Vertrauen

Ursprünglich in der praktischen Philosophie beheimatet sind Theorien der Gesellschaft heute weitgehend von der Soziologie aufgegriffen worden.
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Jörn Budesheim
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Mi 14. Apr 2021, 06:30

Wir leben in arbeitsteiligen Gesellschaften. Die wenigsten Dinge, die wir als Gesellschaft gewissermaßen "im ganzen" können, kann auch jede:r einzelne. Ohne "epistemische" oder "kognitive Arbeitsteilung", aber auch "handwerkliche Arbeitsteilung" und was weiß ich noch wäre unsere Gesellschaft gar nicht möglich. Wir brauchen also Fachleute verschiedenster Art. Dieses System kann jedoch nicht funktionieren ohne Vertrauen. Vertrauen z.B. in diesen zwei Hinsichten: wir müssen darauf vertrauen können, dass Fachleute sich auf ihr Handwerk oder ihre Wissensgebiete verstehen. Und wir müssen darauf vertrauen, dass die Gesellschaft fähig ist, solche Fachleute hervorzubringen. Dafür gibt es z.B. verschiedenste Institutionen und Formen der Berufsausbildungen, die oft auch mit Auszeichnungen verbunden sind, manche Berufsbezeichnungen sind ja geschützt z.b. - ein anderes Beispiel sind akademische Titel.

Aber das ist nur ein Aspekt des Vertrauens, ohne welches eine komplexe Gesellschaft gar nicht möglich wäre. Wenn wir in der Öffentlichkeit* sind, müssen wir darauf vertrauen können, dass sich zumindest die meisten an die vielfältigen Regeln des Zusammenlebens halten - zumindest im Großen und Ganzen. Dazu zählen auch viele Dinge, die man als selbstverständlich erachtet, z.b. dass man in der Fußgängerzone nicht niedergeschlagen, angepöbelt, angespuckt oder einfach umgerannt wird. Und dass die anderen sich im Kino oder Theater oder im Museum angemessen verhalten, was auch immer angemessen im Einzelnen bedeutet.

Institutionen wie Versprechen wären ohne Vertrauen ebensowenig möglich. Sicherlich gibt es noch viele andere Bereiche, diese ohne Vertrauen nicht geben könnte. Vertrauen scheint eine grundlegende soziale Dimension zu sein. (Es scheint mir zudem ein ganz wichtiger Teil der gesellschaftlichen Solidarität zu sein.)

*Auch die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Raum basiert auf Vertrauen, scheint mir. Wir müssen schließlich darauf vertrauen, dass andere unseren privaten Bereich im Großen und Ganzen respektieren.

Diese Einleitung ist etwas unsystematisch geraten, aber das Thema In seiner Vielfalt sollte deutlich geworden sein :)




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Jörn Budesheim
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Mi 14. Apr 2021, 07:25

Wenn wir uns durch unsere einigermaßen geschützten Alltagsräume bewegen, dann sind wir ja überwiegend mit Dingen umgeben, die andere hergestellt haben und in deren Funktionieren wir vertrauen müssen und de facto oft auch können.

Vielleicht müssen wir auch ein Vertrauen darauf haben können, dass sich die Dinge insgesamt in einigermaßen verlässlichen und verständlichen Bahnen bewegen?!




Burkart
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Mi 14. Apr 2021, 08:09

Vertrauen... sicherlich grundsätzlich schön und gut...

Zählt auch dazu, dass niemand Corona für sich finanziell (stark) ausnutzt und sich so z.B. die Impfungen z.B. bei uns in Deutschland verzögern? (Z.B. mit Astra Zeneca)
Vertrauen wird so wohl immer nur bedingt gelten, also wenn jemand anders Profite machen kann....

Auch kann Vertrauen nur klappen, wenn man nicht durch Vertrauen über den Tisch gezogen wird, krass z.B. beim Enkeltrick, aber auch z.B. in Partnerschaften, wenn einer durch mehr Wissen mehr Macht über den Anderen ausüben kann.



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Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Jörn Budesheim
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Mi 14. Apr 2021, 10:09

Mir ist nicht klar, wofür oder wogegen du argumentierst. Ich hab geltend gemacht, dass Vertrauen in verschiedenen Hinsichten insbesondere für gesellschaftlichen Zusammenhänge besonders bedeutsam ist. Arbeitsteilung beispielsweise ist ohne Vertrauen nicht möglich. Sollen deine Beispiele das infrage stellen? Und wenn ja, wie?




