Da bin ich mir gar nicht so sicher
Ich hörte gerade, dass es eine deutsche (vielleicht auch europäische, westliche o.ä.) Unart sei, auf Teppichen zu stehen, jedenfalls mit (Straßen-)Schuhen. Das scheint woanders verpönt zu sein.
Da bin ich mir gar nicht so sicher
Für mich insgesamt, dass die heutige Perspektive des Deutsch-Seins vor allem in dem besteht, wie wir es heute wahrnehmen, und nicht, was in der Vergangenheit war und uns historisch beeinflusst hat.Jörn P Budesheim hat geschrieben : ↑So 13. Jul 2025, 11:54Was würde das daran ändern, dass es die Einflüsse in den vielfältigsten Formen gibt? Meines Erachtens: nichts.
Wir sind Wesen in der Zeit, Nationen sind historische Gebilde.Burkart hat geschrieben : ↑So 13. Jul 2025, 12:36Für mich insgesamt, dass die heutige Perspektive des Deutsch-Seins vor allem in dem besteht, wie wir es heute wahrnehmen, und nicht, was in der Vergangenheit war und uns historisch beeinflusst hat.Jörn P Budesheim hat geschrieben : ↑So 13. Jul 2025, 11:54Was würde das daran ändern, dass es die Einflüsse in den vielfältigsten Formen gibt? Meines Erachtens: nichts.
Ja…Jörn P Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 14. Jul 2025, 16:28Wir sind Wesen in der Zeit, Nationen sind historische Gebilde.
"[M]an [muss] sich darüber im Klaren sein, dass im Laufe der historischen Entwicklung sich ebenso der Typus eines sozialen Gebildes ändern kann wie die Zusammensetzung seiner Mitglieder."
(Francis, Emerich. "Das Volk als soziologische Kategorie." [1959.] In Ethnos und Demos: Soziologische Beiträge zur Volkstheorie, 42-59. Berlin: Duncker & Humblot, 1965. S. 54-5)
"Völker sind also dynamische Systeme sozialen Handeins genauso wie alle anderen Typen sozialer Gebilde. Sie sind dem unaufhörlichen Zerfall und Wiederaufbau unterworfen. Entvolkung, Umvolkung, Assimilation, Volkstumswandel und Volkstumswechsel – das alles sind, namentlich an Grenzen, alltägliche Erscheinungen. Sie sind jedenfalls die unvermeidliche Folge von Wanderungen, Eroberungen, Gebietsabtretungen oder staatlichen Neubildungen. Von größter Wichtigkeit ist dabei die Erkenntnis, dass mehr oder weniger willkürlich geschaffene politische Ordnungssysteme die Fähigkeit besitzen, in erstaunlich kurzer Zeit und ohne wesentliche Veränderung der realen Abstammungsverhältnisse ein Volk zu teilen, aber auch eine heterogene, also herkunftsverschiedene Bevölkerung so zu verbinden, dass sie schließlich als ethnische Einheit funktioniert. Der Schlüssel zum Verständnis solcher Erscheinungen aber ist die Erkenntnis, dass die als Grundlage ethnischer Gebilde bezeichnete Gemeinsamkeit der Herkunft von der sozialen Definition einer gegebenen Situation abhängt. Im Einzelfall können jeweils ganz verschiedene Faktoren – nicht nur biologische, sondern auch geographische, politische, religiöse und viele andere – in die soziale Definition der gemeinsamen Herkunft einer Gruppe von Menschen eingehen und so dazu führen, dass sie zu einem Volk wird."
