Egal wie sehr man sich anstrengt, egal wie hoch oder niedrig Einsatz ist, in der Philosophie gibt es kein Außerhalb des Spielfeldes/der Schlachtfelder.
Kein Gott nirgendwo
- Jörn Budesheim
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"Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich, und wer nicht mit mir Menschen für Gott gewinnt, der führt sie in die Irre." (Markus; 3; 30)Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 30. Dez 2023, 20:13Egal wie sehr man sich anstrengt, egal wie hoch oder niedrig Einsatz ist, in der Philosophie gibt es kein Außerhalb des Spielfeldes/der Schlachtfelder.
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Ja. Ich vermute aber, dass du in der Theorie mehr weisst als ich. Also in der philosophischen. Über die analytische Stelle Gottes in der Architektur der Theorie kann ich nichts sagen.
Und bei mir ist es so, dass sich mein Denken ein wenig verändert, wenn ich davon ausgehe, dass es Gott nicht gibt. Du hast kürzlich geschildert, wie aus der Einheit die Differenzierung (Zweiheit) hervorgeht. Also du hast gesagt, dass es beides geben muss. Dieses Modell kenne ich aus der Esoterik. Die Eins braucht die Zwei. Zusammen gebären sie Drei.
Man muss aufpassen, dass man nicht in leeres Gerede verfällt in der Philosophie. Ich finde diese Gefahr ist viel grösser, wenn man einen Gott ins System einbezieht. Und man gibt ein Teil des Vertrauens in die Welt auf, wenn man sagt, es spiele keine Rolle, ob es ihn gibt oder nicht. Wir (Menschen) sind von Natur aus daran interessiert, was denn die Wirklichkeit ist. Gott passt für mich einfach so schlecht in meine Vorstellung von der Wirklichkeit. Vielleicht denke ich auch zu klassisch und habe den alten Streit zwischen Wissenschaft und Religion noch im Kopf. Oder ich bin zu ehrlich.
Aber wir werden das Problem heute nicht mehr lösen, ob es Gott gibt oder nicht. Oder ob es im analytischen System keine Rolle spielt. Wir können uns im Moment nur darauf einigen, dass jeder das glauben darf, was er will. Ich möchte nur noch daran erinnern, dass es die Wahrscheinlichkeit gibt und Vermutungen und nicht nur ja oder nein.
Und noch beim grössten Trinkgelage würde mir herausrutschen, dass ich Gott noch nie gesehen habe.
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In Sein und Zeit schreibt Heidegger über das Gerede:AufDerSonne hat geschrieben : ↑Sa 30. Dez 2023, 20:53
Man muss aufpassen, dass man nicht in leeres Gerede verfällt in der Philosophie.
"Gemäß der durchschnittlichen Verständlichkeit, die in der beim Sichaussprechen gesprochenen Sprache schon liegt, kann die mitgeteilte Rede weitgehend verstanden werden, ohne daß sich der Hörende in ein ursprünglich verstehendes Sein zum Worüber der Rede bringt. Man versteht nicht so sehr das beredete Seiende, sondern man hört schon nur auf das Geredete als solches. Dieses wird verstanden, das Worüber nur ungefähr, obenhin; man meint dasselbe, weil man das Gesagte gemeinsam in derselben Durchschnittlichkeit versteht." (S. 168)
Man muß sich das "ursprünglich verstehende Sein" Heideggers nicht zu eigen machen, um dem Gerede mit Skepsis zu begegnen. Gerede ist ja allemal etwas, worauf man nicht viel geben muß. Allerdings kann am Anfang der Beschäftigung mit der Philosophie kaum mehr stehen als Gerede. Zwangsläufig redet man über etwas, in dem man sich nicht auskennt. Man hat nicht mehr als sein in der Lebenswelt herangewachsenes Alltagsverständnis, das manchmal der gesunde Menschenverstand genannt wird. Diese Gesundheit ist allerdings in philosophischen Belangen nicht nur von Vorteil, weil sie starre Erwartungen gegenüber der Philosophie verstärkt und dem eigenen Urteilsvermögen zu viel zutraut. Es droht die Gefahr des "zu schnellen Verstehens".