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Stefanie
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Mi 14. Apr 2021, 22:15

Ich denke er meint vielleicht das.
Die Kehrseite des Vertrauens ist, dass Vertrauen missbraucht werden kann.
Passiert dies, funktioniert das beschriebene System nicht mehr richtig. Es liegt eine Regelverletzung vor.
Wird diese nicht wie auch immer geheilt, und das Vertrauen wieder hergestellt, geht u.U. das Vertrauen für immer verloren. Das wiederum schadet dem gesellschaftlichen Zusammenleben dauerhaft.
Im Grunde bestätigt der Missbrauch des Vertrauens und dessen Folgen, dass es ohne Vertrauen das gesellschaftliche Zusammenleben nicht funktioniert.



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Alethos
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Mi 14. Apr 2021, 22:52

Was den Wert des Vertrauens nochmal deutlich macht und die Notwendigkeit aufzeigt, vetrauensbildende Massnahmen, wo immer möglich, umzusetzen.

Denken wir uns eine Gesellschaft einmal ganz ohne Vertrauen. Dieser Satz würde nicht einmal beendet werden, weil ich mir selbst nicht trauen könnte, dass ich weiss, wovon ich rede, noch würde ich vertrauen können, dass ihr die Sprache versteht. Ich hielte euch alle zudem wahrscheinlich für böse Gestalten, die mir Böses wollen. Jeden auf dem Weg zur Arbeit hielte ich für einen Feind.

Darum aber braucht es meiner Meinung nach auch Kontrolle: Zum Bestätigen, dass Vertrauen eine Selbstverständlichkeit sein soll/muss: Lebensmittelkontrollen, Produktsicherheitskontrollen, Steuerhinterziehungskontrollen, Korruptionskontrollen und Faktchecks. Kontrolle ist nicht besser als Vertrauen, sondern Ausdruck des Vertrauens, das sich durchsetzen will und soll.



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AndreaH
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Mi 14. Apr 2021, 22:58

Ein offenes Vertrauen mit einer gesunden Skepsis... finde ich aus meiner Sicht gut.




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AndreaH
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Mi 14. Apr 2021, 23:21

Ich denke, Vertrauen braucht oder wobei es wachsen und sich verstärken kann ist Zeit!




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Jörn Budesheim
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Do 15. Apr 2021, 06:12

Stefanie hat geschrieben :
Mi 14. Apr 2021, 22:15
Im Grunde bestätigt der Missbrauch des Vertrauens und dessen Folgen, dass es ohne Vertrauen das gesellschaftliche Zusammenleben nicht funktioniert.
So ist es.




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Jörn Budesheim
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Do 15. Apr 2021, 06:30

Alethos hat geschrieben :
Mi 14. Apr 2021, 22:52
Jeden auf dem Weg zur Arbeit hielte ich für einen Feind.
Genau, die meisten Dinge des Alltags würden gar nicht mehr funktionieren ohne Vertrauen. Man stelle sich vor, man macht einen Bummel durch die Stadt, vielleicht wenn man sich ein schönes Buch kaufen will und tagträumt bereits darüber. Das ist nur möglich, wenn man eingebettet ist in eine Situation, in der man auf unendlich viele Dinge vertrauen kann, im Grunde ohne es zu reflektieren und präsent zu halten. Solches Bummeln und Tagträumen ist nur möglich, wenn man sich z.b. nicht die ganze Zeit über Gefahrenquellen orientieren muss. Man geht einfach davon aus, dass der Bürgersteig nicht alle paar Meter Stolperfallen enthält oder zusammenbricht. Man geht (im idealfall) davon aus, dass die anderen Fußgänger in der Fußgängerzone - ebenso wie man selbst - auf nachgerade magische Art und Weise die Präsenz der anderen irgendwie im Blick haben und so durch die Straßen flanieren, dass man sich beinahe mühelos gegenseitig ausweicht. (Das ist auch ein interessantes Phänomen für phänomenologische Fragestellungen!)

Das ist natürlich leider nicht zwingend so, jeder von uns kennt schließlich auch rüpelhaftes (oder rassistisches, bzw sexistisches, etc) Verhalten. (Vielleicht ist das sogar ein Gradmesser der Gerechtigkeit einer Gesellschaft, inwiefern alle in gleichem Maße auf ihr Funktionieren vertrauen können.)

