Migrationshintergrund

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Jörn Budesheim
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Di 6. Mai 2025, 17:59

Consul hat geschrieben :
Mo 5. Mai 2025, 19:03
Es ist beispielsweise eine Tatsache, dass ich als deutschstämmiger Deutscher in meiner Heimatstadt Nürnberg nun zu einer ethnischen/nationalen Minderheit gehöre, weil der Anteil der Bewohner mit Migrationshintergrund auf über 50% gestiegen ist (51,6 %, Stand 12/24). Ist mir das gleichgültig oder finde ich es gut? – Nein! (Trotzdem werde ich nicht die AfD wählen.)
Ich komme aus Kassel und habe gerade mal nachgeschaut: 45 % der Einwohner Kassels haben einen Migrationshintergrund. (Gemäß perplexity.ai) Ist mir das gleichgültig oder finde ich es gut? Hmmm … ich finde es irgendwie "normal". Mir fällt gerade kein passender Ausdruck ein.

Ich schätze, in dem Viertel, in dem ich lebe, sehen die Zahlen nochmal anders aus: es gibt dort weniger Menschen mit Migrationshintergrund, schätze ich.

Manchmal fällt es mir in der Straßenbahn auf, das es in Kassel viele Menschen mit Migrationshintergrund gibt – soweit es einem überhaupt auffallen kann – ich frage natürlich niemanden: "Guten Tag, haben Sie einen Migrationshintergrund?" Aber diese Buntheit, die mir manchmal auffällt, gibt mir immer so eine Art Großstadtgefühl – und das gefällt mir, muss ich sagen.

In Kassel findet alle fünf Jahre die documenta statt, eine der bedeutendsten Kunstausstellungen weltweit. Dann sind besonders viele Gäste aus aller Welt in der Stadt. Das ist jedes Mal großartig, finde ich.

Gerade bin ich mal gedanklich die Kolleg:innen im Büro durchgegangen … ehrlich gesagt habe ich mir darüber vorher nie Gedanken gemacht. Aber da kommt auch einiges zusammen – ich schätze, vielleicht ein Drittel oder mehr der Kolleginnen und Kollegen hat einen Migrationshintergrund.

Aber das Problem beginnt für dich, wenn du in der Minderheit bist. Okay. So wirklich nachvollziehen kann ich das nicht, wenn ich ehrlich bin.




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Quk
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Di 6. Mai 2025, 18:15

Consul, woher kommen Deine Urgroßeltern? Um 1900 herum war Nürnberg einwohnermäßig halb so groß wie heute. Die andere Hälfte, die im Lauf der Zeit von außerhalb Nürnbergs hinzukam, hat der ersten "ursprünglichen" Hälfte nichts weggenommen.

Stell Dir mal die Briten vor, die in den USA New York gründen. 1000 Briten. 1000 Einwohner. Dann kommen 1000 Italiener. Jetzt machen die Briten in New York nur noch 50 % aus. Aber nehmen die Italiener den Briten etwas weg? Nein. Es sind ja jetzt 2000 statt 1000 Einwohner. Dann kommen die Franzosen, die Deutschen, die Griechen ... keiner nimmt was weg, sondern sie vergrößern die Einwohnerzahl.

"In der Minderheit" -- das hört sich so an, als wären die anderen kulturell auf einem völlig anderen Pfad. Kann halb Nürnberg kein Deutsch? Oder fehlt der Fränkische Dialekt zu sehr?


Des is übrigens mey Lieblingsfrangge:





Pragmatix
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Di 6. Mai 2025, 18:41

Was hatten jetzt die 1.000 Briten dort gleich noch einmal für Rechte? Zunächst einmal haben sie jede Menge autochthone Kulturen unmittelbar und mittelbar zerstört.

Dieser Vergleich hinkt nicht, er hat nicht einmal Beine.




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Quk
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Di 6. Mai 2025, 18:49

War klar, dass dies Dich als alter Amerikanistiker gleich zur Kompetenz-Teilnahme verleitet :-)

Dann nimm statt New York eben halt Entenhausen. Dies dient doch nur als einfaches Mengenlehre-Beispiel und soll keinen Geschichtsunterricht darstellen; ist doch klar dass die Zahl 1000 und die jeweiligen Gruppen nur plakativ-beispielhaft sind. Und dass da Ureinwohner vorher waren, ist auch klar.




