutlichen. Seiner Meinung nach gibt es keine große Leinwand, auf die alles gemalt ist (die Welt). Das ist die alte Vorstellung. Er empfiehlt uns das Bild einer Überlagerung vieler Leinwände, vieler Schichten anstelle der Vorstellung einer einzigen, alles umfassenden Leinwand. Die Leinwand entspricht dem Bereich und was sie zeigt, entspricht den Gegenständen, einfach gesagt.

Tatsächlich scheinen einige Physiker, inklusive Rovelli mit Gabriels Vorschlag etwas anfangen zu können. In einem Interview erzählt er:

"... Richtig ist jedenfalls, dass die Quantenmechanik letztlich keine Schwierigkeiten mit dem Neuen Realismus hat – ganz im Gegenteil. Ich habe so viele Zuschriften bekommen aus der Quantenphysik, dass ich das inzwischen sehr ernst nehme. Wir haben ein neues Forschungszentrum gegründet, das Zentrum für Wissenschaft und Denken. Das leite ich gemeinsam mit einem Quantenphysiker. Das ist an der Universität Bonn zustande gekommen, weil mich viele Quantenphysiker ansprechen und mir sagen, das, was ich mache, sei im Grunde eine Form von Physik. Ich habe jüngst bei den Physikern an der Universität Tokio einen Vortrag über meine Sinnfeldontologie gehalten, da meldete sich ein Stringtheoretiker und sagte: »Das ist doch ganz konservative Quantenmechanik, was Sie da machen!« Dem habe ich gesagt, ich hätte damit nichts zu tun, ich sei ja kein Physiker. »Doch, das ist reine Quantenmechanik«, sagte der daraufhin! Er konnte keinen Unterschied sehen zwischen dem, was ich anbiete, und der sogenannten relationalen Interpretation der Quantenmechanik. Die wird in der Philosophie wenig diskutiert. Am ehesten noch von Carlo Rovelli, einem im Moment sehr populären Physiker, der, nebenbei gesagt, auch ein durchaus guter Philosoph ist. Carlo hat mir als Erster beibringen wollen, der Neue Realismus sei im Grunde eine Form von Quantenmechanik ..."

Das Zitat stammt aus einem langen Interview Matthias Eckoldt mit Markus Gabriel übrigens. Dort geht es sinngemäß (fast wörtlich) wie folgt weiter: Auch der renommierte Quantentheoretiker Yasunori Nomura, der das Zentrum für theoretische Physik in Berkeley leitet und zusätzlich eine Professur am Institute for the Physics and Mathematics of the Universe an der Universität Tokyo innehat, ist der Ansicht, das es im Universum kein System aller Subsysteme gibt. (Also keine Welt) Auf dieser Basis möchte er eine neue Quantentheorie formulieren, weil er sagt, er gebe da immer noch eine Totalitätsunterstellung in den Gleichungen - und die muss raus.

Die Philosophen haben "die Welt" erfunden. Und jetzt ist es ihr Job, den Fehler wieder auszubügeln.

Das sind die Dinge, die mich interessieren und nicht defX(y)=n² > wid




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Di 28. Mai 2024, 19:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 28. Mai 2024, 16:07
Ich lese diese Texte nicht, um sie zu widerlegen, sondern um zu verstehen, wie Gabriel den Existenzbegriff entwickelt. Meine Referenz ist übrigens "Sinn und Existenz" und nicht "Warum es die Welt nicht gibt". Und was er da über die Struktur des Begriffs zu sagen hat, das finde ich spannend und das kaufe ich ihm ab. Es ist einfach viel zu plausibel.
"Ich verstehe unter 'Existenz' die Tatsache, dass ein Gegenstand oder einige Gegenstände in einem Sinnfeld erscheinen."

(Gabriel, Markus. Sinn und Existenz: Eine realistische Ontologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2016. S. 184)

"Die zentrale These der Sinnfeldontologie, zu existieren heiße, in einem Sinnfeld zu erscheinen…"

(Gabriel, Markus. Sinn und Existenz: Eine realistische Ontologie. Frankfurt/Main: Suhrkamp, 2016. S. 191)
Anderes Buch, selbes Problem der impliziten Zirkularität seiner Existenzdefinition:

"Ich verstehe unter 'Existenz' die Tatsache, dass ein Gegenstand oder einige Gegenstände in einem [existierenden] Sinnfeld erscheinen."

"Die zentrale These der Sinnfeldontologie, zu existieren heiße, in einem [existierenden] Sinnfeld zu erscheinen…"



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Di 28. Mai 2024, 19:36

Du verstehst gar nicht, worum es in dem Buch geht, das ist offensichtlich, und es ist auch offensichtlich, dass dir das völlig egal ist. Und dass die "Definition", die Du offensichtlich nicht verstehst, nicht zirkulär ist, habe ich weiter oben schon gezeigt.




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