Dabei gibt es natürlich verschiedenste Grade des Vertrauens oder eben des fehlenden Vertrauens: ich kann mich erinnern, dass ich mal in Frankfurt in der Nähe des Bahnhofs durch eine Straße gegangen bin, die ich lieber hätte meiden sollen. Das war eine extreme unangenehme Situation gelinde gesagt, ich hatte einfach Angst und war am Ende froh dass ich durch gekommen bin. Das war ein Prinzip eine Situation, wie Alethos sie in seinem Beitrag beschrieben hat.

Aber eine komplexe Gesellschaft wie die unsere, die wesentlichen auf Arbeitsteilung setzt, kann ohne eine Grundbasis des Vertrauens, das in einigen Fällen auf verschiedenste Art und Weise auch kontrolliert und "garantiert" wird, gar nicht existieren. Denn auch auf die Kontrolle müssen wir ja ihrerseits vertrauen. Vielleicht muss man sich präsent halten, dass wir (jede:r Einzelne) in denen allermeisten Dingen, für die es in unsere Gesellschaft Fachleute gibt, Laien sind. Wir müssen darauf vertrauen, dass die diversen Ausbildungssysteme mit ihren Prüfungen und Zertifikaten (und ähnlichem) einigermaßen funktionieren. Wir müssen das, da wir als Laien oft überhaupt nicht die Fähigkeit haben, selbst die Kontrolle auszuüben - einfach, weil wir keine Ahnung haben, worum es geht. Diese kognitive Arbeitsteilung z.b. macht jede:n Einzelne:n zum Laien in fast allen Bereichen. Nur so können wir überhaupt dieses hohe Maß an ausdifferenzierten Wissen über die Wirklichkeit erwirtschaften.




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Jörn Budesheim
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Do 15. Apr 2021, 07:51

[Einschub: mich würde auch interessieren ob und wenn ja, welchen Zusammenhang es gibt zwischen dem sogenannten principle of charity und Vertrauen im oben skizzierten (sehr weitläufig) Sinn. Irgendwie scheint es so zu sein, denn wenn ich kommuniziere und muss ich ja darauf vertrauen, dass der oder die andere gemäß dem principle of charity interpretiert. Oder?]




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Alethos
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Do 15. Apr 2021, 12:18

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 15. Apr 2021, 07:51
principle of charity und Vertrauen
Ich habe den Zusammenhang nicht eingehender analysiert, aber es scheint offenbar einen engen Zusammenhang zu geben.
Das Prinzip der wohlwollenden Interpretation gilt jedenfalls gegenseitig: Für den, der interpretiert, dass er so interpretiert, dass er dem anderen Wohlwollen entgegenbringt und für den, der interpretiert wird, dass er seine Aussagen apriori wohlmeint (und nicht etwa als Vorwurf, als Angriff oder unter Vorwegnahme der Annahme, dass der Andere ohnehin seiner nicht würdig sei etc. formuliert). Das gelingt gewiss nicht immer, aber es sollte unser Anspruch sein im Sinne vertrauensbildender Massnahmen.



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Do 15. Apr 2021, 12:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 15. Apr 2021, 06:30
Nur so können wir überhaupt dieses hohe Maß an ausdifferenzierten Wissen über die Wirklichkeit erwirtschaften.
Über diesen Zusammenhang von Wirklichkeit und Vertrauen denke ich seit diesem Thread bewusster nach.

Wir müssen generell beim Wissen über die Wirklichkeit darauf vertrauen, dass es sich so verhält, wie wir es feststellen. Vertrauen ist ein Gegenprogramm zum Skeptizismus, wenn wir es mit Skeptizismus in seiner "ganz üblen" Form :) zu tun haben. Wir erarbeiten uns gemeinsam ein Bild der Wirklichkeit, auch in ganz gewöhnlichen Situationen, etwa, in dem wir fragen: "Siehst du den Baum dort?" und wir Vertrauen in die Antwort legen: "Ja" . Wir rückversichern einander, indem wir uns gemeinsam in die Wirklichkeit einüben. Sehr ausgeprägt ist das bei Expertenwissen, da wir den Experten (Ärzten, Spezialisten usw.) einen Vertrauensvorschuss geben. Je spezialisierter unser Bild der Wirklichkeit ist, umso wichtiger und unumgänglicher ist es, dass wir "Wissen" delegieren an solche, von denen wir wenigstens glauben, dass sie "es wissen" können. Wirklichkeitserleben hat auch mit dem Vertrauen in die Erkennbarkeit von Tatsachen, auch durch Andere, zu tun. Durch andere etwa, in dem wir dank ihnen lernen. Hoffnung wiederum ist eine Form von Vertrauen darin, dass sie uns auch die Wahrheit sagen werden.



