Lob des Müßigganges

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
Antworten
Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1236
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Di 11. Okt 2022, 19:35

So ist auch der Titel eines Buches von Russell.

Aber ich will nicht primär das Buch besprechen, sondern ganz allgemein über Müßiggang reden.
Ich denke, ein gängiges Bild, das immer noch in den Köpfen ist, ist, dass die Armen sich zu Tode arbeiten sollen und die Reichen müßig sein dürfen.
Jedenfalls hat das Thema mit der Arbeit und der herrschenden Arbeitsmoral hier in Europa zu tun.

Vielleicht ein Einstieg in das Thema? Kann man arbeiten und dabei Muße haben? Wie denken wir heutzutage wirklich über Arbeit? Ist das Leistungsdenken vom 20. Jahrhundert einfach so verschwunden?
Das würde heißen, wer arbeitet macht alles richtig?

Eine Frage, die ich mir mehr persönlich stelle ist. Wie ist es mit dem Geld? Erhält jeder so viel Geld, wie er sollte für seine Arbeit? Aber was ist dann mit Hausarbeit, die immer noch unbezahlt ist? Oder Arbeit mit den Kindern?

"Müßiggang ist aller Laster Anfang." In diesem Sinne freue ich mich auf eine angeregte Diskussion und hoffentlich den Beweis, dass es gerade nicht so ist.



Ohne Gehirn kein Geist!

Benutzeravatar
Lucian Wing
Beiträge: 790
Registriert: Do 7. Jul 2022, 18:40

Di 11. Okt 2022, 20:31

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 19:35
Aber was ist dann mit Hausarbeit, die immer noch unbezahlt ist?
Sollte sie denn bezahlt werden? Von wem? Warum?



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

Benutzeravatar
Jörn Budesheim
Beiträge: 23272
Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
Kontaktdaten:

Di 11. Okt 2022, 20:32

Wenn du das Stichwort Muße in der Suche eingibst, wirst du sehen, dass es dazu bereits einige Beiträge gibt.

"Ich stelle mir Müßigang ungefähr so vor:

Einen langen Morgen verbringen mit Lesen und Schreiben, wer mag kann auch meditieren. Nach der Morgentoilette verläßt man das Haus ohne Ziel, geht vielleicht in die Stadt zum Bummeln oder in den Park, ein Buch hat man natürlich immer dabei. Hat man Geld in der Tasche, kann man zum Essen irgendwo einkehren. Wer Alkohol trinkt, genehmigt sich hier ein kleines Glas Wein :-) oder ein schönes Bier. Apfelschorle tut es auch.

Danach besucht man die Kunsthalle und guckt, was im Angebot ist, man besucht die Ausstellung, wenn sie einen neugierig macht. Man kann aber auch in der Kunsthallen-Buchhandlung nach Nahrungsmitteln suchen. Menschen, die gerne tagsüber schlafen, können auch Zuhause ein Nickerchen machen. Vielleicht besorgt man noch, was man für den Kühlschrank braucht ... und abends geht man ins Theater, zu einer Ausstellungseröffnung, in ein Konzert oder zu einem Künstlergespräch. Ist das Wetter gut, kann man den Abend auch im Park verbringen und sich die anderen Leute anschauen - und nebenbei lesen oder was im Philosophie-Forum posten.

Das alles tut man nicht, um den Akku aufzuladen, sondern es stellt einen inneren Wert in sich dar. Man arbeitet, um das tun zu können."




Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1236
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Di 11. Okt 2022, 20:47

Lucian Wing hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 20:31
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 19:35
Aber was ist dann mit Hausarbeit, die immer noch unbezahlt ist?
Sollte sie denn bezahlt werden? Von wem? Warum?
Damit die Hausfrau oder Hausmann finanziell nicht abhängig ist vom arbeitenden Partner?



Ohne Gehirn kein Geist!

Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1236
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Di 11. Okt 2022, 20:50

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 20:32
Wenn du das Stichwort Muße in der Suche eingibst, wirst du sehen, dass es dazu bereits einige Beiträge gibt.

"Ich stelle mir Müßigang ungefähr so vor:

Einen langen Morgen verbringen mit Lesen und Schreiben, wer mag kann auch meditieren. Nach der Morgentoilette verläßt man das Haus ohne Ziel, geht vielleicht in die Stadt zum Bummeln oder in den Park, ein Buch hat man natürlich immer dabei. Hat man Geld in der Tasche, kann man zum Essen irgendwo einkehren. Wer Alkohol trinkt, genehmigt sich hier ein kleines Glas Wein :-) oder ein schönes Bier. Apfelschorle tut es auch.

