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Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mo 26. Okt 2020, 18:51
von Nauplios
Wenn ich Dir mit meinem Like zu nahe trete, Stefanie, dann kannst Du es als Administratorin vielleicht löschen - bei der Gelegenheit meinen Account gleich mit, wenn Du magst. Ich wäre einverstanden. ;)

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mo 26. Okt 2020, 18:58
von Jörn Budesheim
Stellt euch vor, ich finde eine Zeichnung von mir nicht, die demnächst veröffentlicht werden soll. Was soll ich tun? Als Realist gehe ich davon aus, dass sie nicht aus der Welt ist, nur weil ich sie nicht finde. Philosophisch tiefer wäre natürlich, zu glauben, dass sie nicht existiert, wenn ich sie nicht finde. Ich könnte daraus natürlich auch irgendein Gesülze machen. Aber diese Form von Tiefe kann ich mir gerade nicht leisten, weil ich die Zeichnung halt brauche... Schlimm das.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mo 26. Okt 2020, 20:31
von Nauplios
Ich stelle mir gerade einen Pianisten vor, der nach seinem Konzert in der Elbphilharmonie vom Publikum um eine Zugabe gebeten wird. Es erklingt der Tristanakkord aus Wagners Liebestod. Die Zuschauer sind in Andacht versammelt. Die Gattin eines Hamburger Konsuls greift verstohlen zu ihrem Taschentuch, dann: tosender Applaus. - Seine Tournee führt den Pianisten zwei Wochen später nach Jerusalem. Unmittelbar nach den ersten Tönen des Tristan fängt das Publikum an zu buhen; erste Gegenstände fliegen in Richtung Podium. -

Die Abfolge von Frequenzen ist in Hamburg nicht anders als in Jerusalem. Hat man dort einen anderen Geschmack? - Es sind die Wirklichkeiten, in denen wir leben. Denn zu den Frequenzen kommen die Bedeutungen, die wir ihnen beilegen. Wenn wir nur das Frequenzspektrum nehmen, gibt es nur eine Realität. Nehmen wir die Bedeutung hinzu, haben wir immer nur noch eine Realität. Husserl spricht in den Ideen zur Phänomenologie von "Auffassung" und von "Konstitution" als Bewußtseinsleistungen. Wirklichkeit ist das Ergebnis von Konstitutionsleistungen des Bewußtseins. - Konstitution, nicht Konstruktion. Daß die Leberwurst nicht mehr im Kühlschrank liegt, wenn die Kühlschranktür verschlossen ist und die Leberwurst nicht mehr zu sehen ist, sie also in ihrem Dasein buchstäblich "erschaffen" wird, behauptet kein Phänomenologe. - Der Vulgärrealismus lebt von seiner Gegnerschaft zum Vulgärkonstruktivismus und umgekehrt. Die Formel von den "Wirklichkeiten, in denen wir leben" hat mit all dem nichts zu tun. Einem oberflächlichen Blick bietet sie sich natürlich an als Erkennungszeichen für Gesülze. Das hat sie mit der Philosophie schlechthin gemeinsam. -

Wie auch immer, ich will Euch keinen weiteren "Tests" unterziehen und versehe den von heute in freundlicher Absicht mit dem Stempel "Bestanden". ;)

Verfahrt so, wie es das Protokoll vorsieht. Euch allen eine gute Zeit.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mo 26. Okt 2020, 20:40
von Jörn Budesheim
Eigentlich ist es gar nicht so schwierig zu verstehen. Wer sagt, dass es Tatsachen gibt, sagt nicht ineins, dass er sie auch alle kennt.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Di 27. Okt 2020, 00:15
von NaWennDuMeinst
Nauplios hat geschrieben :
Mo 26. Okt 2020, 20:31
Die Abfolge von Frequenzen ist in Hamburg nicht anders als in Jerusalem. Hat man dort einen anderen Geschmack? - Es sind die Wirklichkeiten, in denen wir leben. Denn zu den Frequenzen kommen die Bedeutungen, die wir ihnen beilegen.
Richtig.
In einer Praxis versucht eine Psychotherapeutin einem Vergewaltigungsopfer dabei zu helfen das Erlebte zu verarbeiten. Sie sieht dabei in dem Opfer einen Menschen der Hilfe braucht. Ein Mensch mit einer Würde, mit Rechten, kein Objekt sondern ein menschliches Wesen mit Gefühlen und des Leidens fähig.

