Philosophen und Philosophinnen?

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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Jörn Budesheim
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Mi 16. Aug 2017, 19:36

Versteht ihr euch selbst als Philosophen und Philosophinnen?




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Stefanie
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Mi 16. Aug 2017, 21:36

;- )) Schön, dass Du die Überschrift geändert hast.

Nein, ich verstehe mich nicht als Philosophin. Noch nicht ein mal als Laienphilosophin.

Ich hatte in der Schule einen Bogen um Philosophie gemacht, an der Uni auch. Rückblickend war das keine so weise Entscheidung.
Als ich Kontakt zur Philosophie bekam, und anfing mich etwas schlau zu machen - ich wollte nicht als Dummchen darstehen- merkte ich hoppla, das scheint ein Gebiet zu sein, dass mir die Möglichkeit bietet, Antworten und Erklärungen zu den Gedanken zu finden, die so in meinem Kopf rumschwirren, wie mein Dauerthema "Wieso erlebe ich die Welt nur aus meiner Perspektive, was immer noch eine Endlosschleife bei mir ist.
Zwischendurch ergeben sich mal so was wie Zufallsfunde in mehrfacher Hinsicht. Mir fiel Safranski "Wieviel Wahrheit braucht der Mensch" in die Hände. Erst dachte ich, ach jee.... Dann habe ich es gelesen, und dachte oh, wie interessant und ach soo, deshalb ist das so oder so, Zusammenhänge usw. Ein Puuzelteilchen gefunden... In der Schule mussten wir die "Verwandlung" von Kafka lesen... und ich damals, ach je, wie blöd ist dass denn. In dem Buch von Safranski gibt es ein ganzes Kapital zu Kafka und beim Lesen dachte ich, oh wie interessant und gut ist das denn, und sorry Herr Kafka.
Mir fiel ein dünnes Büchlein über Levinas in die Hände, das hat mich berührt.
Oft gibt es die sog. Aha Effekte. Bei vielen Beiträgen wieder, ach sooooooooooooo.
Den letzten Aha Effekt hatte ich hier beim Lesen des Threads Liegt die Schönheit im Auge des Betrachters.

Kurz: Ich suche nach Antworten und Zusammenhängen meiner Fragen und Gedankengänge, die meistens irgendwo im Hinterkopf bei mir sind und suche den Aha Effekt und immer noch, wo zum Kuckuck gehöre ich mit meinen Vorstellungen eigentlich hin, ... in welche Schublade.

... als ich das erste mal über "Schrödingers Katze" im Drüben Forum las, war ich kurzzeitig fast am Verzweifeln, ... ich werde das nie verstehen. Merke: Nicht meine Schublade, und andere Gedankenexperimente machen mich manchmal kirre, weil ich will die alle auflösen.

Das alles beweist: Ich bin keine Philosophin.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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iselilja
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Mi 16. Aug 2017, 22:18

Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 21:36
;- )) Schön, dass Du die Überschrift geändert hast.


Kurz: Ich suche nach Antworten und Zusammenhängen meiner Fragen und Gedankengänge, die meistens irgendwo im Hinterkopf bei mir sind und suche den Aha Effekt und immer noch, wo zum Kuckuck gehöre ich mit meinen Vorstellungen eigentlich hin, ... in welche Schublade.

:-) Ich bin kein Freund von Schubladen und reagiere auch zumeist allergisch, wenn andere in eine Schublade gesteckt werden, nur weil sie dies oder jenes mal gesagt haben. Umsomehr bin ich erstaunt, dass jemand freiwillig in eine Schublade krabbelt, um sich selbst besser zu verstehen.

Aber ich denke, wer nach Antworten sucht, die sich nicht so ohne weiteres im alltäglichen Dasein auffinden lassen, findet früher oder später zur Philosophie. Ob man deswegen schon Philosoph ist? Keine Ahnung..




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Stefanie
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Mi 16. Aug 2017, 22:34

Schubladen sind auch nicht toll. Meine Vorliebe für pink und rosa ist allseits bekannt, und wer mich darauf reduziert, steckt mich in eine falsche Schublade. Nun ja, hat meistens ein derjeniger dann Pech gehabt.
Wenn ich gefragt werde, welche philosophische Strömung ich denn favorisiere, muss ich passen. Mir selber kann ich diese Frage nicht beantworten... manchmal denke, oh jetzt hast Du es, nee dann kommt ein neues Argument daher und schon... mist, das sehe ich aber auch so und dann war es das mit der Schublade. Ich bin daher noch gar nicht so richtig und ganz in eine philosophische Schublade gekrabbelt, ich suche noch die passende.



