Recht auf Leben für Ungeborene?

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
Michael7Nigl
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Di 5. Mär 2024, 07:06

Die Verfassungsänderung in Frankreich für ein Recht auf Abtreibung ist der Anlass für diesen Thread.

Ich frage mich, ob ein Ungeborenes ein Recht auf Leben haben soll und - wenn ja - ob es niedriger einzustufen ist als die persönliche Freiheit der schwangeren Person.

Diese Frage beschäftigt mich schon seit Jahrzehnten und ich habe keine eindeutige Antwort darauf. Ich persönlich tendiere dazu, ungeborenes Leben für schützenswert zu halten. Diese persönliche Einstellung scheint mir jedoch kein hinreichender Grund zu sein, andere Menschen in ihrer Freiheit einzuschränken.

Kaum ein anderes Thema bietet solche Schwierigkeiten bei der Grenzziehung zwischen Zellhaufen und Person, Fremdbestimmung und Fremdschutz, Recht und Konvention.




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Lucian Wing
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Di 5. Mär 2024, 08:50

Michael7Nigl hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 07:06
Die Verfassungsänderung in Frankreich für ein Recht auf Abtreibung ist der Anlass für diesen Thread.

Ich frage mich, ob ein Ungeborenes ein Recht auf Leben haben soll und - wenn ja - ob es niedriger einzustufen ist als die persönliche Freiheit der schwangeren Person.

Diese Frage beschäftigt mich schon seit Jahrzehnten und ich habe keine eindeutige Antwort darauf. Ich persönlich tendiere dazu, ungeborenes Leben für schützenswert zu halten. Diese persönliche Einstellung scheint mir jedoch kein hinreichender Grund zu sein, andere Menschen in ihrer Freiheit einzuschränken.

Kaum ein anderes Thema bietet solche Schwierigkeiten bei der Grenzziehung zwischen Zellhaufen und Person, Fremdbestimmung und Fremdschutz, Recht und Konvention.
Ich hielte es für falsch, ein solches Recht gegen die betroffenen Frauen durchsetzen zu wollen. Solange man eine Grenze zieht durch ein Gesetz, das für Abtreibungen eine akzeptable Frist setzt - komplizierte Fälle von Schwerstschädigungen mal außen vor gelassen -, gehört das für mich zu den Fällen, in denen ich dem Staat keinen weiteren Zugriff auf das Individuum, also die schwangeren Frauen, geben möchte. Deshalb halte ich schon immer auch die deutsche Lösung mit der Zwangsberatung für falsch und würde eine Abschaffung und einen erneuten Versuch einer Fristenlösung, wie sie das Verfassungsgericht einst abgelehnt hat, befürworten.

In Frankreich ist die Zahl der Befürworter von Abtreibungen extrem hoch, und daher hielte ich ein Recht auf Leben mit einem Abtreibungsverbot für wenig demokratisch. Wie auch bei der Beihilfe zum Suizid sehe ich hier den Staat nicht in der Rolle eines Gesinnungswächters. Die Frauen gehen ja schließlich nicht zur Abtreibung wie jemand zum Einkaufen.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Lucian Wing hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 08:50
Ich hielte es für falsch, ein solches Recht gegen die betroffenen Frauen durchsetzen zu wollen.
Ich auch.

Aber Michael7Nigl fragt nach meinem Verständnis, wie man das philosophisch begründen kann. Nach meinem Gefühl kann die Philosophie das nicht allein, hier braucht es auch die Einsichten der Biologie, schätze ich.




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Lucian Wing
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Di 5. Mär 2024, 11:34

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 11:01
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 08:50
Ich hielte es für falsch, ein solches Recht gegen die betroffenen Frauen durchsetzen zu wollen.
Ich auch.