Pragmatix
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Di 6. Mai 2025, 19:10

Quk hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 18:49
War klar, dass dies Dich als alter Amerikanistiker gleich zur Kompetenz-Teilnahme verleitet :-)

Dann nimm statt New York eben halt Entenhausen. Dies dient doch nur als einfaches Mengenlehre-Beispiel und soll keinen Geschichtsunterricht darstellen; ist doch klar dass die Zahl 1000 und die jeweiligen Gruppen nur plakativ-beispielhaft sind. Und dass da Ureinwohner vorher waren, ist auch klar.
Einwanderung ist keine Frage der Mengenlehre. Damit lassen sich keine sozialen Fragen lösen.




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Quk
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Di 6. Mai 2025, 19:19

Pragmatix hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 19:10
Einwanderung ist keine Frage der Mengenlehre. Damit lassen sich keine sozialen Fragen lösen.
Die Einwanderungs-Frage hat viele Aspekte. Ich bezog mich gerade auf den von Consul eingeführten Aspekt der prozentualen Größenverhältnisse. Jene 50% muss man auch auf die verdoppelte Einwohnerzahl beziehen, sonst stimmt das Bild nicht, das Consul malt.




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Jörn Budesheim
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Di 6. Mai 2025, 19:28

Pragmatix hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 19:10
Damit lassen sich keine sozialen Fragen lösen.
In den Faden geht es gar nicht um soziale Fragen, zumindest soweit ich bisher sehen kann. Consul hat erklärt, dass er es nicht gut findet, in seiner Heimatstadt Nürnberg nun als deutschstämmiger Deutscher zu einer ethnischen/nationalen Minderheit zu gehören. Ich versuche, mich möglichst dicht an seiner eigenen Formulierung zu orientieren.

In der Stadt, in der ich lebe – Kassel – ist die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund zwar nicht über 50%, aber nahe dran, wenn die Quelle, die ich konsultiert habe, recht hat. Ich versuche eigentlich nur zu verstehen, was Consul stört, bzw. was genau er nicht gut findet. Kassel ist mit ca 200.000 Einwohnern allerdings deutlich kleiner als Nürnberg mit über einer halben Million.

Ob das Thema darauf hinausläuft, dass wir irgendwelche "sozialen Fragen lösen" müssen, was immer damit in dem Zusammenhang gemeint sein könnte, kann man bisher noch gar nicht sagen.




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Consul
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Di 6. Mai 2025, 19:53

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 17:59
…Aber das Problem beginnt für dich, wenn du in der Minderheit bist. Okay. So wirklich nachvollziehen kann ich das nicht, wenn ich ehrlich bin.
Das scheint daran zu liegen, dass deine Nationalität (nationale Identität) im ethnischen Sinn für dich keine (besondere) Bedeutung hat. Ich finde es dagegen sehr befremdlich und unerfreulich, wenn das deutsche Stammvolk (als ein deutsch sprechendes mitteleuropäisches Volk mit einem historisch gewachsenen und überlieferten soziokulturellen Wirbewusstsein als Deutsche), zu dem ich gehöre, in seinem eigenen Heimatland zu einer ethnischen Minderheit wird.

Es ist unbestritten, dass Völker als Ethnien/Ethnonationen dynamische und variable soziale Gebilde sind. Selbst der Ethnonationalist Björn Höcke hat erkannt, dass die Forderung nach einem völkischen "Reinheitsgebot" unsinnig ist und den geschichtlichen Tatsachen widerspricht. Er vergleicht eine Ethnonation mit einem breiten Strom, der stetig sowohl Abflüsse (Auswanderung von Volksmitgliedern) als auch Zuflüsse (Zuwanderung fremdvölkischer Menschen) hat. Zwischen den Nationen bestehen dabei teils sehr große Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes an Ab- bzw. Zuwanderung.