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iselilja
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Mi 16. Aug 2017, 23:11

Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 22:34
[..]ich suche noch die passende.
Meine Erfahrung ist, dass es zu jeder einen richtigen Moment im Leben gibt. Allerdings warte auch ich noch auf so manche Momente. :-) Bin ja noch jung ^^
Zuletzt geändert von iselilja am Mi 16. Aug 2017, 23:12, insgesamt 1-mal geändert.




Segler
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Mi 16. Aug 2017, 23:11

Ich halte mich für einen Philosophen. Aufgrund meiner formalen Qualifikation könnte man mich auch für einen solchen halten.












Bin ich es wirklich? Oder schwätze ich nur? Schwere Frage.




Nauplios

Do 17. Aug 2017, 16:31

Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 21:36

[...]

Kurz: Ich suche nach Antworten und Zusammenhängen meiner Fragen und Gedankengänge, die meistens irgendwo im Hinterkopf bei mir sind und suche den Aha Effekt und immer noch, wo zum Kuckuck gehöre ich mit meinen Vorstellungen eigentlich hin, ... in welche Schublade.

[...]

Das alles beweist: Ich bin keine Philosophin.
Vielleicht beweist es auch das Gegenteil. ;-)

Ein Indiz dafür ist das "ich suche". - "Ich suche nach Antworten und Zusammenhänge meiner Fragen und Gedankengänge" - Philosophen und Philosophinnen unterscheiden sich nicht so sehr von Nicht-Philosophen und Nicht-Philosophinnen dadurch, daß sie über solche "Antworten" durch ihre Profession verfügen. Das französische "Le Philosophe" hat die Engführung des deutschen "Philosoph" in diesem Maße nicht. Der "philosophe", das ist auch der, der das LEBEN "philosophisch" führt und sich mit dem Ausbleiben der "Antworten" zu arrangieren weiß; da geht es um ein Wissen, wie zu leben ist, ein "savoir vivre". Philosophie ist dann auch eine LEBENSform. - Das deutsche "Philosoph" ist hingegen imprägniert von einer faustischen Schwermut; der Philosoph trägt die Last der Welt; er ist Grübler und Spezialist für alle Formen des Tiefsinns. Philosoph ist, wer des nachts ein "griechisch Trauerspiel" (Faust) liest, philosophe ist man, sobald man sich in ein gutes Verhältnis von Wein und Leben zu setzen versteht. Das Deutsche fokussiert sich mehr auf die Philosophie als DENKform, denn als Lebensform. -

Insofern sind Foren schlechte philosophische Schulen, weil sie "Antworten" aus Texten extrahieren. In Foren kann man nicht leben. So entsteht schnell der Verdacht, Philosoph oder Philosophin könne man erst sein, wenn die Anzahl der gelesenen Texte vierstellig ist. - Allerdings, auch Texte gehören zum Leben und der Gedanke ist nicht neu, das Leben, die Welt, die Kultur ... selbst könne ein Text sein. -

Und was wäre, wenn die "Antworten" und "Zusammenhänge" gar nicht dort liegen, wo Du sie vermutest, Stefanie? - Wenn sie in einer Bach'schen Kantate lägen? - Oder in einem Gedicht von Baudelaire? - (Die Spitzfindigkeit, Du könntest die Antworten bereits haben und es fehlten nur noch die passenden Fragen dazu, laß' ich mal außen vor.) ;-)

Die Frage ist aus der Luft gegriffen, in der sie liegt: Um welche "Fragen und Zusammenhänge", die "irgendwo im Hinterkopf" liegen, handelt es sich denn?




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Jörn Budesheim
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Do 17. Aug 2017, 16:41

Ich entsinne mich an ein Interview mit einem Philosophieprofessor, der darauf bestand kein Philosoph zu sein, sondern eben bloß ein Philosophieprofessor.




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iselilja
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Do 17. Aug 2017, 16:41

Tommy hat geschrieben :
Do 17. Aug 2017, 01:20
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 19:36
Versteht ihr euch selbst als Philosophen und Philosophinnen?
Aber sowas von.
Ich bin so kopflastig, dass ich morgens immer mit dem Kopf zuerst aus dem Bett falle.
Und das merkt man dann auch an meinen Texten.
:D

(hey, der war richtig gut. Ich lache mich gerade über mich selbst scheckig. Probiert das mal. Das hat was.)
Dass die Welt in Ordnung ist, merkt man oftmals erst, wenn man über sich selbst mal wieder lachen kann. :-)




Nauplios

Do 17. Aug 2017, 16:53

Nauplios hat geschrieben :
Do 17. Aug 2017, 16:31
Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 21:36

[...]

