Sinnfelder etc.

Aspekte metaphysischer Systementwürfe und der Ontologie als einer Grunddisziplin der theoretischen Philosophie können hier diskutiert werden.
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 28240
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 29. Jul 2018, 16:03

Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 07:24
Oder noch mal anders: Da ich Psychologist bin, vertrete ich ohnehin die Auffassung, dass Gabriel hier goldrichtig liegt: "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen." Es kann gar nicht anders sein, denn wir können je unsere Sicht nicht von der Welt abziehen, wir können höchstens qua unserer eigenen Perspektive hindurchblicken.
MG hat geschrieben : Es ist unbestreitbar, dass wir die Welt »vom Standpunkt eines Menschen« sehen, wie Kant gesagt hat. Doch bedeutet dies nicht, dass wir sie damit nicht erkennen, wie sie an sich ist. Wir erkennen eben vom Standpunkt eines Menschen, wie die Welt an sich ist.
Ich finde nicht, dass dieses Zitat von Gabriel nahelegt, dass du oben im Recht bist mit deiner Interpretation.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 28240
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 29. Jul 2018, 16:10

Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 16:02
Zudem unterminiert es essentielle sozialpolitische Bestrebungen der Durchsetzung real existierender Werte, weshalb es doch unter diesem Aspekt sogar geboten ist, sich nicht auf solche reduktionistischen Modelle zu beschränken?
Statt "geboten" würde ich eher von "wünschenswert" (oder.ä.) sprechen. Geboten ist, gut zu argumentieren und die Wahrheit anzustreben :-) Wenn das dazu führt, unsere "Lebenswelt" zu "retten" um so besser :-)




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

So 29. Jul 2018, 18:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 16:10
Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 16:02
Zudem unterminiert es essentielle sozialpolitische Bestrebungen der Durchsetzung real existierender Werte, weshalb es doch unter diesem Aspekt sogar geboten ist, sich nicht auf solche reduktionistischen Modelle zu beschränken?
Statt "geboten" würde ich eher von "wünschenswert" (oder.ä.) sprechen. Geboten ist, gut zu argumentieren und die Wahrheit anzustreben :-) Wenn das dazu führt, unsere "Lebenswelt" zu "retten" um so besser :-)
Wenn es denn wahr ist, dass moralische Werte an sich existieren, und es sogar wahr ist, dass sie universal gültig sind, es zugleich geboten ist, die Wahrheit zu sagen, dann ist es auch geboten, nicht die Unwahrheit zu sagen und einen Physikalismus zu vertreten :) Also doch, es ist mehr als nur wünschenswert, keinen Physikalismus zu vertreten.

Solange wir aber die Wahrheit sagen, dürfte alles gut gehen. :)



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 28240
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

So 29. Jul 2018, 18:43

Ich meinte es ungefähr so: Man sollte solche reduktionistischen Modelle ablehnen, weil sie falsch sind und nicht weil die Anlehnung wünschenswerte Folgen hat :-)




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

So 29. Jul 2018, 19:31

Du liebst die Wahrheit wirklich :)



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Mo 30. Jul 2018, 14:34

Alethos hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 12:30
Dann glaubst du also, dass es die geologische Erhebung auf Sizilien in einer beobachterfreien Welt nicht geben kann? Das impliziert die Aussage, es gebe den Ätna an sich nicht.
Das würde die Aussage implizieren, darum glaube ich das auch nicht, das wäre eine Variante des radikalen Konstruktivismus.
Was ich meine ist anders, nämlich das:

1. Es gibt den Ätna an sich. Das ‚an sich‘ wäre dann die Summe aller Perspektiven. Dass es ihn gibt, ist ein logischer Schluss.
2. Wir haben keinen Zugang zum Ätna an sich, weil wir niemals alle Perspektiven einnehmen können.
3. Wir haben dennoch Zugang zum realen Ätna, denn wir sind ja zur Einnahme einiger Perspektiven fähig. Anhand derer nehmen wir den realen Ätna wahr.

Daraus ergibt sich, dass es in einer beobachterfreien Welt sehr wohl den Ätna gibt, es nimmt ihn nur keiner wahr, da jeder Wahrnehmende ja ein Beobachter sein müsste.
Nur ist es eben eine Frage, ob es z.B. neben dem Ätna auch ideale geometrische Körper, elementare Regeln der Logik oder Hexen in einer beobachterfreien Welt gäbe.
Ein mögliches Kriterium dafür wäre, ob zur Beobachtung fähige Wesen irgendeiner Welt oder Region auf den Ätna stoßen müssten – ich meine, ja, wenn sie in die Nähe Siziliens kommen – immer wieder zwingend Hexen finden müssten – ich meine, nein – und ob sie zwingend ideale geometrische Körper oder Logik finden müssten – das weiß ich nicht.

