Wachsende AfD kann die Demokratie abschaffen

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Consul
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Mo 12. Mai 2025, 21:40

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 12. Mai 2025, 07:55
Ich glaube nicht, dass es eine Einschränkung der Streitkultur in Deutschland darstellt, wenn in diesem Forum keine Links zu Internetseiten von offiziell als rechtsradikal eingestuften Parteien gepostet werden sollen.
In der von mir verlinkten, von der gesamten Parteiführung unterzeichneten "Erklärung zum deutschen Staatsvolk und zur deutschen Identität" kann ich nichts Rechtsextremistisches finden—nichts Strafbares und auch nichts Hetzerisches. Von "Hassrede" kann bezüglich dieses Textes keine Rede sein. Er zeugt zweifellos von einer nationalkonservativen Haltung, aber nationalkonservativ ist nicht gleich rechtsextrem.
Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Die AfD bringt in ihrer Erklärung bzw. Gegendarstellung entweder ihre wahren Ansichten und Absichten zum Ausdruck—was den Verfassungsschutz in Erklärungsnöte brächte—, oder sie betreibt die List der Verstellung à la "Wolf im Schafspelz".



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Quk

Mo 12. Mai 2025, 22:10

Dazu sage ich nur: Spinat.




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Consul
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Di 13. Mai 2025, 00:29

""Rechtskampf" der AfD: Höcke lässt sich 62-seitigen Persilschein ausstellen

In Berlin stellt der Thüringer AfD-Chef Höcke ein Gutachten vor, das sowohl die Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz als auch alle Prozesse gegen ihn beenden soll. Zugleich droht er Richtern und Staatsanwälten.…"

Quelle: https://www.n-tv.de/politik/Hoecke-laes ... 62219.html



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Timberlake
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Di 13. Mai 2025, 01:30

Consul hat geschrieben :
Mo 12. Mai 2025, 21:40

Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Die AfD bringt in ihrer Erklärung bzw. Gegendarstellung entweder ihre wahren Ansichten und Absichten zum Ausdruck—was den Verfassungsschutz in Erklärungsnöte brächte—, oder sie betreibt die List der Verstellung à la "Wolf im Schafspelz".
Apropos ... Verstellung à la "Wolf im Schafspelz".
Consul hat geschrieben :
So 11. Mai 2025, 21:19
Das (linke) Wirtschaftsmagazin Surplus schreibt:
"Die Wirtschaftspolitik der AfD ist völkisch-neoliberal


Marktradikale Neujustierung des Staates:
Dagegen setzt die AfD in ihrem Wahlprogramm auf marktwirtschaftliche Radikalreformen und eine Staatsschrumpfung im Stile von Musk und Trump: »Staatliche Eingriffe in den Markt werden wir auf ein Minimum reduzieren.« »Damit Unternehmer an die Zukunft des Standorts Deutschland glauben können« will die AfD die Erbschaftssteuer, die ausgesetzte Vermögenssteuer und die Grundsteuer gänzlich abschaffen, die Unternehmenssteuern senken und bei den Einkommenssteuern in Richtung einer Flattax gehen. Auf diese Weise will die AfD die bereits geschliffene Steuerprogression endgültig zerstören und damit die wichtigste Sozialstaatssteuer beseitigen. Das wäre entgegen der Selbstinszenierung als »Partei der kleinen Leute« eine massive Umverteilung zugunsten der oberen Einkommens- und Vermögensbesitzer. Mit ihren Forderungen zur Umverteilung überholt die AfD nach oben sogar die Klientel-Partei FDP, wie eine aktuelle Studie des ZEW Mannheim herausarbeitet."

