Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 27806
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 22. Mär 2025, 07:45

Pragmatix hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 00:08
Menschenrechte gibt es, weil es Menschen gibt. Punkt.
Ich weiß nicht, ob ich an dieser Stelle „weil“ schreiben würde. Aber im Prinzip ist es so: Menschenrechte* gibt es, insofern es Menschen gibt. Sie gründen in unserem Menschsein und sind nicht von etwas anderem abgeleitet – weder von Gott oder anderen metaphysischen Quellen noch von Diskurs-Praktiken oder positivem Recht. Die ontologische Begründung der Menschenrechte liegt im Menschsein selbst. Der Begriff Mensch ist in sich normativ verfasst. Entsprechend heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.

*Gemeint ist damit das ontologische, "an sich seine Menschenrecht", das ist gibt, sofern es Menschen gibt. Darüber hinaus gibt es noch die "geschriebenen Rechte". Im Idealfall sind sie der Versuch, die ontologischen Rechte zu treffen. Und nur diese geschriebenen Rechte haben eine Geschichte. Das gleiche gilt für die Erklärung der Menschenrechte, sie ist der Versuch, die an sich selbst bestehenden Menschenrechte in einen Text zu fassen.

Vereinfacht könnte man vielleicht zur Illustration sagen: ein Staat, der lediglich ein System geschriebener Gesetze hat, ohne dabei grundlegende tatsächliche ethische Prinzipien oder Menschenrechte (überpositive Rechte) zu berücksichtigen, kann als Unrechtsstaat bezeichnet werden.




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 27806
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 22. Mär 2025, 10:34

Quk hat geschrieben :
Fr 21. Mär 2025, 15:10
Kann ich selbst bestimmen, dass ich Senf nicht vertrage?
Ja, kannst du. Du könntest allerdings damit ziemlichen Schiffbruch erleiden, falls du ihn nicht wirklich verträgst. Du kannst dich auch als Superhelden bestimmen, allerdings würde ich dir nicht empfehlen vom Hochhaus zu springen, weil du vermutlich nicht wirklich fliegen kannst.

Wir können uns in unseren Selbstbestimmungen auf die verschiedensten Weisen irren oder eingeschränkt sein, es ändert aber nichts daran, dass wir diese Fähigkeit zur Selbstbestimmung haben. Gesellschaften können so gestaltet sein, dass sie unsere Fähigkeit zur Selbstbestimmung unterstützen, aber leider können sie auch so gestaltet sein, dass sie diese Fähigkeit ungerechtfertigter Weise einschränken.

Die zweite Gesellschaftsform ist deswegen in dieser Hinsicht schlechter.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 4104
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Sa 22. Mär 2025, 12:40

Was Du jetzt beschrieben hast, würde ich nicht als "Selbstbestimmung" bezeichnen, sondern als "Wunschäußerung". Wenn ich mich als Superman verkleide, habe ich zwar selbst bestimmt, dieses Kostüm anzuziehen und dass ich aussehe wie Superman, aber ich habe nicht selber bestimmt, Supermankräfte zu besitzen; die habe ich nicht. Sie sind aber das wesentliche des Superman. Kurz: Meine Selbstbestimmung ist in diesem Fall bestenfalls eine halbe Sache; ehrlich gesagt ist sie nur eine Fassade.

Unter Selbstbestimmung verstehe ich zum Beispiel meine Entscheidung, dass ich jetzt zum Mittagessen gehe. An diesem Vorgang ist alles echt. Ich werde bestimmt gehen und essen.

Vielleicht verstehst Du das Wort "bestimmt" im Sinne von "hoffentlich"? Hoffentlich wird es regnen. Bestimmt wird es regnen. Bestimmt wird mir Allah helfen. Hoffentlich bin ich Superman. Bestimmt bin ich Superman. -- Und dann: Irrtum. Es war nur eine Hoffnung, eine Bestimmung, aber keine vollendete Tatsache.