Die Patenschaft für langsames Verstehen übernimmt die Verunsicherung. Läßt man sich nicht verunsichern, hat einem die Philosophie nichts zu sagen. Man weiß dann ja auch eigentlich schon alles. Der Weg der Philosophie ist aber nicht die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten. Er ist ein Umweg. Umwege in Kauf zu nehmen bedeutet, Verspätungen zu riskieren. Man sagt dann gerne: dies und das sei nicht "zielführend", vielleicht auch, es sei nicht "praxistauglich", manchmal auch, es habe keine "gesellschaftliche Relevanz" u.ä. - Wird man mit Vorwürfen dieser Art konfrontiert, ist das meistens ein Zeichen dafür, daß man auf dem richtigen Weg ist.
"An ihr ist das Moment des Spiels", schreibt Adorno über die Philosophie an einer Stelle seiner Negativen Dialektik. Dem Spiel hat auch Gadamer in Wahrheit und Methode viel abgewonnen. Beim Spiel geht es um einiges, selten aber um alles. Geht es um alles, steige ich persönlich aus dem Spiel aus. Das soll natürlich jeder halten wie er will.
Eine Lösung würde uns auch nur um das Vergnügen bringen, es - gottseidank - zu haben.AufDerSonne hat geschrieben : ↑Sa 30. Dez 2023, 20:53
Aber wir werden das Problem heute nicht mehr lösen, ob es Gott gibt oder nicht.
Nur eine kleine, aber nicht unbedeutende Präzisierung: Ginge aus der Einheit eine Differenz hervor, stünde die Identität des Systems am Anfang, aus dem heraus sich dann Differenz entwickeln würde.AufDerSonne hat geschrieben : ↑Sa 30. Dez 2023, 20:53
Du hast kürzlich geschildert, wie aus der Einheit die Differenzierung (Zweiheit) hervorgeht.
"Am Anfang steht also nicht Identität, sondern Differenz ... " (Niklas Luhmann; Soziale Systeme; S. 112)
Das System ist die Differenz von System und Umwelt. Aber das nur am Rande und muß auch an dieser Stelle nicht vertieft werden.
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Die Wende zur Erfahrung im Studium der Religion, in Hans Joas Die Macht des Heiligen, Eine Alternative zur Geschichte von der Entzauberung
Worin bestand die Besonderheit des Vorgehens von William James? Es ist nicht übertrieben, James die Konstitution des wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstands "religiöse Erfahrung" zuzuschreiben.
[...]
Er vertritt [...] die Auffassung, daß wir auch religiöse Doktrinen und religiöse Institutionen erst dann richtig verstehen und analysieren können, wenn wir sie vom Ausgangspunkt menschlicher Erfahrung aus betrachten. Religiöse Lehren werden dann als Artikulationsversuche religiöser Erfahrung, Kirchen und Religionsgemeinschaften aller Art als organisatorische Versuche, religiöse Erfahrungen weiterzugeben und auf Dauer zu stellen, erkennbar. Gegen die in seiner Zeit –ebenso wie heute –verbreiteten Versuche, das Religiöse als bloßen verschobenen Ausdruck eigentlich wirksamer anderer Bedürfnisse des Menschen aufzufassen, öffnet James den Freiraum dafür, die Vielfalt religiöser Phänomene überhaupt zur Kenntnis zu nehmen und sie je einzeln sorgfältig zu beschreiben, statt sie als Einbildungen ungenügend aufgeklärter Menschen abzutun.
[...]
Eine scharfe begriffliche Unterscheidung von Religion und Moral stellt für ihn einen wesentlichen Schritt in der Annäherung an religiöse Erfahrungen dar. Während die Moral restriktiven Charakter habe, das heißt, uns bestimmte Ziele oder Wege des Handelns untersagt, lebt der religiöse Mensch für James aus einer Leidenschaft heraus, die seine Handlungsmöglichkeiten über das Alltägliche hinaustreibt. James interessiert sich entsprechend für Ausnahmezustände im menschlichen Leben, in denen das Ergriffensein von etwas, das den Menschen übersteigt, besonders anschaulich wird.
[...]
Aber es geht ihm auch um eine dauerhafte Veränderung im Weltverhältnis des religiösen Menschen. Der Begriff dafür ist der »faith state« (» Vertrauens-Zustand«) in seinen affektiven und kognitiven Zügen, das heißt etwa Gefühle des inneren Friedens und der Daseinsbereitschaft, aber auch Annahmen über eine unsichtbare Ordnung der Welt und die Präsenz von Kräften in der Welt, die dem Menschen wiederum ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit geben.
[...]
