Corona

Philosophie Chat: Hier wird geplaudert über Gott und die Welt.
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NaWennDuMeinst
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Sa 17. Jul 2021, 14:55

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 14:37
Aber deswegen ist eine Impfpflicht trotzdem nicht einmal im Ansatz faschistoid.
Ne, es ist ein Vorschlag wie man die Situation auflösen kann. Der Vorschlag steht jetzt so da.
Ich finde aber, und das sagte ich ja schon, der Zwang kann nur das allerletzte Mittel sein, weil die Freiheitsrechte von denen wir da reden wichtig sind (einen hohen Wert darstellen).
Das sollte man nicht einfach so vom Tisch wischen.

Wir kennen auch die Gründe dafür warum das Recht auf "körperliche Unversehrtheit" so bedeutend ist.
Nazi-Ärzte haben im Namen des medizinischen Fortschritts Menschen mit Seuchen infiziert. Behinderte wurden zwangsmedikamentiert und euthanasiert.
Juden wurden tätowiert (und Schlimmeres, das wissen wir alle). Menschen wurden gegen ihren Willen "behandelt", oder auch gefoltert.
Der Staat hat mit seinen Bürgern (oder Teilen davon) einfach gemacht was er wollte.
Und all das führte eben dazu, dass es wichtig wurde dem auch Grenzen zu setzen.
Andererseits muss der Staat auch in der Lage sein auf Vorfälle wie jetzt zum Beispiel eine globale Pandemie zu reagieren. Es darf nicht sein, dass er durch die eigenen Gesetze handlungsunfähig wird.
Und schon bist Du mitten im Problemfeld. Was ist eine notwendige Behandlung? Bis wohin gilt der Wille des Patienten und ab wann müssen auch Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden weil der Patient sich selbst oder sogar die Allgemeinheit gefährdet (man denke zum Beispiel an psychisch Kranke).
Wie regelt man das alles?
Ich tendiere dabei dazu zu sagen die Regelungen sollten auf die größtmögliche Freiheit hin ausgelegt sein. Und wer diese Freiheit einschränken will (bzw muss), der muss das sehr gut begründen. Vor allem muss er auch zeigen können, dass es keine andere Möglichkeit gibt. Das sehe ich hier in der Situation die wir gerade besprechen aber als nicht gegeben an.



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Alethos
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Sa 17. Jul 2021, 16:14

Nun gut, dann ist es so, dass du denkst, eine Impfpflicht sei ein übertriebener, ungerechtfertigter Eingriff in die Grundrechte. Dass ich es für falsch halte, wenn du andere Grundrechte (und zudem jener der Mehrheit) ausblendest, ist dann auch einfach so.

Ich denke einfach, dass der Vergleich mit dem Naziregime und seinen Praktiken deplatziert ist. Einerseits deshalb, weil die auf Arisierung angelegten Genmanipulationsexperimente zur Prämisse hatten, dass es unwürdige und würdige Menschen gibt, was Kernelement des Rassismus ist. Das ist ja hier unbestrittenermassen nicht so, weil ja alle geimpft werden sollen, die das können, damit alle geschützt würden (und nicht die einen vernichtet und die anderen zur Herrenrasse mutierten). Andererseits aber auch, weil die Eingriffe des Staates ja nicht angeführt werden von einigen sadistischen Irren, die einfach gerne Leid über die Menschen bringen wollen, sondern von Politikern, die im Rahmen ihres politischen Auftrags Lösungen suchen müssen, um mit möglichst geringen Kosten (menschliches Leid, wirtschaftliche Einbussen etc) aus dieser Situation herauszufinden.
Man kann nun sagen, dass eine Impfpflicht (und alle anderen Eingriffe) ein überdosiertes Wohlwollen des Staates, ein gutgemeintes, aber übertriebenes Agieren sei, aber man kann doch nicht im Ernst diese Bestrebungen vergleichen wollen mit den sadistischen und irregeleiteten faschistoiden Taten des Naziregimes.

Ich will die Diskussion auch nicht weiter in diese Richtung vertiefen, weil mir diese Position nicht einmal diskussionswürdig erscheint. Lassen wir einfach stehen: Du empfindest eine Impfpflicht als falsch, ich sie als richtig.



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iselilja
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Sa 17. Jul 2021, 17:03

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 16:14
[...] zur Prämisse hatten, dass es unwürdige und würdige Menschen gibt, was Kernelement des Rassismus ist.
Wie gut, dass wenigstens @Alethos erkennt, dass das Spalten einer Gesellschaft in würdige und unwürdige Personen rassistische Züge hat.