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 1015
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Sa 22. Mär 2025, 15:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 21. Mär 2025, 06:36
Consul hat geschrieben :
Do 20. Mär 2025, 23:12
Ich meine, dass staatliche Souveränität mit einem allgemeinen, grundsätzlichen Recht auf Einwanderung unvereinbar ist.
Selbst wenn das so wäre, würde daraus einfach nicht folgen, dass das grundsätzliche Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt werden sollte.
Es sollte eingeschränkt werden, weil das Recht auf nationale Selbstbestimmung und das Recht auf staatliche Gebietshoheit Vorrang vor einem Grund-/Menschenrecht auf Einwanderung haben sollten.
"Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung."

Quelle: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.Dezember 1966, Teil I, Art. 1/1)
"(1) Jedermann, der sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält, hat das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen.
(2) Jedermann steht es frei, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen.
(3) Die oben erwähnten Rechte dürfen nur eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung (ordre public), der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit oder der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist und die Einschränkungen mit den übrigen in diesem Pakt anerkannten Rechten vereinbar sind.
(4) Niemand darf willkürlich das Recht entzogen werden, in sein eigenes Land einzureisen."

Quelle: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.Dezember 1966, Teil III, Art. 12)
"Jedermann steht es frei, in jedes Land einzureisen/einzuwandern." – Wenn dies als Grund-/Menschenrecht auf Einreise/Einwanderung zu Obigem hinzugefügt werden würde, dann würde damit das Recht auf nationale Selbstbestimmung und "Gestaltungsfreiheit" in erheblichem und, wie ich finde, ungebührlichem Maße beschnitten werden.



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 1015
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Sa 22. Mär 2025, 16:31

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 21. Mär 2025, 07:39
…Unsere Menschenrechte sind in nichts begründet außer unserem Menschsein. Menschenrechte stehen jedem Menschen allein aufgrund seines Menschseins zu, das ist der Kern der Menschenrechtsidee. Sie bestehen unabhängig von staatlicher Anerkennung oder Gesetzgebung. Sie sind dem Staat vorausgesetzt und verpflichten ihn, diese Rechte zu achten, zu schützen und zu gewährleisten. Das sollte meines Erachtens selbstverständlich auch für das Recht auf Freizügigkeit gelten.
Unter einem objektiven Recht, das unabhängig davon besteht, ob es von irgendeiner rechtlich-sittlichen Gemeinschaft anerkannt wird, kann ich mir nichts vorstellen.

(Ein Thema für einen eigenen Diskussionsstrang: Was genau ist ein Recht oder eine Pflicht? Was genau hat man, wenn man ein Recht oder eine Pflicht hat?)



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 27806
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 22. Mär 2025, 16:53

Quk hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 12:40
Was Du jetzt beschrieben hast, würde ich nicht als "Selbstbestimmung" bezeichnen, sondern als "Wunschäußerung".
Du hast gefragt, ob es bei der Selbstbestimmung "gewisse Einschränkungen" gibt. Ich kann mich selbst als Superhelden bestimmen, das wird die Art und Weise wie ich lebe, sicherlich stark beeinflussen, Beispiele dafür gibt es tatsächlich, aber es wird nicht dazu führen, dass ich zum Beispiel wie Superman fliegen kann oder seine Superkräfte habe.




Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 4104
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Sa 22. Mär 2025, 16:54

Ein globales, grenzenloses Einwanderungsrecht halte ich für vereinbar mit einem nationalen Selbstbestimmungsrecht, wenn eine bestimmte Mechanik vorliegt, die ich wie folgt beschreiben will:

Wir wissen: Die Attraktion einer Region liegt in ihrer Kultur. Wo gejodelt wird, dahin ziehts die Jodler. Wo gemalt wird, dahin ziehts die Maler. Am Anfang gab es auf der Erde verschiedene Schneebälle ("Kulturen"). Sie kamen ins Rollen. Jeder rollte auf seine Weise und wurde größer, weil weitere Schneeflocken an ihm kleben blieben. Die Eigenschaft Y einer kulturellen Region finden Y-Leute attraktiv, und X-Leute finden diese Region unattraktiv. Sie wollen nicht dorthin. In diesem Prinzip sehe ich einen globalen Selbstregelkreis, der Ballungsgebiete ab einer gewissen Größe automatisch unattraktiv macht und Leergebiete automatisch anziehend macht. Das ist insgesamt ein atmendes, schwingendes System und es ist stabil, weil fast kein Mensch in eine überfüllte Region ziehen will. Einige wollen mit Gewalt in eine andere Region einmarschieren und die dortigen Menschen vertreiben. Gegen diese Gewalt müsste ein besonderes Gesetz ersonnen werden, denn das Einwanderungsrecht muss ja nicht für jede Art der Einwanderung gelten. Wer mit Panzern einwandern will, wird abgewiesen. Wer friedlich einwandern will, darf rein.