Es ist deshalb kein Wunder, daß James' Buch gleich nach seinem Erscheinen ein breites, äußerst lebendiges Echo fand – nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Max Weber und Ernst Troeltsch, Émile Durkheim und Henri Bergson, Rudolf Otto und Paul Tillich, Max Scheler und Ludwig Wittgenstein – um nur die wichtigsten zu nennen – wurden von James tief beeinflußt.
(Hans Jonas)
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Interessant, das mit der Verunsicherung als Indiz für den richtigen Weg. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute gerne darüber reden, was man den Tag durch so alles gemacht hat. Oder noch kurz vielleicht, wie es ihnen geht, dann aber nur oberflächlich. Es scheint so, dass nur wenige Leute mit anderen reden können, wenn keine gemeinsame Interessensbasis vorhanden ist. Zum Beispiel ein gemeinsames Hobby. Das finde ich schade. Ich denke, jeder Mensch oder wenigstens viele sind interessant einfach als Menschen. Täusche ich mich da vielleicht? Oder ist das wenigstens eine gute Einstellung, wenn man erst einmal davon ausgeht, dass das Gegenüber interessant sein könnte? Vielleicht gesünder als wenn man im Vorherein denkt, dieser Mensch ist sowieso nicht interessant?Nauplios hat geschrieben : ↑So 31. Dez 2023, 15:44Die Patenschaft für langsames Verstehen übernimmt die Verunsicherung. Läßt man sich nicht verunsichern, hat einem die Philosophie nichts zu sagen. Man weiß dann ja auch eigentlich schon alles. Der Weg der Philosophie ist aber nicht die kürzeste Strecke zwischen zwei Punkten. Er ist ein Umweg. Umwege in Kauf zu nehmen bedeutet, Verspätungen zu riskieren. Man sagt dann gerne: dies und das sei nicht "zielführend", vielleicht auch, es sei nicht "praxistauglich", manchmal auch, es habe keine "gesellschaftliche Relevanz" u.ä. - Wird man mit Vorwürfen dieser Art konfrontiert, ist das meistens ein Zeichen dafür, daß man auf dem richtigen Weg ist.
"An ihr ist das Moment des Spiels", schreibt Adorno über die Philosophie an einer Stelle seiner Negativen Dialektik. Dem Spiel hat auch Gadamer in Wahrheit und Methode viel abgewonnen. Beim Spiel geht es um einiges, selten aber um alles. Geht es um alles, steige ich persönlich aus dem Spiel aus. Das soll natürlich jeder halten wie er will.
Das Leben als Spiel ist nicht nur ein interessanter Gedanke, sondern ein nötiger. Man kann nicht immer alles ernst nehmen und soll es auch nicht. Das Thema, was ist ernst, hat mich auch schon beschäftigt. Und es ist ein schwieriges Thema, weil es auf die Situation ankommt, wie ernst man etwas nehmen muss. Das kann von sehr ernst bis zum Spielerischen jede Graustufe sein. Was es besonders schwierig macht bei der direkten Rede, dass der Ton hier ins Spiel kommt. Eine ruhige feste Stimme bewirkt manchmal mehr als lautes Geschrei.
Auf jeden Fall interessant, das Thema. Und noch einmal. Ich treffe selten Leute, die einfach so reden können. Meistens nur, wenn man ein gemeinsames Hobby oder Arbeit hat.
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Du merkst, dass du dir hier widersprichst? Gerede ist der Anfang des Philosophierens oder dem Gerede mit Skepsis begegnen?Nauplios hat geschrieben : ↑So 31. Dez 2023, 15:44Man muß sich das "ursprünglich verstehende Sein" Heideggers nicht zu eigen machen, um dem Gerede mit Skepsis zu begegnen. Gerede ist ja allemal etwas, worauf man nicht viel geben muß. Allerdings kann am Anfang der Beschäftigung mit der Philosophie kaum mehr stehen als Gerede. Zwangsläufig redet man über etwas, in dem man sich nicht auskennt. Man hat nicht mehr als sein in der Lebenswelt herangewachsenes Alltagsverständnis, das manchmal der gesunde Menschenverstand genannt wird. Diese Gesundheit ist allerdings in philosophischen Belangen nicht nur von Vorteil, weil sie starre Erwartungen gegenüber der Philosophie verstärkt und dem eigenen Urteilsvermögen zu viel zutraut. Es droht die Gefahr des "zu schnellen Verstehens".
Und ich war zu harsch. Leeres Gerede ist natürlich sehr stark formuliert. Im Gegenteil, man könnte sich fragen, ob es das überhaupt gibt. Wieso sollte jemand etwas sagen, wenn es Null Bedeutung hat?