Aber Michael7Nigl fragt nach meinem Verständnis, wie man das philosophisch begründen kann. Nach meinem Gefühl kann die Philosophie das nicht allein, hier braucht es auch die Einsichten der Biologie, schätze ich.
Biologie kann uns im Grunde wenig weiterhelfen, weil das, was sie uns sagt, dann ethisch interpretiert werden muss. "Rechte" gibt es m.E. nicht außerhalb sozialer Beziehungen, daher wird man eben gezwungen sein, hier zweierlei "Leben" gegeneinander abzuwägen und mit entsprechenden Rechten auszustatten. Schlüssel scheint mir der Personenbegriff zu sein, der auf einen Embryo m.E. nicht anwendbar ist. Die Idee der "Potenzialität der Person" wie sie in der katholischen Lehre vertreten wird teile ich nicht bzw. verwerfe sie zugunsten der Interessen der tatsächlichen Person der schwangeren Frau.



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Jörn Budesheim
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Lucian Wing hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 11:34
Biologie kann uns im Grunde wenig weiterhelfen, weil das, was sie uns sagt, dann ethisch interpretiert werden muss.
Die Biologie kann nicht die ethischen Fragen beantworten, das ist klar. Aber im Zusammenspiel verschiedener Disziplinen kann jede ihre Kompetenz in die Waagschale werfen. Ich weiß gar nicht, wer da alles an einen Tisch gehört. Biologie, Philosophie, Politik, Frauenrechtlerinnen etc. Außerdem müsste man zuvor klären, inwiefern die Frage neu aufgerollt werden muss.




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Lucian Wing
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Di 5. Mär 2024, 12:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 11:47
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 11:34
Biologie kann uns im Grunde wenig weiterhelfen, weil das, was sie uns sagt, dann ethisch interpretiert werden muss.
Die Biologie kann nicht die ethischen Fragen beantworten, das ist klar. Aber im Zusammenspiel verschiedener Disziplinen kann jede ihre Kompetenz in die Waagschale werfen. Ich weiß gar nicht, wer da alles an einen Tisch gehört. Biologie, Philosophie, Politik, Frauenrechtlerinnen etc.
Biologen, Philosophen und Politiker genügen. Meinetwegen können dabei solche Gremien gerne auch nur oder zumindest mehrheitlich mit Frauen besetzt werden, dagegen ist nichts einzuwenden. Entscheiden muss letzten Endes die Politik, weil in der Demokratie nur die gewählten Volksvertreter hinreichend legitimiert sind. Frauenrechtlerinnen, ebenso wie Kirchenvertreter, sind Lobbyisten. Je weniger davon, desto besser. Die anderen genannten Nicht-Politiker kann man dagegen als Experten anhören.

Aus Sicht der praktischen Philosophie sieht die Sache für mich so aus, dass es keine vorsozialen Rechte gibt. Anders ausgedrückt: es gibt weder "natürliche" Rechte (Naturrecht) noch metaphysische Autoritäten (Gott), aus denen jeweils ein bestimmter Status für den "Zellhaufen" abgeleitet werden kann. Biologen können uns informieren, um welche Art "Leben" es sich qualitativ in welchem Stadium handelt. Aber "Leben" allein kann m.E. keinen gleichwertigen Personenstatus begründen, sonst dürften wir anders als zur Selbstverteidigung auch keine Tiere töten. Damit wird der Status des Zellhaufens demjenigen der schwangeren Frau immer nachgeordnet sein, und die Frage bleibt, mit welchem Recht wer und wie in das Leben der Schwangeren eingreifen darf. Ich meine: niemand. Deren Interessen gewichte ich höher als die des Embryos, und ich gewichte ihre Interessen in diesem Falle auch höher als diejenigen der Gesellschaft.



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Quk
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Di 5. Mär 2024, 13:24

Gedanke Nr. 1

Vergleiche das Leid der Beteiligten.

A - Das Leid, wenn Abtreibung erlaubt ist:
• Das Leid des Fötus, sofern er den Eingriff fühlen kann.
• Das Leid der Abtreibungsgegner in ihrem Wissen darum, dass Abtreibungen stattfinden.