Somit bestimmt die Region sich selbst, mit Ausnahme des friedlichen Einwanderungsrechts; das darf die Region nicht abschaffen. Das ist die Einschränkung seitens der Region. Und die Einschränkung der Einwanderer ist die, dass sie gewaltlos bleiben müssen. -- Das Problem der zu großen Ballung regelt sich von selbst durch die Senkung ihrer Attraktivität. Das ist die Mechanik, die ich meine. Auf die müsste man sich verlassen, dann wären beide Rechte vereinbar, denke ich.




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 1015
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Sa 22. Mär 2025, 17:13

Pragmatix hat geschrieben :
Fr 21. Mär 2025, 08:56
Nein, sie scheitert nicht. Man kann das auf drei Ebenen zeigen:

2. Der Menschenrechtsbegriff ist historisch gewachsen, nicht naturgegeben. Menschenrechte sind kein Naturfaktum, sondern sind als Resultat politischer Kämpfe und normativer Setzungen entstanden. Die Idee, dass sie ‚allein aufgrund des Menschseins“ bestehen, ist ein humanistisches Narrativ, aber keine ontologische Tatsache. Das zeigt sich schon daran, dass sie in verschiedenen Zeiten und Kulturen sehr unterschiedlich gedacht und interpretiert wurden. Dass wir sie heute als universell ansehen, ist ein Resultat von politischen Prozessen – nicht von metaphysischen Wahrheiten.
Zwischen Sein und Sollen besteht bekanntlich ein Unterschied; aber es besteht auch ein Zusammenhang, denn moralische Urteile werden mit dem Verweis auf bestimmte nichtmoralische Tatsachen begründet – wenngleich Erstere sich nicht logisch aus Letzteren ableiten lassen (Stichwort naturalistischer Fehlschluss).

Menschenrechtler berufen sich auf bestimmte natürliche Grundbedürfnisse des Menschen, deren Erfüllung für das körperliche Überleben und darüber hinaus für ein gesundes geistig-seelisches Leben notwendig ist.
Pragmatix hat geschrieben :
Fr 21. Mär 2025, 08:56
3. Die AEMR war eine Reaktion darauf, dass man rein rechtlich gesehen keine Grundlage hatte, die Nazis abzuurteilen. Die Nürnberger Prozesse beruhten auf einer rückwirkenden Anwendung von Rechtsprinzipien – insbesondere im Fall des „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“. Das hatte es in dieser Form zuvor gar nicht als positiv kodifiziertes Verbrechen gegeben. Kritiker haben das als einen Verstoß gegen den Grundsatz nulla poena sine lege (keine Strafe ohne Gesetz) bezeichnet. Um es moralisch und rechtlich zu rechtfertigen, hat man auf eine Vorstellung von überpositivem Recht zurückgegriffen – also die Idee, dass es grundlegende, universelle Normen gibt, die auch ohne explizite gesetzliche Fixierung gelten. Deshalb bleibt dein Konzept von Recht notwendigerweise ein metaphysisches Konstrukt – es entzieht sich der realen politischen Entstehung und Entwicklung von Normen.
Man muss kein metaethischer Naturalist, Objektivist oder Realist sein, um den Rechtspositivismus mit seiner strikten Trennung von Moral und Recht kritisieren zu können.
Anyway:
"Als Nürnberg-Klausel wird ein Lehrsatz des Strafrechts bezeichnet, der für besonders strafwürdige Verbrechen eine Ausnahme vom Rückwirkungsverbot im Strafrecht, also vom Grundsatz „nulla poena sine lege“ begründet.
Die Nürnberg-Klausel besagt, dass trotz fehlender geschriebener Strafregeln eine Tat bestraft werden kann, „die zur Zeit ihrer Begehung nach den von den zivilisierten Völkern anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätzen strafbar war“.
Rechtstheoretisch wird eine Ausnahme von dem anerkannten justiziellen Grundrecht des Rückwirkungsverbots mit der Radbruchschen Formel gerechtfertigt, die verkürzt besagt: „Extremes Unrecht ist kein Recht.“ Sie hat insbesondere Bedeutung für die Behandlung von Verbrechen, die in einem Unrechtsstaat begangen wurden."