Quelle: https://www.surplusmagazin.de/afd-wirts ... isch-wahl/
Wenn es den stimmt, das die AfD, mit ihren Forderungen zur Umverteilung überholt die AfD nach oben sogar die Klientel-Partei FDP überholt, so würde übrigens die AfD auch als solches, also beiden kleinen Leuten, als "Wolf im Schafspelz" bezeichnen wollen. Gleichwohl von daher ganz sicher nicht Ungemach vom Verfassungsschutz droht. Eine massive Umverteilung zugunsten der oberen Einkommens- und Vermögensbesitzer scheint offenbar mit Verfassung vereinbar und nicht zu vergessen mit der Demokratie. Wenngleich ich schon sagen würde, dass eine solche wachsende Umverteilung die Demokratie abschaffen kann.
degruyterbrill.com/ hat geschrieben :
Anerkennung, Umverteilung und Demokratie
Dilemmata in Honneths Kritischer Theorie der Gesellschaft

Von CHRISTOPHER F. ZURN (Lexington)

Ein Großteil der produktivsten Arbeit, die gegenwärtig auf dem Gebiet der Sozialtheorie erbracht wird, beschäftigt sich mit Fragen der Beziehung zwischen Anerkennungs- und Verteilungspolitik. Nach der intensiven theoretischen Beschäftigung mit der Politik der Anerkennung, die etwa die letzten fünfzehn Jahre anhielt und sich unter anderem mit Themen wie Multikulturalismus, Multinationalismus, Identitätspolitik, gruppenspezifische Rechte und Leben mit der Differenz [accommodation of difference] beschäftigte, haben einige Sozialwissenschaftler ihre Aufmerksamkeit erneut der distributiven Gleichheit zugewandt und sich zum Beispiel mit Fragen systematischer Verarmung, zunehmender materieller Ungleichheit, „struktureller" Arbeitslosigkeit, der Zunahme oligarchischer Macht und globaler wirtschaftlicher Arbeitsteilung beschäftigt.
.. und einige Sozialwissenschaftler sind möglicherweise gleicher Meinung.
Zuletzt geändert von Timberlake am Di 13. Mai 2025, 02:13, insgesamt 1-mal geändert.




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Consul
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Di 13. Mai 2025, 02:08

Dem AfD wählenden Proletariat scheint symbolische Gerechtigkeit in Form nationalidentitärer Anerkennung wichtiger geworden zu sein als ökonomische Gerechtigkeit in Form monetärer Umverteilung. Kulturkampf statt Klassenkampf! – "Lieber arm und stolz als nur arm!"



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Timberlake
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Di 13. Mai 2025, 02:23

Das ist wohl wahr, Wenn man sich denn die AfD als Wolf im Schafpelz vorstellt, so würde ich übrigens in dieser "nationalidentitären Anerkennung" jenen Schafpelz sehen. Wenngleich ein Schafpelz, der so von den Migranten ganz sicher nicht wahrgenommen. Da zeigt sich die AfD , wie auch das Proletariat, das die AfD gewählt hat, als Wolf ohne Schafpelz. So wie die mit den Wölfen heult, mittlerweile aber auch die CDU. So weit , wie das auch eine wachsenden CDU die Demokratie abschaffen kann, würde ich allerdings nicht gehen. Sehe ich doch nicht, dass aus ihr solche Gestalten wie Viktor Orbán, Jarosław Kaczyński oder Björn Höcke wachsen könnten.




Jörn Budesheim

Di 13. Mai 2025, 07:32

Quk hat geschrieben :
Mo 12. Mai 2025, 22:10
Dazu sage ich nur: Spinat.
perplexity.ai hat geschrieben : Eine demokratisch und liberal ausgerichtete philosophische Website sollte sehr sorgfältig abwägen, ob und wie sie auf politisch radikale Seiten wie die AfD verlinkt. Die Risiken für Reputation, Nutzervertrauen und Suchmaschinenbewertung sind hoch. Im Zweifel ist es ratsamer, auf direkte Verlinkungen zu verzichten [...]
Ein Link auf eine Webseite, ein sogenannter Backlink, kann dieser in der Regel helfen, indem er beispielsweise ihre „Vertrauenswürdigkeit“ für Suchmaschinen erhöht. Ich selbst habe in den letzten Jahren beruflich häufig Angebote von Firmen erhalten, gegen Bezahlung Links zu deren Seiten zu platzieren. Nach meinem aktuellen Kenntnisstand sind solche Backlinks weiterhin relevant. Die Verlinkung zur AfD würde deren Sichtbarkeit und damit indirekt ihre politische Wirkung verstärken, was ethisch fragwürdig ist - to say the least. Unser Beitrag dazu wäre vielleicht nicht groß, aber ich möchte, dass er möglichst dicht bei null bleibt.