Szenenwecchsel:
Auf einem Polizeirevier befragt ein Polizeibeamter die Vergewaltigerin des Opfers zu ihren Motiven.
Die Täterin beschreibt das Opfer dabei als ein Objekt ihrer Begierde, als Gegenstand den man benutzen kann wie es beliebt.

Offenbar legen Täterin und Therapeutin dem Opfer andere Bedeutungen bei.
Und nun ist die Frage: Stehen sämtliche, unterschiedliche Bedeutungen die wir den Dingen geben stets gleichberechtigt nebeneinander?
Oder können wir uns in bestimmten Fällen auch ganz objektiv über Bedeutungen irren?

Schimpf' mich deswegen einen Realisten, wenn Du willst. Für mich steht fest:
Die Wahrheit liegt bei der Therapeutin und die Vergewaltigerin irrt.
Hier existiert kein "wie man's nimmt" oder "kann man sehen wie man will".
Und wenn es "unphilosophisch" ist das so zu betrachten, dann will ich mit Philosophie nichts mehr zu tun haben.
Aber ich so denke so weit werde ich nicht gehen müssen. Denn an der Stelle irrst Du!

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Di 27. Okt 2020, 01:27
von NaWennDuMeinst
„Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“

Das ist Kants s.g. "Selbstzweckformel".
Was ist bei Kant ein Zweck?

https://freidenker.cc/immanuel-kants-se ... l/4301#_i4

Hinsichtlich seiner Überlegungen rund um den kategorischen Imperativ kommt Kant zu dem Schluss, dass es mehr als nur relative Zwecke gebe, nämlich Zwecke, die von allen vernünftigen Wesen notwendig bei ihren Handlungen zu verfolgen oder zu berücksichtigen seien – damit meint er absolute Zwecke, also Zwecke an sich. Dagegen hätten relative Zwecke nur für uns selbst einen Wert, da diese nur den Wunsch oder das Streben nach einem noch nicht existenten Gegenstand oder Zustand bedeuten würden – also Zwecke, die wir uns empirisch setzen und die ausschließlich Mittel zur Befriedigung unserer eigenen Bedürfnisse seien. Beispielsweise der Wunsch, ins Kino zu gehen, oder das Bestreben, meine eigene Lebenssituation zu verbessern. Demgegenüber seien Zwecke an sich selbst objektive Zwecke, die unabhängig von subjektiven Interessen und Mittel-Zweck-Beziehungen einen absoluten Wert besäßen. Kant unterscheidet im Bereich menschlicher Zwecksetzungen zwischen dem, was einen Preis hat, und dem, was eine Würde besitzt. Er führt aus, dass all jenes, was „sich auf die allgemeinen menschlichen Neigungen und Bedürfnisse bezieht, […] einen Marktpreis, [und] das, was, auch ohne ein Bedürfnis vorauszusetzen, einem gewissen Geschmacke, d. i. einem Wohlgefallen am bloßen zwecklosen Spiel unserer Gemütskräfte, gemäß ist, einen Affektionspreis [hat]; das aber, was die Bedingung ausmacht, unter der allein etwas Zweck an sich selbst sein kann, hat nicht bloß einen relativen Wert, d. i. einen Preis, sondern einen innern Wert, d. i. Würde.“9 Hierbei unterscheidet Kant zwischen Sachen und Personen – unter letzterem versteht er autonome Vernunftwesen. Während für ihn eine Sache nur einen relativen Zweck, also einen Preis, hat, sind Personen Zwecke an sich selbst und besitzen Würde.

(Seht doch wohin ihr mich getrieben habt! Jetzt zitiere ich schon Kant. Das verzeihe ich Euch nie! :lol: )

Das Opfer in meinem Beispiel hat eine Würde. Und es hat diese Würde objektiv und absolut! Auf dieser Annahme gründen sich u.a. die Menschenrechte. Mag auch sonst alles Geschmacks- und Auslegungssache sein, mögen die meisten Werte auch relativ in ihrer Bedeutung sein. Es gibt Werte die sind es nicht.
Die Omi, die jetzt in dieser Zeit den Erstickungstod stirbt, hat eine Würde. Und die Würde kann man nicht beliebig durch andere Werte ersetzen wie es gerade passt. Wer das versucht begeht einen Fehler, der unterliegt einem schweren Irrtum.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Di 27. Okt 2020, 06:23
von Jörn Budesheim
Wer als moralischer Realist behauptet, dass es moralische Tatsachen gibt, behauptet damit nicht zugleich, dass wir uns in moralischen Tatsachen nicht irren können, dass sie immer leicht zu erkennen sind und dass es darüber nicht auch zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann. Wer "umgekehrt" aus dem Umstand, dass es Meinungsverschiedenheiten gibt oder dem Umstand, dass manche Sachlagen schwierig zu beurteilen sind, darauf schließt, dass es keine moralischen Tatsachen gibt, der begeht einfach einen elementarischen logischen Fehler.