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/N%C3%BCrnberg-Klausel



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 27806
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 22. Mär 2025, 17:24

Consul hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 15:54
das Recht auf nationale Selbstbestimmung und das Recht auf staatliche Gebietshoheit Vorrang vor einem Grund-/Menschenrecht auf Einwanderung haben sollten
Die Souveränität gilt zwar als grundlegendes Prinzip der internationalen Ordnung und verleiht Staaten Autorität innerhalb ihrer Grenzen. Doch diese Autorität ist nicht absolut – sie endet dort, wo universelle Menschenrechtsnormen greifen.

Menschenrechte stehen über der staatlichen Souveränität.

Ich halte es für ein Defizit der bestehenden Menschenrechtskataloge, dass die Freizügigkeit noch nicht als uneingeschränktes Recht verankert wurde. Dies ist historisch bedingt, nicht sachlich gerechtfertigt. Freiheit als fundamentales Persönlichkeitsrecht legt uneingeschränkte Mobilität nahe, doch völkerrechtliche Kompromisse haben bislang verhindert, dass dieses Recht in vollem Umfang anerkannt wird.

Dass die Menschenrechtskataloge entsprechend geändert werden sollten, steht für mich außer Frage. Ob es allerdings "strategisch klug" wäre, dies von heute auf morgen zu tun, ist eine andere Sache – ein solcher Schritt erfordert, vorsichtig formuliert, einige "Vorbereitung".




Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 27806
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 22. Mär 2025, 17:36

Consul hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 16:31
Unter einem objektiven Recht, das unabhängig davon besteht, ob es von irgendeiner rechtlich-sittlichen Gemeinschaft anerkannt wird, kann ich mir nichts vorstellen.
„Extremes Unrecht ist kein Recht.“
Daran würde sich nichts ändern, wenn überall extremes Unrecht herrschte.




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 1015
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Sa 22. Mär 2025, 17:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 17:24
Consul hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 15:54
…das Recht auf nationale Selbstbestimmung und das Recht auf staatliche Gebietshoheit Vorrang vor einem Grund-/Menschenrecht auf Einwanderung haben sollten
Die Souveränität gilt zwar als grundlegendes Prinzip der internationalen Ordnung und verleiht Staaten Autorität innerhalb ihrer Grenzen. Doch diese Autorität ist nicht absolut – sie endet dort, wo universelle Menschenrechtsnormen greifen.
Menschenrechte stehen über der staatlichen Souveränität.
Eine menschenrechtliche Pflicht eines Staates, eine Person einreisen zu lassen, deren Menschenrechte in ihrem Heimatland verletzt werden, ist eine Sache. Etwas anderes ist ein Menschenrecht auf Einreise/Einwanderung, das keinerlei Verletzung von Menschenrechten im Heimatland voraussetzt.
"[Ein Menschenrecht auf Einwanderung] muss als ein Recht gegenüber allen Staaten auf Zutritt und Ansiedlung auf ihrem Territorium verstanden werden, das allen Menschen, unabhängig von ihren Lebensumständen [Betonung hinzugefügt], zukommt."