Nun muss man nur noch erkennen, dass die aktuelle Politik immer wieder Schreihälse hervorbringt, die lauthals nach schärferen Restriktionen gegen ihrer Auffassung nach unwürdige Personen fordern, also solche Personen, die nicht die Agenda der Regierung teilen und auf ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit bestehen.

Die Farce an der Sache ist nichteinmal, dass es solche Demagogen immer wieder und auch in jeder Gesellschaft gibt. Die Farce ist, dass man ihnen bereitwillig zuhört - zumal in einem Land, das es besser wissen sollte.




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Alethos
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Sa 17. Jul 2021, 17:16

Alle werden für die Impfung als würdig erachtet, sofern es medizinisch nicht kontraindiziert ist. Auch die sind würdig, die gegen die Regierung sind. Niemand will diese Spaltung, die zwecks Skandalisierung vorzugsweise von jenen herbeigeredet wird, die sich gerne als Opfer sähen. Die wirklichen Opfer sind die an Corona Erkrankten und all die, die ihre Geschäfte verloren haben. Und wirkliche Opfer faschistoider Gedanken waren Juden, Roma oder Schwule etc., die tatsächlich segregiert waren und als minderwetig betrachtet wurden. Nichts von alle dem gilt für die Impfunwilligen. Nicht im Ansatz. Punkt.



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iselilja
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Sa 17. Jul 2021, 17:24

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 17:16
Alle werden für die Impfung als würdig erachtet, sofern es medizinisch nicht kontraindiziert ist. Auch die sind würdig, die gegen die Regierung sind.
Oh, da sind diejenigen, die das anders sehen sicherlich dankbar für Deine überhaus würdige Einordnung. Sie sind würdig, das zu bekommen was sie ablehen. Großartig.

Hörst Dir gelegentlich selbst zu?


Genau das meinte ich mit faschistoider Perspektive.




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Alethos
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Sa 17. Jul 2021, 17:35

Etwas ist eindeutig: Du verdrehst die Aussagen gerne so, dass sie in dein Weltbild passen. Viel Spass dabei!

Tatsache bleibt: Die Impfunwilligen sind keine Opfer faschistoider Tendenzen. Einige möchten das anders sehen, weil jeder seinen Platz in der Gesellschaft sucht oder es sich besonders gut lebt mit der Entrüstung. Aber ich spiele dieses Spiel weder auf philosophischer Ebene mit noch mit dir hier im Klein-Klein des Dialogs. Diskussion mit dir endet hier und jetzt! :)



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iselilja
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Sa 17. Jul 2021, 17:36

Ich weiß nicht, inwieweit sich hier die Leute über das Forum hinaus mit dem Thema beschäftigen und wie die einzelnen Erfahrungen im Alltag bei jedem so sind. Aber meiner bisherigen Erfahrung nach, und ich rede tagtäglich mit sehr vielen Menschen darüber, hat sich ein erheblicher Teil der Menschen nur deshalb impfen lassen, um weiteren Restriktionen zu entgehen. Die Begründung lautet oftmals "man weiß ja nicht, wo das alles noch hinführt". Der eher kleinere Teil derjenigen, die sich haben impfen lassen, tat es aus Angst vor einer möglichen Ansteckung. Das betrifft zumeist ältere Jahrgänge. Von den unter 40-Jährigen sieht die Mehrheit der Leute, mit denen ich so in Kontakt komme, die Sache skeptisch bis völlig ablehnend.

Mag keine repräsentative Aussage sein. Aber dennoch ist es eine Aussage, die auf Tatsachen beruht.




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Nauplios
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Sa 17. Jul 2021, 17:40

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 14:15

Ja, die eigene Freiheit ist ein hoher Wert, aber er ist kein höherer Wert, sondern ein geringerer, als die Freiheit aller anderen und deren Recht zu leben, wenn sie denn wollen.
Ein hoher Wert - kein höherer Wert - ein geringerer Wert

Plato vergleicht das Gute mit der Sonne. Die Sonne selbst bescheint das, was unter ihr liegt. Aber die Sonne selbst wird nicht mehr angestrahlt. Das Gute ist nicht mehr steigerungsfähig, es genügt sich selbst. Bei Aristoteles ist das Gute die höchste Stufe des Strebens. Über das Gute kann man nicht hinausstreben. Es steht an der Spitze der Hierarchie aller anderen Güter. Dieser oberste Wert ist vollkommen, er kann auch nicht überdehnt werden.

