Ergänzung zu "Soziale Ungleichheit" - mit Luxus vermengt?

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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NaWennDuMeinst
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So 25. Jul 2021, 19:09

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 18:47
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 18:43
Nein, das Argument lautet dass reine Behauptungen nicht ausreichen
Das behauptest du jedoch nur. Was ist dein Argument dafür, dass man immer ein Argument braucht?
Nicht immer. Nur dann, wenn Du willst, dass das was Du als objektive Wahrheit behauptest auch von anderen anerkannt wird.
Denn warum sollten andere das einfach so ohne Begründung anerkennen?



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Jörn Budesheim
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So 25. Jul 2021, 19:35

Weil so unser Leben nicht funktioniert. Das Spiel des Gebens und nehmens von Gründen könnte nicht funktionieren, wenn wir von allem unterschiedslos behaupten würden, es sei eine bloße Behauptung. Das ist schlicht und ergreifend Unsinn. Wir kommen übrigens gar nicht ins argumentieren hinein, wenn wir nicht vieles bereits als wahr akzeptieren. Wer von allem behauptet, es sei eine bloße Behauptung, der macht damit zugleich Argumentieren unmöglich!

Es ist auch kein Argument, zu behaupten, es könnte ja jemand geben, der das nicht glaubt. Mag ja sein, aber in vielen Fällen muss derjenige der das nicht glaubt, seinerseits glaubhaft machen, dass er einen begründeten Zweifel hat. Das ist zwar dein Standard Argument, aber es sticht nicht. Und daraus, dass es nicht sticht, folgt auch nicht, wie du immer wieder behauptest, dass man gar nichts begründen muss. Das Spiel des Gebens und nehmens von Gründen ist kein Automatenspiel.

Wir können niemals grundsätzlich bei Null anfangen. Weder ist alles begründungsbedürftig noch kann alles begründet werden. Doch in vielen Bereichen gibt es grundlegende Wahrheiten, die nicht weiter begründungsfähig sind, weil sie eben grundlegend sind. Dass jemand das ggf. nicht anerkennt oder versteht ist einfach kein Argument dagegen.

Ein anderes Beispiel:

Alle Menschen sind sterblich
Sokrates ist ein Mensch
Also ist Sokrates sterblich

Das muss man einfach einsehen, niemand kann das noch mal herleiten.




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Alethos
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So 25. Jul 2021, 19:41

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:06
Es gibt bestimmt noch mehr Gründe und Entstehungszusammenhänge..
Also ist das keine reine Behauptung deinerseits, sondern du selbst leitest deine Ansicht, die du fürwahr hälst, von Gründen ab. Auf dieser Basis können wir dann weiterdiskutieren und herausfinden, welche Argumente stichhaltiger sind.



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NaWennDuMeinst
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So 25. Jul 2021, 19:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:35
Alle Menschen sind sterblich
Sokrates ist ein Mensch
Also ist Sokrates sterblich

Das muss man einfach einsehen, niemand kann das noch mal herleiten.
Das muss man nicht. Aber die meisten werden es einsehen, weil die Prämisse offensichtlich ist. Du willst hier sagen jeder kann einfach behaupten was er will. Das stimmt aber nicht, und es stimmt auch nicht, dass das die "gängige Praxis" ist. Wenn etwas nicht offensichtlich ist (oder sogar dem Offensichtlichen widerspricht), dann müssen auch Prämissen nicht einfach akzeptiert werden.
Denn wenn ich meine Prämisse setze "Alle Menschen sind unsterblich", dann löst das Fragezeichen aus, weil es der Erfahrung widerspricht. Und natürlich ist dann die Frage berechtigt wie der andere darauf kommt sowas zu behaupten.
Weil so unser Leben nicht funktioniert.
So funktioniert unser Leben sehr wohl. Diskussion ist nichts anderes als das Geben und Nehmen von Gründen. Und wir Menschen diskutieren sehr viel, oder willst Du das bestreiten?