(Miller, David. Fremde in unserer Mitte: Politische Philosophie der Einwanderung. Übers. v. Frank Lachmann. Berlin: Suhrkamp, 2017. S. 81)



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 27806
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 22. Mär 2025, 18:04

Consul hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 17:48
Eine menschenrechtliche Pflicht eines Staates, eine Person einreisen zu lassen, deren Menschenrechte in ihrem Heimatland verletzt werden, ist eine Sache. Etwas anderes ist ein Menschenrecht auf Einreise/Einwanderung, das keinerlei Verletzung von Menschenrechten im Heimatland voraussetzt.
Das war nicht mein Argument. Mein Argument ist: Menschenrechte stehen über der staatlichen Souveränität. Staaten sind gewissermaßen (einfach gesagt) dazu da, die Menschenrechte zu gewährleisten, durchzusetzen, zu schützen. Es gibt aus meiner Sicht keinen triftigen Grund, das Recht auf Freizügigkeit einzuschränken.




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 1015
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Sa 22. Mär 2025, 18:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 07:45
Die ontologische Begründung der Menschenrechte liegt im Menschsein selbst. Der Begriff Mensch ist in sich normativ verfasst. Entsprechend heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
Der letzte Satz klingt irrtümlicherweise so, als handelte es sich dabei um eine objektive natürliche Tatsache. Er hat zwar die Form eines Aussagesatzes, aber eigentlich ist er als Aufforderungssatz zu verstehen: "Alle Menschen seien frei und gleich an Würde und Rechten geboren!" ("Alle Menschen sollen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sein!")

Der biologische Begriff Mensch (Homo sapiens) ist übrigens nicht "normativ verfasst".



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 27806
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 22. Mär 2025, 18:20

Der Begriff Mensch ist eben kein rein biologischer Begriff. Weiter oben wurde an irgendeiner Stelle z.b von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesprochen, ich finde, das zeigt das schon ganz schön, das sind nämlich keine Verbrechen gegen irgendein biologisches Datum.




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 1015
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Sa 22. Mär 2025, 18:45

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 18:04
Consul hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 17:48
Eine menschenrechtliche Pflicht eines Staates, eine Person einreisen zu lassen, deren Menschenrechte in ihrem Heimatland verletzt werden, ist eine Sache. Etwas anderes ist ein Menschenrecht auf Einreise/Einwanderung, das keinerlei Verletzung von Menschenrechten im Heimatland voraussetzt.
Das war nicht mein Argument. Mein Argument ist: Menschenrechte stehen über der staatlichen Souveränität. Staaten sind gewissermaßen (einfach gesagt) dazu da, die Menschenrechte zu gewährleisten, durchzusetzen, zu schützen. Es gibt aus meiner Sicht keinen triftigen Grund, das Recht auf Freizügigkeit einzuschränken.
(Bist du auch damit einverstanden, dass jeder nach Belieben deine Wohnung betreten und sich darin aufhalten darf?)

Ich sehe dagegen das nationale Selbstbestimmungsrecht und die staatliche Gebietshoheit sowie die faktischen negativen Folgen von Masseneinwanderung als triftige Gründe gegen ein Grund-/Menschenrecht auf Einreise/Einwanderung.