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Do 15. Apr 2021, 12:52

Alethos hat geschrieben :
Do 15. Apr 2021, 12:26
Skeptizismus
An den Begriff habe ich auch schon gedacht. Denn: was ist der Gegenbegriff zu "Vertrauen"? Naheliegenderweise "Misstrauen". Aber wie sieht es aus mit Skepsis, Kritik und ähnlichem? Kritik ist zumindest kein Gegenbegriff, da bin ich mir fürs Erste recht sicher. Jeder kennt welche, die ihr Misstrauen für eine Form von Kritik halten und auch welche, die jede Kritik als Misstrauen deuten ...

Man müsste eigentlich mal gute philosophische Literatur dazu suchen. Ich hab vor kurzem gelesen, dass Brandom ein Buch darüber geschrieben hat, the spirit of trust, soweit ich mich entsinne. Ich hab aber nichts dazu gefunden bisher.




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Alethos
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Do 15. Apr 2021, 16:24

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 15. Apr 2021, 12:52
Skepsis, Kritik und ähnlichem
Wir sprechen doch auch von "einer gesunden Portion" Skepsis. Es scheint auch hier die Dosis zu bestimmen, was gesund ist. Skeptizismus, gerade auch in seiner radikalen Form, halte ich für eine überdosiert skeptische Gundeinstellung.

Wenn wir "kritisch" sind, dann mahnen wir ja zur Vorsicht, weil wir Präzision einfordern. Diese Vorsich ist Ausdruck des Anspruchs , die Dinge wirklich genau auseinanderzuhalten. Ob das wiederum eine Form von Misstrauen ist, z.B. vom Misstrauen gegenüber zu simplen Antworten, kann ich nicht genau sagen. Aber es ist doch schon so, dass wir dem, was wie kritisieren, mit Skepsis begegnen. Vielleicht ist das kein Gefühl des Misstrauens im hier erörteten Sinn, als eher ein Bedürfnis nach Gründlichkeit?



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AndreaH
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Fr 16. Apr 2021, 03:22

Ich denke, Vertrauen gehört zu einen der schönsten Gefühle die wir leben können. Mit Vertrauen verbinde ich Aufrichtigkeit, Geborgenheit,  Sicherheit (denn dort wo ich mein Vertrauen hingebe, verlasse ich mich darauf, dass es gut aufgehoben ist), aber auch Mut mich auf etwas einzulassen;
Wenn Vertrauen gebrochen wird, ist es sehr verletzend.
Das zeigt vielleicht auch, warum Misstrauen und Vertrauen so eng zusammen liegen. Es ist vielleicht diese Verletzlichkeit die beim Vertrauen ganz offen liegt. Beim Misstrauen aber unberührt bleibt. Ist es die Verletzbarkeit die uns manchmal dazu bewegt, eher zu Misstrauen als zu Vertrauen?
Verlieren wir aber mit dem Misstrauen nicht auch sehr viel?
Ich denke, es ist ein großer Unterschied ob ich jemanden mit einer inneren Haltung des Misstrauens oder des Vertrauens gegenübertrete. Das innere Gefühl von mir selbst wäre jeweils ganz anders. Aber nicht nur das! Wenn ich jemanden mit Misstrauen begegne, ist dies für denjenigen sehr verletzend. Wir verlieren also sehr viel wenn wir Misstrauen. Leider zeigt uns unser Umfeld aber auch oft das Vertrauen missbraucht und gebrochen wird.

Ich habe daher nachgedacht, was für mich stimmig wäre von dieser Skepsis wegzukommen, die ich grundsätzlich so wichtig empfinde (die mir aber irgendwie zu sehr ins Misstrauen rutscht)

Wenn ich als Kind auf einer Mauer stand, forderten meine Eltern mich immer auf in ihre Arme zu hüpfen.
Das war sehr schön, denn ich konnte darauf vertrauen das ich aufgefangen wurde.
Ein Gefühl von Ehrlichkeit, Sicherheit und Verantwortung kam von meinen Eltern.
Sie haben also auch die Verantwortung für mich getragen. Ich gab diese Verantwortung ab.

Wenn ich zum Arzt gehe, vertraue ich meinem Arzt. Ich gebe ihm die Verantwortung für meine Wehwehchen, damit er mit seiner Fachkompetenz die richtigen Entscheidungen für mich trifft.