Man sollte stets darauf achten, dass die Seiten, auf die man verlinkt, seriös sind. Die Bildzeitung und die AfD-Webseite gehören sicher nicht dazu.




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Stefanie
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Di 13. Mai 2025, 10:47

Der Einfluss der AfD in einer Kleinstadt in der Kölner Bucht.
https://www.ksta.de/region/rhein-sieg-b ... us-1018245

Hinweis: Die Stadt Niederkassel hat um die 41.000 Einwohner und etwa 600 Menschen mit Fluchterfahrung leben in der Kleinstadt. Dazu kommen aber noch Menschen mit "Migrationshintergrund".

Auszüge aus dem Artikel:

„Hey, spreng dich bitte nicht in die Luft.“ „Witze“ wie diesen muss Jamal Khatib sich oft anhören, vor allem von Arbeitskollegen. „Manchmal redet der Produktionsleiter über uns als ‚Affen‘“. Immer wieder kämen von seinem Chef negative und entmenschlichende Kommentare über Menschen mit Fluchterfahrung wie ihn. „Dann schauen mich alle anderen an, weil sie ja wissen, dass ich auch Flüchtling bin – und dann sagt mein Chef zu mir, ‚du bist ein guter Mensch, du bist kein Flüchtling‘.“

Für Abbas Obaid hat das auch mit dem Erstarken rechtsextremer Bestrebungen wie der AfD zu tun. „Die Leute schämen sich jetzt nicht mehr, zu sagen, dass sie die AfD gewählt haben, dass sie hier keine Menschen mit internationaler Familiengeschichte wollen“, sagt Abbas Obaid.

Sorge, den Job zu verlieren, wenn man Rassismus im Arbeitsalltag anspricht
„Mehr als lachen und das ignorieren kann ich nicht, ich will ja auch kein großes Theater machen“, sagt Jamal Khatib über den Umgang mit alltäglichen rassistischen Erfahrungen. „Ich bin ja außerdem im Einbürgerungsverfahren.“ Als ihn ein betrunkener Mann kürzlich rassistisch beleidigt habe, habe er nur gesagt: „Ich hoffe, Ihnen geht es gut.“ Wenn er einen rassistischen Vorfall auf der Arbeit melden würde, würde er gekündigt werden, ist er sich sicher.

„Social Media hat viel mit diesem wachsenden Rassismus zu tun“, sagt Taha Almajami, „in den sozialen Netzwerken, egal wo, gibt es Tausende Hasskommentare, wenn es um Geflüchtete geht.“ „Aber wer postet solche Beiträge? Die AfD“, sagt Adil Saleh.

„Ich kenne Leute, die nur wegen Facebook und Tiktok die AfD gewählt haben“, sagt Jamal Khatib, „Die kennen das Wahlprogramm gar nicht, sie kennen die Konsequenzen nicht.“ Er spricht über seine Nachbarn, die ihm gegenüber freundlich seien, aber offen äußerten, dass sie die AfD wählten. „Sie denken, die AfD möchte nur die Leute rausschicken, die nicht arbeiten wollen. Die wissen gar nicht, was alles dahintersteckt“, sagt der 29-Jährige.

Er hoffe, dass die Menschen erkennen, dass die AfD sich selbst in ihren Argumenten widerspreche, sagt Abbas Obaid. „Es gibt 25 Millionen Menschen mit internationaler Familiengeschichte in Deutschland – wie soll diese Gesellschaft funktionieren, wenn sie nicht mehr da sind? Darauf gibt die AfD keine richtige Antwort.“



Prinzessinnen richten ihr Krönchen.
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Stefanie
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Di 13. Mai 2025, 11:13

Noch mal zur Stadt Niederkassel.