Was den Anspruch auf Gebietshoheit (Territorialhoheit) betrifft, so stimme ich mit Miller überein:
"Ich bin der Auffassung, dass drei Bedingungen dafür erfüllt sein müssen, damit ein Staat rechtmäßige hoheitliche Ansprüche auf ein Gebiet erheben kann. Erstens muss er die gesellschaftliche Ordnung aufrechterhalten und die Menschenrechte seiner Bewohner in hinreichendem Maße schützen. Wo genau wir die Messlatte bei der Anwendung dieser Bedingung anlegen sollten, ist schwer zu sagen, da es unter anderem kein Staat bisher vermocht hat, sämtliche kriminellen Handlungen auf seinem Gebiet zu eliminieren; allerdings können wir intuitiv zwischen solchen Fällen unterscheiden, in denen ein gut funktionierendes Rechtssystem ein Umfeld schafft, in dem die meisten Einwohner dazu in der Lage sind, ein Leben zu führen, in dem sie weder Gewalt noch Diebstahl, Verelendung oder Ähnliches zu befürchten haben, und solchen, in denen das Gegenteil gilt. Zweitens muss der Staat die Bewohner des Territoriums repräsentieren. Diese Bedingung erfordert eine etwas genauere Betrachtung. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, dass die Bevölkerung den Staat als Inhaber legitimer Autorität ihr gegenüber anerkennen sollte, und dieser Gedanke soll Situationen ausschließen, in denen eine gesellschaftliche Ordnung einfach durch Unterwerfung geschaffen wird, ob durch einen Militärdiktator oder durch einfallende Truppen, deren Präsenz von den Einwohnern nicht geduldet wird. Eine Möglichkeit zur Erfüllung dieser Bedingung ist das Vorliegen einer demokratisch gewählten Regierung, die damit im starken Sinne repräsentativ für die Bevölkerung ist. Demokratie ist aber nicht immer erforderlich. Legitimität kann auch auf andere Weise zustande kommen, zum Beispiel durch die traditionelle Treue gegenüber einer Herrscherfamilie oder die Anerkennung der Oberherrschaft religiöser Führer. Die dritte und letzte Bedingung ist die, dass das vom Staat repräsentierte Volk selbst das Recht darauf haben muss, das betreffende Gebiet zu bewohnen. Das heißt besonders, dass ein Staat territoriale Rechte nicht dadurch in Kraft setzen kann, dass er einen Großteil der rechtmäßigen Einwohner eines Gebietes vertreibt und sie durch seine eigenen Staatsbürger ersetzt, obwohl er nach diesem Bevölkerungsaustausch dann von sich behaupten könnte, die Mehrheit der gegenwärtigen Einwohnerschaft zu repräsentieren."

(Miller, David. Fremde in unserer Mitte: Politische Philosophie der Einwanderung. Übers. v. Frank Lachmann. Berlin: Suhrkamp, 2017. S. 96-7)



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Quk
Beiträge: 4104
Registriert: So 23. Jul 2023, 15:35

Sa 22. Mär 2025, 19:14

Consul hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 18:45
(Bist du auch damit einverstanden, dass jeder nach Belieben deine Wohnung betreten und sich darin aufhalten darf?)
Hier würde ich anders argumentieren: Wir müssen nicht notwendig die kleine Zelle namens "Wohnung" gleichsetzen mit der großen Zelle namens "Staat". Das ganze ist ein zellulares System, mit großen und kleinen eingebetteten Zellen. Ab einer gewissen Größe sollten eher öffentliche Regeln greifen, und unterhalb eher private Regeln. So eine Skalierung ist schon wichtig, finde ich. Wenn Kleinhänschen der kleinen Erna den Bleistift klaut, rufe ich nicht die Polizei. Der Grund dafür ist ein Grund der Skalierung. Es gibt Größenverhältnisse im geografischen als auch in der Gesetzgebung.




Benutzeravatar
Consul
Beiträge: 1015
Registriert: Mo 29. Apr 2024, 00:13

Sa 22. Mär 2025, 20:41

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 22. Mär 2025, 18:20
Der Begriff Mensch ist eben kein rein biologischer Begriff. Weiter oben wurde an irgendeiner Stelle z.b von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesprochen, ich finde, das zeigt das schon ganz schön, das sind nämlich keine Verbrechen gegen irgendein biologisches Datum.
Gibt es Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die keine Verbrechen an Menschen als Mitgliedern der Tierart Homo sapiens sind?



"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 27806
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Sa 22. Mär 2025, 20:47

Das Argument verstehe ich nicht. (Wofür willst du argumentieren und wie lautet das Argument?)




Timberlake
Beiträge: 2333
Registriert: Mo 16. Mai 2022, 01:29
Wohnort: Shangrila 2.0

Sa 22. Mär 2025, 20:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 20. Mär 2025, 17:02
Pragmatix hat geschrieben :
Do 20. Mär 2025, 16:31
wohin emigriert man aus diesem Weltstaat, wenn man politisch auf der falschen Seite steht?
Du müsstest eine Evidenz dafür erbringen, dass Menschen in nennenswerter Zahl autokratische Systeme, in denen sie verfolgt und unterdrückt werden, der Demokratie vorziehen. Also einen Beleg dafür, dass es eine relevante Anzahl von Menschen gibt, die eine Demokratie für die falsche Seite halten und eine gewalttätige Diktatur für die richtige. Was sollen das für Menschen sein, die Unterdrückung als das Richtige ansehen und Freiheit als das Falsche?

