Ich habe den Part des #MeToo-Threads, der sich mit der Frage "Was ist Macht?" beschäftigt aus diesem Thread herauskopiert. Diese Frage kann hier diskutiert werden.
Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" - hat geschrieben : Hinsichtlich des Machtbegriff herrscht immer noch ein theoretisches Chaos. Der Selbstverständlichkeit des Phänomens steht eine totale Unklarheit des Begriffs gegenüber. Für den einen bedeutet sie Unterdrückung. Für den anderen ist sie ein konstruktives Element der Kommunikation. Die juristische, die politische und die soziologische Vorstellung von der Macht stehen einander unversöhnt gegenüber. Die Macht wird bald mit der Freiheit, bald mit dem Zwang in Verbindung gebracht. Für die einen beruht die Macht auf dem gemeinsamen Handeln. Für die anderen steht sie mit dem Kampf eine Beziehung. Die einen grenzen die Macht von der Gewalt scharf ab. Für die anderen ist die Gewalt nichts anderes als in eine intensivierte Form der Macht. Die Macht wird bald mit dem Recht, bald mit der Willkür assoziiert.
Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" - hat geschrieben :
Logik der Macht
Unter Macht versteht man gewöhnlich die folgende Kausalrelation: Die Macht von Ego ist die Ursache, die bei Alter gegen dessen Willen ein bestimmtes Verhalten bewirkt. Sie befähigt Ego dazu, seine Entscheidungen, ohne auf Alter Rücksicht nehmen zu müssen, durchzusetzen. So beschränkt Egos Macht Alters Freiheit. Alter erleidet den Willen Egos als etwas ihm Fremdes. Diese gewöhnliche Vorstellung von der Macht wird deren Komplexität nicht gerecht. Das Geschehen der Macht erschöpft sich nicht in dem Versuch, Widerstand zu brechen oder Gehorsam zu erzwingen. Die Macht muß nicht die Form eines Zwanges annehmen. Daß sich überhaupt ein gegenläufiger Wille bildet und dem Machthaber entgegenschlägt, zeugt gerade von der Schwäche seiner Macht. Je mächtiger die Macht ist, desto stiller wirkt sie. Wo sie eigens auf sich hinweisen muß, ist sie bereits geschwächt.
Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" - hat geschrieben : [...] es ist nämlich das Zeichen einer höheren Macht, dass der Machtunterworfene von sich aus gerade das, was der Machthaber will, ausdrücklich will, dass der Machtunterworfene dem Willen des Machthabers wie seinem eigenen Willen folgt oder sogar vorgereift [...]
Je mächtiger die Macht ist, desto stiller und untergründiger wirkt sie, meint Han. Widerstand, der erst noch zu brechen wäre, ist nicht in Sicht und Gehorsam wird nicht erzwungen, sondern ist oft vorauseilend und kommt als Selbstverständlichkeit oder Folgsamkeit daher. Vielleicht fühlt sie sich für die davon betroffenen sogar als Freiheit an? Was ist Macht? Was ist Freiheit? Wie erkennen wir sie? Woran erkennt der Fisch das Wasser? Ulrich Beck schreib dazu: "Selbstverständlichkeit, Vergessen und Größe der Macht korrelieren positiv. Man kann geradezu sagen: Wo niemand über Macht spricht, ist sie fraglos da, in ihrer Fragwürdigkeit zugleich sicher und groß. Wo macht Thema wird, beginnt ihr Zerfall."
Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" - hat geschrieben : [...]Das Zwangsmodell wird der Komplexität der Macht nicht gerecht. Die Macht als Zwang besteht darin, eigene Entscheidung gegen den Willen des anderen durchzusetzen. So weist sie einen sehr geringeren Vermittlungsgrad auf. Ego und Alter verhalten sich zueinander antagonistisch. Ego findet keine Aufnahme in Alters Seele. Mehr Vermittlung enthält dagegen jene Macht, die nicht gegen den Handlungsentwurf des Anderen, sondern aus ihm heraus auswirkt. Eine höhere Macht nämlich die, die die Zukunft des Anderen bildet, und nicht die, die sie blockiert. Statt gegen eine bestimmte Handlung Alters vorzugehen, beeinflusst oder bearbeitet sie das Handlungsfeld oder -vorfeld Alters so, dass sich Alter freiwillig, auch ohne negative Sanktionen, für das entscheidet, was Egos Willen entspricht. Ohne jede Gewaltausübung nimmt der Machthaber Platz in der Seele des Anderen.
Byung-Chul Han - in "Was ist Macht?" hat geschrieben : [...] Die Macht unterdrückt die Natur, die Instinkte, eine Klasse, die Individuen; und ist im zeitgenössischen Diskurs diese hundertmal wiederholte Definition der Macht als einer unterdrückenden zu finden, so hat sie nicht der zeitgenössische Diskurs erfunden: Hegel hatte es als erster gesagt, dann Freud, dann Reich. Wie dem auch sei: >Organ der Unterdrückung< ist im gegenwärtigen Vokabular die quasi automatische Benennung der Macht.«
In Wirklichkeit stellt die Unterdrückung nur eine bestimmte, nämlich eine vermittlungsarme oder vermittlungslose Form der Macht dar. Die Macht aber beruht nicht auf der Repression. Immer wieder distanziert sich Foucault von dieser negativen Konzeption der Macht: »Man muß aufhören, die Wirkungen der Macht immer negativ zu beschreiben, als ob sie nur >ausschließen<, >unterdrücken<, >verdrängen<, >zensieren<, >abstrahieren<, >maskieren<, >verschleiern< würde.
In Wirklichkeit ist die Macht produktiv; und sie produziert Wirkliches.« Sie ist »dazu bestimmt, Kräfte hervorzubringen, wachsen zu lassen und zu ordnen, anstatt sie zu hemmen, zu beugen oder zu vernichten«. Zu dem Zusammenhang zwischen Körper und Macht schreibt Foucault: »Der Grund dafür, daß die Macht herrscht, daß man sie akzeptiert, liegt ganz einfach darin, daß sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert; man muß sie als ein produktives Netz auffassen, das den ganzen sozialen Körper überzieht und nicht so sehr als negative Instanz, deren Funktion in der Unterdrückung besteht.
Foucaults Hinweise zur Produktivität der Macht werden selten zur Kenntnis genommen. Dazu hat Foucault [selbst beigetragen ...]