Wahlergebnis Bundestagswahl 2021, Zweitstimmen
https://wahlen.kdvz.nrw/production/bw20 ... e_3_id_141

Die AfD erhielt 6,24 %

Wahlergebnis Bundestagswahl 2025, Zweitstimmen

https://wahlen.kdvz.nrw/production/bw20 ... e_3_id_141

Die AfD erhielt 15,65 %



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Consul
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Di 13. Mai 2025, 19:20

Apropos Kulturkampf: Die AfD strebt zurück zur ästhetischen Vormoderne der Nationalromantik. Hinfort mit dem "jüdisch-bolschewistischen" Bauhaus als "Kirche des Marxismus" (Nazisprech)!
"„Stolz-Pass“ und „Straße des deutschen Reiches“: Die AfD Strategie zur Kulturbeeinflussung

Magdeburg – In Sachsen-Anhalt strebt die AfD-Fraktion im Landtag eine Umbenennung der aktuellen Landeswerbekampagne an: Statt „#moderndenken“ soll künftig „#deutschdenken“ als Slogan dienen. Zusätzlich plant die Partei die Einführung eines sogenannten „Stolz-Passes“. Der zur Diskussion im Landesparlament eingereichte Antrag formuliert, „dadurch soll ein grundsätzlich bejahender, unbelasteter, respektvoller und wertschätzender Umgang mit der deutschen Geschichte etabliert werden“.

Mit der Kampagne und dem Slogan sollen verschiedene touristische Attraktionen und Themen beworben werden. Der geplante „Stolz-Pass“ soll als eine Stempelkarte fungieren, die Besuchern von historischen Orten Preisnachlässe gewähren soll. Darüber hinaus sieht der Plan Auszeichnungen in verschiedenen Kulturbereichen wie Geschichte, Kunst, Philosophie und Literatur vor, die Leistungen honorieren sollen, „die einen Beitrag zur Bestätigung oder Weiterentwicklung deutscher Identität erkennen lassen“. Der Antrag beinhaltet zudem den Vorschlag für ein Logo, das eine nach rechts unten zeigende Deutschlandfahne darstellt.

In ihrem Konzept formuliert die Partei: „Eine Straße des deutschen Reiches, die alle bedeutenden historischen Stätten des 10. bis 16. Jahrhunderts nach Vorbild der Straße der Romanik zu einer auch touristisch nutzbaren Route verbindet.“ In einem separaten Antragsdokument aus dem Oktober 2024 charakterisierte die AfD das zum UNESCO-Weltkulturerbe gehörende Bauhaus als „Irrweg der Moderne“."

Quelle: https://www.fr.de/politik/stolz-pass-un ... 28509.html



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Timberlake
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Do 22. Mai 2025, 02:02

"„Stolz-Pass“ und „Straße des deutschen Reiches“: Die AfD Strategie zur Kulturbeeinflussung

Magdeburg – In Sachsen-Anhalt strebt die AfD-Fraktion im Landtag eine Umbenennung der aktuellen Landeswerbekampagne an: Statt „#moderndenken“ soll künftig „#deutschdenken“ als Slogan dienen. Zusätzlich plant die Partei die Einführung eines sogenannten „Stolz-Passes“. Der zur Diskussion im Landesparlament eingereichte Antrag formuliert, „dadurch soll ein grundsätzlich bejahender, unbelasteter, respektvoller und wertschätzender Umgang mit der deutschen Geschichte etabliert werden“.

Quelle: https://www.fr.de/politik/stolz-pass-un ... 28509.html

In dem dadurch ein grundsätzlich bejahender, unbelasteter, respektvoller und wertschätzender Umgang mit der deutschen Demokratie geübt werden würde , vielleicht sollte man dem einen solchen „Stolz-Pass“ entgegensetzten. Zumal, zumindest für mich, eine zu wertschätzende deutsche Geschichte erst mit der Demokratie nach 1945 begann. Davor will man nicht wirklich in Deutschland gelebt haben. Es sei denn als ein Diederich Heßling, in Heinrich Manns Roman "Der Untertan".