Was ich interessant finde beim Reden: Ist der Ton wichtig oder der Inhalt?
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"An ihr [der Philosophie] ist das Moment des Spiels."AufDerSonne hat geschrieben : ↑Mo 1. Jan 2024, 20:21
Das Leben als Spiel ist nicht nur ein interessanter Gedanke ...
Das Leben läßt sich in seiner Totalität nicht als Spiel nehmen. Die Philosophie auch nicht. Es ist ja auch nur von einem "Moment" die Rede. Bei Gadamer ist das Spiel ein Moment im Zusammenhang der Erfahrung der Kunst (s. dazu den entsprechenden Absatz in Wahrheit und Methode.)
Beides. Ein Mensch, der damit beginnt, sich für philosophische Fragestellungen zu interessieren, der es dann mit Texten zu tun bekommt, die sich einem schnellen Verständnis entziehen, der die Zusammenhänge dieser Texte untereinander noch nicht in sein Lesen einzubeziehen weiß ... ein solcher Mensch beginnt damit, sein Urteilsvermögen zu entwickeln. Es kann dann kaum anders sein, daß sein Reden zunächst etwas orientierunglos daherkommt, daß es an Verstehenstiefe fehlt, daß sein Philosophieren die Themen noch nicht durchdrungen, noch nicht durch"gespielt" hat. - Das hindert ihn oft nicht daran, mit starken Thesen aufzuwarten, sich in Gerede zu verlieren.AufDerSonne hat geschrieben : ↑Mo 1. Jan 2024, 20:39
Du merkst, dass du dir hier widersprichst? Gerede ist der Anfang des Philosophierens oder dem Gerede mit Skepsis begegnen?
Das ist nicht weiter schlimm und es kann auch wohl nicht anders sein. Deshalb ist trotzdem Skepsis angebracht, wenn so jemand, der vielleicht zwanzig ist und kaum zwei Bücher gelesen hat, die Welt erklärt. Schaut man in die platonischen Dialoge, dann "spielt" da oft ein Gefälle zwischen dem älteren Sokrates und den "schönen Jünglingen" eine Rolle. Alkibiades, Glaukon, Agathon ... hier jugendliches Ungestüm - dort abgeklärte Alterszurückhaltung. Und die sokratische Gesprächsführung arbeitet mit Strategien der Verunsicherung.
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"Ein Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will." (Schopenhauer)
"Dieses Bewusstsein macht, dass wir uns selbst und die andern nicht gar zu ernst nehmen..." (Einstein)
Was heisst, das Leben in seiner Totalität? Wie ernst ist denn das Leben eines Menschen von der Geburt bis zum Tod?
Wenn es sich nicht als Spiel nehmen lässt, ist es dann ernst?
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Da mag einiges dran sein, es ist in meinen Augen jedoch eine einseitige Sichtweise. Die Haltbarkeit einer These o.Ä. ergibt sich aus der jeweiligen Argumentation. Hierfür müssen wir ständig auf dem Laufenden bleiben, denn neue Erkenntnisse können immer wieder dazu führen, dass alte Ansichten über Bord geworfen werden müssen. Jung und Alt sollten sich daher im Sinne einer sinnvollen Weiterentwicklung gegenseitig befruchten, im Rahmen dieser auch Skepsis auf beiden Seiten angebracht ist.Nauplios hat geschrieben : ↑Di 2. Jan 2024, 07:48Beides. Ein Mensch, der damit beginnt, sich für philosophische Fragestellungen zu interessieren, der es dann mit Texten zu tun bekommt, die sich einem schnellen Verständnis entziehen, der die Zusammenhänge dieser Texte untereinander noch nicht in sein Lesen einzubeziehen weiß ... ein solcher Mensch beginnt damit, sein Urteilsvermögen zu entwickeln. Es kann dann kaum anders sein, daß sein Reden zunächst etwas orientierunglos daherkommt, daß es an Verstehenstiefe fehlt, daß sein Philosophieren die Themen noch nicht durchdrungen, noch nicht durch"gespielt" hat. - Das hindert ihn oft nicht daran, mit starken Thesen aufzuwarten, sich in Gerede zu verlieren.AufDerSonne hat geschrieben : ↑Mo 1. Jan 2024, 20:39
Du merkst, dass du dir hier widersprichst? Gerede ist der Anfang des Philosophierens oder dem Gerede mit Skepsis begegnen?
