Ordo vs.Neoliberalismus

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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Groot
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Mo 11. Jul 2022, 18:13

Anbei zwei Hausarbeiten über das Buch "Geburt der Biopolitik".

Es geht in der ersten um den Unterschied von juridischem und ökonomischen Subjekt, sowie um den Vgl. der Planbarkeit im Ordo und einer Zentralwirtschaft. Eucken und Müller-Armack nahmen hier die Gegenposition zu

Die zweite befasst sich mit Tönnies Buch "Gemeinschaft und Gesellschaft". Dort wird Gesellschaft enorm ökonomisch begriffen und ein schöner Blick auf Papiergeld wird einsichtig. Aber auch der Unterschied von ordoliberalen, neo- und apertistischen Liberalen, wird betrachtet.

Vielleicht hat ja wer Lust Kritik zu üben und ein bisschen über Liberalismus zu diskutieren.
Biopolitik HAddd.pdf
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Nauplios
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Di 12. Jul 2022, 18:50

Ich habe mir die Arbeit über Tönnies gerade mal angeschaut, Groot. ;) Tönnies ist ja heute immer noch eine Pflichtlektüre für Soziologiestudenten, Gemeinschaft und Gesellschaft ein Klassiker. Erst vor wenigen Jahren wurden bis dahin verschollene Teile seines Spätwerks Geist der Neuzeit entdeckt; der erste Teil erschien 1935. Tönnies geht der Frage nach der "gegenseitigen Bejahung" der Menschen nach, in bewußtem Gegensatz zu Hobbes Krieg aller gegen alle, den Hobbes ja als Naturzustand des Menschen ansah. Man sieht auch bei Tönnies die Schwierigkeit, soziologisch zu erfassen, was Menschen miteinander verbindet. Exemplarisch diese von Dir zitierte Stelle:



"Gesellschaft also, durch Convention und Naturrecht einiges Aggregat[;] wird begriffen als eine Menge von natürlichen und künstlichen Individuen, deren Willen und Gebiete in zahlreichen Beziehungen zu einander und in zahlreichen Verbindungen mit einander stehen, und doch von einander unabhängig und ohne gegenseitige innere Einwirkung bleiben. Und hier ergibt sich die allgemeine Beschreibung der 'bürgerlichen Gesellschaft' oder 'Tauschgesellschaft', deren Natur und Bewegungen die politische Oekonomie zu erkennen beflissen ist: eines Zustandes, worin nach dem Ausdrucke Adam Smith >Jedermann ein Kaufmann ist<“ (S. 60, §25)" (Ferdinand Tönnies; Gemeinschaft und Gesellschaft)

"Zahlreiche Beziehungen" ... "Zahlreiche Verbindungen" ... und entscheidend: "ohne gegenseitige innere Einwirkung" ... Wie die "Menge von natürlichen und künstlichen Individuen" dann buchstäblich ins Geschäft kommt läuft über den Tausch und die "Natur" der Tauschgesellschaft. Deren Vorläufer einer "rituellen Ökonomie" und Weiterentwicklung unter den Bedingungen des frühneuzeitlichen Liberalismus und seinen historischen Transformationen gehst Du dann ja nach unter Einbeziehung von Mauss, Foucault und anderen. Tönnies konstruiert die "Gemeinschaft" als "Verbindung des 'Blutes'" als zunächst "ein Verhältnis der Leiber" und zudem als "gemeinsame Beziehung auf Gegenstände", also die intersubjektiv abgesicherte Beziehung auf das, was die bürgerliche Tauschgesellschaft ausmacht: Gegenstände, die "gemeinsam besessen und genossen" werden, eben ausgetauscht werden können.

Aufgefallen ist mir die Verquickung, die Du ansprichst, von Naturrecht und Marktordnung:

"Der Staat und die Individuen sind in jenem von Anbeginn eingebunden in die Ordnung des Marktes, welcher seine Ursprünge mit der Naturrechtsordnung der Neuzeit entstehen sieht." (Groot)

Hier wären vielleicht die Arbeiten von Leo Strauss (Naturrecht und Geschichte) erwähnenswert, der sich für das Naturrecht einsetzt und den Liberalismus - insbesondere den amerikanischen Neoliberalismus - kritisiert. Strauss beschäftigt sich eigentlich, ähnlich wie Tönnies, mit den Bedingungen, unter denen die Neuzeit entsteht.

Alles in allem: Daumen hoch für Deine Hausarbeit. ;) (wie immer)




Nauplios
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Di 12. Jul 2022, 19:16

Erwähnenswert ist Dein Zitat (Fußnote 8) von Ludwig von Mises, der "Gemeineigentum" und "Sondereigentum" unterscheidet:

"Alles zu beherrschen, keinen Spielraum zu lassen, in dem sich die Dinge frei ohne Eingreifen der Obrigkeit vollziehen können, das ist das Ziel, dem jeder Machthaber heimlich zustrebt. Diesem Streben tritt nun das Sondereigentum entgegen. Das Sondereigentum schafft eine staatsfreie Sphäre des Individuums, es setzt dem Auswirken des obrigkeitlichen Willens Schranken, es läßt neben und gegen die politische Macht andere Mächte aufkommen. Das Sondereigentum wird damit zur Grundlage aller staats- und gewaltfreien Lebensbetätigung, zum Pflanz- und Nährboden der Freiheit, der Autonomie des Individuums und in weiterer Folge aller fortschreitenden Entwicklung des Geistigen und des Materiellen. In diesem Sinne hat man das Eigentum als die Grundbedingung der Entwicklung des Individuums bezeichnet, eine Formulierung, der man nur mit vielen Vorbehalten zustimmen kann, weil die übliche Gegenüberstellung von Individuum und Gesamtheit, von individualistischen und kollektivistischen Ideen und Zielen oder gar von individualistischer und universalistischer Wissenschaft ein leeres Schlagwort ist.“ (von Mises; Liberalismus, S. 60)

Dieser Ludwig von Mises betrieb übrigens in seiner Zeit bei der Handelskammer in Wien ein Privatseminar, an dem auch Alfred Schütz teilnahm, ebenso Eric Voegelin.




Groot
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Mi 13. Jul 2022, 00:11

haha, so viele lesen den glaub nicht mehr :P Was schade ist, denn es ist ein spannender Übergang aus den Überresten der Feudalzeit und der großen Reiche hinein in die bürgerliche Gesellschaft mit ihren Nationalstaaten.

Der Markt ist als Konkurrenz, Foucault folgend, tatsächlich ein Phänomen der Neuzeit. Das Spätwerk von Tönnies werde ich mir mal anschauen müssen, es ist eine sehr spannende Epoche...und für mich zum ersten mal eine, die konkret interessant scheint und nicht unmittelbar ins abstrakt allgemeine Eine gestellt und damit transzendental gemacht wird.

von Mises ist noch sehr Marktradikal und steht unter dem Einfluß des baldigen 2. WK. Aber ich finde es überspannend, wenn man Gemeineigentum als Staat sieht bzw. dem Staate zugeschlagen es auffasst. Dadurch wird der Natur kein Boden zugestanden, was problematisch ist bzw. bis Foucault problematisch war.

Naja, mal sehen was bei raus kommt. Ich befürchte nur, dass es ein bisschen zu chaotisch ist und der 4. Teil ist nicht optimal, weil der Platz knapp wurde...20 Seiten und der beginnt auf S. 18 oder so.




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