Nehmen wir an, logische Regeln und geometrische Körper würden zwingend gefunden werden, dann stellen sich weitere Fragen, nämlich, ob dieses Finden dann ein Hinweis auf eine eigene Welt oder Sphäre der Logik und Geometrie wäre, oder ein Hinweis auf einen gewissen Komplexitätsgrad des Denkens, den ich dann als Teil des physischen Welt betrachten würde.

Man kann versuchen, ganz ohne ontologische Klärung auszukommen und einfach zu konstatieren, dass es z.B. Zahlen, Hexen, Nebensätze, Vulkan und Gefühle gibt.
Man muss kein Romantiker sein, um die Aussage, dass Liebe ein Hormonausstoß wäre etwas sehr dröge zu finden und die Sprachspiele in denen „Rot“ vorkommt, können nicht einfach mit dem Begriff [elektromagnetische Wellen der Länge soundso] ersetzt werden.
Aber wenn man den Physikalismus nicht selbst reduzierend interpretiert ist er noch nicht einmal ausschließlich der Zuständigkeitsbereich des Physikers, auch eine Psychologe oder Linguist kann Physikalist sein. Der Gedankengang wäre dann:
Alles ist physisch. (Ontologie) Die Physik kann aber längst nicht alles erklären, bspw. kommt die Psyche in der Physik schlicht überhaupt nicht vor. Also kann der Psychologe seinerseits die Physik komplett ignorieren. Als Therapeut braucht er noch nicht mal zu wissen, was ein Elektron ist, es reicht, wenn er sein Gebiet beherrscht. Dennoch kann er weiterhi überzeugt sein, alles an der Psyche sei auf Physisches zurückzuführen.

Da ich glaube, dass man die Frage oder Behauptung x gäbe es ja nicht wirklich immer wieder an den Backen hat, finde ich auch interessant, den ontologischen Status zu klären, selbst dann wenn der Pragmatiker drauf pfeifen kann.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 28240
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 30. Jul 2018, 15:07

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 14:34
2. Wir haben keinen Zugang zum Ätna an sich, weil wir niemals alle Perspektiven einnehmen können.
Warum sollte das so sein? Dafür fehlt ein Grund, finde ich. Dass wir notwendig nur Ausschnitte erkennen können, heißt meines Erachtens nicht, dass wir nicht die Dinge an sich selbst erkennen können. Sofern wir wahre Ansichten haben, handeln diese davon, wie die Dinge an sich selbst liegen.

Was außerdem fehlt in der Betrachtung ist, dass wir über ein abstrahierendes Vokabular verfügen, welches unsere Wahrnehmungsperspektiven übersteigen kann.




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Mo 30. Jul 2018, 16:11

Hallo Jörn,

ich glaube, das lässt sich beides aufklären und ich finde die von Dir angeschnittenen Fragen wichtig und interessant.

Zunächst:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 16:03
Tosa Inu hat geschrieben :
So 29. Jul 2018, 07:24
Oder noch mal anders: Da ich Psychologist bin, vertrete ich ohnehin die Auffassung, dass Gabriel hier goldrichtig liegt: "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen." Es kann gar nicht anders sein, denn wir können je unsere Sicht nicht von der Welt abziehen, wir können höchstens qua unserer eigenen Perspektive hindurchblicken.
MG hat geschrieben : Es ist unbestreitbar, dass wir die Welt »vom Standpunkt eines Menschen« sehen, wie Kant gesagt hat. Doch bedeutet dies nicht, dass wir sie damit nicht erkennen, wie sie an sich ist. Wir erkennen eben vom Standpunkt eines Menschen, wie die Welt an sich ist.
Ich finde nicht, dass dieses Zitat von Gabriel nahelegt, dass du oben im Recht bist mit deiner Interpretation.
Dem Zitat würde ich auch nicht zustimmen. Dem obigen Gabriel Zitat - "Unser Zugang zur Welt gehört zur Welt, wir registrieren die Welt von innen."- aber weiterhin.
Im unteren Zitat behauptet Gabriel einfach etwas, was er begründen müsste.
Wenn Gabriel sagt " Doch bedeutet dies nicht, dass wir sie damit nicht erkennen, wie sie an sich ist." dann ist das, wenn er damit auf Kant anspielt falsch:
Leider hat das Eisler Lexikon merkwürdige Copyright Richtlinien, so dass ich nur verlinke, es reicht, die ersten 12 Zeilen zu lesen:
https://www.textlog.de/32917.html

Was er aber natürlich sagen kann, ist, dass er an der Stelle anderer Meinung als Kant ist, die sollte er dann begründen.