Danach besucht man die Kunsthalle und guckt, was im Angebot ist, man besucht die Ausstellung, wenn sie einen neugierig macht. Man kann aber auch in der Kunsthallen-Buchhandlung nach Nahrungsmitteln suchen. Menschen, die gerne tagsüber schlafen, können auch Zuhause ein Nickerchen machen. Vielleicht besorgt man noch, was man für den Kühlschrank braucht ... und abends geht man ins Theater, zu einer Ausstellungseröffnung, in ein Konzert oder zu einem Künstlergespräch. Ist das Wetter gut, kann man den Abend auch im Park verbringen und sich die anderen Leute anschauen - und nebenbei lesen oder was im Philosophie-Forum posten.

Das alles tut man nicht, um den Akku aufzuladen, sondern es stellt einen inneren Wert in sich dar. Man arbeitet, um das tun zu können."
Das nenne ich aber einmal eine klare Vorstellung davon haben, was Arbeit nicht ist! Aber ist es Muße?



Ohne Gehirn kein Geist!

Benutzeravatar
Lucian Wing
Beiträge: 790
Registriert: Do 7. Jul 2022, 18:40

Di 11. Okt 2022, 21:53

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 20:47
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 20:31
AufDerSonne hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 19:35
Aber was ist dann mit Hausarbeit, die immer noch unbezahlt ist?
Sollte sie denn bezahlt werden? Von wem? Warum?
Damit die Hausfrau oder Hausmann finanziell nicht abhängig ist vom arbeitenden Partner?
Und wer bezahlt das?
Mich fasziniert, in welchem Ausmaß wir uns in unserer sog. ausdifferenzierten Kultur inzwischen auf die Totalalimentierung als Anspruch kaprizieren.
Es ist die freie Entscheidung eines Ehegatten, zu Hause zu bleiben und sich um Haushalt und Kinder zu kümmern. Wenn er oder sie bezahlt werden möchte, dann muss er oder sie sich an den Ehepartner wenden. So sollte das gehen. Und meine Erfahrung ist so, dass ich weiß, das geht.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1236
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Mi 12. Okt 2022, 18:36

Ich schiebe gerade eine ruhige Kugel.
Was man in diesem Thread noch diskutieren könnte ist der Unterschied zwischen Faulheit und Müßiggang.

Manchmal, wenn ich nicht gerade eine ruhige Kugel schiebe, liege ich faul herum. :D

These: Bei jeder außergewöhnlichen Leistung war am Anfang eine gute Portion Muße.
These II: Geistige Arbeit erfordert mehr Muße als körperliche. Das liegt in der Natur der Sache.



Ohne Gehirn kein Geist!

Timberlake
Beiträge: 1630
Registriert: Mo 16. Mai 2022, 01:29
Wohnort: Shangrila 2.0

Mi 12. Okt 2022, 22:00

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 11. Okt 2022, 19:35
Eine Frage, die ich mir mehr persönlich stelle ist. Wie ist es mit dem Geld? Erhält jeder so viel Geld, wie er sollte für seine Arbeit? Aber was ist dann mit Hausarbeit, die immer noch unbezahlt ist? Oder Arbeit mit den Kindern?
Denke dir doch mal , am besten in einer Phase des Müßiggang, das Geld ganz einfach mal weg. Nur mal so als Idee. In dem man durchaus sagen könnte , dass man vom Geld bzw. vom Gelderwerb getrieben ist, würde in diesem Fall nicht genau das eintreten , was du hier lobst? Eine entschleunigte Gesellschaft im Müßiggang?
  • „Vergebens, daß der stolze und gefühllose Grundherr seinen Blick über seine ausgedehnten Felder schweifen läßt und ohne einen Gedanken an die Bedürfnisse seiner Brüder in seiner Phantasie die ganze Ernte, die auf diesen Feldern wächst, selbst verzehrt. Das ungezierte und vulgäre Sprichwort, daß das Auge mehr fasse als der Bauch 2), hat sich nie vollständiger bewahrheitet als in bezug auf ihn. Das Fassungsvermögen seines Magens steht in keinem Verhältnis zu der maßlosen Größe seiner Begierden, ja, sein Magen wird nicht mehr aufnehmen können als der des geringsten Bauern.
    Adam Smith: Theorie der ethischen Gefühle, S. 316
Wenn man denn nach den Fassungsvermögen eines Magens geht , so kann man eh nicht mehr verzehren , als in ihm hinein geht. Beim Geld besteht so eine natürliche Grenze nicht. Jedenfalls wüsste ich nicht , ab welchen Geldbetrag das Fassungsvermögen eines Kontos auf der Bank in etwa so überfordert ist , wie ein Magen , nach einer dritten Portion Spaghetti. Wohlgemerkt einer Portion für Erwachsene. Nur das da keine Missverständnisse aufkommen.