(Francis, Emerich. "Das Volk als soziologische Kategorie." [1959.] In Ethnos und Demos: Soziologische Beiträge zur Volkstheorie, 42-59. Berlin: Duncker & Humblot, 1965. S. 57-8)
Soziologen wissen, dass geistige Vorstellungen (Repräsentationen) der und Einstellungen zur gesellschaftlichen Wirklichkeit ein konstitutiver Teil davon sind, was insbesondere für Ethnien, Nationen und Staaten gilt. Das heißt, solche sozialen Gebilde verhalten sich gegenüber unseren diesbezüglichen Vorstellungen, Glaubungen [1 und Erwartungen nicht gleichgültig wie der Mond und die Sonne. Ich würde jedoch nicht so weit gehen wie Yael Tamir und behaupten, dass "Nationen mentale Strukturen sind, die in den Köpfen ihrer Mitglieder existieren" [2; aber man könnte ihre Seinsweise als "Idealrealität" bezeichnen, weil der ideale (repräsentationale) Aspekt ein wesentlicher Teil davon ist. Die Selbst- bzw. Fremdrepräsentationen von Sozialkollektiven wie Völkern spielen eine maßgebliche Rolle."Es sollte offensichtlich sein, dass Nationen nicht unabhängig von den Vorstellungen existieren, die die Menschen über sie haben, wie es beispielsweise bei Vulkanen und Elefanten der Fall ist. Sobald wir die Kriterien dafür kennen, dass etwas eine Nation ist, lässt sich durch Beobachtung relativ einfach feststellen, ob ein bestimmtes Objekt ein Elefant oder ein Vulkan ist oder wie viele Elefanten (oder Vulkane) es in einer bestimmten Region der Erde gibt. Die analoge Frage nach Nationen wirft Schwierigkeiten anderer Art auf. Nicht nur sind die Kriterien komplexer; auch die Vorstellungen der Menschen über ihre Nationalität fließen in die Definition ein. Wenn wir also von einer Gruppe von Menschen sagen, dass sie eine Nation bilden, sagen wir nicht nur etwas über ihre physischen Merkmale oder ihr Verhalten aus, sondern auch über ihr Selbstverständnis. Und dies kann sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gruppe umstritten sein." [Google Translate]
(Miller, David. On Nationality. Oxford: Oxford University Press, 1995. p. 17)
"Im späten 11. und 12. Jahrhundert waren also jene Elemente zu einem Ganzen vereint, deren Zusammenwirken die deutsche Nation konstituierte. Es wäre müßig, nach einem Gründungsdatum des deutschen Reiches oder des deutschen Volkes Ausschau zu halten. Ebenso fruchtlos wäre es, ein Ereignis namhaft zu machen, bei dem sich das Deutschtum ein erstes Mal geregt und handelnd in die Geschichte eingegriffen hätte. Wer nach derartigen Fixpunkten sucht, hat ein lineares Entwicklungsschema vor Augen, kein systemisches. Die Geschichte eines sozialen Systems entfaltet sich nicht wie eine Pflanze, deren Keim bereits ihr genetisches Programm in sich trägt und, einmal in fruchtbare Erde gesteckt, ausschlagen muss; sie verläuft schon gar nicht nach dem mechanischen Prinzip einer Maschine, die gebaut und gestartet wird, um dann in Schwung zu kommen, und deren Erfindung mitunter auf den Tag genau zu datieren ist. Offene Systeme sind bei allem Gleichgewicht, das sie im Fluss der Zeiten halten müssen, um nicht zu zerfallen, transitorisch und transformieren sich fortgesetzt selbst."
(Fried, Johannes. Die Anfänge der Deutschen: Der Weg in die Geschichte. 2. Aufl. Berlin: Propyläen/Ullstein, 2015.)
"Was also war deutsch? Die Antwort darf knapp ausfallen: Weit entfernt, auch nur die geringste Spur von Nationalbewusstsein aufzuweisen, war es die Summe des Geschehens vom Zerfall des Frankenreiches an. Die Ethnogenese vollzog sich auf mehreren Ebenen: als politischer, sozialer und geistiger Prozess, als Namengebung, als Ausbildung einer volkssprachigen Literatur und als Selbstreflexion der Betroffenen. Der deutsche Adel heiratete weit überwiegend untereinander, regelmäßig über alle Stammesgrenzen hinweg, doch selten jenseits des »Regnum Teutonicum«. Das hatte gewiss keine nationalen Ursachen; gentile Vorurteile bis hin zum Fremdenhass, die nicht zu leugnen sind, verhinderten derartiges Zusammenwachsen nicht. Die Gründe waren praktischer Natur. Der politische Nutzen einer Ehe ließ sich, von den besonderen Bedingungen an den Grenzen im Osten oder Westen abgesehen, nur im Reich erzielen; auswärtige Ehen bedurften in der Regel spezieller Ursachen, sei es eines Friedensvertrags, sei es einer sichtbar zu machenden Freundschaft.
Die Namengebung der Deutschen, ihre ethnische Taufe, erstreckte sich über wenigstens dreihundert Jahre, vom späten 8. bis zum 12. Jahrhundert. Freudig angenommen wurde sie von ihnen nicht, eher zurückhaltend, etwas verwirrt, manchmal geradezu widerwillig. Ihr Deutschtum berührte nicht den Kern ihres kollektiven Selbst; es streifte die Fremdheit des von außen Aufgedrängtseins nicht völlig ab und ließ die Deutschen fortgesetzt sich selbst immer ein wenig fremd gegenübertreten. Ein einig Volk waren sie zuallerletzt; sie blieben in erster Linie Baiern, Sachsen, Kölner und dergleichen. Nur in der Fremde hießen sie und nannten sie sich »Deutsche«. Soziale Deutungsmuster für die Ethnogenese, an denen man sich hätte orientieren können, gab es nicht, und die gelehrtesten Zeitgenossen fanden keine hinzu. So ließ sich, was geschah, nur schemenhaft, in mancherlei Einzelwirkung, nicht als Gesamtprozess wahrnehmen und in seiner allgemeinen Bedeutung gar nicht erfassen. Die Deutschen wurden Deutsche, ohne darauf zu achten. Ihr neuer Name schlich sich in ihren Sprachgebrauch ein; sie gewöhnten sich unmerklich an ihn, bis sie sich Jahrhunderte später zu ihm bekannten.