(Daraus, dass ich nicht die Wahrheit über den "Aufenthaltsort" meiner Zeichnung kenne, folgt nicht, dass es darüber keine Wahrheit gibt. )

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Do 29. Okt 2020, 12:17
von Jörn Budesheim
www.feuilletonfrankfurt.de hat geschrieben : „Alle Farben malen Schwarz“ – Drei verschiedene künstlerische Positionen im Ausstellungsraum Eulengasse

Während man in der Galerie zur Linken gleich auf ausdrucksvolle Porträts von meist schwarzen Frauen oder Mulatinnen stößt, liegen in einem Glaskasten die gesellschaftskritischen, subtil kolorierten Blätter von Jörn Budenheim, die der Philosoph tagtäglich in seine Skizzenbücher hineingezeichnet hat. Da finden sich illustrierte Überlegungen zur Kunst und Philosophie, die er in einem durchaus lustvollen und überlegten Verhältnis austariert.

https://www.feuilletonfrankfurt.de/2020 ... ore-101643

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Do 29. Okt 2020, 18:45
von NaWennDuMeinst
Hm. "Entwurf" gefällt mir gut.
Mir kam der Gedanke, das dem Entwurf irgendwann der End-Wurf widerfährt.
Das Neue wird zum Alten und dann gestürzt. Und so geht es immer weiter.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Fr 30. Okt 2020, 05:43
von Jörn Budesheim
Auf meiner Homepage gibt es zu dem Entwurf folgenden Text.
In aller Welt stehen solche Statuen zur Disposition. Die Zeichnung (unten) ist ein Entwurf für das Denkmal Friedrichs II. auf dem Friedrichsplatz in Kassel. Sein Name ist insbesondere verknüpft mit dem menschenverachtenden Soldatenhandel. Auf der anderen Seite hat er in Kassel das Fridericianum, das erste frei zugängliche Museum des europäischen Festlands bauen lassen. Woher kam das Geld?

Ich schlage nicht vor, alle Denkmale dieser Art einfach abzureißen. Ich bin der Ansicht, dass es für jedes Einzelne eine individuelle Lösung geben sollte. Keine Stadt ist ohne Künstler, deren Fantasie ist jetzt gefragt. Dieses Denkmal ist zum Beispiel umgeben von documenta-Kunstwerken. Das ist eine besondere Situation, die eine Rolle spielen sollte, weil hier auch Geschichte greifbar wird.

Dennoch: Ich stelle mir für Friedrich hier in Kassel vor, dass die Statue nicht wirklich gestürzt wird, sondern dass der Sturz so wie in der Zeichnung "festgehalten" wird. So wie es skizziert ist, soll es dauerhaft aussehen. Der Fürst verbeugt sich im Sturz vor dem Volk ...

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mo 2. Nov 2020, 18:00
von Stefanie
Es wird gesagt, Privatpersonen erhalten am Montag keine Post. Jahrelang hatte auch ich am Montag keine Post, auch keine Werbung, im Briefkasten. Nix.
Zu meiner großen Überraschung war heute Post im Briefkasten. Ein richtiger Brief. So was aber auch.
Es gibt also doch montags Post.


Oder der neue Postbote hat am Samstag nicht alles geschafft.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 16:35
von NaWennDuMeinst
Die Amerikaner machen es spannend. Ständig dreht sich was, die Swing-States schwingen so vor sich hin.
Biden kann es noch schaffen. Wenn auch nur ganz knapp. Aber auch Trump könnte noch gewinnen.
Und wahrscheinlich haben wir die letzte Gewissheit erst morgen. Kaum auszuhalten.