B - Das Leid, wenn Abtreibung nicht erlaubt ist:
• Das Leid des Kindes unter seinen zukünftigen qualvollen Lebensbedingungen, sofern diese vorhersehbar sind.
• Das Leid der abtreibungswilligen Frau.

Welches Leid ist schwerer, A oder B? Das ist schwierig zu beantworten, aber man kann versuchen, dies wenigstens abzuwägen, und zwar von Fall zu Fall, nicht generell. Das schwerere Leid soll dann vermieden und das leichtere toleriert werden.



Gedanke Nr. 2

Für manche männlichen Abtreibungsgegner, so vermute ich, ist in dieser Problematik die Kindeszukunft an sich nur sekundär; primär ist vermutlich der eigene Machtwille darüber, dass jedwede Befruchtung durch den Mann auszuwachsen hat, egal, was Frauen dazu sagen. Wie gesagt, dieser Macht- oder Besitzwille ist, wenn überhaupt, nur bei manchen männlichen Abtreibungsgegnern zu vermuten, sicherlich nicht bei allen. -- Viele kennen das "Urteil des Salomon", nachdem zwei mutmaßliche Mütter an den Armen ihres vermeintlichen Kindes zogen, und die am stärksten ziehende Frau sich als Mutter beweisen wollte. Genau diese war laut Salomon nicht die wahre Mutter, weil sie ihre eigene Besitzgier höher einstufte als den Schmerz des Kindes beim Armeziehen.



Gedanke Nr. 3

Wie immer, wenn es darum geht, moralische Sätze für eine Gesellschaft zu entwerfen, stehen verschiedene, individuelle Interessen gegeneinander. Man ist sich zwar weitgehend einig über gewisse Prinzipien, aber bei der Feinjustierung gehen die persönlichen Freiheitsinteressen auseinander. An solchen Justierpunkten helfen keine rationalen Argumente mehr, weil die Rationalität schon voll befüllt ist mit der Tatsache, dass es verschiedene Freiheitsinteressen gibt. Die letzten Ausflüchte jenseits der ausgedienten Ratio sind dann Gottesgesetze oder dergleichen. Diese Beliebigkeit bedeutet am Ende, dass die Stärkeren den Konflikt gewinnen werden. Demnach ist diejenige Entscheidung die "richtige", die von den Stärkeren durchgesetzt wird. Das klingt nach Evolution. Was wird dann evolutiv gefördert oder vermieden? Das Leben oder das Leid? Zielt die Evolution auf die Vermehrung von Leid? -- (Mit "Stärke" meine ich nicht Muskelkraft, sondern Protestkraft.)




Michael7Nigl
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Mi 6. Mär 2024, 00:24

Danke für eure aufschlussreichen Beiträge. Besonders froh bin ich, dass hier bis jetzt niemand ideologisch argumentiert oder Extrempositionen vertreten hat, wie es für dieses Thema nicht ungewöhnlich wäre.

Entscheidend scheint mir am Ende die Frage, ob Rechte von Personen nur Konventionen sind, die je nach Gesellschaft willkürlich zu- oder abgesprochen werden können. Spätestens wenn man an das Recht im Dritten Reich denkt, stellt sich ein starkes Störgefühl dabei ein. Man möchte doch der Meinung sein, dass trotz einer gesellschaftlichen Legitimation etwa Verbrechen gegen die Menschlichkeit immer ein Unrecht sind.

Nach der Frage des Rechts kommt dann noch die Frage hinzu, was eigentlich Personen sind, welche die Träger von Rechten darstellen. Der Philosoph Thomas Buchheim vertritt in seinem Aufsatz "Was sind Personen?" (http://heideggerforum.main.jp/data18/Person%20Kyoto.pdf) die Auffassung, dass Person zu sein nicht nur eine Zuerkennung oder Zuschreibung sei, sondern auch ein ontologischer Status, welcher sie vor anderen Dingen, welche in der Welt vorkommen mögen, auszeichnet.