Unabhängig von Gabriel wird damit aber eine interessante andere Frage aufgeworfen, nämlich die nach dem Verhältnis von Realität und 'an sich', die Du hier auch ansprichst:
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 15:07
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 14:34
2. Wir haben keinen Zugang zum Ätna an sich, weil wir niemals alle Perspektiven einnehmen können.
Warum sollte das so sein? Dafür fehlt ein Grund, finde ich. Dass wir notwendig nur Ausschnitte erkennen können, heißt meines Erachtens nicht, dass wir nicht die Dinge an sich selbst erkennen können. Sofern wir wahre Ansichten haben, handeln diese davon, wie die Dinge an sich selbst liegen.
Kant definiert sein 'an sich' als das rein Geistige und damit als unerkennbaren Grenzbegriff.
Ich habe mein 'an sich' hier etwas anders definiert, nämlich als Summe aller Perspektiven.
Gabriel hat sein 'an sich' an dieser Stelle nicht definiert.
Der Grund dafür, dass wir nicht alle Perspektiven einnehmen können, liegt auf der Hand, wir können es halt nicht. Wir wissen nicht, wie die überwiegend wohl olfaktorische Welt des Hundes ist, noch, wie es ist, eine Fledermaus zu sein.

Die Ausschnitte die wir erkennen können, sind eben nur Ausschnitte und daher per def nicht die Gesamtheit.
Aber, wichtiger Punkt (gegen den radikalen Konstruktivismus), es spricht nichts dagegen, dass die Ausschnitte, die wir sehen, einen Teil der Realität abbilden.
Wenn ich da die kugelförmige, rote Tomate sehe, dann ist das was ich da sehe, die Realität und nicht etwa nur eine B-Version und A wäre dann, dass das ein Wasserbehälter mit einer Haut ist, die bestimmte elektromagnetische Wellen reflektiert. Diese physikochemische Sicht ist um nichts eigentlicher, wahrer oder realer sondern einfach eine andere Perspektive, ein anderer Blick. Es gibt kein Dahinter.
(Die radikalen Konstruktvisten wollen gerne ontologisch enthaltsam sein, halten das aber - wie wir in der einschlägigen Diskussion sahen - nicht durch.)
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 15:07
Was außerdem fehlt in der Betrachtung ist, dass wir über ein abstrahierendes Vokabular verfügen, welches unsere Wahrnehmungsperspektiven übersteigen kann.
Ich weiß nicht, inwieweit man hier von übersteigen reden kann. Denken und Wahrnehmen tritt bei uns eben nahezu untrennbar zusammen auf, sind aber nicht dasselbe. Aber, auch wenn man das didaktisch zerlegen kann, darf man wiederum nicht vergessen, dass das ein Kunstschritt ist und unserem (Alltags-)Erleben beides stets zusammen auftaucht. Denken bietet uns andere Möglichkeiten, aber es ersetzt keine fehlenden Sinne. Wir wissen dennoch nicht, wie der Hund oder die Fledermaus ihre Welt erleben und auch ihre Perspektive auf den Ätna ist real. Insonfern haben der Hund, die Fledermaus und der Mensch einen realen Zugang zum Ätna, aber den Ätna 'an sich' kann man nach meiner Definition (einfach eine Variante davon, dass es den Blick von Nirgendwo, von Überall oder aus Gottes Sicht nicht gibt) nicht erkennen, nach Kant auch nicht, Gabriel müsste erläutern (oder wir die Stelle suchen) was er unter 'an sich' versteht.

Aber im Kontext neuer Realismus ließe sich an der Stelle festhalten, dass wir qua unserer Sinne und unseres Denkens (auf davon gibt es ja zahlreiche Variationen aka Weltbilder) zum realen Ätna Zugang haben und es keinen Grund gibt sich im konstruktivistischen Irrgarten zu verlaufen.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 28240
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 30. Jul 2018, 16:27

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 16:11
Dem Zitat würde ich auch nicht zustimmen.
Das war eigentlich nicht mein Punkt. Es ging mir dabei um die Frage, ob du mit deiner Interpretation Gabriels Ansicht triffst. Was damit gemeint ist, war schließlich strittig. Ist das damit geklärt?