Was mich von Höcke und seinen antiliberalen, nationalreaktionären Freunden unterscheidet, ist, dass er weit mehr fordert, als dass das deutsche Stammvolk die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland bildet. Er will nämlich der immer größer werdenden quantitativen Differenz zwischen dem deutschen Staatsvolk und dem deutschen Stammvolk entgegenwirken und sie wieder möglichst minimieren (u.a. durch "Remigration"), sowie das deutsche Stammvolk möglichst kulturell homogenisieren.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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Consul
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Di 6. Mai 2025, 20:15

Consul hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 19:53
Was mich von Höcke und seinen antiliberalen, nationalreaktionären Freunden unterscheidet, ist, dass er weit mehr fordert, als dass das deutsche Stammvolk die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland bildet. Er will nämlich der immer größer werdenden quantitativen Differenz zwischen dem deutschen Staatsvolk und dem deutschen Stammvolk entgegenwirken und sie wieder möglichst minimieren (u.a. durch "Remigration"), sowie das deutsche Stammvolk möglichst kulturell homogenisieren.
Mir ist eben erst aufgefallen, dass es neben dem Stammvolk und dem Staatsvolk auch noch ein Landesvolk gibt:

1. Landesvolk = die gesamte (dauerhaft dort lebende) Bevölkerung eines Landes
2. Staatsvolk = die gesamte Landesbevölkerung mit Staatsbürgerschaft
3. Stammvolk (als Teil des Staatsvolkes) = die angestammte, einheimische, eingeborene Bevölkerung mit deutscher Staatsbürgerschaft (= die deutschstämmigen deutschen Staatsbürger)

Höcke & Co. wollen nicht nur die quantitative Differenz zwischen dem Staatsvolk und dem Stammvolk drastisch reduzieren, sondern auch diejenige zwischen dem Landesvolk und dem Stammvolk. Das heißt, sie wollen in Deutschland sowohl möglichst wenige nichtdeutschstämmige Inländer/Staatsbürger als auch möglichst wenige nichtdeutschstämmige Ausländer/Nichtstaatsbürger haben.



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Quk
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Di 6. Mai 2025, 20:20

Auf wieviele Generationen bezieht sich der Begriff "deutschstämmig"?

Und wieviel Prozent müssten die Deutschstämmigen in Nürnberg ausmachen, damit Du Dich dort wohl fühlst, Consul? 60 %? 80 %?

Würde es sich besser anfühlen, wenn alle jene mit Migrationshintergrund wenigstens Nürnberger Mundart sprächen?




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Consul
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Di 6. Mai 2025, 20:23

Quk hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 18:15
Consul, woher kommen Deine Urgroßeltern? Um 1900 herum war Nürnberg einwohnermäßig halb so groß wie heute. Die andere Hälfte, die im Lauf der Zeit von außerhalb Nürnbergs hinzukam, hat der ersten "ursprünglichen" Hälfte nichts weggenommen.
Meine acht Urgroßeltern kommen teils aus Nürnberg, teils von außerhalb, aber von innerhalb Bayerns.
Die Migration von Deutschen innerhalb Deutschlands ist übrigens nicht dasselbe wie die Migration von Nichtdeutschen nach Deutschland.



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Jörn Budesheim
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Di 6. Mai 2025, 20:23

Ich wollte eigentlich nicht über Björn Höcke sprechen. Es wäre mir sehr lieb, wenn wir den hier aus dem Spiel lassen könnten.
Consul hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 19:53
Ich finde es dagegen sehr befremdlich und unerfreulich, wenn das deutsche Stammvolk (als ein deutsch sprechendes mitteleuropäisches Volk mit einem historisch gewachsenen und überlieferten soziokulturellen Wirbewusstsein als Deutsche), zu dem ich gehöre, in seinem eigenen Heimatland zu einer ethnischen Minderheit wird.
Ich versuche eigentlich zu verstehen, was dich stört. Aber dieses Zitat erklärt es für mich nicht, sondern es fasst nach meinem Gefühl den selben Sachverhalt vom ersten Zitat nur in andere Worte, die ich allerdings teilweise nicht verstehe, weil ich z.B. gar nicht weiß, was ein Stammvolk ist – auch mit soziokulturellen Wirbewusstsein kann ich ehrlich gesagt nichts anfangen.