Zur praktischen Seite: Wenn eine abtreibungswillige schwangere Person für sich in Anspruch nimmt, über ihren Körper frei zu verfügen, dann frage ich mich schon, warum sie über ihren Körper in einer Weise frei verfügt hat, dass sie schwanger wurde, obwohl sie das eigentlich nicht wollte. In den meisten Fällen geschieht das wohl freiwillig. Für eine solche Handlung muss dann m.E. auch die Verantwortung übernommen werden, indem man das ungeborene Leben zur Welt bringt und nicht einfach tötet. Aber wie gesagt ist das nur meine persönliche Einstellung zum Thema Abtreibung.




Timberlake
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Mi 6. Mär 2024, 01:18

Michael7Nigl hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 07:06
Die Verfassungsänderung in Frankreich für ein Recht auf Abtreibung ist der Anlass für diesen Thread.

Ich frage mich, ob ein Ungeborenes ein Recht auf Leben haben soll und - wenn ja - ob es niedriger einzustufen ist als die persönliche Freiheit der schwangeren Person.

Diese Frage beschäftigt mich schon seit Jahrzehnten und ich habe keine eindeutige Antwort darauf. Ich persönlich tendiere dazu, ungeborenes Leben für schützenswert zu halten. Diese persönliche Einstellung scheint mir jedoch kein hinreichender Grund zu sein, andere Menschen in ihrer Freiheit einzuschränken.

Kaum ein anderes Thema bietet solche Schwierigkeiten bei der Grenzziehung zwischen Zellhaufen und Person, Fremdbestimmung und Fremdschutz, Recht und Konvention.
Wohl gemerkt ein Zellhaufen , wenn man es ihm machen lässt , der irgendwann zu einer Personen wird , die von daher ganz sicher nicht Fremdbestimmung werden will. Was mich selbst betrifft , so hätte ich mir seiner Zeit durchaus eine solche Fremdbestimmung gewünscht.

Quk hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 13:24


Gedanke Nr. 3

Wie immer, wenn es darum geht, moralische Sätze für eine Gesellschaft zu entwerfen, stehen verschiedene, individuelle Interessen gegeneinander. Man ist sich zwar weitgehend einig über gewisse Prinzipien, aber bei der Feinjustierung gehen die persönlichen Freiheitsinteressen auseinander. An solchen Justierpunkten helfen keine rationalen Argumente mehr, weil die Rationalität schon voll befüllt ist mit der Tatsache, dass es verschiedene Freiheitsinteressen gibt. Die letzten Ausflüchte jenseits der ausgedienten Ratio sind dann Gottesgesetze oder dergleichen. Diese Beliebigkeit bedeutet am Ende, dass die Stärkeren den Konflikt gewinnen werden. Demnach ist diejenige Entscheidung die "richtige", die von den Stärkeren durchgesetzt wird. Das klingt nach Evolution. Was wird dann evolutiv gefördert oder vermieden? Das Leben oder das Leid? Zielt die Evolution auf die Vermehrung von Leid? -- (Mit "Stärke" meine ich nicht Muskelkraft, sondern Protestkraft.)
.. von einer "Protestkraft" bei einem "Zellhaufen" kann übrigens ja nun wahrlich keine Rede sein.
Zuletzt geändert von Timberlake am Mi 6. Mär 2024, 01:52, insgesamt 1-mal geändert.