Tatsächlich zeigt sowohl die Geschichte als auch die Gegenwart, dass Menschen eher aus totalitären Systemen fliehen, um in demokratischen Staaten Schutz und Freiheit zu finden.
Das Menschen eher aus totalitären Systemen fliehen, um in demokratischen Staaten Schutz und Freiheit zu finden, zeigt meiner Meinung nach nur die eine Seite der Medaille. Eine Seite, auf der sich übrigens, so meine Beobachtung, die Beiträgen im großen Ganzen bisher zum Thema Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen tummeln. Somit ich mich einmal in diesem Beitrag zu der anderen höchst überfälligen Seite äußern möchte, und zwar dem wodurch sich demokratischen Staaten insbesondere auszeichnen, und zwar dem Wohlstand der Nationen. Um an dieser Stelle mit dessen Überschrift auf das Buch aufmerksam zu machen, in dem es heißt:
  • "Ein Mensch ist reich oder arm in dem Grad, als er imstande ist, sich die
    Bedürfnisse, die Annehmlichkeiten und die Freuden des menschlichen
    Lebens zu verschaffen. Nachdem aber einmal die Teilung der Arbeit
    durchweg Platz gegriffen hat, kann eines Menschen eigene Arbeit ihn nur
    mit einem sehr kleinen Teil dieser Dinge versorgen; den weitaus größe-
    ren Teil muß er von der Arbeit anderer beziehen, und er wird reich oder
    arm sein, je nach der Quantität von Arbeit, die ihm zu Gebote steht oder
    die er kaufen kann. Der Wert einer Ware ist demnach für denjenigen, der
    sie besitzt, sie aber nicht selbst zu gebrauchen oder zu verzehren, sondern
    gegen andere Waren auszutauschen gedenkt, gleich der Quantität Arbeit,
    welche er dafür kaufen kann oder die ihm dafür zu Gebote steht. Die Ar-
    beit ist also der wahre Maßstab des Tauschwerts aller Waren."
    Adam Smith ... Wohstand der Nationen

Zeichnen sich doch diese demokratischen Staaten "andererseits" auch dadurch aus, dass jener Grad, wie das ein Mensch imstande ist sich die Bedürfnisse, die Annehmlichkeiten und die Freuden des menschlichen Lebens zu verschaffen, außergewöhnlich hoch ist. Ihm also gemäß seiner Arbeit, in der Regel weit mehr Waren zu Gebote stehen als in totalitären Systemen.


Beispiel
geschichte-abitur.de hat geschrieben :
Wirtschaft in BRD und DDR

Die BRD und DDR verfügten über grundlegend verschiedene Wirtschaftssysteme. Während in der BRD die soziale Marktwirtschaft eingeführt worden war, setzte sich in der DDR die staatlich organisierte Planwirtschaft durch. Die Systemunterschiede wurden in den 1950er Jahren immer deutlicher und hatten eine hohe Abwanderungswelle in den Westen zur Folge.
  • "Gedankenexperimente nehmen einen zentralen Stellenwert innerhalb des Ethik- und Philosophieunterrichts aller Jahrgangsstufen und Schularten ein. Sie sind zudem fester Bestandteil der deutschen Curricula, weswegen eine genauere Betrachtung des Einsatzes derselben im Unterricht sinnvoll erscheint"
    reli-ethik-blog.de .... Gedankenexperiment
Dazu nur mal so, in diesem Sinne, ein Gedankenexperiment!

Wohin wären denn die Menschen abgewandert, wenn nicht die soziale Marktwirtschaft in der BRD, sondern die staatlich organisierte Planwirtschaft in der DDR zu "Wohlstand" geführt hätte?

(Wenngleich ich, so wie man sich beim Thema "Grenzen, offene Grenzen, keine Grenzen" vorzugsweise auf der anderen, ich sag mal so, rein ideologischen Seite bewegt, darauf nicht wirklich eine Reaktion erwarte.)




Antworten