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Consul
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Do 22. Mai 2025, 03:56

@Timberlake: Wird dir nicht doch ein wenig warm ums deutsche Herz, wenn du eine so prächtige Militärparade aus der guten alten Zeit vor 1945 siehst? ;)




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Consul
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Di 22. Jul 2025, 01:22

Ich hoffe, die CDUler/CSUler erkennen rechtzeitig, dass hinter den demagogischen Angriffen auf Brosius-Gersdorf & Kaufhold als Verfassungsgerichtskandidatinnen eine gezielte populistische Strategie zur Untergrabung der Macht unabhängiger Richter und Gerichte, und damit der Gewaltenteilung zwischen Justiz und Exekutive steckt. Ich hoffe, die CDUler/CSUler machen sich nicht mitschuldig am versuchten Abbau unserer liberalen Verfassungsdemokratie durch die AfD.
"Populisten an der Macht verhalten sich oft so, als seien die Gerichte die gefährlichste Gewalt. Wenn Angriffe ein Kriterium für die Identifizierung offensichtlicher Bedrohungen für populistische Herrscher sind, muss die Justiz in der Dämonologie populistischer Herrscher den ersten Platz einnehmen. Nach ihrer Wahl legen sich populistische Herrscher fast immer mit den Gerichten an, oft mit Inbrunst und ungewöhnlicher Feindseligkeit. Richter werden als „Feinde des Volkes“ dargestellt, wie eine (berüchtigte) Schlagzeile der britischen Daily Mail am 4. November 2016 verkündete und drei britische Richter beschrieb, die entschieden hatten, dass die Regierung trotz des Referendums die Zustimmung des Parlaments einholen müsse, um den Brexit zu genehmigen. Auch in Polen ging den Gesetzesvorschlägen der PiS zur Abschaffung der richterlichen Unabhängigkeit ab 2016 eine gut orchestrierte Propagandakampagne gegen Richter voraus. Plötzlich begannen die pro-PiS-Medien und insbesondere das öffentlich-rechtliche Fernsehen, einzelne Fälle von angeblicher Korruption oder geringfügigen Vergehen von Richtern zu veröffentlichen. In einem Fall wurde nachgewiesen, dass eine Richterin eine Wurst aus einem Lebensmittelladen gestohlen hatte. Später stellte sich heraus, dass die betreffende Richterin zum Zeitpunkt des Diebstahls schon lange nicht mehr im Amt war und an einer Nervenschwäche litt. Bald darauf folgte eine staatlich finanzierte Hetzkampagne gegen Richter (riesige Werbetafeln wurden im öffentlichen Raum aufgestellt), begleitet von Angriffen hochrangiger Politiker auf die Justiz. Premierministerin Beata Szydto bezeichnete die Justiz als „Richterzunft“ (oder „Kaste“) und sagte: „Jeder kennt jemanden, der durch das Justizsystem geschädigt wurde.“ Diese Ereignisse bildeten den Auftakt zu einem umfassenden Gesetzespaket zur Eroberung der Gerichte.

In Ungarn warf Viktor Orbán im April 2018 dem Obersten Gerichtshof (heute Kuria) vor, „seiner Aufgabe intellektuell nicht gewachsen“ zu sein, nachdem dieser ein für seine Regierung ungünstiges Urteil zur Briefwahl gefällt hatte. Er behauptete, er mische sich in die Wahlen ein und nehme „unseren Wählern ein Mandat“. Der Premierminister beschwerte sich gern über den „Rechtsstaat“ und unverantwortliche Richter. In Israel erklärte Ayelet Shaked, eine freimütige Justizministerin in der populistischen Netanjahu-Regierung, 2015: „Aufgrund der richterlichen Vorherrschaft können die gewählten Gewalten ihre Ziele nicht erreichen und den Willen des Volkes nicht erfüllen.“ Ministerin Miri Regev, Shakeds Kollegin in derselben Regierung, erklärte nach einem für die Regierung ungünstigen Urteil des Obersten Gerichtshofs, der Gerichtshof sei „vom Volk abgekoppelt“. Und in Indien tadelte Premierminister Narendra Modi 2015 Richter, weil sie nicht unparteiisch und furchtlos seien, sondern Angst vor sozialen Aktivisten hätten." [Google Translate]