Timberlake
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Mi 6. Mär 2024, 01:39

Lucian Wing hat geschrieben :
Di 5. Mär 2024, 08:50
Die Frauen gehen ja schließlich nicht zur Abtreibung wie jemand zum Einkaufen.
... richtig ..
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 00:24

Zur praktischen Seite: Wenn eine abtreibungswillige schwangere Person für sich in Anspruch nimmt, über ihren Körper frei zu verfügen, dann frage ich mich schon, warum sie über ihren Körper in einer Weise frei verfügt hat, dass sie schwanger wurde, obwohl sie das eigentlich nicht wollte. In den meisten Fällen geschieht das wohl freiwillig.
.. wenngleich diese "praktischen Seite" mitunter tatsächlich den Charakter eines Einkaufs haben mag . ( Kojunktiv) Dazu ein Tipp von Nietzsche ..
  • "Selbst-Beherrschung und Mässigung und ihr letztes Motiv.
    Also: den Anlässen ausweichen, Regel in den Trieb hineinpflanzen, Übersättigung und Ekel an ihm erzeugen, und die Association eines quälenden Gedankens (wie den der Schande, der bösen Folgen oder des beleidigten Stolzes) zu Stande bringen, sodann die Dislocation der Kräfte und endlich die allgemeine Schwächung und Erschöpfung,das sind die sechs Methoden."
    Nietzsche .. Morgenröthe




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Quk
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Mi 6. Mär 2024, 03:48

Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 00:24
Zur praktischen Seite: Wenn eine abtreibungswillige schwangere Person für sich in Anspruch nimmt, über ihren Körper frei zu verfügen, dann frage ich mich schon, warum sie über ihren Körper in einer Weise frei verfügt hat, dass sie schwanger wurde, obwohl sie das eigentlich nicht wollte. In den meisten Fällen geschieht das wohl freiwillig. Für eine solche Handlung muss dann m.E. auch die Verantwortung übernommen werden, indem man das ungeborene Leben zur Welt bringt und nicht einfach tötet. Aber wie gesagt ist das nur meine persönliche Einstellung zum Thema Abtreibung.
Menschen machen Fehler. Manche machen sehr große Fehler. Frage: Wenn eine Frau keine Kontrolle über ihr Verhalten hat, ist das nicht ein Zeichen, dass sie für die Mutterrolle eher unreif als reif ist? Sie soll, weil sie unreif für ein Kind ist, das Kind ja nicht als Strafe bekommen. Sondern das Kind soll in einer reifen Umgebung aufwachsen, oder?

Timberlake hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 01:18
.. von einer "Protestkraft" bei einem "Zellhaufen" kann übrigens ja nun wahrlich keine Rede sein.
Erstens möchte ich einen Fötus nicht als Zellhaufen bezeichnen. Schau Dir mal Fotos von einem Fötus im dritten Monat an.
Zweitens bezieht sich mein Begriff "Protestkraft" natürlich auf erwachsene Befürworter und Gegner der Abtreibung.




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Stefanie
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Mi 6. Mär 2024, 06:18

Ich überlege, ob ich im laufe des Tages eine Information über die Zuverlässigkeit von Verhütungsmitteln poste.



Das Land, das die Fremden nicht beschützt, geht bald unter.
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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 08:56

Stefanie hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 06:18
Ich überlege, ob ich im laufe des Tages eine Information über die Zuverlässigkeit von Verhütungsmitteln poste.
Etwa die Hälfte aller Schwangerschaften weltweit ist ungewollt (etwa 120 Mio. im Jahr).

Aber ich halte das nicht für den wichtigsten Punkt. für mich das Wichtigste ist, dass ich zwei Situationen im Leben eines Menschen sehe, bei denen ich der Meinung bin, dass andere (die Gesellschaft) in keiner Weise über ihn verfügen sollen können. Die eine ist eben die Schwangerschaft, die andere selbstbestimmtes Sterben. In diesen beiden Fällen möchte ich, dass der Mensch jeder Art von Fremdbestimmung und Fremdverfügung entzogen bleibt. Das ist auf eine Weise persönlich und existenziell, dass hier in die Selbstbestimmung - schon gar nicht aus religiösen/ideologischen Gründen irgendwelcher Lebensschützer eingegriffen werden darf. Es ist in Ordnung, einer Schwangeren eine Frist zu setzen, aber darüber hinaus ist das tatsächlich ihr Körper - und die Entscheidung ist schon ohne Fremdeinmischung ganz sicher hart genug.

