Ich und Wir

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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Stefanie
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Di 3. Okt 2017, 19:52

o.K., oder das erzeugt weitere Fragen.

Ist das denn hier:
Jörn: Wer also sagt, dass das individuelle "Ich" in seinem Sein/Werden vom "Wir" abhängt,
wirklich so?
Jörn: Wer also sagt, dass das individuelle "Ich" in seinem Sein/Werden vom "Wir" abhängt, geht damit also keineswegs in eine Richtung, die zugleich sagen muss, das "Wir" wäre auch in einem wertenden Sinne vorrangig.
Die Beispiele, die hier für benannt worden sind, stammen die nicht aus ethischen Perspektive?

Und wieso kann eine ontologische Sichtweise und ein ethische Sichtweise auseinanderfallen? Ich kann doch vor allem letzteres nicht ohne das andere beantworten?



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Jörn Budesheim
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Di 3. Okt 2017, 20:23

Jeder einzelne hängt doch in sehr vielen Sinnen vom "Wir" ab, das ist schwerlich zu leugnen, finde ich - und die Sinne, die Hegel im Sinne hat, dabei noch nicht mal mitgezählt :-) Wenn ich mich so umschaue: Ich würde sagen, buchstäbliches alles um mich herum existiert nur, weil es so etwas wie eine Gesellschaft gibt und somit hängen extrem viele Dinge, die ich mache und die mich ausmachen, auch davon ab. Aber dieser simple Umstand führt nicht im Schlepptau, dass die Gesellschaft mir gegenüber einen Vorrang hat im wertenden Sinne, oder?

Wenn man nun die These vertritt, dass jedes Ich nur im Zusammenspiel mit einem Wir zu verstehen ist und als es selbst entstehen kann, dann folgt daraus nicht, dass es einen wertenden Vorrang des Wirs gibt.




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Stefanie
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Di 3. Okt 2017, 21:31

Das habe ich schon verstanden, denke ich... nur das eine nicht.

Eine Gesellschaft kann doch ohne Ichs nicht entstehen. Keine Ichs - und vor allem freie, autonome Ichs - keine freie Gesellschaft.
Mir kommt diese Frage manchmal vor, wie die Frage was zuerst da war: Das Huhn oder das Ei.



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Jörn Budesheim
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Mi 4. Okt 2017, 06:11

Stefanie hat geschrieben :
Di 3. Okt 2017, 21:31
Mir kommt diese Frage manchmal vor, wie die Frage was zuerst da war: Das Huhn oder das Ei.
Oder Herr und Knecht. :)




Tosa Inu
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Hier ist auch noch was: Ich und Gemeinschaft



„Die Tiere machen einen ja nachdenklich. Wir gehen doch noch außerdem zum Friseur u. begaunern die Kundschaft, sonst alles ebenso. Sich lausen u. wichsen, – Kinder, Kinder! Das nennt sich Schöpfung!“ (Gottfried Benn, im Brief, nach Zoobesuch der Affen)

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Tarvoc
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Stefanie hat geschrieben :
Di 3. Okt 2017, 21:31
Eine Gesellschaft kann doch ohne Ichs nicht entstehen. Keine Ichs - und vor allem freie, autonome Ichs - keine freie Gesellschaft.
Mir kommt diese Frage manchmal vor, wie die Frage was zuerst da war: Das Huhn oder das Ei.
Man trennt gedanklich zwei Dinge, die in der Realität unmittelbar zusammen gehören, und hat dann Probleme, sie gedanklich wieder zusammenzubringen. Das Problem hätte man nicht, wenn man Individuen als solche von Anfang an als wesentlich soziale denkt - also eben nicht als im logischen Raum für sich existierende "Ichs", sondern als wirklich lebende, konstitutiv zusammenlebende Menschen. Das ist ja z.B. genau der Kernpunkt von Marx' Argumentation gegen Max Stirner. In Wirklichkeit ist die Frage nach Individuum und Gesellschaft viel weniger wie die nach Huhn und Ei und viel mehr wie die nach dem Huhn und den einzelnen Organen, aus denen es besteht. Natürlich zieht dieser Vergleich auch nicht ganz, weil die Gesellschaft kein Organismus ist und Individuen eben keine Organe sind, sondern praktisch in der Wirklichkeit und zur Wirklichkeit sich verhaltende mehr oder weniger freie Akteure. Nur ist eben dieses praktische Verhalten selbst auch immer schon ein gesellschaftliches (Sprache und produktive Tätigkeit).



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Jörn Budesheim
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Fr 6. Okt 2017, 06:20

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Jörn Budesheim
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Heute werde ich meinen bildungsbürgerlichen Trieben freien Lauf lassen und ins Theater gehen. Der Prinz Friedrich von Homburg steht auf dem Programm und wie ich gerade lese, wird dort dieses Thema hier behandelt. Als Ich und Wir. Eine Wahrheit, die nicht schnell zu haben ist, vielleicht sogar nie :-) Immerhin soll es ein Happy-End geben, etwas mit Liebe! Ein kleines Wir gewinnt also :-)




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Tarvoc
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 6. Okt 2017, 06:20
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Dass ich nicht buchstäblich das selbe bin wie die Gesellschaft, in der ich lebe, ist eine Binse. Wenn man die Frage stellt, was zuerst da war, das Individuum oder die Gesellschaft, dann hat man beide sehr wohl gedanklich getrennt und eben nicht nur unterschieden. Anderenfalls gibt die Frage nämlich noch nicht mal Sinn. Wenn du an solchen Spielchen Spaß hast, kannst du das ja mal mit Kopf und Rumpf durchexerzieren. Da zeigt sich nämlich, wie absurd das ist. Was war zuerst da, der Kopf oder der Rumpf? Beantwortest du diese Frage z.B. mit "der Kopf", so hast du einen Kopf ohne Rumpf vorgestellt.



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Jörn Budesheim
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Do 19. Okt 2017, 18:53

Ich schätze, dass die meisten in unserem Kulturkreis es bevorzugen, ihre Individualität gegen über der Gesellschaft zu betonen. In dem Stück gestern drückte sich das, wenn man so will, in einer Art "Befehlsverweigerung" aus (großzügig interpretiert). Gegenüber der Liebe gibt es jedoch nicht so ohne eine Befehlsverweigerung, ihrem Ruf gehorchen wir in den meisten Fällen gern. Auch wenn man im Zusammenleben ein Stück der eigenen Freiheit abtreten "muss", im Grunde ist die Liebe doch eher eine Feier unserer Freiheit und Ausdruck unserer Individualität. Dass mich jemand liebt, dass stärkt meine Individualität. Ich finde das ist eine interessante Asymmetrie zwischen den diversen "Wir", oder?




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Alethos
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Do 19. Okt 2017, 22:13

Ich bin begeistert...eine Feier der Freiheit, eine Stärkung der Individualität... das muss ich erstmal ein wenig geniessen...



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