Hilfe

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Jörn Budesheim
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Di 11. Aug 2020, 14:11

Was sind die generellen Kriterien, mit denen man beweisen kann, dass jemand Hilfe braucht? Und wieso soll man überhaupt helfen?




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NaWennDuMeinst
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Do 13. Aug 2020, 00:09

Auf die Schnelle: Wenn Jemand eine Situation alleine nicht meistern kann, dann braucht er Hilfe.
Und helfen müssen wir uns gegenseitig, weil wir alle immer wieder mal in Situationen geraten die wir alleine nicht bewältigen können.
Ist natürlich die Frage, warum man Situationen, die man alleine nicht bewältigen kann, trotzdem unter Inanspruchnahme von Hilfe bewältigen sollte.
Vorläufige Antwort: Weil Aufgeben manchmal keine Option ist, z.B. wenn das eigene Leben bedroht ist.



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
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(William Butler Yeats)

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NaWennDuMeinst
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Fr 14. Aug 2020, 19:10

Was mich beim Thema Hilfe momentan beschäftigt ist die Situation zwischen dem Libanon und Israel.
Du hast es ja vielleicht mitbekommen. Nach der schweren Explosion in Beirut hat Israel dem Libanon humanitäre Hilfe angeboten.
Der Libanon hat das mit der Begründung abgelehnt, man würde vom Gegner keine Hilfe annehmen.
Mich erstaunt das doppelt. Einerseits finde ich das moralisch eine vorbildliche Haltung von Israel, also zu sagen humanitäre Hilfe gehe über Konflikte.
Und dann bin ich sehr erstaunt darüber, dass man ein so ehrenvolles Angebot nicht annimmt. Ich meine sowas kommt ja auch nicht alle Tage vor und könnte vielleicht auch helfen die beiden Konfliktparteien wieder aneinander anzunähern. Ich finde Israel setzt mit diesem Hilfsangebot auch ein Zeichen. Für mich ist das eine ausgestreckte Hand.

Wie siehst Du das? Kannst Du die Haltung des Libanon verstehen?



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Alethos
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Fr 14. Aug 2020, 21:39

Ich kann Libanon verstehen auf der Ebene eines Staats, das sich gegen eine Besetzermacht im Nahen Osten so verhält, um ein Zeichen des Widerstands zu setzen.
Ich kann Libanon nicht verstehen, wo es eigentlich darum ginge, verletzten Menschen, Menschen, die ihr Hab und Gut verloren haben, zu helfen. Das ist das Vordringliche, dass man diesen konkreten Menschen hilft, die diese Hilfe benötigen und dass man es ihnen wegen ideologischer Grabenkämpfe nicht noch schwerer macht.

Wir dürfen nicht vergessen: Die Lage im
Nahen Osten ist extrem kompliziert. Zu sagen, dass die libanesische Regierung versagt hat, dürfte der Wahrheit
entsprechen, aber es dürfte auch wahr sein, dass der Hizbollah die Zersetzung des Staates vorallem deshalb vorantreiben kann, weil die USA und Israel (und ihre Verbündeten) ihre Interessen gegen Iran rücksichtslos durchzusetzen versuchen und auch hier skrupellos das Leben von Millionen in den Abgrund ziehen. Wer in dieser Geschichte der "Bösewicht" ist, lässt sich schon lange nicht mehr entscheiden: der Hizbollah, Iran, die USA, Israel - nun vielleicht auch noch die VAE, Türkei, Frankreich, Russland oder doch die EU? Interessenspolitik ist immer Zerstörungspolitik für diejenigen, in deren Interessen diese Politik nicht ist.

An erster Stelle stehen die Menschen - keine politischen Gesinnungen oder religiösen Einstellungen. Wenn wir das nicht erkennen, sind wie von einer Humanitas weit entfernt und wir alle sind keine Humanisten, sondern Karikaturen intelligenter Menschen, die zudem in einer traurigen Erzählung die tragische Hauptrolle spielen.

Es gibt keine Kompromisse, wo Menschen leiden. Hilfe ist die einzig richtige Antwort. Alle anderen Handlungen, auch wenn wir sie mit tausend Argumenten begründen, einfach falsch.



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Alle lächeln in derselben Sprache.

Burkart
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Registriert: Sa 11. Jul 2020, 09:59

Sa 15. Aug 2020, 09:26

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 11. Aug 2020, 14:11
Was sind die generellen Kriterien, mit denen man beweisen kann, dass jemand Hilfe braucht?
"Beweisen" ist mir ein zu hartes Kriterium, "(sehr) plausibel machen" fände ich sinnvoller.
Und wieso soll man überhaupt helfen?
Weil jemand darum bittet? Und es plausibel ist zu helfen?
Oder weil man meint, helfen zu müssen, was aber auch mal nach hinten losgehen kann...

Geht es dir eher um Einzelpersonen oder wirklich um Staaten, die in den Vorbeiträgen z.T. angenommen?
Alethos hat geschrieben : Es gibt keine Kompromisse, wo Menschen leiden.
Es gibt praktisch niemals nur schwarz und weiß, immer auch grau; nichts ist "kompromisslos", um Merkel zu zitieren.
Wenn es keinen Kompromiss gäbe, müssten wir nicht z.B. alle Leute nach Deutschland aufnehmen...?



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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NaWennDuMeinst
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Sa 15. Aug 2020, 10:55

Ja, es gibt wohl einen Unterschied zwischen der Frage wie man "beweist" (oder plausibel begründen kann) dass Jemand Hilfe braucht und der Frage ob Jemand die Hilfsbedürftigkeit auch einsieht (oder sie einsieht, Hilfe aber dennoch - zum Beispiel aus Stolz - ablehnt).
Es kann sein, dass Jemand tatsächlich Hilfe braucht, sie aber aus diversen Gründen ablehnt.
Es kann aber auch sein, dass ein übereifriger Helfer Hilfe anbietet (oder sogar aufzwingt) wo eigentlich keine nötig ist.

Im Falle des Libanon würde ich sagen, dass tatsächlich ein objektiv vorhandenes Hilfebedürfnis besteht. Es ist offensichtlich dass das schwer gebeutelte Land die Situation alleine, also ohne Hilfe von aussen, nicht angemessen bewältigen kann.
Wobei hier "angemessen" natürlich auch wieder davon abhängig ist, wie man sich eine angemessene Bewältigung vorstellt.



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NaWennDuMeinst
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Sa 15. Aug 2020, 17:19

Burkart hat geschrieben :
Sa 15. Aug 2020, 09:26
Es gibt praktisch niemals nur schwarz und weiß, immer auch grau; nichts ist "kompromisslos", um Merkel zu zitieren.
Wenn es keinen Kompromiss gäbe, müssten wir nicht z.B. alle Leute nach Deutschland aufnehmen...?
Nein. Denn das betrifft die Form der Hilfe, nicht die Frage ob man überhaupt helfen soll.
Ich hallte es für ein humanitäres Gebot zu helfen. Ein Gebot das direkt aus gewissen Wertevorstellungen folgt.
Deshalb freue ich mich ja auch so, dass zum Beispiel Israel die Differenzen mit dem Libanon zugunsten der humanitären Nothilfe zurückstellt.
Man muss das dann natürlich auch annehmen können, was aus diversen mehr oder weniger guten Gründen nicht erfolgt.



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