Ich erwarte auch nicht, dass Du versuchst, mich von deiner Position zu überzeugen oder sie zu "beweisen". Wenn ich am Ende des Fadens eine "ungefähre Ahnung" hätte, worum es dir geht, wäre sein Ziel für mich schon erreicht. Was du dir erwartest, weiß ich natürlich nicht. Und was die anderen sich wünschen, natürlich ebenso wenig.




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Jörn Budesheim
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Di 6. Mai 2025, 20:26

Quk hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 20:20
Würde es sich besser anfühlen, wenn alle jene mit Migrationshintergrund wenigstens Nürnberger Mundart sprächen?
Vielleicht klingt das jetzt etwas ironisch, aber irgend so etwas in der Art interessiert mich auch. Ich bin auf alles aus, was ich irgendwie nachvollziehen könnte. Vielleicht Dinge, die das direkte Erleben betreffen. Begriffliche Feinabstimmungen zwischen Stammvolk und Staatsvolk interessiert mich hingegen überhaupt nicht :)




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Quk
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Di 6. Mai 2025, 20:36

Prinzipiell kann ich das Problem mit der Minderheit nachvollziehen, vorausgesetzt, die Kultur der anderen belästigt mich. Beispiel: Wenn meine Gemeinde zu 50 % aus bayerischen Schuhplattlern in Lederhosen bestünde, die täglich laut jodeln, dann würde ich auch traurig werden. Das ist einfach nicht meine Kultur. Sie erfreut mich nicht.

Hingegen erfreut es mich, wenn verschiedene Gaststätten vorhanden sind; Italiener, Griechen ... alle sprechen deutsch, manche sogar Mundart, und deren italienische und griechische Musik erfreut mich ebenso. Ist jetzt nur ein kleines Beispiel.




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Jörn Budesheim
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Di 6. Mai 2025, 20:56

Ich schätze mal, die Menschen mit Migrationshintergrund sowohl in Kassel als auch in Nürnberg sind nicht so homogen verteilt wie die 50% Schuhplattler in dem Beispiel :) Online gefunden habe ich folgendes: "In Nürnberg haben inzwischen über 50 Prozent der Bevölkerung einen eigenen oder familiären Migrationshintergrund, und die Menschen stammen aus mehr als 170 verschiedenen Ländern." Ich erinnere mich, dass ich etwas etwas gleichbares für Kassel auch schon mal gelesen habe, finde aber leider keine Quelle, um die Zahlen zu nennen.




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Quk
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Di 6. Mai 2025, 21:19

Mein Beispiel sollte auch nur das Prinzip bebildern: Das Prinzip, dass die Kultur der anderen mich belästigen muss. Wenn sie mich nicht belästigt, sehe ich keinen Grund zur Traurigkeit. Wie Du, Jörn, würde ich gerne von Consul wissen, was genau ihn stört an den anderen -- egal, ob sie homo- oder heterogen sind. Wenn mich etwas stört, kann ich es meist genau beschreiben. (Früher konnte ich das nicht so einfach.)




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Stefanie
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Di 6. Mai 2025, 22:23

Jetzt habe ich doch bei Bonn nachgeschaut.

Am 1. Januar 2025: 340.226 Einwohnerinnen und Einwohner, davon männlich: 164.329, weiblich: 175.856. In Bonn wohnen 113.382 Personen mit Migrationshintergrund aus rund 180 Staaten der Erde, davon sind 69.428 Ausländer.
An erster Stelle unter den Zuwanderern stehen die Bürger aus Syrien (9,4%), es folgen Zuwanderer aus der Türkei (7,5%), Polen (5,6%). 27,4% der Bonner Bevölkerung sind katholisch, 15,6% evangelisch und grob geschätzt 11,9% islamisch. 4,1% gehören einer sonstigen sowie 41,0% keiner Glaubensgemeinschaft an.

https://www.bonn.de/service-bieten/aktu ... (5%2C6%25).



Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
Wer nicht fragt bleibt dumm!
(Sesamstraße)

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Jörn Budesheim
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Mi 7. Mai 2025, 07:36

Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.
destatis.de
Diese Definition hat etwas Zufälliges. Ein Beispiel: Karin kam als Baby mit ihrer Mutter Anna nach Deutschland. Heute ist sie selbst Mutter geworden. Ihr Kind gilt nun statistisch als Person mit Migrationshintergrund. Wäre Anna nur etwas früher eingereist und Karin in Deutschland geboren worden, würde ihr Kind nicht mehr darunterfallen.