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Mo 30. Jul 2018, 16:33

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 16:27
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 16:11
Dem Zitat würde ich auch nicht zustimmen.
Das war eigentlich nicht mein Punkt. Es ging mir dabei um die Frage, ob du mit deiner Interpretation Gabriels Ansicht triffst. Was damit gemeint ist, war schließlich strittig. Ist das damit geklärt?
Nein, weil das ja davon abhängt, was Gabriel nun meint, wenn er "an sich" sagt. Er hat auch eine andere Vorstellung von "Weltbild" als ich.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Mo 30. Jul 2018, 17:18

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 16:33
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 16:27
Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 16:11
Dem Zitat würde ich auch nicht zustimmen.
Das war eigentlich nicht mein Punkt. Es ging mir dabei um die Frage, ob du mit deiner Interpretation Gabriels Ansicht triffst. Was damit gemeint ist, war schließlich strittig. Ist das damit geklärt?
Nein, weil das ja davon abhängt, was Gabriel nun meint, wenn er "an sich" sagt. Er hat auch eine andere Vorstellung von "Weltbild" als ich.
Gabriel meint, dass das Ansichsein der Dinge uns gegeben ist in der Form unseres Erkenntnisapparats. Die Dinge sind an sich so, wie sie uns erscheinen, als eben diese Erscheinung ihres Ansichseins.

Für eine Fledermaus gäbe es ein anderes Ding an sich, eben in der Form seines sensorischen Instrumentariums.

Damit ist aber wiederum keine epistemologische Implikation verbunden, sondern die Ansicht, dass es zum 'Wesen' der Sache gehört, so-und-so zu erscheinen, weil das darunterliegende Substrat der Sache selbst so geartet ist, dass sie unter den Bedingungen des Erkanntwerdens so erscheinen muss.

Es ist immer der Fall, dass man einen Computer nicht trinken kann, meistens aber so, dass man den Kaffee im Becher daneben schon. Es gibt hier also eine gewisse Verlässlichkeit der Sache, die nicht gegeben wird durch das Erkennen, sondern durch das Sein der Sache selbst.

Es gibt eine relativ komplizierte Passage, in welcher Gabriel das Kant'sche Ding an sich kritisiert. Lesenswert ab Seite 97.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Mo 30. Jul 2018, 18:04

Tosa Inu hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 14:34
Nur ist es eben eine Frage, ob es z.B. neben dem Ätna auch ideale geometrische Körper, elementare Regeln der Logik oder Hexen in einer beobachterfreien Welt gäbe.
Ich glaube, dass es Hexen in einer beobachterfreien Welt geben kann, sofern es jemals jemanden gegeben hat, der sie gezeichnet, modelliert oder über sie geschrieben hat.
Dabei reicht es aus, dass dieser Jemand ein Individuum namens Hexe hinreichend als solches beschrieben hat. Dieses 'Hexending' muss nicht in allem der Beschreibung folgen, die einer Hexe aus Fleisch und Blut zukäme, falls es eine solche unter den Naturdingen gäbe. Sie muss also nicht in der Weise ausformuliert sein als Individuelles, damit sie genauso gut eine Hexe aus Fleisch und Blut sein könnte, denn das ist sie ja als Romanfigur gerade nicht. Aber sie ist als solche Romanhexe eben hinreichend individuiert, um nicht als Tisch, als Fledermaus oder als Vollmond zu gelten.

Und so gilt eben auch die partielle Beschreibung des Ätnas als wie auch immer ontologisch geartetes Ding solange als hinreichend, als es sich als Ätna in dieser jeweiligen Form bestimmen lässt.
Das Ansichsein des Ätnas als Ätna, als dieses Individuum, hängt an seinen Individuationen, und die Prädikate, die auf es zutreffen, geben Auskunft über die ontologische Seinsart dieses Individuums. Der Ätna in einer Schauererzählung ist nun eben kein räumliches Ding, auf es trifft das Prädikat '...ist ein räumliches Ding' nicht zu.

Das bedeutet nicht, dass der Erzähler selbst nicht auf seine physikalischen Prädispositionen zurückgreifen müsste, um diesen Vulkan in der Erzählung zu erschaffen. Er muss sein Hirn aktivieren, den Zeichen- oder Schreibstift betätigen etc, aber das, was daraus resultiert ist nun eben kein rein physisches Ding, weil es nicht alle Eigenschaften eines physischen Dings hat.

Damit man aber verstehen kann, dass es nicht nur physische Dinge gibt, muss man sich darüber klar werden, dass Physikalität selbst eine Eigenschaft von Existierendem ist, aber nicht eine, die das Ding in seinem vollen Sein zu begründen in der Lage wäre. Denn auch die Physikalität besteht aus Eigenschaften (Ausdehnung, Masse etc.) und sie kommt vielen, aber nicht allen diesen Dingen zu. Die Zahl 2 hat keine solchen physikalischen Eigenschaften.

Und darum muss man doch im
weiteren einsehen, dass die Logik selbst eine nichtphysikalische Perspektive auf das Sein der Dinge ist, die damit aber wiederum nicht als physikalische Dinge gelten können, weil es sich nicht allein physikalisch beschreiben lässt. 'Der Ätna ist grösser als das gleich daneben stehende Haus' ist eine Wahrheit, die sich aus der Relation ergibt, aber die Relation ist eine logische Kategorie und keine materielle. Wenn es auch keine Relation gäbe ohne Haus und Berg, so gäbe es doch aber immer noch die Kategorie, dass 2<3.
Die logische Perspektive (der logische Sinn) eines Dings besteht durch die Sache aber in einer anderen ontologischen Weise als sie als dieses Materielle besteht.