(Deshalb finde ich es auch gut, dass das Anquatschen von Frauen vor Abtreibungskliniken/-praxen mit einem Bußgeld belegt werden soll. Je höher das ausfällt, desto besser)



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Stefanie
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Mi 6. Mär 2024, 08:57

Michael7Nigl
Zur praktischen Seite: Wenn eine abtreibungswillige schwangere Person für sich in Anspruch nimmt, über ihren Körper frei zu verfügen, dann frage ich mich schon, warum sie über ihren Körper in einer Weise frei verfügt hat, dass sie schwanger wurde, obwohl sie das eigentlich nicht wollte. In den meisten Fällen geschieht das wohl freiwillig. Für eine solche Handlung muss dann m.E. auch die Verantwortung übernommen werden, indem man das ungeborene Leben zur Welt bringt und nicht einfach tötet. Aber wie gesagt ist das nur meine persönliche Einstellung zum Thema Abtreibung.
und darauf geantwortet:
Quk
Menschen machen Fehler. Manche machen sehr große Fehler. Frage: Wenn eine Frau keine Kontrolle über ihr Verhalten hat, ist das nicht ein Zeichen, dass sie für die Mutterrolle eher unreif als reif ist? Sie soll, weil sie unreif für ein Kind ist, das Kind ja nicht als Strafe bekommen. Sondern das Kind soll in einer reifen Umgebung aufwachsen, oder?

Welche Vorstellung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen, liegt diesen Euren Aussagen zu Grunde?
Irgendeine Idee, wie eine Frau schwanger werden kann trotz Verhütungsmittel?
Dürfen Frauen, die keine Kinder wollen, keinen Sex mehr haben? Das würde dann auch für Männer gelten, die keine Kinder wollen. Nur mal so gesagt.
Was für eine Frauenbild geistert hier durch die Zeilen?

Wie ist dieses hier "Wenn eine Frau keine Kontrolle über ihr Verhalten hat," zu verstehen? Über welches Verhalten keine Kontrolle hat?



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Stefanie
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Mi 6. Mär 2024, 08:59

Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 08:56
Stefanie hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 06:18
Ich überlege, ob ich im laufe des Tages eine Information über die Zuverlässigkeit von Verhütungsmitteln poste.
Etwa die Hälfte aller Schwangerschaften weltweit ist ungewollt (etwa 120 Mio. im Jahr).

Aber ich halte das nicht für den wichtigsten Punkt. für mich das Wichtigste ist, dass ich zwei Situationen im Leben eines Menschen sehe, bei denen ich der Meinung bin, dass andere (die Gesellschaft) in keiner Weise über ihn verfügen sollen können. Die eine ist eben die Schwangerschaft, die andere selbstbestimmtes Sterben. In diesen beiden Fällen möchte ich, dass der Mensch jeder Art von Fremdbestimmung und Fremdverfügung entzogen bleibt. Das ist auf eine Weise persönlich und existenziell, dass hier in die Selbstbestimmung - schon gar nicht aus religiösen/ideologischen Gründen irgendwelcher Lebensschützer eingegriffen werden darf. Es ist in Ordnung, einer Schwangeren eine Frist zu setzen, aber darüber hinaus ist das tatsächlich ihr Körper - und die Entscheidung ist schon ohne Fremdeinmischung ganz sicher hart genug.

(Deshalb finde ich es auch gut, dass das Anquatschen von Frauen vor Abtreibungskliniken/-praxen mit einem Bußgeld belegt werden soll. Je höher das ausfällt, desto besser)
Wir laufen zur Abwechslung mal in die dieselbe Richtung.



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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 09:07

Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 00:24


Zur praktischen Seite: Wenn eine abtreibungswillige schwangere Person für sich in Anspruch nimmt, über ihren Körper frei zu verfügen, dann frage ich mich schon, warum sie über ihren Körper in einer Weise frei verfügt hat, dass sie schwanger wurde, obwohl sie das eigentlich nicht wollte. In den meisten Fällen geschieht das wohl freiwillig. Für eine solche Handlung muss dann m.E. auch die Verantwortung übernommen werden, indem man das ungeborene Leben zur Welt bringt und nicht einfach tötet. Aber wie gesagt ist das nur meine persönliche Einstellung zum Thema Abtreibung.
Da frag ich mich, wo eigentlich die Verantwortung des Mannes bleibt?