Die zaghaft einsetzende nationale Selbstreflexion spiegelte sich in der Geschichtsschreibung. Bemerkenswert umständlich war die Darstellungsweise Notkers des Dichters von St. Gallen im 9. Jahrhundert. Er war sich dessen bewusst, mit anderen eine Sprachgemeinschaft zu bilden: »Wir, die wir die teutonische oder deutsche Sprache sprechen.« Der Satz bildete das älteste Zeugnis deutschen Selbstbewusstseins; es suggerierte mit dem Adjektiv »teutonisch« ein gentiles Substrat. Doch als Notker eines solchen tatsächlich bedurft hätte, fehlten ihm die Worte und Namen. Er konnte sich, wo er einer glanzvollen Manifestation von Einheit und Erwähltheit hatte Ausdruck geben wollen, nur in den blassen Allgemeinbegriff einer subjektlosen »Gesamtbevölkerung Germaniens (tota populositas Germaniae)« flüchten, die er „in Analogie zu Abraham und Sarah, ihren Kindern und Kindeskindern, dem Gottesvolk, und zu Sion, der Gottesstadt, rückte.
Anderen Geschichtsschreibern erging es kaum besser, und dies noch im 11. und 12. Jahrhundert. Auch dann waren Hilflosigkeit und Verlegenheit zu spüren, in welche der Prozess der Ethnogenese die schreibenden Zeitgenossen stürzte. Noch Adelbold von Utrecht, der Biograph Kaiser Heinrichs II., sprach von den »Deutschen (Teotonici)« nur, wenn er sie den »Italiern« und »Langobarden« gegenüberstellen konnte, nicht, solange er sie nördlich der Alpen wusste; dort ließ er nur die einzelnen »Gentes« agieren. Auch Otto III., aus Rom vertrieben, hielt den Römern in flammender Rede vor, ihretwegen seine Sachsen und alle Deutschen, sein Blut, verlassen zu haben: »Amore vestro meos Saxones et cunctos Theotiscos, sanguinem meum, proieci.« Das entsprach, soweit es die Sachsen betraf, der eigenen Perspektive des Mannes aus Sachsen, soweit es die Deutschen evozierte, der römisch-italischen Sicht, die Otto kannte.
Selbst der späte Otto von Freising, der Chronist in der Zeit Friedrich Barbarossas, setzte den Übergang der Krone von den Karolingern auf die Ottonen jenem von den Merowingern auf die Karolinger gleich und verstand ihn als einen schlichten Dynastienwechsel in der endlosen Kette der einander ablösenden Familien und Sprachen in ein und demselben Reich: »Mir scheint das Reich der Deutschen ein Teil des Reiches der Franken zu sein.« Sich selbst erkannte Otto in erster Linie als Baier; oft sprach er es aus: Das Baiernland sei »unser Land«. Einen Deutschen hat er sich nicht genannt. Autochthon erschien ohnehin nichts. Die einzelnen deutschen Völker glaubten jedes für sich, von irgendwoher, über das Meer, aus dem skandinavischen Norden oder aus dem Orient eingewandert zu sein. War dem nicht so, dann erfand man schnell die nötige Sage. Und doch vollzog sich die ganze Ethnogenese der Deutschen, ihr langsames Zu-sich-selbst-Kommen, hier im Land, das nicht urdeutsch war, sondern zögerlich und manchmal widerstrebend deutsch wurde."
(Fried, Johannes. Die Anfänge der Deutschen: Der Weg in die Geschichte. 2. Aufl. Berlin: Propyläen/Ullstein, 2015.)
"VORWORT
‚Typisch deutsch‘ — das ist ein Buchtitel, der zunächst einmal Skepsis auslöst. Das Wort „deutsch“ steht im Personalausweis und bezeichnet die Staatsangehörigkeit, die man sich im allgemeinen nicht selbst ausgesucht hat. Aber gehört man damit auch zu einer ganz bestimmten Sorte von Menschen? Blickt man auf die Vielfalt der Regionen und der beruflichen Sparten, denkt man an die ganz unterschiedlichen Prägungen durch die soziale Stellung, das Geschlecht, die Generation, dann erscheint es ziemlich leichtsinnig, von den Deutschen zu reden und ihnen dann auch noch ganz bestimmte Eigenschaften zuzuordnen: „Die Deutschen sind ...“ Aber seien wir ehrlich: Es ist ja doch nicht uninteressant, wie dieser Satz weitergeht. Was und wie sind sie denn, die Deutschen, die es eigentlich nicht gibt? Die Kategorisierung nach Nationalitäten scheint jedenfalls nicht ohne weiteres entbehrlich zu sein. Die Deutschen „entschlüpfen der Definition“, stellte Friedrich Nietzsche fest; aber im selben Passus versucht er sie zu definieren, und immer wieder sucht er dem deutschen Charakter auf die Spur zu kommen. Dabei beruft er sich auf andere große Geister, die ihrerseits dieses Charakterisierungsproblem umkreisten — weniger auf diejenigen, die nationalstolz verkündeten, was „wir Deutschen“ alles zu leisten imstande sind, als auf diejenigen, die aus einer gewissen Distanz über „die Deutschen“ urteilten.