Aber sei es drum, nehmen wir an man müsste hier nichts begründen, weil unser Leben ja so funktioniert, dass jeder einfach sagen kann was er will und die anderen müssen das dann glauben.
Ich behaupte dann einfach jetzt, es gibt keine objektive Moral und damit ist das Thema erledigt, weil du das dann einfach hinnehmen musst. Denn begründen muss ja niemand irgendwas, weil so unser Leben funktioniert.

Fakt ist, Du kannst deine merkwürdigen Behauptungen nicht begründen. Und weil das so ist, soll jetzt das Verlangen von Gründen nicht mehr erlaubt oder unnötig sein, ja es ist jetzt sogar angeblich gängige Praxis, dass Behauptungen nicht begründet werden müssen. Also noch tiefer kommen wir jetzt nicht mehr.

Weißt Du wenn Du gesagt hättest, dass es in jedem Bereich Axiome, Prämissen, Grundannahmen gibt, die nicht weiter begründet werden können, dann würde ich dir sogar zustimmen. Aber zu behaupten die Frage nach Gründen sei nicht legitim ist lächerlich. Und das ist besonders bei der Moral zutiefst lächerlich, nach der ja Menschen handeln sollen. Ich will für Behauptungen die mich zu irgendeinem Handeln verpflichten sollen eine ordentliche Begründung haben. Mir egal ob Du das einsiehst oder nicht.
Zuletzt geändert von NaWennDuMeinst am So 25. Jul 2021, 19:56, insgesamt 1-mal geändert.



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Jörn Budesheim
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So 25. Jul 2021, 19:54

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:52
Du willst hier sagen jeder kann einfach behaupten was er will.
Da du nicht in der Lage bist, irgendwelche Argumente zu verstehen, werde ich dir auch keine mehr geben.




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NaWennDuMeinst
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So 25. Jul 2021, 19:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:54
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:52
Du willst hier sagen jeder kann einfach behaupten was er will.
Da du nicht in der Lage bist, irgendwelche Argumente zu verstehen, werde ich dir auch keine mehr geben.
Natürlich nicht. Denn Du meinst ja niemand müsse irgendwas begründen. Dann würde ich auch nicht mehr argumentieren.



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So 25. Jul 2021, 19:59

Alethos hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:41
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:06
Es gibt bestimmt noch mehr Gründe und Entstehungszusammenhänge..
Also ist das keine reine Behauptung deinerseits, sondern du selbst leitest deine Ansicht, die du fürwahr hälst, von Gründen ab. Auf dieser Basis können wir dann weiterdiskutieren und herausfinden, welche Argumente stichhaltiger sind.
Nein. Ich versuche gar nicht erst die Würde von "oben her" zu begründen, sondern ich gehe den anderen Weg. Ich frage nicht, ob es die Würde gibt, sondern welchen Nutzen sie für uns hat.
Was bringt uns das, an eine Würde zu glauben? Das ist für mich die entscheidende Frage und nicht ob diese Vorstellungen eine objektive Wahrheit beschreibt (was meiner Meinung nach sowieso nicht gewusst werden kann).
Der Würdevorstellung liegt ein Wille zugrunde, nämlich der Wille dazu all die schrecklichen Dinge, die ohne diese Vorstellung passiert sind, einzudämmen. Die Vorstellung einer Würde ist eine Hilfe bei dem Versuch Kriege, Mord und Totschlag und andere Gräueltaten, oder kurz: Leid das Menschen sich gegenseitig zufügen, einzudämmen. Dazu muss man aber erst diese Dinge eindämmen wollen. Das andere folgt dann daraus.



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So 25. Jul 2021, 20:11

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:59
Nutzen
Ist dieser Nutzen, wie du ihn beschrieben hast, objektiv? Haben wir tatsächlich etwas davon, wenn wir an eine Würde glauben?