(Sadurski, Wojciech. A Pandemic of Populists. Cambridge: Cambridge University Press, 2022. pp. 106-7)

"Populisten sind besonders daran interessiert, Verfassungsgerichte, wo immer sie existieren, oder Oberste Gerichte, wann immer diese (zusätzlich zu ihrer regulären Rolle als oberstes Berufungsgericht) eine Funktion der Verfassungsprüfung erfüllen, zu übernehmen. Der Grund liegt auf der Hand: Diese Gerichte haben die Befugnis, Gesetze als verfassungswidrig aufzuheben. Damit geraten sie direkt auf Kollisionskurs mit der Regierung.

In einer Demokratie wird die Befugnis, demokratisch verabschiedete Gesetze für ungültig zu erklären, nicht als Ausnahme angesehen, sondern als notwendige Folge der Vorherrschaft der Verfassung über Gesetze. Sie stellt eine zusätzliche Kontrolle dar, die entweder vor oder nach der Verabschiedung eines Gesetzes durch das Parlament ausgeübt wird. Demokratische Mehrheiten akzeptieren Verfassungsgerichte, wenn auch widerwillig, als „kontramajoritäre Institution“, nicht nur aus idealistischer Verpflichtung gegenüber der Verfassung, sondern auch aus ihrem eigenen, wohlüberlegten Eigeninteresse. Dieses Eigeninteresse vermittelt demokratischen Mehrheiten, dass ein Verfassungsgericht, selbst wenn es ihre Pläne an der Macht durchkreuzt, ihnen in der Opposition helfen und sicherstellen wird, dass die gegenwärtige Mehrheit die verfassungsmäßigen Grenzen nicht überschreitet oder Rechte mit Füßen tritt.

Populisten denken jedoch anders. Sie handeln oft, als gäbe es kein Morgen. Und jede Einschränkung ihrer Autorität – einer Autorität, die schließlich von der Mehrheit der Wählerschaft verliehen wird – empfinden sie als ungerechtfertigt, undemokratisch und äußerst irritierend. Daher müssen Verfassungsgerichte untergeordnet oder vereinnahmt werden. In einem populistischen System ist kein Platz für „kontramajoritäre“ Institutionen.

Das Beste, was aus populistischer Perspektive passieren kann, ist, wenn Verfassungsgerichte zu hilfreichen „Ermöglichern“ der Exekutive werden. Dies wurde im Fall Polens ab 2017 deutlich, als das parteiisch besetzte Verfassungsgericht eine wichtige Rolle bei der Zerstörung der richterlichen Unabhängigkeit spielte und viele verfassungswidrige Maßnahmen der Regierung billigte. Diese Maßnahmen waren vielleicht nicht unerlässlich – die rücksichtslose Regierung hätte sie ohnehin ergriffen. Aber sie verringerten die politischen Kosten staatlichen Fehlverhaltens. Mit dem Imprimatur des Tribunals konnte die Regierung der Öffentlichkeit – und den europäischen Institutionen – mitteilen: „Seht her, uns sind die Hände gebunden, die Unabhängigkeit Das Gericht hat dies bestätigt.“" [Google Translate]

(Sadurski, Wojciech. A Pandemic of Populists. Cambridge: Cambridge University Press, 2022. pp. 112-3)