Kurz: Ich suche nach Antworten und Zusammenhängen meiner Fragen und Gedankengänge, die meistens irgendwo im Hinterkopf bei mir sind und suche den Aha Effekt und immer noch, wo zum Kuckuck gehöre ich mit meinen Vorstellungen eigentlich hin, ... in welche Schublade.

[...]

Das alles beweist: Ich bin keine Philosophin.
Vielleicht beweist es auch das Gegenteil. ;-)

Gäbe es in der Philosophie ein Glossar mit Unwörtern: "Beweisen" gehörte dort hinein. :-)




Tosa Inu
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Do 17. Aug 2017, 17:05

Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 21:36
... als ich das erste mal über "Schrödingers Katze" im Drüben Forum las, war ich kurzzeitig fast am Verzweifeln, ... ich werde das nie verstehen.
Dann hast Du's verstanden. Schrödinger wollte zeigen, dass halbtote Katzen Unsinn sind.



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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iselilja
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Do 17. Aug 2017, 17:31

Tosa Inu hat geschrieben :
Do 17. Aug 2017, 17:05
Stefanie hat geschrieben :
Mi 16. Aug 2017, 21:36
... als ich das erste mal über "Schrödingers Katze" im Drüben Forum las, war ich kurzzeitig fast am Verzweifeln, ... ich werde das nie verstehen.
Dann hast Du's verstanden. Schrödinger wollte zeigen, dass halbtote Katzen Unsinn sind.
@Stefanie, wenn Du Schrödingers Katze nicht verstanden hast, bedeutet das nur eines.. du bist bei klarem Verstand. :-)

Weil Das Gedankenspiel, welches Schrödinger (warum auch immer so in dieser Art) gewählt hat, einmal einen logisch offensichtlichen Grund und einmal einen logisch verdeckten (quantenphysikalischen) Grund hat (so seine Interpretation) und beide Gründe sich im Beispiel überlagern. Solange die Kiste verschlossen ist, ist unklar ob die Katze tot oder lebendig ist. Was ja unbestritten auch dann der Fall wäre, wenn dort nur die Katze ganz alleine drin ist. Schrödinger wollte nun verdeutlichen, wie man sich Heisenbergs Unschärferelation alltagstauglich verständlich machen könne, und so zeigen, dass für Elektronen sowohl Wellen- als auch Teilchencharakter charakterisieren sind - zumindest soweit wir das beobachten und beurteilen können. Dass sich das Gedankenspiel nun mehr oder weniger als Unsinnigkeit entpuppt hatte, lag eben daran, dass die Verschlossenheit der Kiste auch dann als Kriterium wirkt, wenn es gar nicht um Quantenmechanik ginge.




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Stefanie
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Do 17. Aug 2017, 21:11

Zu der Katze von Schrödinger. Es ist ein Gedankenexperiment (mit denen habe ich eh nicht so) und diese Kiste ist verschlossen! Wieso macht man diese Kiste nicht einfach auf? Man muss es ja nicht mit einer Katze testen, vielleicht mit einer Amöbe oder so was in der Art. Dann weiß man es doch. Darüber denke ich immer nach.



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iselilja
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Do 17. Aug 2017, 21:15

Stefanie hat geschrieben :
Do 17. Aug 2017, 21:11
Zu der Katze von Schrödinger. Es ist ein Gedankenexperiment (mit denen habe ich eh nicht so) und diese Kiste ist verschlossen! Wieso macht man diese Kiste nicht einfach auf? Man muss es ja nicht mit einer Katze testen, vielleicht mit einer Amöbe oder so was in der Art. Dann weiß man es doch. Darüber denke ich immer nach.
Nun beweist Du ja doch, dass Du eine Philosophin bist. :-)

Wobei mir persönlich auch die arme Mulli das meiste Kopfzerbrechen bereitet.


Die verschlossene Kiste soll praktisch bedeuten, dass man in der Quantenphysik rein gar nichts sieht (man kann die Kiste also nicht wirklich öffnen). Zumindest nicht so wie im herkömmlich alltäglichen Sinne, was auch klar ist, denn wenn Licht nötig ist um zu sehen, wie will man dann Licht analysieren (ansehen)? Die Physiker schließen dadurch auf andersartige Gesetze. Philosophen sind da schon etwas kritischer.
Zuletzt geändert von iselilja am Do 17. Aug 2017, 22:43, insgesamt 1-mal geändert.