Ich denke, wir müssen gar nicht „von oben“ argumentieren: Wenn die Würde wirklich ist (aus welchen Gründen auch immer, das sei jetzt einmal beiseite gelegt), dann folgt, dass wir sie achten müssen. Das folgt zwingend, wenn wir diesen Nutzen, den sie stiften soll, abschöpfen wollen.

Aber wenn wir so argumentieren, dass die Würde sich über den Nutzen ergibt, den sie abwirft, dann muss man sie natürlich nicht achten, wenn man diesen Nutzen nicht will. Ich glaube hingegen, dass es jederzeit geboten ist, sie zu achten: aus Gründen der Menschlichkeit.



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So 25. Jul 2021, 20:26

Alethos hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 20:11
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 19:59
Nutzen
Ist dieser Nutzen, wie du ihn beschrieben hast, objektiv? Haben wir tatsächlich etwas davon, wenn wir an eine Würde glauben?
Der Nutzen ist nicht objektiv weil er an unseren Willen gekoppelt ist.
Wenn es unser Wille ist zu verhindern, dass Menschen anderen Menschen Leid zufügen, und uns die Vorstellung von der Würde dabei hilft, dann hat sie einen Nutzen.
Gibt es aber den Willen dazu nicht mehr, gibt es auch den Nutzen nicht.
Das heißt es ist nicht "objektiv", sondern abhängig von unserem Bewusstsein (davon was wir wollen).
Ich denke, wir müssen gar nicht „von oben“ argumentieren: Wenn die Würde wirklich ist (aus welchen Gründen auch immer, das sei jetzt einmal beiseite gelegt), dann folgt, dass wir sie achten müssen. Das folgt zwingend, wenn wir diesen Nutzen, den sie stiften soll, abschöpfen wollen. Aber wenn wir so argumentieren, dass die Würde sich über den Nutzen ergibt, den sie abwirft, dann muss man sie natürlich nicht achten, wenn man diesen Nutzen nicht will. Ich glaube hingegen, dass es jederzeit geboten ist, sie zu achten: aus Gründen der Menschlichkeit.
Ja, das ist der Unterschied in unseren Ansichten. Für mich ist die Vorstellung der Würde ein Produkt unseres Willens (sie ist ein Hilfskonstrukt sozusagen. Sie hilft uns dabei unsere Ziele, z.B. mehr Menschlichkeit, zu erreichen).
Du hingegen glaubst, dass die Würde unabhängig von unserem Wollen und Wünschen existiert und uns allein aus ihrer Existenz heraus zu etwas verpflichten kann.



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So 25. Jul 2021, 20:56

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 20:26
Das heißt es ist nicht "objektiv", sondern abhängig von unserem Bewusstsein (davon was wir wollen).
Die Gänsefüsschen verstehe ich nicht.

Wenn aber unser Wollen auf Sachen gerichtet ist, z.B. etwas zu wollen oder einen Zustand zu erreichen etc.: Können wir auch das objektiv Falsche wollen? Können wir z.B. wollen, dass es die Würde nicht gebe, auf dass es richtig sei, so zu handeln, als ob es sie nicht gäbe? Oder würden wir da irren (weil sehr viel Nutzen verloren ginge)? Ist dieser Nutzen nicht objektiv, was bringt er uns (der Mehrheit der Menschen)?