Auf dem Wege in die Spitze der Hierarchie gibt es andere Werte wie etwa die Tapferkeit, die Klugheit, die Wahrhaftigkeit, die Gerechtigkeit usw.

Werte sind das Ergebnis von Wertungen. Du sagst, die eigene Freiheit sei ein hoher Wert. Das Recht der anderen auf Leben ist jedoch ein noch höherer Wert. Das Gute als der höchste aller Werte steht in keiner Konkurrenz, in keinem Widerstreit mit anderen Werten. Unterhalb dieser Hierarchiespitze jedoch streiten die Werte miteinander. Jeder Wert möchte als höherer Wert als ein anderer angesehen werden. Jeder Wert möchte sich gegenüber anderen als höherwertig durchsetzen.

"Jeder Wert hat, wenn er einmal Macht gewonnen hat über eine Person, die Tendenz, sich zum alleinigen Tyrannen des ganzen menschlichen Ethos aufzuwerfen." (Nicolai Hartmann) Das gelte auch für gemeinhin als "gut" geltende Werte wie Gerechtigkeit. So gebe es einen „Fanatismus der Gerechtigkeit (...), der keineswegs bloß der Liebe, geschweige denn der Nächstenliebe ins Gesicht schlägt, sondern schlechterdings allen höheren Werten."

Was dem einen die individuelle Freiheit ist, ist dem anderen die Solidarität mit anderen.

Das Politische ist mit dem Moralischen nicht deckungsgleich. Hier geht es nicht ausschließlich um moralische Werte. Es geht um Interessen. Es geht um Macht. Das Gute ist im Politischen keine Kategorie. Hier haben die Werte unterhalb des Guten einen Komparativ. Wäre es nicht gerechter, wenn jeder für sein Alter selbst versorgt? Wäre es nicht gerechter, wenn die Schwachen ihre Altersvorsorge durch solidarische Unterstützung der Starken bekommen? Wäre es nicht gerechter, wenn Raucher einen höheren Beitrag zur Gesundheitsvorsorge leisten? Wäre es nicht gerechter, die Beamten mit in das Rentensystem einzahlen zu lassen? Wäre es nicht gerechter, wenn die Starken eine steuerliche Vermögensabgabe leisten? Wäre es nicht gerechter, wenn sie diese Vermögensabgabe nicht leisten, ist doch ihr Vermögen bereits versteuert? -

Diese Liste kann man ins Unendliche fortsetzen. - Die Politik muß hier in einem demokratischen Prozess zu Entscheidungen kommen, denen Abwägungsprozesse vorausgehen. Die Absolutsetzung der individuellen Freiheit, die Absolutsetzung der Solidarität ... gehen mit einer Überdehnung der Moral einher. Denn die Werte, die im Widerstreit unterhalb des Guten liegen, zumal wenn sie sich als universal verstehen, haben die "Tendenz, sich zum alleinigen Tyrannen aufzuwerfen". -

Mein Eindruck ist, daß der Realismus an der Abwägung so wenig vorbeikommt wie der Nicht-Realismus. Auch er muß Beziehungen, Relationen (!) zwischen den Werten herstellen. Das macht auch der "Relativismus". Der Realismus macht es nur schöner. ;)




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iselilja
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Sa 17. Jul 2021, 17:41

@Alethos.. ich mag schon die ganze Zeit nicht mit Dir diskutieren. Und werde es auch nicht. Menschen, die sich selbst als Heilsverkünder betrachten und für Dinge stimmen, die in ihrer Gesamtheit antiquiert und rassistisch sind, sind keine Gesprächspartner für mich.




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NaWennDuMeinst
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Sa 17. Jul 2021, 17:53

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 16:14
Nun gut, dann ist es so, dass du denkst, eine Impfpflicht sei ein übertriebener, ungerechtfertigter Eingriff in die Grundrechte. Dass ich es für falsch halte, wenn du andere Grundrechte (und zudem jener der Mehrheit) ausblendest, ist dann auch einfach so.
Ich blende das doch nicht aus. Ich erkläre dir nur, warum ich was wie gewichte. Mein Argument lautet, dass man das Recht auf körperliche Unversehrtheit nicht einfach für Pillepalle, und/oder weil man zu faul ist sich andere mögliche Lösungen auszudenken, oder weil man die Schnauze voll von renitenten Impfverweigerern hat, einschränken darf. Damit das gesagt zu haben setze ich auch die individuelle Freiheit nicht absolut. Ich erkenne an, dass es Situationen gibt wo Einschränkungen dieser Rechte nötig sind.
Ich denke einfach, dass der Vergleich mit dem Naziregime und seinen Praktiken deplatziert ist.
Ich habe keinen Vergleich angestellt. Ich habe dir zu erklären versucht, warum das Recht auf körperliche Unversehrtheit für Jemanden ein wichtiges Recht/ein wichtiger Wert sein könnte (und warum es dieses Recht überhaupt gibt. Das ist ja nicht selbstverständlich).
Ich will die Diskussion auch nicht weiter in diese Richtung vertiefen, weil mir diese Position nicht einmal diskussionswürdig erscheint.
Wie Du meinst.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am Sa 17. Jul 2021, 18:18, insgesamt 6-mal geändert.