Ihr Zugang ist allerdings trotzdem ein anderer als der von Fremden, für die verallgemeinernde Urteile über die Deutschen immer auch ein Leitseil sind, das ihnen in einem wenig bekannten Gelände Halt gibt. In beiden Fällen aber handelt es sich höchst selten um das Ergebnis vorsichtiger Analysen, meist sind es Klischees, Stereotypen, Vorurteile – unsichtbare Brillen, welche die Wirklichkeit einfärben und oft auch verzerren, an die man sich aber schnell gewöhnt. Wer glaubt, man könne erst einmal die Vorurteile beiseite schieben und dann die tatsächlichen Eigenschaften der Deutschen auflisten, erliegt mit dieser sauberen Trennung selbst einem Vorurteil. Die Bilder der Wirklichkeit werden grundsätzlich im Kopf zurechtgerückt und passieren dort das Geflecht der Vorurteile; und außerdem sind die Klischees ja nicht ganz zufällig – sie sind in einer bestimmten Konstellation von der Realität abgenommen worden und sind nicht zuletzt deshalb so widerstandsfähig, weil selten bestritten werden kann, daß noch immer ‚etwas Richtiges dran‘ ist.
In der folgenden Darstellung wird deshalb nicht der Versuch unternommen, das deutsche Wesen von den Verunreinigungen durch falsche Einschätzungen zu reinigen, um es in seinem vollen Glanz zu präsentieren. Es geht um die konkreten deutschen Wesen, um Männer, Frauen und auch Kinder, und um die Frage, was sie gemeinsam haben – angeblich oder tatsächlich. Zunächst wird gezeigt, auf welche Weise Typisierungen zustande kommen und welche Funktion sie haben. Danach werden Leitvorstellungen über die Deutschen unter die Lupe genommen. Ihre Spur wird in die Vergangenheit verfolgt, ihr Realitätsgehalt an Beobachtungen und zum Teil auch an harten Daten aus der Gegenwart überprüft und ihre Reichweite diskutiert. Nach einem Überblick über die für Deutschland und die Deutschen repräsentativen Symbole und Symbolgestalten wird schließlich ausdrücklich gefragt, ob die Kategorie des „typisch Deutschen“ angesichts der schnellen und tiefen Umbrüche unserer Zeit überhaupt noch plausibel ist.
Das Typische tritt nicht auf allen Gebieten gleich stark in Erscheinung; aber es versteht sich, daß sehr viele Lebensbereiche einzubeziehen waren und daß der Autor auf zahlreiche und vielfältige Untersuchungen und Schilderungen zurückgreifen mußte."
(Bausinger, Hermann. Typisch deutsch: Wie deutsch sind die Deutschen? 3. Aufl. München: C.H.Beck, 2002. S. 7-8)
Es gibt auch eine positive Seite:Jörn P Budesheim hat geschrieben : ↑So 13. Jul 2025, 09:46Nachtrag: Gleichzeitig wurde in Europa – und damit auch in Deutschland – oft ein negatives und/oder exotisierendes Bild des Orients geschworen. Die dortige Kultur wurde häufig als rückständig, despotisch was auch immer beschrieben, was es ermöglichte, sich selbst als fortschrittlich, aufgeklärt und zivilisiert abzugrenzen. Und natürlich hat auch diese Linie ihre Einflüsse bis zum heutigen Tage.
"Die orientalischen sprach- und landeskundlichen Wissenschaften wurden seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland, von deutschen Wissenschaftlern, zur Blüte gebracht. Doch an dieses Erbe gibt es heute kaum eine nennenswerte Erinnerung."
(Şenocak, Zafer. Deutschsein: Eine Aufklärungsschrift. Hamburg: Edition Körber-Stiftung, 2011. S. 33)
Der bereits erwähnte Historiker Johannes Fried schreibt in einem (sehr lesenswerten) Buch:Jörn P Budesheim hat geschrieben : ↑Sa 12. Jul 2025, 07:14…Die kulturellen und geistigen Beziehungen zwischen Orient und Europa sind tiefgreifend. Diese Tatbestände sind real und wirksam, spielen aber in vielen Diskussionen keine Rolle – auch wenn sie es eigentlich sollten.
"Die Ehe der byzantinischen Prinzessin Theophanu mit Kaiser Otto II. etwa und das Kaisertum ihres Sohnes Otto III. erschlossen den frühen, noch kaum zu sich selbst gelangten Deutschen die Kultur, das Wissen, die Kunst des Orients."
…
"Geschichte bietet einen einzigartigen Erfahrungsschatz, den einzigen, den wir Deutschen und alle Menschheit besitzen. Man kann und sollte aus ihm schöpfen und lernen, auch wenn das Handeln – über Individuen und Kollektive hinwegreichend – den materiellen, sozialen und psychischen Bedingungen des Augenblicks unterliegt. Alle Erfahrung bedarf der Anpassung an die Gegenwart, um fruchtbar werden zu können, doch keine Gegenwart lebt aus der Zukunft. Fortschritt in Wissenschaft und Kultur gründet auf Toleranz, auf Achtung des Anderen in seinem Anderssein und seines Wissens und Könnens, auf Zuhören und auf endlosem Lernen, wohl auch auf Demut vor der Würde des Fremden.