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Mo 26. Jul 2021, 11:55

Alethos hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 20:56
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 25. Jul 2021, 20:26
Das heißt es ist nicht "objektiv", sondern abhängig von unserem Bewusstsein (davon was wir wollen).
Die Gänsefüsschen verstehe ich nicht.
Die stehen einmal da, weil ich Dich zitiere.
Und dann weil ich beim Schreiben überlegt habe, dass die erstrebte Wirkung, oder der Nutzen (also in dem Falle, dass die Menschen besser miteinander umgehen) schon auch objektiv festgestellt werden soll.
Wir wollen ja nicht nur so tun als ob es keine Kriege mehr gibt, sondern das soll ja auch Wirklichkeit werden. Das heißt der Wille ist in dem Fall schon ausgerichtet auf ein objektiv zu erreichendes Ziel, auf eine Anpassung der Wirklichkeit. Deshalb die Gänsefüßchen.
Wenn aber unser Wollen auf Sachen gerichtet ist, z.B. etwas zu wollen oder einen Zustand zu erreichen etc.: Können wir auch das objektiv Falsche wollen?
Ich wüsste nicht wie, wenn man davon ausgeht, dass der Mensch ein selbstbestimmtes Wesen ist.
An Deine Vorstellung angenähert ist meine Vorstellung von einem kollektiven Willen. Es stellt sich heraus, dass viele Menschen oftmals das Gleiche wollen. Ich denke die meisten Menschen sind sich nach den Erfahrungen der Weltkriege darüber einig, dass wir sowas nicht nochmal brauchen.
Können wir z.B. wollen, dass es die Würde nicht gebe
Können wir. Aber warum sollten wir das wollen? Es hat sich ja gezeigt, dass wir ohne diese Vorstellung im Chaos landen. Aber nehmen wir an wir Menschen wollten mehrheitlich das Chaos. Dann wäre auch die Vorstellung von einer Würde wohl nicht mehr von Bedeutung.



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Mo 26. Jul 2021, 12:14

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 26. Jul 2021, 11:55
Aber nehmen wir an wir Menschen wollten mehrheitlich das Chaos. Dann wäre auch die Vorstellung von einer Würde wohl nicht mehr von Bedeutung.
Der „kollektive Wille“, ich weiss ungefähr, was du meinst, ist für mich der common sense. Es ist einfach falsch zu glauben, dass etwas gewollt werden soll, das allem widerspricht, was wir (in der Mehrheit, im Kollektiv) für fürwahrhalten. Natürlich könnte es theoretisch so sein, dass wir mehrheitlich Chaos wollen, aber es könnte auch sein, dass es Käsebäume auf dem Mond gibt (auf einem der vielen Monde der Galaxie).

Ich will gerade nicht sagen, dass die Mehrheit entscheidet, was wahr sei, denn auch die Mehrheit kann irren. Ich will nur sagen, dass es auch so etwas wie einen Gemeinsinn gibt für die Wirklichkeit. Wir halten nicht einfach beliebige Sachen fürwahr, sondern immer solche, für die wir Gründe haben. Und sie sprechen für oder gegen eine Ansicht, und ich meine in ihrem Gesamt festigen sie unsere Wahrheitsurteile. Diese sind nicht beliebige, sondern an der Wirklichkeit orientiert, die wir nicht nur verkennen können, sondern doch mindestens ebenso erkennen können.



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NaWennDuMeinst
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Mo 26. Jul 2021, 14:46