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Nauplios
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Sa 17. Jul 2021, 18:02

Als "Gegner von Genversuchen" orientiert sich Iselilja am Wert der individuellen Freiheit. - Alethos hingegen setzt den Wert der Solidarität höher an; die Impfung sei lediglich ein kleiner Pieks. - Kann man den Widerstreit der Werte eigentlich noch deutlicher illustrieren als mit dieser Auseinandersetzung, die jetzt in kürzester Zeit zur Spaltung führt?




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NaWennDuMeinst
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Sa 17. Jul 2021, 18:11

Nauplios hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 18:02
Als "Gegner von Genversuchen" orientiert sich Iselilja am Wert der individuellen Freiheit. - Alethos hingegen setzt den Wert der Solidarität höher an; die Impfung sei lediglich ein kleiner Pieks.
Wobei Beides - und dem Realisten mögen sich da die Haare sträuben - keine akkurate Beschreibung der Wirklichkeit ist.
Die Impfung ist weder nur ein kleiner Pieks (man schlage nach was im Körper passiert nach der Impfung) noch ist die Impfung ein "Genversuch" (auch wenn Gene involviert sind).



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Jörn Budesheim
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Sa 17. Jul 2021, 18:19

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 13:47
Impfverweigerer handeln verantwortungslos, das kann man drehen und wenden, wie man will.
Die Entscheidung impfen oder nicht, hat Einfluss auf das Wohlergehen der anderen. Deshalb ist es keine Privatsache.




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Alethos
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Nauplios hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 18:02
Widerstreit der Werte
Widerstreit der Werte - wie schön du das doch immer alles formulieren kannst. :)

Vor Gericht oder in der Politik muss man gelegentlich entscheiden. Da muss man bestimmen, welche Werte überzeugt und sich durchgesetzt haben. Für den Ewiglebenden ist das natürlich kein Problem, er muss sich nicht entscheiden, da in der Ewigkeit sich alles die Waage hält: Gut und Böse, Licht und Schatten. Richtig und falsch. Er kann alle Fehlentscheidungen aussitzen und wie die Sonne über die Probleme hinweggleiten, sie nicht lösen müssend, und am nächsten Tag wieder aufgehen, als wäre alles gut geblieben unter ihr.

Aber es ist doch so, dass wir Menschen uns gelegentlich und nicht allzu selten eben entscheiden müssen für diese oder die entgegengesetzte Handlung, und bei allem Pragmatismus können wir doch nicht zu allem sagen, wir hätten genauso gut gegenteilig entscheiden können? Das mag bei Eissorten und Feriendestinationen gelten, aber doch nicht bei grundlegenden Dingen des Miteinanders? Da muss sich auch die Sonne gelegentlich von anderen Sternen anstrahlen lassen und Stellung beziehen. Auch die Sonne, die alle Relationen von ihrem absoluten Ruhepunkt glaubt schaffen zu können, muss erkennen, dass sie eine unter vielen ist und auch die anderen Sterne ihren Platz einfordern. Auch die Sonne kann, wenn doch nicht falsch, so doch anders liegen, als sie dachte.

Wo die Werte widerstreiten, da müssen die Götter nah sein und ewig ist ihr Streit. Aber das ist Mythologie, uns leitet die Politik.
Zuletzt geändert von Alethos am Sa 17. Jul 2021, 18:32, insgesamt 1-mal geändert.