Benutzeravatar
AufDerSonne
Beiträge: 1236
Registriert: Do 1. Sep 2022, 19:44

Mi 12. Okt 2022, 23:46

Timberlake hat geschrieben :
Mi 12. Okt 2022, 22:00
Denke dir doch mal , am besten in einer Phase des Müßiggang, das Geld ganz einfach mal weg. Nur mal so als Idee. In dem man durchaus sagen könnte , dass man vom Geld bzw. vom Gelderwerb getrieben ist, würde in diesem Fall nicht genau das eintreten , was du hier lobst? Eine entschleunigte Gesellschaft im Müßiggang?
Jetzt muss ich wieder einmal einen Einstein bringen!

"Die banalen Ziele menschlichen Strebens: Besitz, äußerer Erfolg, Luxus, erschienen mir seit meinen jungen Jahren verächtlich."

"Ohne das Gefühl von Übereinstimmung mit Gleichgesinnten, ohne die Beschäftigung mit dem Objektiven, dem ewig Unerreichbaren auf dem Gebiet der Kunst und des wissenschaftlichen Forschens wäre mir das Leben leer erschienen."

Ich habe dich nicht ganz begriffen. Meinst du, eine Gesellschaft im Müßiggang könnte es geben, wenn man nicht vom Gelderwerb getrieben wäre? Oder gerade anders herum?



Ohne Gehirn kein Geist!

Timberlake
Beiträge: 1630
Registriert: Mo 16. Mai 2022, 01:29
Wohnort: Shangrila 2.0

Do 13. Okt 2022, 01:30

AufDerSonne hat geschrieben :
Mi 12. Okt 2022, 23:46
Timberlake hat geschrieben :
Mi 12. Okt 2022, 22:00
Denke dir doch mal , am besten in einer Phase des Müßiggang, das Geld ganz einfach mal weg. Nur mal so als Idee. In dem man durchaus sagen könnte , dass man vom Geld bzw. vom Gelderwerb getrieben ist, würde in diesem Fall nicht genau das eintreten , was du hier lobst? Eine entschleunigte Gesellschaft im Müßiggang?
Jetzt muss ich wieder einmal einen Einstein bringen!

"Die banalen Ziele menschlichen Strebens: Besitz, äußerer Erfolg, Luxus, erschienen mir seit meinen jungen Jahren verächtlich."
und ich muss dazu mal, du wirst es mittlerweile wohl erahnen , wieder einen Nietzsche bringen ...
  • Ich will sagen: die allermeisten finden es nicht verächtlich, dies oder jenes zu glauben und darnach zu leben, ohne sich vorher der letzten und sichersten Gründe für und wider bewußt worden zu sein und ohne sich auch nur die Mühe um solche Gründe hinterdrein zu geben – die begabtesten Männer und die edelsten Frauen gehören noch zu diesen »Allermeisten«.
    Friedrich Nietzsche ..Die fröhliche Wissenschaft
Wenn es denn etwas gibt , wo die allermeisten es nicht verächtlich finden , dies oder jenes zu glauben und darnach zu leben, ohne sich vorher der letzten und sichersten Gründe für und wider bewußt worden zu sein und ohne sich auch nur die Mühe um solche Gründe hinterdrein zu geben – dann der Glaube an das Geld. Nach Geld wird gelebt.

Einer der wenigen begabtesten Männer , die nicht zu jenen »Allermeisten« gehören , ist übrigens Volker Pispers ...



In diesem Videos macht Volker Pispers genau das .. er macht sich die Mühe die Gründe , um das für und wider von Geld bewusst zu machen. Eine Mühe , die nebenher noch so unterhaltend und vorallem informativ ist , dass man für diese Zeit gerne einmal vom "Lob der Müssigganges" absieht. Jedenfalls von meiner Warte aus.




Antworten