Man muss hier keine ideelle Welt neben oder hinter der feststofflichen suchen, um auf diese simplen ontologischen Wahrheiten zu stossen.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 28240
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Mo 30. Jul 2018, 20:52

Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 17:18
Lesenswert ab Seite 97.
Hier ein kurzer Auszug, der ganz gut zur Diskussion passt:
MG hat geschrieben : Kant scheint hier einem weiter verbreiteten Fehlschluss das Wort zu reden, der darin besteht anzunehmen, dass wir Dinge an sich überhaupt nicht erkennen können, weil wir sie nicht vollständig erkennen können. Dieser Mangel an Vollständigkeit sollte allerdings niemals als Indiz für die Unmöglichkeit gedeutet werden, Zugang zu Dingen an sich zu haben, da es im Allgemeinen ein überzogener Anspruch wäre zu verlangen, dass man nur dann etwas über etwas weiß oder es erfolgreich erkennt, wenn man alles über es weiß oder es vollständig erkennt. Natürlich ist alles Erkennen und alles Wissen Stückwerk, was Teil der Erklärung unserer Fallibilität ​ist. Doch folgt daraus nicht, dass wir uns nicht mittels Erscheinungen unproblematisch auf Dinge an sich beziehen.




Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Di 31. Jul 2018, 09:02

Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 18:04
Ich glaube, dass es Hexen in einer beobachterfreien Welt geben kann, sofern es jemals jemanden gegeben hat, der sie gezeichnet, modelliert oder über sie geschrieben hat.
Ich glaube nach wie vor, dass das Berichte über Hexen sind und dass das Argument: Wie kann es einen Bericht über etwas geben, was es nicht gibt? ein denkbar schlechtes ist.
Natürlich gibt es Berichte über Dinge, die es nicht gibt und geben kann, damit ist deren Existenz aber gerade nicht bewiesen.
Wenn man sagt, dass es keine 8 physikalischen Grundkräfte gibt, dann ist diese Aussage kein Existenzbeweis von 8 physikalischen Grundkräften.
In der Beschreibung: "Ferdi, der verheiratete Junggeselle, ist der Erfinder der basischen Säure. Seine Lieblingszahl ist die Treizel, die ganze Zahl zwischen 12 und 13, seine Jacken waren stets mit kreisrunden Karos gemustert, in tiefrotem Blau mit Ockerschwarz." ist nun ebenfalls nichts als existent bewiesen.

Ansonsten wäre das ja der Gabrielsche Gottesbeweis, es gibt Gott, weil über ihn geschrieben wurde.
Nun ist die Dauerdiskussion um Gottes Existenz ja bekannt und mit der schiedlich-friedlichen Scheinlösung, dass es Gott natürlich nicht in der physischen Welt gibt und auch nicht im Alltag, aber als literarisches Konstrukt religiöser Schriften seine Mikro-Berechtigung hat, werden nur Atheisten zufrieden sein, weil der Anspruch den religiöse Menschen mit ihren heiligen Texten verbinden, ein viel weitreichenderer ist.

Das alles wird zu einem Spiel sich widersprechenden Wahrheiten, bei denen die Angabe des zutreffenden Sinnfeldes (bei der die Frage der Zuständigkeit ungeklärt bleibt) alles auflösen soll.
Der Gott der Bibel hält sich aber schon mal nicht an seine Rolle der Existenz im Text und im Gespräch unter Gläubigen, weil diese glauben, ihr Gott habe die phyische Welt erschaffen und jederzeit die Möglichkeit in diese einzugreifen.

Ein Hauptproblem ist, dass die Rolle der Trennung zwischen Realität und Phantasie, fake und fact nun den korrekten benannten Sinnfeldern aufgebürdet wird, ohne dass auch nur ansatzweise klar wäre, welchem Sinnfeld denn nun, außen welchem Grund, die Deutungshoheit zufällt. Siehe die Frage, ob der Irak 2003 Massenvernichtugswaffen hatte. Im Sinnfeld Colin Powell ja, im Sinnfeld Joschka Fischer nein, oder stritten beide im selben Sinnfeld?
Kann man sich schon nicht einigen, welches Sinnfeld nun das richtige ist, ist noch viel unklarer, wo die Kompetenzbreiche und Sinnfelder nun beginnen und enden. Gibt es eine Sinnfeld Alltag? Wann geht es in das Sinnfeld Kochen und dieses in das Sinnfeld Kunst über?
Wenn der individuierte Gegenstand nun die Felder selbst aufspannt und das Menü also das Zentrum ist, inwieweit bringen uns zig unterschiedliche Blickwinkel, außer in der lapidaren Feststellung, dass sie möglich sind nun wirklich weiter?
Bei der Fragen Waffen im Irak, ist die Lösung die jeder einsichtig findet, dass man hinfährt und nachschaut wie es denn wirklich ist, eine, die jeder versteht, nur dass da eben praktische Probleme im Raum stehen, etwa, dass Diktatoren selten kooperativ sind.