Alethos hat geschrieben :
Mo 26. Jul 2021, 12:14
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 26. Jul 2021, 11:55
Aber nehmen wir an wir Menschen wollten mehrheitlich das Chaos. Dann wäre auch die Vorstellung von einer Würde wohl nicht mehr von Bedeutung.
Der „kollektive Wille“, ich weiss ungefähr, was du meinst, ist für mich der common sense. Es ist einfach falsch zu glauben, dass etwas gewollt werden soll, das allem widerspricht, was wir (in der Mehrheit, im Kollektiv) für fürwahrhalten. Natürlich könnte es theoretisch so sein, dass wir mehrheitlich Chaos wollen, aber es könnte auch sein, dass es Käsebäume auf dem Mond gibt (auf einem der vielen Monde der Galaxie).
Ich finde diesen Vergleich unpassend. Käsebäume auf dem Mond sind wohl deutlich unwahrscheinlicher, als dass die Menschen das Chaos wollen. Das haben sie schliesslich die meiste Zeit in der Geschichte getan. Länger - viel länger noch - als sie friedlich waren. Gesamtgeschichtlich betrachtet ist der lange Frieden den wir jetzt erleben die Ausnahme.
Ich will gerade nicht sagen, dass die Mehrheit entscheidet, was wahr sei, denn auch die Mehrheit kann irren. Ich will nur sagen, dass es auch so etwas wie einen Gemeinsinn gibt für die Wirklichkeit. Wir halten nicht einfach beliebige Sachen fürwahr, sondern immer solche, für die wir Gründe haben. Und sie sprechen für oder gegen eine Ansicht, und ich meine in ihrem Gesamt festigen sie unsere Wahrheitsurteile. Diese sind nicht beliebige, sondern an der Wirklichkeit orientiert, die wir nicht nur verkennen können, sondern doch mindestens ebenso erkennen können.
Ich weiß immer nicht, was Du mit "an der Wirklichkeit orientiert" meinst. Wirklich ist, dass wenn einer einen Speer in den Bauch bekommt, dass er dann verblutet. Aber ob man nun Jemanden mit einem Speer erstechen sollte oder nicht, das kann man ja nicht "aus der Wirklichkeit" ablesen, weil das keine naturgesetzliche Frage ist. Die Natur erlaubt mit ihren Gesetzen ganz klar beides.
Die Moral die wir bis heute entwickelt haben ist doch keine die Stück für Stück an der Natur abgelesen wurde, so wie wir Stück für Stück die physikalischen Gesetze erkundet haben.
Die Natur gibt uns keine Moral vor. Sie liefert uns ein paar Fähigkeiten, Instinkte und Triebe mit. Aber was wir damit machen ist doch ganz klar uns selbst überlassen (das übrigens auch sehr interessant, dass wir uns überhaupt moralische Fragen stellen können. Die anderen Lebewesen kommen ja super ohne das zurecht.)



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Alethos
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Mo 26. Jul 2021, 15:36

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 26. Jul 2021, 14:46
Ich finde diesen Vergleich unpassend. Käsebäume auf dem Mond sind wohl deutlich unwahrscheinlicher, als dass die Menschen das Chaos wollen. Das haben sie schliesslich die meiste Zeit in der Geschichte getan. Länger - viel länger noch - als sie friedlich waren. Gesamtgeschichtlich betrachtet ist der lange Frieden den wir jetzt erleben die Ausnahme.
Das mag stimmen, dass wir immer wieder Kriege führen und - zeitgeschichtlich betrachtet - wohl eher als Barbaren gelten dürften, denn als Zivilisierte. Aber doch strebt alles in uns nach Ordnung: Wir organisieren uns in Gemeinschaften, wir bauen Höhlen und Häuser, wir zelebrieren Rituale. Das alles tun wir, um Ordnung in das Chaos zu bringen.
Kriege sind ja zudem nicht etwa motiviert dadurch, dass wir Chaos wollten, sondern eine fremde Ordnung durch eine eigene ersetzen.

Ich will damit nur sagen, dass die These, dass wir Chaos wollen, hinterfragt werden kann.
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 26. Jul 2021, 14:46
Ich weiß immer nicht, was Du mit "an der Wirklichkeit orientiert" meinst. Wirklich ist, dass wenn einer einen Speer in den Bauch bekommt, dass er dann verblutet. Aber ob man nun Jemanden mit einem Speer erstechen sollte oder nicht, das kann man ja nicht "aus der Wirklichkeit" ablesen, weil das keine naturgesetzliche Frage ist.
Wenn wir Natur und Wirklichkeit gleichsetzen, führen wir den Wirklichkeitsbegriff ad absurdum. Allein die Frage, was Natur sei, ist ja selbst wiederum nicht eine, die nach Naturgesetzen gestellt wird, was doch zeigt, dass wenigstens auch das wirklich ist, und nicht nur das Natürliche.