Positiv finde ich aber die enorm hohe Wahlbeteiligung (so hoch wie noch nie seit 120 Jahren).
Man hat in Amiland offenbar verstanden, dass es diesmal "um die Wurst" geht.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 16:40
von Jörn Budesheim
Naiv, wie ich bin, hatte ich die hohe Wahlbeteiligung als ein Indiz für einen klaren Sieg von Biden gewertet :-(

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 16:58
von NaWennDuMeinst
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 4. Nov 2020, 16:40
Naiv, wie ich bin, hatte ich die hohe Wahlbeteiligung als ein Indiz für einen klaren Sieg von Biden gewertet :-(
Naja, für einen klaren Sieg reicht es nicht, aber ein Indiz ist es trotzdem.
Trump hat das letzte Mal u.a. deshalb gewonnen, weil viele Amerikaner (die sich einen solchen Präsidenten niemals erträumt hätten) gar nicht wählen gegangen sind.
Diesmal wählen deutlich mehr und das könnten durchaus die Stimmen sein, die die Demokraten für ihren Kandidaten Biden brauchen.
Es könnten am Ende die entscheidenden zusätzlichen Stimmen sein.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 17:48
von Stefanie
Das ist so krass. Die Ergebnisse der einzelnen Staaten sind so eng, bis auf wenige Ausnahmen. Das ist 50 zu 50. Zum Teil bei den Prozentzahlen geht um die Nachkommazahlen. Wie soll ein Land regiert werden und noch wichtiger zur Ruhe kommen, wenn ein Trennung genau durch die Mitte läuft? Ein Kollege meinte, ein Riss durch ein Land.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 18:24
von Jörn Budesheim
Wenn diese Infos etwas wert sind (und ich durchblicke), dann schafft es Biden vielleicht doch.

https://www.google.com/search?q=amerika ... 8&dpr=1.75

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 18:52
von Stefanie
Sieht so aus....drücken wir mal die Daumen.

Ich möchte jetzt nicht bei denen sein, die die Stimmen auszählen. Was für ein Stress.
Man hat den Eindruck, dass man zwar vorbereitet war, dass diesmal das Zählen länger dauert, aber offenbar doch auch etwas unterschätzt.
Man stelle sich vor, man steht vor einem größeren Berg von heute abgegeben Stimmen, als vermutet und sieht dann den Berg der Briefwahlstimmen.
Dann gibt es noch ein Rohrbruch in einer Halle, bei einem anderen Wahllokal ging die Tinte der Wahlcomputer aus, und musste erst besorgt werden, der Chef der Wahlkommision eines Bundesstaates ist von der Partei, die gerade aus einen Rückstand einen Vorsprung macht...alle schauen, Trump poltert, und dann soll man sich nicht verzählen oder bloß nicht den Computer zum Absturz bringen.

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 20:04
von NaWennDuMeinst
Die Berliner Verkehrsbetriebe haben mit einem Plakat Stellung bezogen.
bvg_wuenscht_beiden_den_sieg.jpg
bvg_wuenscht_beiden_den_sieg.jpg (111.71 KiB) 5576 mal betrachtet
Find' ick jut!
:-)

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 20:12
von NaWennDuMeinst
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 4. Nov 2020, 18:24
Wenn diese Infos etwas wert sind (und ich durchblicke), dann schafft es Biden vielleicht doch.

https://www.google.com/search?q=amerika ... 8&dpr=1.75
Ja. Im Laufe des Tages hat sich die Stimmenverteilung in den Bundesstaaten Wisconsin, Michigan und Nevada zu Gunsten von Biden geändert.
Wenn das so bleibt, sieht es gut aus, denn alle drei Staaten bringen zusammen 32 Wahlmänner. Mit den 238 die Biden schon hat wären das dann genau die magischen 270.

(Edit: Ach, inzwischen sind es schon 248, Wisconsin geht an Biden. Dann hängt es jetzt noch an Michigan [16] und Nevada [6]. Und gerade in Nevada ist noch alles offen.)

Re: Kaffeestübchen

Verfasst: Mi 4. Nov 2020, 20:28
von NaWennDuMeinst
Boah. Das sieht echt so aus, als könnte es 270 zu 269 für Biden ausgehen. Ist das knapp.

Was ich interessant finde ist, dass es neben dem Kandidaten der Demokraten und dem Mann dessen Namen man nicht aussprechen soll auch noch Kandidaten anderer Parteien gibt.
Kandidaten.JPG
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Hat Jemand die Namen der Kandidaten der Liberalen und der Grünen schon mal gehört?
Ich nicht. Die Amerikaner wählen schon echt anders als wir. Da gibt's irgendwie nur Rot oder Blau. Alle anderen Farben sind nicht der Rede wert.