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NaWennDuMeinst
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Sa 17. Jul 2021, 18:32

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 18:19
Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 13:47
Impfverweigerer handeln verantwortungslos, das kann man drehen und wenden, wie man will.
Die Entscheidung impfen oder nicht, hat Einfluss auf das Wohlergehen der anderen. Deshalb ist es keine Privatsache.
Aus der Feststellung, dass es hier ein öffentliches Interesse gibt folgt aber so allein erstmal rein gar nichts.
Schon gar nicht folgt daraus dass der Staat dann berechtigt ist zu machen was er will.
Alle Impfverweigerer zu deportieren und umzubringen wäre ja auch eine "Lösung".
Das wäre dir dann aber vielleicht doch zu viel des "Guten", oder?
Das heißt die Maßnahmen müssen auch angemessen und mit geltendem Recht vereinbar sein.



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Nauplios
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Sa 17. Jul 2021, 18:52

Alethos hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 18:23

Wo die Werte widerstreiten, da müssen die Götter nah sein und ewig ist ihr Streit. Aber das ist Mythologie, uns leitet die Politik.
Ich will in dem Zusammenhang nur kurz an Odo Marquards Lob des Polytheismus erinnern; ausführen kann ich das jetzt nicht.

Eine andere Fundstelle sei aber noch kurz zitiert:

"Zum anderen maßt sich das Wertdenken an, der Staat habe seinen Bürgern nicht nur vorzuschreiben, was recht und billig, sondern auch, was gut und richtig ist. Derlei Hybris hat das Potential zum Totalitarismus."

"Der Staat des Grundgesetzes ruht nicht auf einem beliebig zu erweiternden Wertekatalog und auch nicht auf irgendeiner homogenen Leitkultur. Er verbürgt eine Rechts-, aber keine Werteordnung."

Entnommen sind beide Zitate einem lesenswerten Aufsatz von Patrick Heinemann in Stimmen der Zeit (Nr. 144, 2019; S. 451ff):


Wagnis der Freiheit oder Tyrannei der Werte? Was uns Ernst-Wolfgang Böckenförde mit Carl Schmitt zu sagen hatte




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NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 18:32
Aus der Feststellung, dass es hier ein öffentliches Interesse gibt folgt aber so allein erstmal rein gar nichts.
Doch. Daraus folgt, dass Argumente, die darauf abheben, dass Impfen Privatsache ist, falsch sind.




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Sa 17. Jul 2021, 19:26

"Zum anderen maßt sich das Wertdenken an, der Staat habe seinen Bürgern nicht nur vorzuschreiben, was recht und billig, sondern auch, was gut und richtig ist. Derlei Hybris hat das Potential zum Totalitarismus."
Ich weiß nicht, was diesem Zusammenhang mit Wertdenken gemeint ist. Wenn gemeint sein sollte, dass es Werte tatsächlich gibt, dann folgt direkt das Gegenteil von dem, was dort steht. Denn wenn es Werte gibt, kann niemand vorschreiben, worin sie bestehen, stattdessen muss man versuchen herauszufinden, worin sie wirklich bestehen.

Schließlich kann niemand einfach generell festlegen, was die Tatsachen sind. Denn Tatsachen sind so wie sie sind und die werden nicht generell einfach von jemandem festgelegt - auch nicht vom Staat.

Hier kann man es mit einer Abwandlung von Platons Argument versuchen: Sind die Regeln richtig, weil der Staat sie erlässt. Oder hat der Staat sie lassen, weil er sie für richtig erachtet. Der erste Fall wäre Tyrannei. Der zweite wäre moralischer Realismus, der dazu führt dass man den Staat kritisieren kann, weil er die Richtigkeit möglicherweise verfehlt hat.




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Sa 17. Jul 2021, 19:54

Der Staat verbürgt "eine Rechts-, aber keine Werteordnung". (Patrick Heinemann) - Um diese Frage weiter aufzufächern, wären tiefere Studien zur Staatstheorie und zum Verfassungsrecht nötig. Die Namen Böckenförde und Carl Schmitt sind schon gefallen. Jürgen Habermas (Faktizität und Geltung) würde mir dazu noch einfallen ... Hermann Lübbe ...

Dazu müßte das Thema raus aus dem Sinnfeld "Neuer Realismus" und vor allem raus aus einer weltanschaulich geprägten Diskursumgebung.




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NaWennDuMeinst
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Sa 17. Jul 2021, 20:04

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 19:14
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Sa 17. Jul 2021, 18:32
Aus der Feststellung, dass es hier ein öffentliches Interesse gibt folgt aber so allein erstmal rein gar nichts.
Doch. Daraus folgt, dass Argumente, die darauf abheben, dass Impfen Privatsache ist, falsch sind.
Wieso soll das falsch sein? Es gibt ja nicht bei allen Impfungen ein öffentliches Interesse.



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