Das alles schließt die Muslime nicht aus. Kennt denn deren Islam, gegen den sich die [PEGIDA-]«Spaziergänger» explizit und gewaltbereit richten, keine Werte, keine Kultur, keine Leistungen? Sollen diese nicht respektiert werden? Bringen die Ankommenden nichts mit außer Leid und Armut? Ihren Traumata? Kein Wissen? Sollte es uns fremd erscheinen, so böte es doch eine intellektuelle Herausforderung, verlangte geistige (nicht handgreifliche) Auseinandersetzung, und damit Prüfung auch des Eigenen. Oder sollten wir reiselustigen, dem Tourismus huldigenden Deutsche, eben weil wir Deutsche sind, im Iran oder in Syrien, in Arabien oder im Maghreb verprügelt werden? Gewiss, weltliche Philosophie, Aufklärung durch den Gebrauch der Vernunft und kritische Geschichtswissenschaft wurden in den durch den Islam geprägten Ländern seit dem 13. Jahrhundert vielfach der Religion geopfert. Sie haben bislang mancherorts noch keine Renaissance erfahren und sind dort nicht oder nur in Ansätzen zuhause. Das aber berechtigt uns zu nichts, es sei denn zur Hilfe.
Und dennoch hatten wir «Abendländer», unsere Dichter und Denker, an der Kultur des Orients seit Jahrhunderten mit unendlichem Gewinn partizipiert, seit Harun al-Rashid, dem Partner Karls des Großen, seit dem glanzvollen Kalifat von Córdoba/Granada, der Kulturbrücke zur antiken und zur arabischen Gelehrsamkeit, seit dem durch die Kreuzzüge möglich gewordenen fruchtbaren Kontakt mit gebildeten Muslimen. Haben wir nicht ihre Nachhilfe in Technik, Ingenieurkunst, Astronomie, Mathematik, Medizin, Geographie, Philosophie oder Poesie aus deren Welt genossen? Der Rationalisierungsschub der Hochscholastik, an der auch deutsche Denker wie Albertus Magnus partizipierten, ist ohne die Auseinandersetzung mit Avicenna (Ibn Sina) oder Averroes (Ibn Rushd) undenkbar. Sind wir, wir Europäer und zumal wir Deutschen, nicht überhaupt bis in die Dichtung hinein das geistige Amalgam fremder Kulturen und eben auch der arabisch-muslimischen Welt?"
(Fried, Johannes. Die Deutschen: Eine Autobiographie. München: C.H.Beck, 2018.)
Apropos Zukunft. Man unterscheidet manchmal – idealtypisch gesprochen – zwischen Gesellschaften, die eher zukunftsorientiert sind, und solchen, die sich stärker in der Tradition verwurzelt sehen. Traditionelle Gesellschaften schätzen das Alter – etwa in Gestalt älterer Menschen, die als lebendige Bibliotheken gelten können. Sie betonen traditionelle Werte, Bräuche und Denkweisen, die ihnen als Kompass für das Handeln dienen. Zukunftsorientierte Gesellschaften hingegen reißen das Alte – bildlich gesprochen – eher ab und bauen Neues. Sie setzen auf Innovation, Wandel und Fortschritt. Vielleicht aber geht mit diesem "Fortschrittsdrang" auch der Sinn für die eigene Herkunft verloren.Zukunft
"Zum Glück gibt es auch jetzt noch wachere und gebildetere Deutsche als jenen ewiggestrigen, in rassistischem Nationalismus verharrenden Richter. Noch einmal sei daran erinnert. Auf Navid Kermani wurde bereits verwiesen. Er zeichnete ein geradezu kosmopolitisch geöffnetes, ein freundlicheres Land als jene Ewiggestrigen; es gab sich weltläufig, nicht eng und erfüllte fast die alte Sehnsucht der Romantiker. Ich freue mich, so schrieb Kermani, daß das Lebensgefühl mindestens in den Großstädten immer kosmopolitischer wird. (…) Manchmal stell ich mir ein Deutschland vor, ein Köln, in dem keine Ausländer mehr leben oder auch nur keine Türken – das wäre nicht nur schrecklich, es wäre vor allem öde. Solcher Kosmopolitismus bedeutete – wie etwa für Thomas Mann – interkulturelle, weltumspannende Offenheit, nicht wie ein Jahrhundert zuvor bei Max Scheler enge Selbstbespiegelung und hochtrabendes Eigenlob. Ihn zu realisieren fällt hierzulande freilich nicht immer leicht, doch über wirksame Heilmittel ist an dieser Stelle nicht zu handeln.“
(Fried, Johannes. Die Deutschen: Eine Autobiographie. München: C.H.Beck, 2018.)