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Stefanie
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Do 17. Aug 2017, 22:25

Die Frage ist aus der Luft gegriffen, in der sie liegt: Um welche "Fragen und Zusammenhänge", die "irgendwo im Hinterkopf" liegen, handelt es sich denn?
Gute Frage. Zum Teil weiß ich es selber nicht so genau, und zum Teil kann ich es mit Worten nicht richtig beschreiben.
Wahrscheinlich lese ich auch deshalb so gerne. Nicht nur weil ich schöne, interessante Geschichten mag. Es ist die Suche nach DEM Buch, meinem Buch (oder allgemein Text). Das Buch, das ich auswendig kennen möchte, Wort für Wort um es nie wieder zu vergessen.

Ein Gedanke verfolgt mich gerade zu seit meiner Jugend, den ich nicht richtig beschreiben kann: Wieso sehe ich nur die Welt, oder wieso sehe ich die Welt nur aus meiner Perspektive. Wieso sehe ich nur mich, wenn ich morgens die Treppe runtergehe, Briefkasten und Tür aufschließe, wieso nicht andere? Ich darf da gar nicht weiter drüber nachdenken, sonst komme ich da nicht wieder raus.
Ich liebe Geschichte, von der Antike bis zum heutigen Tag. Alles hat Auswirkungen gehabt, und hat es zum Teil bis zum heutigen Tag. Geschichte ist die Geschichte der Menschen, die Entwicklung, die kulturelle Entwicklung, liefert Erklärungen für dies und jenes. Aber eben nicht für alles. Ich bin oft etwas negativ eingestellt, andererseits was die Menschen angeht, so was von optimistisch, was immer dann schwer erschüttert wird, wenn mal wieder irgendwo irgendwer wieder was grausames macht.
Führt zur nächsten Frage: Wieso ist der Mensch einerseits das höchstentwickelte Lebewesen auf diesem Planeten, in allen Belangen, und wieso gleichzeitig das gewalttätigste Lebewesen auf diesem Planeten und dabei in vielen Bereichen absolut nicht lernfähig, ja geradezu beratungsresistent.
Zumal es - soweit ich das bislang überschaue- die geschichtliche Epochen mit philosophischen Konzepten oftmals korrespondieren oder einen Gegenpol zu jeweiligen Epoche bilden.

Ich denke, ich bin eine etwas untypische Juristin. Ich habe mich nie ausdrücklich mit der Frage "Gerechtigkeit" befasst, weil für mich selber ist mir das klar, ich kann es nur nicht beschreiben. Bislang finde ich mich in den diversen philosophischen Theorien zur Gerechtigkeit nicht wieder. Die nächste Suche.

So weit erst mal in Länge zur Kürze.



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Nauplios

Fr 18. Aug 2017, 02:46

"Zum Teil weiß ich es selber nicht so genau, und zum Teil kann ich es mit Worten nicht so richtig beschreiben." (Stefanie)

"... das Gefühl, daß mir irgendwas fehlt. Und das Unheimliche an diesem Gefühl war, dass ich nicht wusste, was." (Tommy)

Mir sind diese beiden Passagen aufgefallen, die beide ganz am Anfang der Beiträge stehen. Irgendetwas ist suspekt. Es mangelt an etwas. Es kann nicht richtig beschrieben werden. Was fehlt, weiß man nicht. Es ist eine Irritation. Ich glaube, es war Ernst Cassirer, der sinngemäß gesagt hat, ein Organ für das Ganze der Wirklichkeit sei dem Menschen versagt. Wir haben es immer nur mit Bruchstücken zu tun. Unsere Sinne liefern uns nur Fragmente. Das gilt sowohl im Hinblick auf das, was die menschlichen Sinne überhaupt wahrnehmen können, als auch für die Kapazität unserer Aufnahmefähigkeit insgesamt. Wir leben nicht lang genug, um die Welt ganz kennenlernen zu können; unser Dasein ist zeitlich befristet. Wir können nicht alle Länder und Gegenden bereisen, alle Menschen und Kulturen kennen lernen, alle "Geheimnisse" aufdecken, die Geschichte in ihrer Totalität miterleben. Wir sind - jeder für sich - und sogar als Gattung: Episode.