Das ist nicht weiter schlimm und es kann auch wohl nicht anders sein. Deshalb ist trotzdem Skepsis angebracht, wenn so jemand, der vielleicht zwanzig ist und kaum zwei Bücher gelesen hat, die Welt erklärt. Schaut man in die platonischen Dialoge, dann "spielt" da oft ein Gefälle zwischen dem älteren Sokrates und den "schönen Jünglingen" eine Rolle. Alkibiades, Glaukon, Agathon ... hier jugendliches Ungestüm - dort abgeklärte Alterszurückhaltung. Und die sokratische Gesprächsführung arbeitet mit Strategien der Verunsicherung.
Das Leben in seiner Ganzheit mit seinen Erfahrungen ist gemeint, wozu ja auch die Erfahrungen des Todes, der Krankheit, des Unglücks, der Rückschläge, der Ernüchterung usw. gehört. Hinsichtlich der durch Verzweiflung geprägten Existenz des Menschen sprach Kierkegaard von der "Krankheit zum Tode". Θνατοῖσι μὴ φῦναι φέριστον (Für die Sterblichen ist besser, nicht geboren zu werden) wußten schon die griechische Chorlyrik und die Tragödie, was ja im 19. Jahrhundert Nietzsche in seiner "Geburt der Tragödie" aufgegriffen hat.AufDerSonne hat geschrieben : ↑Di 2. Jan 2024, 12:30
Was heisst, das Leben in seiner Totalität? Wie ernst ist denn das Leben eines Menschen von der Geburt bis zum Tod?
Wenn es sich nicht als Spiel nehmen lässt, ist es dann ernst?
Im Gegensatz dazu gibt es die "Sorge um sich selbst" und später im Hellenismus die Stoa, die eine Lebenskunst als Kunst, sich mit dem Leben zu arrangieren, ausbildet.
Ich könnte mir vorstellen, daß Wilhelm Schmid ("Schönes Leben? - Einführung in die Lebenskunst.") für Dich ein interessanter Autor wäre, AufDerSonne.
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Quasarkarotte hat geschrieben : ↑Di 2. Jan 2024, 13:18Nauplios hat geschrieben : ↑Di 2. Jan 2024, 07:48
Ein Mensch, der damit beginnt, sich für philosophische Fragestellungen zu interessieren, der es dann mit Texten zu tun bekommt, die sich einem schnellen Verständnis entziehen, der die Zusammenhänge dieser Texte untereinander noch nicht in sein Lesen einzubeziehen weiß ... ein solcher Mensch beginnt damit, sein Urteilsvermögen zu entwickeln. Es kann dann kaum anders sein, daß sein Reden zunächst etwas orientierunglos daherkommt, daß es an Verstehenstiefe fehlt, daß sein Philosophieren die Themen noch nicht durchdrungen, noch nicht durch"gespielt" hat. - Das hindert ihn oft nicht daran, mit starken Thesen aufzuwarten, sich in Gerede zu verlieren.Da mag einiges dran sein, es ist in meinen Augen jedoch eine einseitige Sichtweise. Die Haltbarkeit einer These o.Ä. ergibt sich aus der jeweiligen Argumentation. Hierfür müssen wir ständig auf dem Laufenden bleiben, denn neue Erkenntnisse können immer wieder dazu führen, dass alte Ansichten über Bord geworfen werden müssen. Jung und Alt sollten sich daher im Sinne einer sinnvollen Weiterentwicklung gegenseitig befruchten, im Rahmen dieser auch Skepsis auf beiden Seiten angebracht ist.Nauplios hat geschrieben : ↑Di 2. Jan 2024, 07:48Das ist nicht weiter schlimm und es kann auch wohl nicht anders sein. Deshalb ist trotzdem Skepsis angebracht, wenn so jemand, der vielleicht zwanzig ist und kaum zwei Bücher gelesen hat, die Welt erklärt. Schaut man in die platonischen Dialoge, dann "spielt" da oft ein Gefälle zwischen dem älteren Sokrates und den "schönen Jünglingen" eine Rolle. Alkibiades, Glaukon, Agathon ... hier jugendliches Ungestüm - dort abgeklärte Alterszurückhaltung. Und die sokratische Gesprächsführung arbeitet mit Strategien der Verunsicherung.
Ich habe das Zitat von Nauplios in zwei Teilen wiedergegeben. Im ersten Teil geht es um Menschen, die erst beginnen, sich für philosophische Fragen zu interessieren. Und im zweiten Teil gibt es dafür ein Beispiel aus der Geschichte der Philosophie: die schönen Jünglinge.