"Alles verbindet mit anderen Nationen. Wir sollten anerkennen, dass wir den «anderen», den «Fremden», den vielen Kulturvölkern dieser Erde seit jeher gleichen, ja ihnen uns selbst verdanken. Lasst uns zu dieser Ein- und Aussicht «aufbrechen» (… en marche …): zu transnationaler, multikultureller, weltoffener Gemeinschaft. Lasst uns die Öde und Enge stumpfsinniger Selbstbespiegelung vergessen, lasst uns hoffen."
(Fried, Johannes. Die Deutschen: Eine Autobiographie. München: C.H.Beck, 2018.)
"Nationalistischer Egoismus und Identitätswahn indessen dringen nur aus den Deckeln und Ritzen einer übel stinkenden Hölle. Wir Deutschen sind gegen dergleichen Gestank und Gefahr nicht gefeit. Unsere großen Dichter und Denker gaben uns klar zu verstehen, dass wir als Lehrmeister der Völker nicht taugen.
In der Tat, Frank Wedekinds Warnung, die er vor zwei Weltkriegen und ihren verheerenden Folgen ergehen ließ, die einst zu wenig Hörer fand und auf steinigen Boden fiel, ist heute nicht weniger dringlich als damals. Sie freilich gilt nicht nur für «uns»: Der Nationalismus ist der Feind der Menschheit."
(Fried, Johannes. Die Deutschen: Eine Autobiographie. München: C.H.Beck, 2018.)
Fußnote: Bei Zitaten gebe ich normalerweise immer die genauen Seitenzahlen an; doch in diesem Fall habe ich nur eine E-Version des Buches ohne Seitenangaben, die denjenigen der Druckversion entsprechen—was mich ärgert.
"Kultureller Kosmopolitismus
Kultureller Kosmopolitismus ist die Fähigkeit, zwischen nationalen Traditionen, Schicksalsgemeinschaften und alternativen Lebensstilen zu vermitteln. Er umfasst die Möglichkeit des Dialogs mit den Traditionen und Diskursen anderer mit dem Ziel, den Horizont des eigenen Sinn- und Vorurteilsrahmens zu erweitern. Politische Akteure, die „aus der Perspektive anderer argumentieren“ können, sind wahrscheinlich besser gerüstet, die neuen und herausfordernden grenzüberschreitenden Probleme und Prozesse, die sich überschneidende Schicksalsgemeinschaften schaffen, fair zu lösen. Die Entwicklung eines solchen kulturellen Kosmopolitismus hängt davon ab, dass immer mehr Menschen die zunehmende Vernetzung politischer Gemeinschaften in verschiedenen Bereichen, einschließlich der Wirtschaft, Kultur und Umwelt, erkennen und ein Verständnis für sich überschneidende „kollektive Schicksale“ entwickeln, die kollektive Lösungen erfordern – lokal, national, regional und global.
Die Entstehung des kulturellen Kosmopolitismus hat durch das Ausmaß, die Intensität, die Geschwindigkeit und den Umfang der globalen kulturellen Kommunikation einen enormen Impuls erhalten, die heute ein unübertroffenes Niveau erreicht hat. Globale Kommunikationssysteme verändern die Beziehungen zwischen physischen Orten und sozialen Umständen und verändern die „situative Geographie“ des politischen und sozialen Lebens (Meyrowitz, 1985). Unter diesen Umständen wird die traditionelle Verbindung zwischen „physischem Umfeld“ und „sozialer Situation“ aufgebrochen. Geografische Grenzen können überwunden werden, da Einzelpersonen und Gruppen Ereignisse und Entwicklungen in der Ferne erleben. Darüber hinaus können neue Verständnisse, Gemeinsamkeiten und Bedeutungsrahmen ohne direkten Kontakt zwischen Menschen entwickelt werden. So können sie dazu beitragen, Identitäten von bestimmten Zeiten, Orten und Traditionen zu lösen – oder herauszulösen – und einen „pluralisierenden Einfluss“ auf die Identitätsbildung haben, wodurch eine Vielzahl von Optionen entsteht, die „weniger festgelegt oder einheitlich“ sind (Hall, 1992). Obwohl jeder ein lokales Leben führt, wird die Art und Weise, wie Menschen die Welt verstehen, zunehmend von Entwicklungen und Prozessen aus unterschiedlichen Kontexten durchdrungen. Hybridkulturen und transnationale Medienorganisationen sind in nationale Kulturen und nationale Identitäten vorgedrungen. Der kulturelle Kontext nationaler Traditionen verändert sich als Ergebnis.