Es mangelt uns. Insbesondere da, wo wir auf etwas Ganzes aus sind. Das Ganze der Welt, das Ganze des Lebens (wir vergessen), das Ganze der Geschichte (wir sind sterblich), das Ganze der Gesellschaft, das Ganze der Kunst ... immer da, wo es uns wichtig wäre, ein Ganzes zu haben, es zu überschauen, es in seiner Totalität erfahren zu können, werden wir zurück verwiesen auf die engen Grenzen ("Meine engen Grenzen") unseres fragmentarischen Daseins, auf die Mangelhaftigkeit unserer "Perspektive".

Wir können uns nicht aussuchen, ob wir in Köln geboren werden oder in Aleppo, im Mittelalter oder in der Moderne, in einer Demokratie oder Diktatur, als Mann oder als Frau, ob wir 90 Jahre alt werden oder 9, ob wir Liebe erfahren oder nicht ... Wir können nicht nur existieren, wir müssen unser Leben auf irgendeine Weise "führen" ... Und wir müssen es unter den Bedingungen führen, daß uns die Antworten nach den oben angeführten Totalitäten dabei versagt bleiben. Zugespitzt: wir müssen unter den Bedingungen der Knappheit von Sinn ein halbwegs sinnvolles Leben führen. Das heißt noch nicht, die großen Fragen über Bord zu werfen, aber sich mit dem Ausbleiben der großen Antworten arrangieren. Es heißt nicht mal, daß es große Antworten nicht gäbe; die philosophischen Großkonzerne wie die Metaphysik produzieren seit der Moderne allerdings weitgehend auf Halde; man muß sich dann mit Altmodischem wie das Sein u.ä. anfreunden. Oder man geht gleich zur Konkurrenz.

"Geschichten ... Geschichte" (Stefanie) - Wie haben es eigentlich die Menschen vor uns gemacht? - Wenn uns schon ein expliziter Sinn versagt bleibt, dann bleibt doch immerhin eines: die Lebenswelt, in der man lebt, den kleinen bescheidenen Erfahrungshorizont, der uns wie durch ein Guckloch auf die Welt schauen läßt - wenigstens diesen kleinen zeitlich und räumlich begrenzten Ausschnitt verstehen. - Verstehen heißt: etwas einordnen können, wissen wie etwas entstanden ist. Hatte man zu allen Zeiten dieses "unheimliche Gefühl", daß irgendwas "fehlt"? - Könnte man die Zeit, in der man lebt, vielleicht besser verstehen bei genauerer Kenntnis dessen, was diesem Jetztpunkt vorausging? - Warum empört Ihr Euch so vehement und engagiert gegen die Geschichtsvergessenheiten an anderer Stelle? - Weil Ihr Euch in einer Tradition der Verantwortung seht - obwohl Ihr für nichts verantwortlich seid. Dennoch begehrt Ihr gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Ungerechtigkeit auf. Irgendwelche "Antworten" (s. Ver-Antwortung) sind also doch da. Wir alle sind verstrickt in Geschichten und mit ihnen in die eine große Geschichte. Wenn wir verstehen wollen, wenn wir ver-antwort-lich handeln wollen, dann bietet es sich an, das eigene Denken und Erleben in den Horizont geschichtlicher Erfahrungen zu stellen. - Andernfalls betreibt man Philosophie wie ein Kreuzworträtsel, zum Zeitvertreib. Die großen Fragen nicht aus den Augen verlieren, ohne es sich zu schnell mit großen Antworten bequem zu machen. Nicht leiden an den großen Fragen nach dem Sinn. Heitere Melancholie.

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Daß man sich beim Ver-antwort-en und Mensch_sein gelegentlich Blessuren holen kann, zeigte der gestrige Tag. Selbst dort, wo ursprünglich mal Kaffee ausgeschenkt werden sollte, kann einem eingeschenkt werden. Ich sag' jetzt mal weiter nix dazu. Vielleicht sollte Ottington auch hier ein Lazarett einrichten, wo solche Blessuren (speziell: blutige Nasen) versorgt werden können; am besten eine Palliativstation gleich mit - zur Behandlung von Phantomschmerzen. :-)




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Fr 18. Aug 2017, 14:38

Naupilos hat das wirklich gut beschrieben, warum so vieles für uns unerklärlich bleibt. Die Frage ist nur, warum wir uns damit nicht abfinden können. :-)