Dass uns die Theorie der Sinnfelder bei der entscheidenden Frage, ob es denn nun wirklich so ist entscheidend weiter helfen, kann ich nicht sehen.
Romanfiguren, die bisher als Phantasieprodukte galten, eine eigene Existenz zuzusprechen, diese aber gleichzeitig wieder in ein Sinnfeld Roman zu bannen, bei dem man die SFO fundamental falsch verstanden hätte, wenn man dächte, diese würden auch nur entfernt das Sinnfeld unserer physischen Welt betreten, heißt eigentlich nichts anders als zuvor: Mann trennt Wirklichkeit und Phantasie.

Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 18:04
Und darum muss man doch im weiteren einsehen, dass die Logik selbst eine nichtphysikalische Perspektive auf das Sein der Dinge ist, die damit aber wiederum nicht als physikalische Dinge gelten können, weil es sich nicht allein physikalisch beschreiben lässt.

Du verstehst den Unterschied zwische Ontologie und Erkenntnistheorie miss. Ein Meerschweinchen lässt sich auch nicht allein physikalisch beschreiben.
Damit ist nichts gesagt, außer, dass es nicht möglich ist, mit der Sprache der Physik ein Meerschweinchen so zu erfassen, dass wir es als hinreichend empfinden. Dass ein Meerschwein aber nicht physisch sein soll, ist damit nicht gesagt.
Die Sprache der Physik ist die der vier Grundkräfte in Aktion da erscheinen Meerschweinchen vielleicht als eigenbewegliche, wärmeabstrahlende zylindrische Körper.

Was genau ist für Dich an dem Gedanken, dass etwas physisch ist, aber es in der Sprache der Physik nicht beschrieben werden kann, falsch?
Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 18:04
'Der Ätna ist grösser als das gleich daneben stehende Haus' ist eine Wahrheit, die sich aus der Relation ergibt, aber die Relation ist eine logische Kategorie und keine materielle. Wenn es auch keine Relation gäbe ohne Haus und Berg, so gäbe es doch aber immer noch die Kategorie, dass 2<3.
Die logische Perspektive (der logische Sinn) eines Dings besteht durch die Sache aber in einer anderen ontologischen Weise als sie als dieses Materielle besteht.

Man muss hier keine ideelle Welt neben oder hinter der feststofflichen suchen, um auf diese simplen ontologischen Wahrheiten zu stossen.
Nur ist eben die Frage, ob es Logik, abseits logisch denkender Hirne gibt. Und die "2", wenn Du von ihr mal alles Materielle, was Dir in Ziffern wie 2, II, Begriffen wie "zwei", "two" oder in Gedanken an zwei Beine, zwei Kühe oder Sonstiges abziehst, ist nun als reine Zahl in Deiner Vorstellung was genau?
Falls es diese reine 2 bei Dir gibt, wie empfindest Du sie?
Falls Du sie empfinden kannst, meinst Du es gäbe während dieser Empfindung irgendeine Stelle im Hirn, die aktiv ist, während Du reinste Zweiheit empfindest?
Falls ja, meinst Du diese Stelle/Aktivität sei irgendwie anders als die der Empfindung reiner Achtheit?
Falls ebenfalls ja, hättest Du Deinen physischen Ort.

Das wäre tatsächlich anders, wenn Du denkst, wie es Kabbalisten und Mathematiker auf unterschiedliche Weise tun, dass das physische Universum nichts anderes als ein Ausdruck von Zahlen ist. Man müsste dann sagen, vor und nach aller physischen Existenz gibt es einen 'ortlosen' Raum, in dem Zahlen und Relationen der Zahlen untereinander, die sich aus ihrem Wesen ergeben, existieren.
Dann allerdings würden die dualistischen Fragen scharf werden.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Tosa Inu
Beiträge: 2300
Registriert: Mo 31. Jul 2017, 19:42
Kontaktdaten:

Di 31. Jul 2018, 09:17

Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 17:18
Für eine Fledermaus gäbe es ein anderes Ding an sich, eben in der Form seines sensorischen Instrumentariums.
Nicht sehr überzeugend, oder?
EIn Ding an sich, ist nur an sich, wenn es für alle gleich ist, sonst ist es ein Ding für uns.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 20:52
Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 17:18
Lesenswert ab Seite 97.
Hier ein kurzer Auszug, der ganz gut zur Diskussion passt:
MG hat geschrieben : Kant scheint hier einem weiter verbreiteten Fehlschluss das Wort zu reden, der darin besteht anzunehmen, dass wir Dinge an sich überhaupt nicht erkennen können, weil wir sie nicht vollständig erkennen können. Dieser Mangel an Vollständigkeit sollte allerdings niemals als Indiz für die Unmöglichkeit gedeutet werden, Zugang zu Dingen an sich zu haben, da es im Allgemeinen ein überzogener Anspruch wäre zu verlangen, dass man nur dann etwas über etwas weiß oder es erfolgreich erkennt, wenn man alles über es weiß oder es vollständig erkennt. Natürlich ist alles Erkennen und alles Wissen Stückwerk, was Teil der Erklärung unserer Fallibilität ​ist. Doch folgt daraus nicht, dass wir uns nicht mittels Erscheinungen unproblematisch auf Dinge an sich beziehen.
Für Kant ist das Ding an sich aus anderen Gründen unsichtbar, als Gabriel hier meint.
Gabriel beschreibt dass, wenn man nicht alles sehen kann, man dennoch davon ausgehen kann, dass das, was man sieht, die Realität ist.
Damit setzt er die Realität durch die mit man qua Teilperspektive hat mit dem 'an sich' gleich. Kant tut das nicht und er tut es obendrein nicht aus den von Gabriel benannten Gründen. Dazu wenige Zeilen von Kant.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Di 31. Jul 2018, 12:08

Tosa Inu hat geschrieben :
Di 31. Jul 2018, 09:17
Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 17:18
Für eine Fledermaus gäbe es ein anderes Ding an sich, eben in der Form seines sensorischen Instrumentariums.
Nicht sehr überzeugend, oder?
EIn Ding an sich, ist nur an sich, wenn es für alle gleich ist, sonst ist es ein Ding für uns.
Dass ein Gegenstand der Anschauung per Definition in die Relation Betrachter-Betrachtetes eingelassen ist, bedeutet ja nur einmal gerade das: Die Perspektive des erscheinenden Gegenstands ist objektiv gegeben in dieser Relation. Wir sehen das Ding, wie es an sich ist, gegeben die objektive Relation.

Ein Ding kann so gesehen überhaupt nie an sich sein, wenn damit sein absolutes Sein gemeint wäre, denn es ist ja immer schon relational zu anderen Dingen in Tatsachen eingelassen. Eine solche Tatsache ist nun unter anderem, dass es durch uns oder durch die Fledermaus angeschaut wird.

Aber dadurch wird ja auch klar, dass die Erscheinung damit nicht etwas allein epistemologisch Fundiertes ist, sondern sich ergibt aus dem Sosein des Dings für uns, so dass das Sosein für uns die objektive Form der Perspektive des Dings an sich ist. Nur deshalb können wir überprüfbare empirische Urteile fällen.
Sinn und Existenz, S. 105-107 hat geschrieben : Wie man es auch wendet, Kant muss imstande sein zu behaupten, dass Dinge an sich in Tatsachen eingebettet sind, das heisst, dass sie mindestens teilweise dafür geeignet sind, gedacht zu werden. Irgendetwas muss auf sie zutreffen, was voraussetzt, dass wir etwas über sie wissen, da wir in der KrV Wissen darüber erlangen, was es bedeutet, dass überhaupt etwas auf etwas zutrifft. Wir müssen beanspruchen zu wissen, dass dasjenige, was auf Dinge an sich zutrifft, zumindest niemals so beschaffen ist, dass Dinge an sich Gegenbeispiele gegen die Gesetze der 'allgemeinen Logik' im Sinne Kants darstellen. Ansonsten könnten wir nicht ausschliessen, dass Dinge an sich erkennbar sind, da sie sowohl erkennbar als auch unerkennbar sein könnten, wenn sie nicht den Gesetzen der allgemeinen Logik unterstünden.

...