Aber: Menschen, die anfangen, sich für philosophische Fragen zu interessieren, müssen nicht unbedingt jung sein, das ist nur ein Beispiel :) sie können auch älter sein. Und Menschen, die viel Erfahrung mit philosophischer Lektüre haben, können immer noch relativ jung sein.
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Ich denke mal ( um dazu auf das Thema dieses Threads zurück zu kommen ) dass man sich spätesten dann für philosophische Fragen zu interessieren beginnt , wenn man sich mit Gott jenem Konzept zu wendet , welches wie kein anderes Antworten auf Kants 4 Grundfragen der Philosophie "weiß" ...123 hat geschrieben : ↑So 24. Dez 2023, 17:48Es existiert nur, was existiert. Das Sein hat kein Aussen.
Gott als Konzept muss mindestens teilweise über das hinausgehen und ausserhalb dessen existieren, was ist, weil halt Gott und so.
In Anlehnung an Wolfgang Pauli könnte man sagen: Die Existenz eines Gottes zu behaupten ist nicht nur nicht richtig, es ist noch nicht einmal falsch.
Demnach kann ich nur das wissen, tun und hoffen , was mir von Gott mit der Antwort auf die Frage "Was ist der Mensch vorgegen wurde. Die Existenz eines Gottes zu behaupten wäre demnach vermutlich tatsächlich nicht nur nicht richtig, es ist noch nicht einmal falsch. Wie wollte man auch das Gegenteil beweisen. Wo noch nicht einmal klar ist , worin dieses Gegenteil denn besteht.dajolens.de hat geschrieben :
4 Grundfragen der Philosophie
Die berühmten vier Fragen von Immanuel Kant lauten wie folgt:
- Was kann ich wissen?
- Was soll ich tun?
- Was darf ich hoffen?
- Was ist der Mensch?
Ja, einseitig ist meine Sichtweise natürlich schon, denn ich kann in der Reflexion zwar meine Sichtweise sehen, allerdings auch nur wieder unter der Bedingung der Einseitigkeit.Quasarkarotte hat geschrieben : ↑Di 2. Jan 2024, 13:18
Da mag einiges dran sein, es ist in meinen Augen jedoch eine einseitige Sichtweise. Die Haltbarkeit einer These o.Ä. ergibt sich aus der jeweiligen Argumentation. Hierfür müssen wir ständig auf dem Laufenden bleiben, denn neue Erkenntnisse können immer wieder dazu führen, dass alte Ansichten über Bord geworfen werden müssen. Jung und Alt sollten sich daher im Sinne einer sinnvollen Weiterentwicklung gegenseitig befruchten ...
Kurzum, es handelt sich um Erfahrungen, die an meine Person zurückgebunden sind. Davon mal abgesehen gibt es weitere Einseitigkeiten. So sehe ich zum Beispiel keine "Weiterentwicklung" in der Philosophie zugunsten von "neuen Erkenntnissen", die exklusiv einen Zeitpunkt x markieren, hinter dem das Bisherige sich als das Rückständige, Überholte, Erledigte u.ä. erweist. In Poppers "Logik der Forschung" hat man diese Plateaus, auf denen (Hypo)-Thesen so lange Gültigkeit beanspruchen können bis sie durch neue Erkenntnisse, stringentere Argumentationen, begründetere Begründungen usw ersetzt werden und sich als Irrtümer erweisen. Interessant ist dann im wesentlichen das, was sich mit dem Nimbus des Neuen ausstaffieren kann.
Damit ist nicht jedwede Form der Entwicklung bestritten, wohl aber eine innere Teleologie der Geschichte der Philosophie, die entweder auf uns ("Nostrozentrik") als ihren Zielpunkt hinausläuft oder auf einen zukünftigen Zustand des philosophischen Wissens, dem gegenüber das Vergangene einzig als Vorlauf erscheint, der durch die "Weiterentwicklung" entwertet wird.
Die "Existenz Gottes" - wird erst dann von Belang, wenn Lesende damit - oder mit seiner Nicht-Existenz - konfrontiert werden; mit anderen Worten: wenn sie davon lesen.Timberlake hat geschrieben : ↑Di 2. Jan 2024, 14:37
Die Existenz eines Gottes zu behaupten wäre demnach vermutlich tatsächlich nicht nur nicht richtig, es ist noch nicht einmal falsch. Wie wollte man auch das Gegenteil beweisen.