Vertrauen denke ich, ist immer auch zum Teil damit verbunden, Verantwortung abzugeben.
Ich kann aber in den meisten Situationen in denen ich Vertraue auch meine Eigenverantwortung behalten und muss sie nicht gänzlich abgeben. Wenn ich Verantwortung für mich selbst übernehme, bin ich ja wachsam zum Schutz für mich selbst. Das heißt, ich nehme einfach nur wahr, wenn mir etwas auffällt, was nicht stimmig passt.
Bei Misstrauen oder Skepsis würde ich nach Unstimmigkeiten direkt suchen.

Daher gefällt mir der Gedanke jetzt besser,
ein offenes Vertrauen, verbunden mit Eigenverantwortung.




Burkart
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Sa 17. Apr 2021, 09:22

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 14. Apr 2021, 10:09
Mir ist nicht klar, wofür oder wogegen du argumentierst. Ich hab geltend gemacht, dass Vertrauen in verschiedenen Hinsichten insbesondere für gesellschaftlichen Zusammenhänge besonders bedeutsam ist. Arbeitsteilung beispielsweise ist ohne Vertrauen nicht möglich. Sollen deine Beispiele das infrage stellen? Und wenn ja, wie?
Sorry, ich komme gerade nicht immer zu schnellen Antworten.
Stefanie hat es ja auch gut geschrieben bzw. für mich beantwortet hinsichtlich Vertrauens-Missbrauch.

Du hast recht: Vertrauen ist in unserer Gesellschaft wichtig, vor allem die Wirtschaft lebt davon, wie du bei "Arbeitsteilung" ja geschrieben hast Als der Suezkanal kürzlich dicht war, poppten sofort Probleme z.B. hinsichtlich von Lieferketten hoch.

Mein einer Punkt dazu war halt der mögliche Missbrauch. So versuchen gerade globale Firmen Ausgaben zu minimieren und Einnahmen zu maximieren, wovon nur relativ wenig Leute profitieren, viele aber darunter zu leiden haben. So werden gerne Löhne schön tief gehalten, während Leute sich ihrem Job anvertrauen. Auch Steuern werden z.T. minimiert, weil unser globales Wirtschaftssystem missbräuchlich dies zulässt. (Möge sich Biden mit der Mindestbesteuerung durchsetzen können...)
Oder nehmen wir den (in Berlin gescheiterten) Mietdeckel: Im Vertrauen auf unser WIrtschaftssystem profitieren gerade große Gesellschaften an den steigenden Mieten; das Vertrauen der vielen Mieter an Gerechtigkeit z.B. zur Politik und Gesellschaft schrumpft, wenn dagegen nichts getan wird - möge es ein schönes Wahlkampfthema sein...

Vertrauen... in Werbung hat wohl schon lange keiner mehr; was da so an Blödsinn erzählt wird... Und seit immer mehr bekannt wird, dass auch immer mehr Bewertungen im Internet gefälscht oder gar gekauft sind, wem soll man da noch vertrauen? Da lobe ich mir doch die Test-Zeitung und ähnliche.

Vertrauen wird immer mehr durch geschönte oder gar Fake-News untergraben, siehe Trump... Apropos: Schön, dass Biden Putin (wenn auch nur geringfügig) abgestraft hat wegen der Wahlmanipulation, die zum Trump-eltier geführt hatte, was unserer Welt einigen Schaden zufügen konnte (Klima, Iran usw.)

Vielleicht sollte man Fake-News u.ä. wirklich mal ordentlich bestrafen, vielleicht würde dann wieder mehr Vertrauen in die Welt kommen?
Ok, "Welt der normalen Alltags-Menschen", müsste ich vielleicht genauer sagen; die Welt der Wirtschaft hat ihre eigenen Kriterien und Regeln...

Interessanterweise zeigt Corona, dass unser Vertrauen in den normalen Alltag auch gerade sehr erschüttert wird. Einige Berufszweige haben riesige Probleme, während es für alle Menschen Einschränkungen gibt, die wir uns noch vor gut einem Jahr nicht mal ansatzweise hätten vorstellen können.
Und dann wäre da noch das gegenseitige Vertrauen in der Bevölkerung, dass man Corona möglichst schnell bekämpft... Wir sehen ja, dass das eben nicht klappt aus diversen Gründen, u.a. weil die Menschen sehr unterschiedlich solidarisch mitmachen oder eben auch nicht... was neben der Blödheit einzelner Menschen (z.B. innen in einer größeren Guppe zu feiern) auch an Maßnahmen wie der möglicherweise kommenden Ausgangssperre liegt, die zwar statistisch ein wenig Nutzen bringen mag, aber in vielen Einzelfällen einfach blödsinnig ist. Schön, wenn große (Innen-)Feiern vermieden werden, aber warum soll z.B. eine Fahrt nach 21 Uhr nach zu Hause verboten werden? Oder ist dies z.B. ein Ausnahmefall?
Wie soll man da den Maßnahmen (bzw. Politikern) vertrauen, wenn sie z.B. viel zu undifferenziert etwas beschließen (wollen)? Halten sie die Menschen für zu dämlich?