Folglich müssen Dinge an sich näher bestimmt und hinreichend individuiert sein, damit die Erscheinungen durch Affektion als so-und-so mitbestimmt werden, auch wenn die spezifischen Vorgänge dieser Bestimmung (der Affektion) nicht Gegenstand menschlicher Erkenntnis sein können. Kant muss zumindest voraussetzen, dass Erscheinungen auf Dingen an sich supervenieren, weil von Affektion ansonsten keine Rede mehr sein könnte. Die Dinge an sich müssen irgendeine Form haben, um überhaupt dafür geeignet zu sein, in irgendeiner relevanten Relation der Supervenienz zu den Erscheinungen zu stehen.
Wenn man dies aber weiterdenkt, was Gabriel tut, so muss man die Erscheinung als eine Resultierende des objektiven Gegebenseins der Dinge und ihr Gegebensein folglich als eine objektive Perspektive ihres Soseins (als ihren Sinn) begreifen.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 28240
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 31. Jul 2018, 18:51

Alethos hat geschrieben :
Mo 30. Jul 2018, 17:18
(1) Gabriel meint, dass das Ansichsein der Dinge uns gegeben ist in der Form unseres Erkenntnisapparats. (2) Die Dinge sind an sich so, wie sie uns erscheinen, als eben diese Erscheinung ihres Ansichseins.

(3) Für eine Fledermaus gäbe es ein anderes Ding an sich, eben in der Form seines sensorischen Instrumentariums. (Nummerierung von mir)
Die Pointe von Gabriel und anderen ist meines Erachtens, dass die Phänomene schlichtweg Eigenschaften der Dinge selbst sind. Wie du es in (2) ausdrückst. Das entspricht im übrigen auch genau unserer Alltags-Auffassung finde ich. Deswegen bin ich mit deiner Formulierung (1) nicht 100% glücklich :) Und Fledermäusen oder Walen sind eben andere Aspekte dieser Welt zugänglich als uns. (3)

In einer Fußnote bringt Gabriel ein sehr sprechendes Zitat von Mark Johnston, der das kurz und bündig (und wie ich finde) sehr überzeugend begründet: »But modes of presentation are not mental; they are objective, in that they come with the objects themselves as the very features of those objects that make them available for demonstration, thought and talk. And they are individuated by the objects they present.«




Benutzeravatar
proximus
Beiträge: 299
Registriert: Do 31. Mai 2018, 09:23

Di 31. Jul 2018, 18:59

Alethos hat geschrieben : Für eine Fledermaus gäbe es ein anderes Ding an sich, eben in der Form seines sensorischen Instrumentariums.
Es ist dann nicht ein anderes Dung an sich , sondern eine andere Erscheinung des selben Ding an sich.



""Wahrheit" ist immer nur theoretisch." proximus

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 28240
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 31. Jul 2018, 19:17

Information Philosophie schreibt David Lauer über john McDowell wie folgt:

"Wieso sollte nur das als objektiv gelten, was unabhängig davon individuierbar und beschreibbar ist, wie sich die Welt für ein menschliches Wesen präsentiert – für ein Wesen mit einer bestimmten leiblichen, sprachlichen und kulturellen Lebensform? Es gibt keinerlei Grund, die Grenzen des Objektiven derart eng zu ziehen. Objektiv sind alle Beschaffenheiten, die wir als Beschaffenheiten der von uns unterschiedenen Welt erfahren. Es sind aber gerade die irreduzibel an die Perspektive eines menschlichen Wesens gebundenen Qualitäten, die in der Wahrnehmung als von uns unabhängige Beschaffenheiten der Welt erfahren werden. Dinge und Sachverhalte in der Welt präsentieren sich uns als objektiv begehrenswert oder abstoßend, schön oder hässlich, gerecht oder grausam. Es handelt sich dabei nicht um subjektive Projektionen auf eine objektiv nicht-normative Welt, sondern um die Entdeckung immer neuer objektiver Qualitäten der Welt selbst. Dass die Welt manche ihrer Eigenschaften nur Lebewesen mit einer bestimmten sinnlichen und begrifflichen Ausstattung enthüllt, nicht jedoch anderen, steht nicht im Widerspruch zu der These, dass diese Eigenschaften den Dingen objektiv zukommen und ihr Vorhandensein auch dann eine Tatsache wäre, d.h.: von entsprechenden Lebewesen würde entdeckt werden können, wenn es entsprechende Wesen faktisch nicht (mehr) gäbe oder nie gegeben hätte."

Das ist jetzt natürlich nicht einfach dasselbe, was Markus Gabriel und Mark Johnston, vortragen. Aber diese Statements zeigen, dass es etliche Philosophen gibt, die in diese sehr vielversprechende Richtung arbeiten.




Benutzeravatar
Alethos
Beiträge: 4212
Registriert: Do 17. Aug 2017, 15:35
Wohnort: Schweiz

Di 31. Jul 2018, 19:22

proximus hat geschrieben :
Di 31. Jul 2018, 18:59
Alethos hat geschrieben : Für eine Fledermaus gäbe es ein anderes Ding an sich, eben in der Form seines sensorischen Instrumentariums.
Es ist dann nicht ein anderes Dung an sich , sondern eine andere Erscheinung des selben Ding an sich.
Ja, korrekt. Danke für die Präzisierung.



-------------------------------
Alle lächeln in derselben Sprache.

Antworten