"Die Strategien populistischer Politiker gegen Gerichte sind sehr unterschiedlich und reichen von Frontalangriffen und deren Eroberung (Polen, Ungarn, Venezuela) bis hin zu nahezu völliger Untätigkeit. Letzteren Ansatz verfolgte Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro, der strukturelle Eingriffe in das Gerichtssystem grundsätzlich vermieden hatte, bis seine Partei kürzlich bekannt gab, eine Verfassungsänderung zur Senkung des Renteneintrittsalters für Richter vorgeschlagen zu haben. Dies würde es Bolsonaro möglicherweise ermöglichen, mindestens zwei seiner Gefolgsleute in den Obersten Gerichtshof zu berufen. Im Großen und Ganzen beschränkte er sich jedoch auf verbale Angriffe auf kritische Richter und die Besetzung von Richterposten mit Loyalisten. Auch die institutionelle Struktur der Gerichte blieb in Indien unverändert. Modis vorgeschlagene Verfassungsänderung zur Änderung des Richterauswahlsystems durch die Abschaffung des Systems der „Richterernennung von Richtern“ wurde 2015 vom Obersten Gerichtshof für ungültig erklärt – und das Regime beließ es dabei. Präsident Modi scheute sich jedoch nicht vor weiteren Versuchen, Einfluss auf Gerichte zu nehmen, insbesondere auf das oberste Gericht des Landes. Er weigerte sich, bei vielen Nominierungen (bisher 140) für Indiens oberste Gerichte tätig zu werden, wies politisch „unerwünschte“ Ernennungen an das Oberste Gericht zurück und erpresste angeblich den Obersten Richter, politisch sensible Fälle an ihm wohlgesinnte Richterbänke zu vergeben. Bisher hat er jedoch von radikalen institutionellen und strukturellen Veränderungen Abstand genommen. Richter in anderen populistisch regierten Ländern hatten jedoch nicht so viel Glück." [Google Translate]

(Sadurski, Wojciech. A Pandemic of Populists. Cambridge: Cambridge University Press, 2022. pp. 116-7)



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Jörn P Budesheim
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Mi 30. Jul 2025, 19:55

Wie man das macht und welche Folgen es hat, sieht man auch aktuell in den USA, wo Trump die höchsten Gerichte mit seinen Leuten besetzt hat – mit Folgen für Abtreibungsrecht, Klimaschutz und Gewaltenteilung.




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Fr 5. Sep 2025, 09:32

Die neueste Infratest-Umfrage in Sachsen-Anhalt vom 4.9. ist wahrlich erschreckend und bedrohlich: 39% für die AfD! SPD & Grüne kommen zusammen nur noch auf 10%! Die moderate Linke wird marginalisiert!



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Jörn P Budesheim
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Fr 5. Sep 2025, 10:05

Ja, das ist wirklich extrem beängstigend.

Ich habe gestern mit einem Kollegen gesprochen, der gestern mit 70 in den Ruhestand verabschiedet wurde. Er ist also noch ein paar Jahre älter als ich. Angesichts der aktuellen Weltlage meinte er, dass es früher auch nicht viel besser war. Ich glaube, er nannte die Kuba-Krise als Beispiel. Ich habe jedoch ein ganz anderes Gefühl. Ich habe keineswegs das Gefühl, dass so extrem krasse Dinge, wie sie heute nahezu täglich geschehen, in meiner Lebensspanne in derselben krassen Form schon vorgekommen sind.




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Fr 5. Sep 2025, 11:02

Mir wird in internationaler Hinsicht speiübel, wenn ich an das traute Stelldichein der mörderischen Tyrannen Xi Jingping, Kim Jong Un und Putin in Peking denke. Da braut sich weltweites Unheil zusammen.



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Jörn P Budesheim
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Fr 5. Sep 2025, 11:16

Einige von ihnen (oder alle?) sprechen von einer neuen Weltordnung. Das wäre dann wohl eine Weltordnung ohne Freiheit der Einzelnen.