Schon bei den Diskussionen in der Weimarer Republik um diese Frage gab es die durchaus nicht nur polemisch gemeinten Vorschläge, statt die Frauen die Männer zu bestrafen.

Der Kampf um den Körper der Frau ist wirklich schon sehr alt. Warum ist es so schwer vor allem für Männer, dieses Recht auf den eigenen Körper zu akzeptieren? Ich frage mal dagegen: Warum lassen sich so wenig Männer, die definitv keine Kinder zeugen wollen, sterilisieren? Wäre das nicht auch ein Stück Verantwortung zur Verhinderung ungewollter Schwangerschaften?



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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 09:48

Quk hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 03:48

Menschen machen Fehler. Manche machen sehr große Fehler. Frage: Wenn eine Frau keine Kontrolle über ihr Verhalten hat, ist das nicht ein Zeichen, dass sie für die Mutterrolle eher unreif als reif ist? Sie soll, weil sie unreif für ein Kind ist, das Kind ja nicht als Strafe bekommen. Sondern das Kind soll in einer reifen Umgebung aufwachsen, oder?
Die Frage geht auch an dich: Wo bleibt denn hier der Mann und dessen Kontrolle über sein Verhalten?

Dass Menschen, die Lust haben, einträchtig übereinander herzufallen und guten Sex zu haben, vielleicht weniger scharf und analytisch denken als ich jetzt hier am Computer wäre ja eine Einsicht, die jeder haben kann. Aber dass man den Kontrollmangel und ein ungewolltes Ergebnis dann einseitig auf das Verhalten der Frau abschiebt, finde ich das ganz ungewollt komisch :lol:



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Quk
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Mi 6. Mär 2024, 12:16

Stefanie hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 08:57
Michael7Nigl
Zur praktischen Seite: Wenn eine abtreibungswillige schwangere Person für sich in Anspruch nimmt, über ihren Körper frei zu verfügen, dann frage ich mich schon, warum sie über ihren Körper in einer Weise frei verfügt hat, dass sie schwanger wurde, obwohl sie das eigentlich nicht wollte. In den meisten Fällen geschieht das wohl freiwillig. Für eine solche Handlung muss dann m.E. auch die Verantwortung übernommen werden, indem man das ungeborene Leben zur Welt bringt und nicht einfach tötet. Aber wie gesagt ist das nur meine persönliche Einstellung zum Thema Abtreibung.
und darauf geantwortet:
Quk
Menschen machen Fehler. Manche machen sehr große Fehler. Frage: Wenn eine Frau keine Kontrolle über ihr Verhalten hat, ist das nicht ein Zeichen, dass sie für die Mutterrolle eher unreif als reif ist? Sie soll, weil sie unreif für ein Kind ist, das Kind ja nicht als Strafe bekommen. Sondern das Kind soll in einer reifen Umgebung aufwachsen, oder?

Welche Vorstellung von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen lassen, liegt diesen Euren Aussagen zu Grunde?
Irgendeine Idee, wie eine Frau schwanger werden kann trotz Verhütungsmittel?
Dürfen Frauen, die keine Kinder wollen, keinen Sex mehr haben? Das würde dann auch für Männer gelten, die keine Kinder wollen. Nur mal so gesagt.
Was für eine Frauenbild geistert hier durch die Zeilen?