Heute Morgen saß eine Schwarze Person mit mir im Bus. Hat sie einen Migrationshintergrund? Ohne diesen Faden hätte ich mir diese Frage wohl nie gestellt. Sie ist seltsam – und sie lässt sich für mich nicht beantworten, es sei denn, ich würde sie direkt fragen. Was natürlich übergriffig wäre, gelinde gesagt. Und selbst dann bliebe fraglich, welchen Erkenntnisgewinn eine solche Antwort überhaupt hätte.

Die äußere Erscheinung verrät nichts darüber, wie lange eine Familie bereits in Deutschland lebt – oder ob überhaupt eine Migration stattgefunden hat. Schwarze Menschen gehören zu Deutschland ebenso wie Blonde. Es hat sie hier immer gegeben, seit Jahrhunderten.




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Thomas
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Mi 7. Mai 2025, 10:37

@Jörn: "Ist mir das gleichgültig oder finde ich es gut? Hmmm … ich finde es irgendwie "normal". Mir fällt gerade kein passender Ausdruck ein."

Das sehe ich genauso; Normalität ist doch ein sehr passender Ausdruck dafür. Für mich heißt das: Ich kann es mir gar nicht anders vorstellen, und ich will auch nicht dass es anders ist. Das Phantasma von Reinheit, Homogenität und Ausschließlichkeit, egal aus welcher ideologischen Richtung, kommt mir weltfremd vor; und das nicht nur beim Thema Migration. Wir leben als moderne Menschen eben in einer fluiden Zeit, in der Wanderung, Veränderung, Kontingenz und Situativität usw. die Normalität darstellen.

Das betrifft auch die Frage, ob Migration ein Problem darstellt oder nicht - auch da gibt es in unserer Gesellschaft diverse (!) Meinungen dazu, und zum Glück keine homogene Einheitsmeinung ('Konsens'). Am Ende geht es doch immer um die Menschen: Ein Schwarzer kann genauso eine Nervensäge, ein ständiger Nörgler, ein Psychopath ein arrogantes Arschloch usw. sein wie eine junge Weiße. Je näher man an den Einzelnen und an die Situationen ranzoomt, desto weniger eindeutig sind die Dinge - egal ob es sich nun um Migranten, AfD-Wähler oder Wokeness-Befürworter handelt. Die ganzen politischen Kampfbegriffe werden eingeschmolzen, wenn man sich in konkrete Situationen begibt.

Was man dann - jenseits identitärer Etiketten ('die' Migranten, 'die' Frauen, 'die' AfD, 'die' Woken usw.) - an Konkretem und Durchwachsenem erlebt, ist natürlich in keiner Weise politisch verwertbar; Politik braucht klare Freund-Feind-Schemata, das ist klar. Aber man erfährt dadurch etwas anderes: nämlich dass es im vorpolitischen Raum so etwas wie 'das Problem der Migration' gar nicht gibt. 'Die Migranten' entzaubern sich im Alltag durch ihr konkretes Sosein praktisch von selbst: es sind halt irgendwie normale Menschen wie du und ich. Und sie sind nicht etwa normal, weil sie 'alle Menschen' sind, sondern weil sie es auf ihre je eigene und typisch banale Weise sind.

Sozial auffällig werden, das können junge Frauen (Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof) genauso wie arabische Männer. Die Unzufriedenheit mit dem normalen Leben - oder die Unfähigkeit, die überhaupt nur wahrnehmen zu können - ist keine Domäne von Migranten oder Einheimischen, Männern oder Frauen, AfD-Leuten oder Woken. Moderne Politik und Medien arbeiten natürlich mit ihren geframten Krisen-News an der Stimulierung dieser Unzufriedenheit, das ist nun mal ihr funktionaler Job. Aber das kann man wissen und sich jederzeit leicht in Erinnerung rufen, wenn man es im Alltag mit konkreten Menschen zu tun hat. In diesem Situationsbewusstsein steckt für mich auch ein Moment geistiger Reife. (Und ich bin da optimistisch, dass die meisten Leute diese Reife auch haben, auch wenn man von solchen Normalos natürlich nie etwas in den Nachrichten hört, da Medien ja für das Wachhalten von Krisenbewusstsein zuständig sind.)