Timberlake
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Fr 5. Sep 2025, 15:08

Consul hat geschrieben :
Do 22. Mai 2025, 03:56
@Timberlake: Wird dir nicht doch ein wenig warm ums deutsche Herz, wenn du eine so prächtige Militärparade aus der guten alten Zeit vor 1945 siehst? ;)

Kann ich nicht sagen.




Was ich allerdings mit Bestimmtheit sagen kann, bei meiner Vereidigung damals im Wachregiment „Feliks Dzierzynski" 1979 in Adlershof, auf dem Exerzierplatz, vor dem Gebäude des Speisesaals, wurde mir ganz sicher nicht warm um Herz. Ich hatte übrigens, mit zugegebenermaßen ängstlichen Blicken, auf die Genossen rechts und links neben mir, mich dazu entschlossen nur meine Lippen zu bewegen. Im Nachhinein fand ich den Gedanken daran, dass auch alle anderen bei der Vereidigung nur die Lippen bewegt hätten, irgendwie belustigend.

Warm ums Herz konnte es einem schon allein deshalb nicht werden, weil man nach dem Motto der NVA .. "Der EK denkt, der Vize lenkt, der Sprutz rennt" .. auch dort! .. schon sehr bald, nach der Vereidigung, als "Sprillie" mit der s.g. EK Bewegung konfrontiert wurde. Als ich dann selbst zum EK auftieg, fand ich es allerdings als unangenehm beispielsweise nicht selbst am Frühsport teilzunehmen. Zumal zu befürchten war, dass Bataillonskommandeu, wie eines "Schönen" Tages tatsächlich geschehen , sich in den Stuben darüber versicherte, dass sie zu diesem Zeitpunkt deshalb tatsächlich leer waren. Sie waren es tatsächlich nicht. Während die anderen EK sich sich unter den Betten versteckten, gab ich vor , mich gesundheitlich nicht in der Lage zu fühlen.




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Sa 6. Sep 2025, 00:52

Timberlake hat geschrieben :
Fr 5. Sep 2025, 15:08
Was ich allerdings mit Bestimmtheit sagen kann, bei meiner Vereidigung damals im Wachregiment „Feliks Dzierzynski" 1979 in Adlershof, auf dem Exerzierplatz, vor dem Gebäude des Speisesaals, wurde mir ganz sicher nicht warm um Herz. Ich hatte übrigens, mit zugegebenermaßen ängstlichen Blicken, auf die Genossen rechts und links neben mir, mich dazu entschlossen nur meine Lippen zu bewegen. Im Nachhinein fand ich den Gedanken daran, dass auch alle anderen bei der Vereidigung nur die Lippen bewegt hätten, irgendwie belustigend. …
Das mit dem Hindenburg-Video war nicht so ernst gemeint. Ich bin Wessi & Ex-Zivi, und auf die NVA hätte ich nach meinem Abi (1989) noch viel weniger Bock gehabt als auf die BW. Meine Einstellung zur Bundeswehr ist jetzt eine andere, aber der antidemokratische Ungeist des gestrigen oder heutigen Stechschritt-Militarismus ist mir nach wie vor zuwider.

P.S.: Ich habe eben den Wikipedia-Artikel über das Wachregiment "Feliks Dzierzynski" gelesen, Da steht…

"Es wurde im November 1954 gegründet und unterstand dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR. Ab 1967 war es nach Feliks Dzierżyński benannt, dem Gründer der sowjetrussischen Geheimpolizei Tscheka. Es hatte in erster Linie die Aufgabe, Partei- und Staatsobjekte wie die Politbürosiedlung Wandlitz zu bewachen und die Sicherheit führender Repräsentanten der DDR einschließlich ihrer Gäste zu gewährleisten.

Weil das Regiment dem Ministerium für Staatssicherheit unterstellt war und damit offiziell nicht den Streitkräften angehörte, konnte es so trotz des Stationierungsverbotes in Zusammenhang mit dem Vier-Mächte-Status in Berlin-Adlershof kaserniert werden."


Das heißt, dieses Wachregiment war gar nicht Teil der NVA, oder?



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