Wie ist dieses hier "Wenn eine Frau keine Kontrolle über ihr Verhalten hat," zu verstehen? Über welches Verhalten keine Kontrolle hat?
Diese Reaktion in der Diskussion war erwartbar, weil ich außer den Stichwörtern "Frau" und "Verantwortung" keine weiteren wichtigen Stichwörter nannte. Mein Kommentar war genau zugeschnitten auf den Kommentar von Michael. Nicht mehr und nicht weniger. Er sprach von einer schwangeren Person, die nur eine Frau sein kann, und deren ausgebliebene Verantwortung. Ich kritisierte Michaels Verantwortungslogik in Bezug auf die Frau.

Eins nach dem anderen. Ich persönlich befürworte die Abtreibung bis zum dritten Monat und weiß außerdem, dass auch Männer für die Befruchtung verantwortlich sind, und dass Verhütungsmittel technisch versagen können. Es gibt auch Vergewaltigungen.

Ich kann meine Unterstützung für die Abtreibung übrigens nicht rational begründen, ebenso wie ich die Begründung der Opposition für keine rationale halte. All unsere Begründungen klingen zwar rational, aber sie sind keine Letztbegründungen, sondern nur Rechtfertigungen unserer persönlichen individuellen Freiheitsinteressen und unseres Willens, anders gelagerten Mächten nicht gehorchen zu wollen. Nun, dieser Satz wiederum mag auch rational klingen, aber er begründet nicht die Wurzel des Entscheidungsgedankenbaums.




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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 12:56

Quk hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 12:16

Ich kann meine Unterstützung für die Abtreibung übrigens nicht rational begründen, ebenso wie ich die Begründung der Opposition für keine rationale halte. All unsere Begründungen klingen zwar rational, aber sie sind keine Letztbegründungen, sondern nur Rechtfertigungen unserer persönlichen individuellen Freiheitsinteressen und unseres Willens, anders gelagerten Mächten nicht gehorchen zu wollen. Nun, dieser Satz wiederum mag auch rational klingen, aber er begründet nicht die Wurzel des Entscheidungsgedankenbaums.
Warum nicht? Was ist irrational daran zu sagen, dass weder Staat noch Gesellschaft Zugriff auf den Körper der Frau bekommen sollten? Ich halte das für eine völlig rationale ethische Forderung, insbesondere auch mit Blick auf die menschliche Wirklichkeit.

Ich bin auch nicht "für Abtreibung", sondern schlicht der Meinung, dass es keine rationale Rechtfertigung für einen Zugriff auf den Körper der Frauen gibt, diese also in ihrer Entscheidung frei sein sollen.

Ich bin mir darüber hinaus sicher, dass Männer keinen vergleichbaren Eingriff in ihre Körperlichkeit dulden würden. Warum verpflichtet man denn nicht Männer, an der Zwangsberatung zum Schwangerschaftsabbruch teilzunehmen? Notfalls auch hinterher und/oder getrennt, um Frauen nicht zu hindern an der Wahrnehmung ihres Rechts. Wenn man schon diese wenig würdevolle Prozedur nicht abschaffen möchte.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Quk
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Mi 6. Mär 2024, 14:06

Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 12:56
Was ist irrational daran zu sagen, dass weder Staat noch Gesellschaft Zugriff auf den Körper der Frau bekommen sollten?
Meines Erachtens ist dieser fettgedruckte Halbsatz weder eine irrationale noch eine rationale Begründung. Er ist überhaupt keine Begründung. Er ist eine Forderung.

Warum soll so ein staatlicher Zugriff nicht erlaubt sein, meiner Meinung nach?

Weil ich so einen Zugriff nicht will.

Warum will ich das nicht?

Weil das mein Wille ist.

Womit begründet mein Wille das?

Mein Wille richtet sich nach dem, was mir gut tut.

Geht es mir gut, wenn es anderen gut geht? Ja.
Geht es mir gut, wenn es mir gut geht? Ja.
Tut alles, was ich tue, anderen gut? Nein.
Tut alles, was andere tun, mir gut? Nein.

Eine universelle Bejahung jedweder Forderung ist möglich? Nein. Ist so eine Forderung trotzdem rational? Nein. Sie ist paradox.




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