Ja, es ist zwingend, und ich denke, darauf wolltest du hinaus, dass ein in den Körper eindringender Speer Verletzungen verursacht. Da kann man nicht verhandeln, die Dinge sind klar und laufen nach Gesetzen ab, die wir nicht beeinflussen können, die uns aber auch nicht fragen, ob es gut ist, dass es so ist. Es ist dann einfach so: Der Speer ist robust (siehe dein Robustheitsargument der Wirklichkeit). Aber ist deshalb das allein wirklich, was sich nach diesen unverhandelbaren Gesetzen so ereignet, wie es sich in der Kausalkette so ereignen muss und kann nur alles das als objektiv gelten, das unserem Wollen trotzt? Wirklich sind doch nicht nur diese Dinge, meine ich, die einen Stoff haben und eine Zeitlichkeit, nicht nur Speere und biologische Körper, oder? Es gibt Sprache, die weit mehr ist als nur ein Klang, sondern einer Relationalität bedarf von Sender und Empfänger. Verhältnisse selbst sind aber nichts Stoffliches. Aber auch Bedeutungsräume sind notwendig für Sprache. Damit wir überhaupt sprachlich codieren können, was wir sagen wollen, müssen wir abstrakte Informationen abgreifen, die nicht einfach da in den phyischen Dingen liegen, sondern aus ihnen gehoben werden müssen und gehoben werden können, weil sie nicht nur physische Dinge sind. Ein Stein ist nicht nur wirklich, wenn ich mit ihm einen Kopf einschlage und letzterer notwendigerweise bricht. Er ist auch wirklich in der Art und Weise, in der wir über ihn reden, als sprachliches Objekt. Und so weiter gibt es eine Vielzahl von gleichrangig wirklichen Dingen, die nicht den notwendigen Gesetzen der Physis unterliegen, sondern Gesetzen der eigenen Wirklichkeit, die sie darstellen. Gleichrangig, weil es nur zwei Stati gibt: Wirklich sein oder gar nicht sein.

So sind auch rechtliche Gesetze ja auch nicht weniger wirklich oder weniger objektiv, die wir festgelegt haben, da sie ja ihre Wirklichkeit gerade dadurch überhaupt erst entfalten, in dem wir sie zur Geltung bringen. Aber, wenn sie gelten, dann gelten sie objektiv - nicht einmal ja und einmal nicht, sondern für alle gleichermassen, die von ihnen betroffen sind.
Das gehört zur Wirklichkeit der Gesetze, das sie lokal wirken, auf bestimmte Personengruppen begrenzt wirken, dass sie nicht, wie die Naturgesetze, die auf alle physischen Dinge wirken, auf alle Dinge Anwendung finden, sondern nur auf die Rechtsobjekte, die sie betreffen sollen. Ein Rechtsobjekt ist nicht weniger ein Objekt als ein physisches Objekt, und die Naturgesetze, die wir interpretieren, (denn andere haben wir nicht) sind nicht objektiver als die rechtlichen.

Was aber ist mit der Moral? Soll ich einen Speer in des Nachbarn Brust rammen? Gibt es da eine Wirklichkeit, die gebietet, dass ich es soll oder nicht soll? Und wenn ich sage „Ja, ich soll!“ wie zwingend ist denn diese moralische Wirklichkeit im Vergleich zu den unausweichlichen Gesetzen der Natur? Aus logischer Perspektive sind alle Gesetze zwingend, wenn sie sich ergeben durch die Sache selbst (denn die Sache hat ihre Logik). Unsere Gesetzgebung ist ja auch nur ein Versuch, die Tatsachen abzubilden, der fehlgehen kann, wie mathematische Berechnungen auch, die eine Fallgeschwindigkeit berechnen wollen. Wenn es Tatsache ist, dass wir uns nicht Schaden sollen, z.B. weil das unseren Gesamtnutzen schmälert (und gegeben die Annahme, dass der Nutzen gesteigert werden soll - was ja auch nicht in Stein gemeisselt ist), dann folgt daraus zwingend, dass ich meinen Nachbarn nicht umbringen soll. Einfach, weil es der Logik der Wirklichkeit folgt, der Logik der Wirklichkeit des Zusammenlebens.

Ich behaupte nicht, dass ich diese Wirklichkeit kenne, nur, dass wir sie einsehen können und unsere Urteile danach ausrichten müssen, wenn wir wahre Aussagen machen wollen.



