NaWennDuMeinst hat geschrieben : ↑ Mo 26. Jul 2021, 14:46
Ich finde diesen Vergleich unpassend. Käsebäume auf dem Mond sind wohl deutlich unwahrscheinlicher, als dass die Menschen das Chaos wollen. Das haben sie schliesslich die meiste Zeit in der Geschichte getan. Länger - viel länger noch - als sie friedlich waren. Gesamtgeschichtlich betrachtet ist der lange Frieden den wir jetzt erleben die Ausnahme.
Das mag stimmen, dass wir immer wieder Kriege führen und - zeitgeschichtlich betrachtet - wohl eher als Barbaren gelten dürften, denn als Zivilisierte. Aber doch strebt alles in uns nach Ordnung: Wir organisieren uns in Gemeinschaften, wir bauen Höhlen und Häuser, wir zelebrieren Rituale. Das alles tun wir, um Ordnung in das Chaos zu bringen.
Kriege sind ja zudem nicht etwa motiviert dadurch, dass wir Chaos wollten, sondern eine fremde Ordnung durch eine eigene ersetzen.
Ich will damit nur sagen, dass die These, dass wir Chaos wollen, hinterfragt werden kann.
NaWennDuMeinst hat geschrieben : ↑ Mo 26. Jul 2021, 14:46
Ich weiß immer nicht, was Du mit "an der Wirklichkeit orientiert" meinst. Wirklich ist, dass wenn einer einen Speer in den Bauch bekommt, dass er dann verblutet. Aber ob man nun Jemanden mit einem Speer erstechen sollte oder nicht, das kann man ja nicht "aus der Wirklichkeit" ablesen, weil das keine naturgesetzliche Frage ist.
Wenn wir Natur und Wirklichkeit gleichsetzen, führen wir den Wirklichkeitsbegriff ad absurdum. Allein die Frage, was Natur sei, ist ja selbst wiederum nicht eine, die nach Naturgesetzen gestellt wird, was doch zeigt, dass wenigstens auch das wirklich ist, und nicht nur das Natürliche.
Ja, es ist zwingend, und ich denke, darauf wolltest du hinaus, dass ein in den Körper eindringender Speer Verletzungen verursacht. Da kann man nicht verhandeln, die Dinge sind klar und laufen nach Gesetzen ab, die wir nicht beeinflussen können, die uns aber auch nicht fragen, ob es gut ist, dass es so ist. Es ist dann einfach so: Der Speer ist robust (siehe dein Robustheitsargument der Wirklichkeit). Aber ist deshalb das allein wirklich, was sich nach diesen unverhandelbaren Gesetzen so ereignet, wie es sich in der Kausalkette so ereignen muss und kann nur alles das als objektiv gelten, das unserem Wollen trotzt? Wirklich sind doch nicht nur diese Dinge, meine ich, die einen Stoff haben und eine Zeitlichkeit, nicht nur Speere und biologische Körper, oder? Es gibt Sprache, die weit mehr ist als nur ein Klang, sondern einer Relationalität bedarf von Sender und Empfänger. Verhältnisse selbst sind aber nichts Stoffliches. Aber auch Bedeutungsräume sind notwendig für Sprache. Damit wir überhaupt sprachlich codieren können, was wir sagen wollen, müssen wir abstrakte Informationen abgreifen, die nicht einfach da in den phyischen Dingen liegen, sondern aus ihnen gehoben werden müssen und gehoben werden können, weil sie nicht nur physische Dinge sind. Ein Stein ist nicht nur wirklich, wenn ich mit ihm einen Kopf einschlage und letzterer notwendigerweise bricht. Er ist auch wirklich in der Art und Weise, in der wir über ihn reden, als sprachliches Objekt. Und so weiter gibt es eine Vielzahl von gleichrangig wirklichen Dingen, die nicht den notwendigen Gesetzen der Physis unterliegen, sondern Gesetzen der eigenen Wirklichkeit, die sie darstellen. Gleichrangig, weil es nur zwei Stati gibt: Wirklich sein oder gar nicht sein.
So sind auch rechtliche Gesetze ja auch nicht weniger wirklich oder weniger objektiv, die wir festgelegt haben, da sie ja ihre Wirklichkeit gerade dadurch überhaupt erst entfalten, in dem wir sie zur Geltung bringen. Aber, wenn sie gelten, dann gelten sie objektiv - nicht einmal ja und einmal nicht, sondern für alle gleichermassen, die von ihnen betroffen sind.
Das gehört zur Wirklichkeit der Gesetze, das sie lokal wirken, auf bestimmte Personengruppen begrenzt wirken, dass sie nicht, wie die Naturgesetze, die auf alle physischen Dinge wirken, auf alle Dinge Anwendung finden, sondern nur auf die Rechtsobjekte, die sie betreffen sollen. Ein Rechtsobjekt ist nicht weniger ein Objekt als ein physisches Objekt, und die Naturgesetze,
die wir interpretieren, (denn andere haben wir nicht) sind nicht objektiver als die rechtlichen.
Was aber ist mit der Moral? Soll ich einen Speer in des Nachbarn Brust rammen? Gibt es da eine Wirklichkeit, die gebietet, dass ich es soll oder nicht soll? Und wenn ich sage „Ja, ich soll!“ wie zwingend ist denn diese moralische Wirklichkeit im Vergleich zu den unausweichlichen Gesetzen der Natur? Aus logischer Perspektive sind alle Gesetze zwingend, wenn sie sich ergeben durch die Sache selbst (denn die Sache hat ihre Logik). Unsere Gesetzgebung ist ja auch nur ein Versuch, die Tatsachen abzubilden, der fehlgehen kann, wie mathematische Berechnungen auch, die eine Fallgeschwindigkeit berechnen wollen. Wenn es Tatsache ist, dass wir uns nicht Schaden sollen, z.B. weil das unseren Gesamtnutzen schmälert (und gegeben die Annahme, dass der Nutzen gesteigert werden soll - was ja auch nicht in Stein gemeisselt ist), dann folgt daraus zwingend, dass ich meinen Nachbarn nicht umbringen soll. Einfach, weil es der Logik der Wirklichkeit folgt, der Logik der Wirklichkeit des Zusammenlebens.
Ich behaupte nicht, dass ich diese Wirklichkeit kenne, nur, dass wir sie einsehen können und unsere Urteile danach ausrichten müssen, wenn wir wahre Aussagen machen wollen.