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Consul
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Mi 7. Mai 2025, 16:02

Quk hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 20:20
Auf wieviele Generationen bezieht sich der Begriff "deutschstämmig"?
Tja, das ist Auslegungssache und im allgemeinen Wörterbuch nicht genauer definiert: "von deutschen Vorfahren abstammend".
Man könnte dies als "ohne Migrationsgrund" definieren: "x ist genau dann deutschstämmig, wenn x und seine beiden Eltern mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren sind."
Bei den Nazis galt mal "mindestens zwei deutsche Großeltern". Man könnte auch strenger festlegen: Seit dem Bestehen des deutschen Volkes (* in jeder Generation von Vorfahren mehr als 50% deutsche Vorfahren: 2 deutsche Eltern + ≥3 deutsche Großeltern + ≥5 deutsche Urgroßeltern + ≥9 deutsche Ururgroßeltern + …
(* Seit wann es das deutsche Volk als Nation [nicht als Nationalstaat!] gibt, ist auch eine unter Fachleuten umstrittene Frage.)

Was den ethnischen Nationenbegriff anbelangt, so muss ich allerdings zugeben, dass der Versuch zu misslingen scheint, ihn in nichtbeliebiger Weise rein abstammungsbezogen zu definieren. Das große Problem beginnt bereits damit, dass es definitorisch zirkulär ist festzulegen, dass Deutscher ist, wer deutsche Eltern (und deutsche Großeltern und…) hat. Außerdem ergibt sich ein Abstammungsparadox, wenn man eine solche Definition verwendet:
Es hat entweder schon immer Deutsche gegeben, oder irgendwelche Menschen waren irgendwann die ersten Deutschen. Nehmen wir an, Letzteres trifft zu. Wenn aber nun Deutscher ist, wer deutsche Eltern (und Großeltern und…) hat, dann waren die angeblich ersten Deutschen gar keine Deutschen, weil sie selbst keine deutschen Eltern (und Großeltern und…) hatten. Und wenn die vermeintlich ersten Deutschen in Wahrheit gar keine Deutschen waren, dann sind auch sämtliche Nachkommen von ihnen keine Deutschen, was schlussendlich bedeutet, dass es überhaupt keine Deutschen gibt.
Quk hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 20:20
Und wieviel Prozent müssten die Deutschstämmigen in Nürnberg ausmachen, damit Du Dich dort wohl fühlst, Consul? 60 %? 80 %?
Ich kann keine genaue Prozentzahl nennen; und es ist auch nicht so, dass ich mich nun allgemein und überall unwohl fühle in meiner Heimatstadt in dem Wissen, dass die Mehrheit der gegenwärtigen Nürnberger Bevölkerung einen Migrationshintergrund hat. Nichtsdestoweniger wäre es mir lieber, wenn es nicht so wäre, zumal dieser Umstand der soziokulturellen Integration keineswegs zuträglich ist—insbesondere nicht bei einer sehr hohen und weiter steigenden Anzahl von Bewohnern aus dem moslemisch-orientalischen Raum. Angesichts der großen soziokulturellen Unterschiede zwischen diesem und dem christlich-europäischen Raum ist es nicht zu leugnen, dass es in Sachen Integration einen erheblichen Unterschied macht, ob z.B. Hunderttausende Syrer oder Afghanen nach Deutschland einwandern oder Hunderttausende Schweizer oder Schweden.
Quk hat geschrieben :
Di 6. Mai 2025, 20:20
Würde es sich besser anfühlen, wenn alle jene mit Migrationshintergrund wenigstens Nürnberger Mundart sprächen?
Ja, denn die Landessprache—die Hochsprache und auch Varietäten davon (Dialekte)—ist ein zentraler sozialer Integrationsfaktor sowie ein emotionaler "Wohlfühlfaktor" für die Einheimischen. Ich erlebe es in den letzten Jahren in der Nürnberger U-Bahn (vor allem abends) häufiger, dass von den redenden Mitfahrenden niemand deutsch spricht.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

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