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Mo 26. Jul 2021, 16:21

Alethos hat geschrieben :
Mo 26. Jul 2021, 15:36
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 26. Jul 2021, 14:46
Ich finde diesen Vergleich unpassend. Käsebäume auf dem Mond sind wohl deutlich unwahrscheinlicher, als dass die Menschen das Chaos wollen. Das haben sie schliesslich die meiste Zeit in der Geschichte getan. Länger - viel länger noch - als sie friedlich waren. Gesamtgeschichtlich betrachtet ist der lange Frieden den wir jetzt erleben die Ausnahme.
Das mag stimmen, dass wir immer wieder Kriege führen und - zeitgeschichtlich betrachtet - wohl eher als Barbaren gelten dürften, denn als Zivilisierte. Aber doch strebt alles in uns nach Ordnung: Wir organisieren uns in Gemeinschaften, wir bauen Höhlen und Häuser, wir zelebrieren Rituale. Das alles tun wir, um Ordnung in das Chaos zu bringen.
Kriege sind ja zudem nicht etwa motiviert dadurch, dass wir Chaos wollten, sondern eine fremde Ordnung durch eine eigene ersetzen.

Ich will damit nur sagen, dass die These, dass wir Chaos wollen, hinterfragt werden kann.
Lass den Begriff "Chaos" einfach weg. ich habe ihn nur gewählt um das Kriegführen, Morden usw irgendwie zu benennen.
"Unmenschlichkeit" wäre vielleicht ein besserer Begriff. Oder vielleicht fällt Dir einer ein.
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 26. Jul 2021, 14:46
Ich weiß immer nicht, was Du mit "an der Wirklichkeit orientiert" meinst. Wirklich ist, dass wenn einer einen Speer in den Bauch bekommt, dass er dann verblutet. Aber ob man nun Jemanden mit einem Speer erstechen sollte oder nicht, das kann man ja nicht "aus der Wirklichkeit" ablesen, weil das keine naturgesetzliche Frage ist.
Wenn wir Natur und Wirklichkeit gleichsetzen, führen wir den Wirklichkeitsbegriff ad absurdum. Allein die Frage, was Natur sei, ist ja selbst wiederum nicht eine, die nach Naturgesetzen gestellt wird, was doch zeigt, dass wenigstens auch das wirklich ist, und nicht nur das Natürliche.
Ja aber warum behandelst Du dann Moral so, als wäre sie ein Naturgesetz? Ich verstehe das nicht.
Die Welt ist auch nicht von Moral "durchdrungen". Auch da weiß ich überhaupt nicht was das bedeuten soll.
Es ist sogar so, dass die Welt komplett amoralisch ist. Mal abgesehen von uns Menschen hat kein uns bekanntes Lebewesen eine Moral entwickelt. Oder zumindest verhalten sie sich nicht so.
Und auch die unbelebte Natur kennt keine Moral. Wenn ein Stern explodiert und dabei seine bewohnten Planeten verbrennt, dann spielt da Moral überhaupt keine Rolle, denn der Stern fragt sich ja nicht ob es "gut" wäre einfach zu explodieren und dabei Milliarden Lebewesen umzubringen. Er explodiert einfach und fertig.
Wieso glaubt man also es gäbe in der Welt eine von uns Menschen unabhängige Moral, wo wir doch nirgendwo eine solche sehen ausser in und an uns.
Ist das wieder so eine Art anthropozentrische Weltsicht? Was den Menschen angeht geht die ganze Welt an? Was wir uns mit unserem Rosinenhirn ausdenken kann nicht einfach bei uns bleiben, nein, es muss sogleich zu einem alles bestimmenden Prinzip erklärt werden, als ob es nur dann Bedeutung hätte. Die Moral ist nicht einfach nur unsere Spinnerrei. Nein, sie existiert in uns nur, weil sie ein universales Wirkungsprinzip ist. Typisch Mensch. Überheblich bis zum geht nicht mehr.