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Fr 18. Aug 2017, 14:56

Naupilis hat geschrieben : Daß man sich beim Ver-antwort-en und Mensch_sein gelegentlich Blessuren holen kann, zeigte der gestrige Tag. Selbst dort, wo ursprünglich mal Kaffee ausgeschenkt werden sollte, kann einem eingeschenkt werden. Ich sag' jetzt mal weiter nix dazu. Vielleicht sollte Ottington auch hier ein Lazarett einrichten, wo solche Blessuren (speziell: blutige Nasen) versorgt werden können; am besten eine Palliativstation gleich mit - zur Behandlung von Phantomschmerzen. :-)
Wie ich sehe, haben das auch andere verfolgt. :-) Ich hatte mich da gestern heraus gehalten, weil mir irgendwie zum einen klar war, dass da nur gegen Mauern gerannt wird, zum anderen war mir auch nicht so wirklich klar, warum noch den Zeigefinger erheben wollen. Wen will man denn noch erreichen? Die Behandlung von Phantonschmerzen habe ich heute dort versucht etwas zu relativieren. Keine Ahnung, ob's geheilt hat.




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Stefanie
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Fr 18. Aug 2017, 20:30

Tommy:
Ich bin auf ähnlichem Wege in die Philosophie gestolpert, nämlich über das Gefühl, dass mir irgendetwas fehlt.
Und das Unheimliche an diesem Gefühl war, dass ich nicht wusste was.
Das ist so ähnlich wie wenn Du mit knurrendem Magen vor dem übervollen Kühlschrank stehst, und Du weißt, Du hast auf irgendwas Hunger, aber nichts, was Du im Kühlschrank vorfindest scheint das zu sein worauf Du Hunger hast.
Ich weiß bis heute nicht genau, was das eigentlich war, das ich damals gesucht habe, und das mich veranlasst hat nach ihm zu suchen, aber ich weiß, seit ich mch mit Philosophie befasse ist das Gefühl zwar nicht weg, aber es ist weniger geworden, ist erträglicher.
Ich nenne es aus Mangel eines anderen Begriffes einfach die "Leere". Ich habe eine Leere gespürt, die mit irgendwas gefüllt werden musste. Vielleicht mit Philosophie.
Treffender hättest Du es nicht beschreiben können. Zwei doch unterschiedliche Personen geht/ging es identisch. Nicht ganz, denn Du schreibst in der Vergangenheitsform, ich noch in der Gegenwartsform.


Nauplios, ich danke Dir für Deinen Beitrag, über den ich noch eine Runde nachdenken werde.



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Alethos
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Fr 18. Aug 2017, 22:46

Sehe ich mich als Philosophen? Im Sinne eines 'philosophe' nicht, nein. Ich habe noch kein 'savoir vivre' entwickelt, bin manchmal auch zu ernst oder zu besorgt. Aber ich würde mich schon als einen Menschen bezeichnen, der die Weisheit liebt. Man begibt sich heute auf ein eher dünnes Eis, wenn man von Weisheit spricht und gerät unter Rechtfertigungsdruck. Was für ein antiquiertes Wort, nicht wahr?

Aber es ist schon so: Wenn jemand seinen Blick auf die Welt mit mir teilt, und dieser Blick hinaus auf die Welt weitläufig ist, dunkel oder lichtdurchflutet, abwegig und umwegig, dann höre ich ihm oder ihr gerne zu. Und ich selbst versuche auch einen Blick in die Welt zu bieten, der mehr ist als nur augenscheinlich. Ein Philosoph bin ich also in diesem Sinn, dass ich mich auf eine Welt
einlassen mag, die nicht einfach ist, sondern in der man mit anderen das Ganze Stück für Stück zusammenfügen kann. Vielleicht zu einer Collage, die die Fülle an Gefühlen, Gedanken zeigt und die erahnen lässt, welche Poesie in der Welt mitschwingt, wenn wir mit der Welt und der Geschichte, die sie ist und hat und schreibt, mitbewegen. Diese ehrliche und vielleicht auch ganz reine Freude an einem Fragment, durch das das Ganze verheissungsvoll hindurchscheint, ja, das denke ich, macht mich zu einem Philosophen.

Dann wiederum habe ich so einen Drang, einen fast beklemmenden Eifer, alles systematisch durchzuarbeiten. Nein, nicht schon Hegel lesen, erst die Vorsokratiker und dann Platon. Dann erst Plotin und dann erst Bacon und dann erst Habermas. Diesen Drang nach chronologischer Korrektheit empfinde ich an mir selbst als Tick :-) Ich wünschte mir an mir selbst manchmal weniger Ehrgeiz und Systematik, dafür mehr Ergebenheit.

Aber ja, das wird jetzt psychologisch und das tue ich niemandem an :-)



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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