Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑ Mo 18. Jun 2018, 19:54
Das Gehirn ist ein raumzeitliches Etwas. Ziemlich kompliziert und beeindruckend, ohne Frage, aber dennoch ein biologisches, raumzeitliches Organ. Wir haben hier viel über das "Ich" gesammelt. Und auch wenn es in der Großschreibung den Eindruck erwecken mag - ist das "Ich" ernsthaft ein Ding? Das finde ich - gelinde gesagt - zweifelhaft. Ich bin (neben dem vielen anderen) das Zentrum meines bewussten Lebens, das ist kein Ding. Danach mit dem Scanner zu suchen ist bloß absurd. Ich finde allein die Idee, man könne irgendwo im Inneren des Körpers ein Ich finden, völlig verfehlt. Danach zu suchen ist ein komplett sinnloses Forschungsprogramm, das zu keinem Ergebnis führen kann, weil es den Gegenstand der Untersuchung verfehlt.
Nein, als absurd würde ich das nicht bezeichnen. Es gibt einfach einen scheinbar unüberbrückbaren Dissens in diesem Forum, über die Natur oder Definition des Ontologischen.
M.E. sind die Hirnforscher bei ihrem Versuch krachend gescheitert, zu zeigen, dass die genannten Möglichkeiten, die wir sprachlich der 1. Person zuschreiben, sich in die Sprache der 3. Person übersetzen lassen. Das heißt, dass es nicht gelungen ist, die Möglichkeiten des Semantischen, auf die uns zugängliche Sprache des Neuronalen zu übersetzen. In der Version der Singers und Roths ist das vermutlich zu ruppig und naiv angegangen worden. Daraus folgt, dass die Übersetzung und somit Erklärung misslungen ist. Daraus folgt nicht, dass das Ich nicht Produkt des Hirn oder sogar "im Hirn" seinen Platz finden könnte.
Man müsste dann definieren, was man unter den Begriff "Ich" versteht. Wer sagt, dass das Hirn als Ort absurd ist, muss auch sagen, warum oder was ihm weniger absurd vorkommt. Das Herz? Die Kniescheibe? Das Kronenchakra, 50 cm über meinem Kopf? Im nächsten Funkturm?
Du hattest nun aber gar keinen anderen raumzeitlichen Ort wählen wollen sondern möchtest da gleich ganz aussteigen und ja, das Ich ist (mindestens so, wie wir es uns vorstellen) ohne Beziehungen zu anderen nicht zu denken. Und auch ich sehe das Ich als ein dynamisches Konstrukt, meinetwegen zusammengezimmert aus biologischem Erbe (oder Es) und soziokulturellen Vorgaben (oder Über-Ich) und dem Realitätsprinzip (wie weit sind meine Phantasien umsetzbar).
Das Ich hat oder besitzt als Bestandteil einerseits ein Weltbild, das wohl wesentlich als Selbstbild und Bild von anderen (Selbst- und Objektrepräsentanzen) besteht. Aber natürlich sind sowohl Weltbild als auch Objektrepräsentanzen ja auch etwas Äußerliches. Zum einen resultieren sie aus Erfahrungen mit Um- und Mitwelt, zum anderen sind sie ja auch irgendwo gelagert, abgespeichert, damit Ich auf das was typisch meins ist, zugrieifen kann.
Und natürlich verfehlt man da etwas, was man beim Raum der Gründe fragt, on da die Fenster geputzt werden müssen oder welche Farbe die Wand hat.
Andererseits ist es nicht unproblematisch lapidar zu sagen, das sähe doch wohl jeder, dass das eine Metapher ist und somit auch eine andere Welt oder Erscheinungsform.
Kann man durchaus sagen und von Descartes' 'res cogitans' bis zu Kants 'Dingen an sich' gibt es Variationen davon. Nun mag man den Hirnforschern insofern philosophische Naivität unterstellen, als sie sich zu sehr auf den Punkt Vermeidung des Dualismus eingeschossen haben. Vermutlich ohne tiefere Kenntnisse hat man den Dualismus mitsamt der Rede vom Homunkulus: nicht ohne Ironie übrigens, denn der einzige Ort wo mir dieser Homunkulus je begegnete, waren die Anatomiebücher der Neurobiologen, bei denen in Gestalt eines liegenden Männchens die Areale - spezifische Repräsentationsbereiche - dargestellt wurden.
Philosophisch spielte der nie eine Rolle.
Der Dualismus war also der Buhknabe und man erschien als seriös, wenn man irgendwas Nichtdualistisches zustande brachte. Worin die Problematik neurobiologischer Konstrukte liegt, habe ich erwähnt. Allerdings ist die fröhliche Detranszendentalisierung seit Jahren das Programm der Philosophie, d.h., nach dem Descartes zu widerlegen philosophischer Volkssport ist, hat man auch aus Kants 'Ding an sich' die Luft gelassen, weil in letzter Konsequenz eben genau der Ort nicht klar war, an dem die Repräsentation, Abstraktion oder Reinform (die mich den Stuhl als Stuhl erkennen lässt) vorkommt.
Weil eben die Frage, dass, wenn wir von einer anderen Welt (oder ontologischen Ebene) reden, diese denn nun sein soll und viel mehr, wie wir aus dieser denn Informationen bekommen, keine ist, die gerade der Philosoph vernachlässigen darf. Das ist der Bereich, den Du am ehesten erklären müsstest, oder eben, was die Rede von der Nichtdinnghaftigkeit des Ich nun bedeuten soll. Wie ist denn für Dich das Verhältnis vom Ich zum Gehirn?
Wenn das Ich mit dem Hirn nichts zu tun hat, wie kommt es dann das Medikamente, Drogen, Tumore und Drogen unser Denken, Fühlen, unsere Wahrnehmung und Körperbeherrschung bis zum Körperbild verändern können? Und zwar so spezifisch, dass es klare Korrelationen zwischen Durchblutungsstörungen und körperlichen, emotionalen, motivationalen und kognitiven Ausfällen gibt, wie Du auf jeder beliebigen Schlaganfall Station im Krankenhaus beobachten kannst.
Wenn man sagt, das Hirn sei notwendig, aber nicht hinreichend, wo befindet sich dann noch dieses andere?
Wo anders finden reale Beziehungen statt, als hier in dieser Welt? Wo anders als im Gehirn könnten oder sollten diese Erfahrungen abgespeichert sein?
Tatsächlich weisen Forscher die einen nichtnaiven Ich-Begriff verfolgen aber darauf hin, dass die Suche im Biologischen ebenfalls nicht naiv ist. Man geht derzeit davon aus, dass das Ich nicht eine Stelle im Gehirn ist - diese hat man in der Tat nie gefunden - auch nicht irgendwo oder überall zugleich ist, sondern es gibt 7 oder 8 Bereiche im Hirn, die allesamt aktiv sind, wenn das Ich angesprochen ist. Und dieses Ich umfasst von der Position im Raum und einem Bewusstsein der eigenen Körperlichkeit bis hin des Ich als reflektierendes Agens alles.
Unbekannt ist, wer oder was diese Bereiche koordiniert.