So, genug Frust abgelassen ;)
Vertrauen ist grundsätzlich gut, muss aber z.B. durch vernünftige Fakten untermauert sein. Leider wird das "vernünftig" nur sehr unterschiedlich gesehen...



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Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Sa 17. Apr 2021, 09:32

AndreaH hat geschrieben :
Fr 16. Apr 2021, 03:22
Wenn ich als Kind auf einer Mauer stand, forderten meine Eltern mich immer auf in ihre Arme zu hüpfen.
Das war sehr schön, denn ich konnte darauf vertrauen das ich aufgefangen wurde.
Ein Gefühl von Ehrlichkeit, Sicherheit und Verantwortung kam von meinen Eltern.
Sie haben also auch die Verantwortung für mich getragen. Ich gab diese Verantwortung ab.
Tja, als Kind war wohl die beste Zeit hinsichtllich Vertrauens, gerade weil man Eltern vorbehaltlos vertraute (zumindest allermeistens).
Wenn ich zum Arzt gehe, vertraue ich meinem Arzt. Ich gebe ihm die Verantwortung für meine Wehwehchen, damit er mit seiner Fachkompetenz die richtigen Entscheidungen für mich trifft.
Schön, wenn du das noch kannst; leider geht das bei Ärzten heutzutage schon nicht mehr uneingschränkt, z.B. wenn sie auf ihr Geld schauen. Zu bezahlende IGEL-Leistungen können so ein Beispiel sein.
Auch sind Ärzte alles andere als perfekte Götter in Weiß, machen auch Fehler, die dann gerne mal vertuscht werden...
Vertrauen denke ich, ist immer auch zum Teil damit verbunden, Verantwortung abzugeben.
Ich kann aber in den meisten Situationen in denen ich Vertraue auch meine Eigenverantwortung behalten und muss sie nicht gänzlich abgeben. Wenn ich Verantwortung für mich selbst übernehme, bin ich ja wachsam zum Schutz für mich selbst. Das heißt, ich nehme einfach nur wahr, wenn mir etwas auffällt, was nicht stimmig passt.
Bei Misstrauen oder Skepsis würde ich nach Unstimmigkeiten direkt suchen.

Daher gefällt mir der Gedanke jetzt besser,
ein offenes Vertrauen, verbunden mit Eigenverantwortung.
Ist das nicht nur eine Wortspielerei, damit man sich besser fühlen kann? Oder wo soll Eigenverantwortung herkommen, wenn nicht aus einem kritischen Blick heraus, ob man ihn nun Skepsis oder Misstrauen oder sonstwie nennt!? Oder inwiefern siehst du es ggf. anders?



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Sa 17. Apr 2021, 11:26

Burkart hat geschrieben :
Sa 17. Apr 2021, 09:22
Mein einer Punkt dazu war halt der mögliche Missbrauch.
Aber wofür ist der Punkt ein Punkt? Das verstehe ich nicht. Vertrauen kann ungerechtfertigt sein. Vertrauen kann missbraucht werden. Dafür brauchst du keine weiteren Beispiele sammeln. Das ist geschenkt. Was ich gerne wissen möchte ist, wofür oder wogegen du damit argumentieren willst. Was willst du damit zeigen?

Damit du weißt, worum es mir geht - ein oder zwei Beispiele: es könnte ja sein, dass du sagen willst, dass das gegenseitige Vertrauen erodiert, so dass der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht mehr gegeben ist. Oder es könnte sein, dass du sagen willst, das Vertrauen überhaupt nicht die besondere gesellschaftliche Rolle spielt, die ich ihr zugewiesen habe.




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Sa 17. Apr 2021, 11:59

Burkart hat geschrieben :
Sa 17. Apr 2021, 09:32
Skepsis oder Misstrauen oder sonstwie ...
Bist du wirklich der Ansicht, dass man Skepsis und Misstrauen in einen Topf werfen könnte?




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