Damit wir überhaupt sprachlich codieren können, was wir sagen wollen, müssen wir abstrakte Informationen abgreifen, die nicht einfach da in den phyischen Dingen liegen, sondern aus ihnen gehoben werden müssen und gehoben werden können, weil sie nicht nur physische Dinge sind.
Das kann ja alles sein. Aber ohne Physis geht es halt auch nicht. Oder kannst Du dir alles das was Du beschreibst ohne Materie vorstellen?
Ich nicht.
So sind auch rechtliche Gesetze ja auch nicht weniger wirklich oder weniger objektiv, die wir festgelegt haben, da sie ja ihre Wirklichkeit gerade dadurch überhaupt erst entfalten, in dem wir sie zur Geltung bringen.
Aber Gesetze sind konstruiert, Alethos. Wir haben sie konstruiert und wir können sie wieder abschaffen. Nichts von dem ist von uns unabhängig oder zwingend.
Aber, wenn sie gelten, dann gelten sie objektiv - nicht einmal ja und einmal nicht, sondern für alle gleichermassen, die von ihnen betroffen sind.
Aber dass sie objektiv gelten sollen ist doch auch nur eine menschlche Absprache. Wir könnten auch Gesetze schaffen die mal so und mal so gelten. Haben wir auch schon getan. Die Könige der früheren Epochen hatten ganz andere Rechte als "das Volk" und für sie galten auch andere (oder sogar gar keine) Gesetze.
Das gehört zur Wirklichkeit der Gesetze, das sie lokal wirken, auf bestimmte Personengruppen begrenzt wirken, dass sie nicht, wie die Naturgesetze, die auf alle physischen Dinge wirken, auf alle Dinge Anwendung finden, sondern nur auf die Rechtsobjekte, die sie betreffen sollen. Ein Rechtsobjekt ist nicht weniger ein Objekt als ein physisches Objekt, und die Naturgesetze, die wir interpretieren, (denn andere haben wir nicht) sind nicht objektiver als die rechtlichen.
Das ist aber alles nur deshalb so, weil wir das so untereinander vereinbart und anerkannt haben. Nichts davon ist zwingend so wie es zwingend ist, dass Du Kraft aufwenden musst wenn Du einen Stein anheben willst. Deshalb ist es ja auch möglich Gesetze zu missachten. Naturgesetze kannst Du nicht missachten.
Ich behaupte nicht, dass ich diese Wirklichkeit kenne, nur, dass wir sie einsehen können und unsere Urteile danach ausrichten müssen, wenn wir wahre Aussagen machen wollen.
Naja. Also selbst wenn es das gäbe, wir könnten dann sowieso nicht wissen wie es sich wirklich verhält. Ich verzichte deshalb auch auf solche Vorstellungen. Das ist wie mit der Frage ob Gott existiert. Wir können das nicht wissen. Kann sein, kann auch nicht sein. Und der Agnostiker sagt dann einfach: Das ist nicht entscheidbar, also irrelevant.
Ich brauch auch keine "objektive Moral" um einzusehen, dass Regeln nötig sind. Und die Regeln selbst werden von mir auch nicht akzeptiert weil sie "objektiv" sind, sondern weil ich ihren Sinn einsehe. Und wenn ich ihn nicht einsehe, setze ich mich dafür ein dass sie abgeschafft werden. Für nichts davon brauche ich die Vorstellung einer "objektiven Moral": Die braucht man eigentlich nur aus einem Grund: Wenn man dem anderen den Schädel einschlagen und sich dabei selbst das moralische Recht dazu geben will. Der andere war ja im "Irrtum" und diesen Irrtum muss man ihm aus dem Schädel schlagen. Die "objektive" Moral dient dann einfach der Rechtfertigung.
Ich finde aber man sollte dann einfach so ehrlich sein zu sagen, dass die Moral an der Stelle einfach versagt statt von objektiver Wahrheit zu sprechen.



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