Kultureller Kosmopolitismus betont „die Fluidität individueller Identität, die bemerkenswerte Fähigkeit der Menschen, mithilfe von Materialien aus unterschiedlichen kulturellen Quellen neue Identitäten zu schmieden und dabei zu gedeihen“ (Scheffler, 1999: 257). Er zelebriert, wie Rushdie es formulierte, „Hybridität, Unreinheit, Vermischung, die Transformation, die durch neue und unerwartete Kombinationen von Menschen, Kulturen, Ideen, Politik, Filmen, Liedern entsteht“ (zitiert in Waldron, 1992: 751). Doch es ist die Fähigkeit, sich außerhalb eines singulären kulturellen Ortes (des Ortes der Geburt, des Landes, der Erziehung, der Konversion) zu positionieren und Traditionen zu vermitteln, die ihm im Kern zugrunde liegen. Es gibt jedoch keine Garantie dafür, inwieweit sich eine solche Sichtweise durchsetzen wird; denn sie muss neben oft tief verwurzelten nationalen, ethnischen und religiösen Traditionen überleben und um Anerkennung ringen. Es handelt sich um eine kulturelle und kognitive Orientierung, nicht um eine Zwangsläufigkeit der Geschichte.
Die institutionellen Anforderungen des kulturellen Kosmopolitismus umfassen:
* die Anerkennung der zunehmenden Vernetzung politischer Gemeinschaften in verschiedenen Bereichen, einschließlich des sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen;
* die Entwicklung eines Verständnisses für sich überschneidende „kollektive Schicksale“, die kollektive Lösungen erfordern – lokal, national, regional und global; und
* die Wertschätzung von Unterschiedlichkeit, Vielfalt und Hybridität, während gleichzeitig gelernt wird, „aus der Perspektive anderer zu argumentieren“ und Traditionen zu vermitteln." [Google Translate]
(Held, David. Cosmopolitanism: Ideals and Realities. Cambridge: Polity, 2010. pp. 110-12)
"Kosmopolitischer Multikulturalismus
Kosmopolitismus und Multikulturalismus können als völlig unterschiedliche, ja sogar gegensätzliche ideologische Traditionen betrachtet werden. Während der Kosmopolitismus die Menschen zu einem globalen Bewusstsein ermutigt, das betont, dass ethische Verantwortung nicht an nationale Grenzen gebunden sein sollte, scheint der Multikulturalismus moralische Empfindungen zu spezifizieren und sich auf die spezifischen Bedürfnisse und Interessen einer bestimmten kulturellen Gruppe zu konzentrieren. Für Theoretiker wie Jeremy Waldron kann Multikulturalismus jedoch effektiv mit Kosmopolitismus gleichgesetzt werden. Kosmopolitische Multikulturalisten befürworten kulturelle Vielfalt und Identitätspolitik, betrachten diese jedoch im Wesentlichen als Übergangszustände in einer umfassenderen Neuordnung politischer Empfindungen und Prioritäten. Diese Position feiert Vielfalt aufgrund dessen, was jede Kultur von anderen Kulturen lernen kann, und aufgrund der Aussichten auf persönliche Selbstentwicklung, die eine Welt mit breiteren kulturellen Möglichkeiten und Optionen bietet. Dies führt zu einem sogenannten „Wahl-und-Misch“-Multikulturalismus [„pick-and-mix“-multiculturalism]. Interkulturalität und kultureller Austausch werden positiv gefördert. Menschen essen beispielsweise italienisches Essen, praktizieren Yoga, genießen afrikanische Musik und entwickeln ein Interesse an Weltreligionen.
Kultur ist aus dieser Perspektive fließend und reagiert auf sich verändernde soziale Umstände und persönliche Bedürfnisse; sie ist nicht starr und historisch verankert, wie pluralistische oder partikularistische Multikulturalisten argumentieren würden. Eine multikulturelle Gesellschaft ist somit ein Schmelztiegel unterschiedlicher Ideen, Werte und Traditionen und kein kulturelles Mosaik getrennter ethnischer und religiöser Gruppen. Insbesondere die kosmopolitische Haltung begrüßt Hybridität ausdrücklich. Dies erkennt an, dass in der modernen Welt individuelle Identität nicht durch eine einzige kulturelle Struktur erklärt werden kann, sondern, in Waldrons Worten (1995), als eine Mischung aus Verpflichtungen, Zugehörigkeiten und Rollen existiert. Für Waldron ist das Eintauchen in die Traditionen einer bestimmten Kultur tatsächlich wie ein Leben in Disneyland und der Glaube, dass die eigene Umgebung verkörpert, was Kultur ausmacht. Wenn wir alle heute bis zu einem gewissen Grad kulturelle „Mischlinge“ sind, ist Multikulturalismus sowohl ein innerer Zustand als auch ein Merkmal der modernen Gesellschaft. Der Vorteil dieser Form des Multikulturalismus liegt in der Erweiterung des moralischen und politischen Empfindens, was letztlich zur Entstehung einer „Eine-Welt“-Perspektive führt. Multikulturalisten aus rivalisierenden Traditionen kritisieren jedoch die kosmopolitische Haltung, weil sie das Miteinander auf Kosten der Verschiedenheit betont. Kulturelle Identität als Frage der Selbstdefinition zu betrachten und Hybridität und kulturelle Vermischung zu fördern, schwächt wohl jedes echte Gefühl kultureller Zugehörigkeit." [Google Translate]
(Heywood, Andrew. Political Ideologies: An Introduction. 7th ed. London: Red Globe/Macmillan, 2021. pp. 241-2)
"Vorwärts immer, rückwärts nimmer!" – Erich HoneckerJörn P Budesheim hat geschrieben : ↑Fr 18. Jul 2025, 08:26Apropos Zukunft. Man unterscheidet manchmal – idealtypisch gesprochen – zwischen Gesellschaften, die eher zukunftsorientiert sind, und solchen, die sich stärker in der Tradition verwurzelt sehen. Traditionelle Gesellschaften schätzen das Alter – etwa in Gestalt älterer Menschen, die als lebendige Bibliotheken gelten können. Sie betonen traditionelle Werte, Bräuche und Denkweisen, die ihnen als Kompass für das Handeln dienen. Zukunftsorientierte Gesellschaften hingegen reißen das Alte – bildlich gesprochen – eher ab und bauen Neues. Sie setzen auf Innovation, Wandel und Fortschritt. Vielleicht aber geht mit diesem "Fortschrittsdrang" auch der Sinn für die eigene Herkunft verloren.
