Mein Eindruck ist, daß die Diskussion um Corona nun eine Dynamik und Dramatik annehmen, die dem Anlaß nicht mehr entsprechen. -
Hallo Herbert, zunächst: ich kenne den Autor Marcus J. Ludwig nicht. Mir war auch sein Blog
Flügel und Pranke bis dahin gänzlich unbekannt. Daß in dem Blog-Eintrag
Die Schuld der Schafe der österreichische Journalist und Moderator Michael Fleischhacker vorbildhaft für eine "unparteiische, erkenntnisfördernde Gesprächsführung" erwähnt wird, hat mein Interesse für
Flügel und Pranke geweckt. Michael Fleischhacker moderiert bei
Servus TV eine wöchentliche Diskussionsrunde
Talk in Hangar 7. Mir ist diese Sendung bekannt, weil ich sie in der Zeit der "türkis-blauen" Koalition zwischen ÖVP und FPÖ oft gesehen habe. -
Anders als die entsprechenden deutschen Formate (Anne Will, Maybrit Illner, Hart aber fair, Maischberger ...) ist
Talk im Hangar in der Tat auch für rechtspopulistische Gäste und Politiker offen - überraschenderweise oft sogar für Gäste aus Deutschland, die bei uns im Fernsehen kaum bzw. sehr selten in eine Talkshow eingeladen würden: Henryk M. Broder, Vera Lengsfeld, Thilo Sarrazin, Götz Kubitschek ... dazu kommen selbstverständlich Politiker der rechtspopulistischen FPÖ wie Norbert Hofer, Heinz-Christian Strache u.a. - Sogar der Chef der österreichischen Identitären, Martin Sellner wurde zum
Talk im Turm eingeladen! (
https://m.dwdl.de/a/58324) -
"Unparteiische, erkenntnisfördernde Gesprächsführung" mit dem Chef einer neurechten Gruppierung wie den "Identitären"?? - In Österreich sind durch die Beteiligung der FPÖ an der vormaligen Regierung die Verhältnisse natürlich anders als bei uns. Man kann an einen Strache (seinerzeit Vizekanzler) einen Herbert Kickl (seinerzeit Innenminister) ... natürlich nicht vorbeigehen. Die österreichischen Medien haben eine andere Grenzziehung im Hinblick auf rechtspopulistische Politiker als wir in Deutschland. - Wer nun solche Positionen in den Medien vertreten sehen möchte, dem wird die "unparteiische, erkenntnisfördernde Gesprächsführung" eines Michael Fleischhacker beim österreichischen Privatsender
Servus TV wohl angenehm auffallen, weil dort zu Wort kommt, was hier kaum medienfähig wäre.
Ich habe dann bereits nach wenigen Klicks den Blog-Beitrag von
Flügel und Pranke in einem anderen Blog als Gastbeitrag gefunden, nämlich in Henryk M. Broders
Achse des Guten, einem neurechten Forum. -
Nun sollten wir zwei Dinge auseinander halten: Die Administration dieses Forums steht mit der Verlinkung auf einen Text, der co-publiziert bei der
Achse des Guten steht, vor genau jener Frage, die auch österreichische und deutsche Redaktionen beantworten müssen: Sollen sie Positionen von Broder, Sarrazin, Kubitschek oder gar Sellner (egal bei welchem Thema) zulassen oder nicht? - Die Österreicher sagen: ja, weil das zum politischen Spektrum in Österreich dazugehört, die Deutschen sagen eher nein, weil sie rechten Positionen keine Plattform bieten wollen und weil man hier einen starken Abgrenzungskurs gegenüber der AfD und Pegida pflegt. - Und DIALOGOS? - Sagt auch nein.
Davon zu unterscheiden sind die inhaltlichen Aspekte Deiner Beiträge: War der Lockdown im Frühjahr notwendig? Welche Maßnahmen gegen das Coronavirus sind effektiv - welche sind unnötig? usw.
Diese Diskussion wird ja auch in den Medien geführt. Streeck plädiert für eine "neue Strategie". Bedenken muß man allerdings, daß die politische Rechte sich vor den Protestzug der Zweifler an den Corona-Maßnahmen gesetzt hat und mit lautstarken, teils verschwörungstheoretischen Parolen sich die Proteste zunutze machen will. - Und damit vermengen sich die beiden Gesichtspunkte miteinander. - Nun sehe ich persönlich keinen Grund, Dir rechte Propagandabestrebungen zu unterstellen, Herbert. Ich verstehe den Zweifel, den Du äußerst gegenüber den einschneidenden Coronamaßnahmen durchaus. Allerdings verstehe ich auch, daß die Administration die Einbettung solchen Zweifels in den rechten Diskurs moniert. Den Rechten geht es weniger um Corona; sie wollen im Windschatten einer gesundheitspolitischen Debatte ihre Parolen vom "tiefen Staat", vom "Regime Merkel" an den Mann und an die Frau bringen. -
Wenn man diese zwei Dinge (die eigentliche gesundheitspolitische Debatte über den Sinn von Maßnahmen und Einschränkungen einerseits, die Überformung dieser Debatte durch rechtspopulistische Interessen) nicht auseinander hält, bekommt die Diskussion im Forum jene Dynamik und Dramatik, von der ich eingangs schrieb. - Die Co-Publikation des Blog-Beitrags auf der
Achse des Guten gibt Anlaß für das genauere Hinsehen; sie gibt jedoch keinen Anlaß, Dir die Intention zu rechter oder verschwörungstheoretischer Propaganda zu unterstellen - auch dann nicht, wenn in der politischen Wirklichkeit der Protest gegen die Coronamaßnahmen von solcher Propaganda begleitet wird. -