"Die Jugend, auf die es für Deutschland ankommt, dringt zu den Wurzeln vor, um wieder anzuknüpfen. Hier liegt ihr Konservatismus, der sich diesmal nicht auf Dinge der Vergangenheit bezieht, sondern Zukunft sicherstellen will: der Dinge schaffen will, die aufzubewahren sich lohnt."
(Moeller van den Bruck, Arthur. "Die drei Generationen." Der Spiegel 18/19 (1919): 1–11. S. 10)
"[K]onservativ ist, Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt."
(Moeller van den Bruck, Arthur. Das Dritte Reich. 3. Aufl. [1. Aufl. 1923.] Hamburg: Hanseatische Verlagsanstalt, 1931. S. 264)
Es fragt sich allerdings, was in einem multikulturellen und multiethnischen Staatsvolk (Demos) als Quelle eines Gemeinschafts- oder Zusammengehörigkeitsgefühls übrig bleibt, wenn nicht die nationale Identität?
"Das sogenannte „nationale Identitätsargument“ postuliert, dass nationale Identität den „Zement“ oder „Klebstoff“ darstellt, der moderne, kulturell vielfältige Gesellschaften zusammenhält und sowohl Demokratie als auch soziale Gerechtigkeit fördert. Wenn sich Menschen über ihre viel spezifischeren geschlechtlichen, ethnischen, kulturellen oder religiösen Identitäten hinaus als Landsleute identifizieren, sind sie eher bereit, anderen, die sie nicht persönlich kennen, zu vertrauen und soziale Solidarität zu zeigen. Demokratie ist auf Vertrauen angewiesen, denn sie setzt voraus, dass sich die Menschen an die Spielregeln halten – beispielsweise eine Niederlage akzeptieren, wenn sie bei einer Wahl überstimmt werden – und auch bereit sind, nach Kompromisslösungen zu suchen, die für alle akzeptabel sind, wenn die öffentliche Meinung über ein Thema geteilt ist. Soziale Gerechtigkeit, wenn sie in Form von Umverteilung zugunsten derer erfolgt, die es schlecht haben oder besondere Bedürfnisse haben, hängt davon ab, dass die Wohlhabenden Solidarität mit den Nutznießern dieser Politik zeigen, indem sie den Wohlfahrtsstaat unterstützen und seinen Forderungen nachkommen (z. B. indem sie ihre Steuern ehrlich zahlen und die Vorteile, die er bietet, nicht ungerechtfertigt ausnutzen). Liberale Nationalisten behaupten, dieses rationale Argument allein reicht nicht aus, um Menschen zu solchen Taten zu motivieren. Es bedarf auch des emotionalen Impulses, den eine gemeinsame Identität mit sich bringt. Doch ob dies zutrifft – und insbesondere, welche Art von gemeinsamer Identität nötig ist, um Demokratie und soziale Gerechtigkeit zu untermauern – bleibt umstritten. Kritiker werden einwenden, dass nationale Identitäten, selbst wenn sie sich als starke Triebkräfte für Vertrauen und soziale Gerechtigkeit erweisen, auch zu Diskriminierung zugunsten derjenigen führen können, die als vollwertige Mitglieder des nationalen „Wir“ gelten, und zu Lasten derer, die als Randgruppen wahrgenommen werden – ethnische Minderheiten beispielsweise. Wir täten besser daran, sie zugunsten von etwas Umfassenderem wie einer gemeinsamen Staatsbürgerschaft aufzugeben, die als Quelle sozialer Solidarität dienen kann." [Google Translate]
(Gustavsson, Gina, & David Miller. "Introduction: Why Liberal Nationalism Today?" In Liberal Nationalism and Its Critics: Normative and Empirical Questions, ed. by Gina Gustavsson & David Miller, 1-20. Oxford: Oxford University Press, 2020. p. 3)