Recht auf Leben für Ungeborene?

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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Jörn Budesheim
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Mi 6. Mär 2024, 14:09

Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 12:56
Was ist irrational daran zu sagen, dass weder Staat noch Gesellschaft Zugriff auf den Körper der Frau bekommen sollten?
Das ist nicht unvernünftig, aber es setzt erstmal unbegründet voraus, dass das Gleiche nicht auch für den Fötus gilt. Und ich denke, das wird von einigen in Frage gestellt. Hier ist meines Erachtens die Biologie gefragt. Ich bin kein Biologe. Nach meinem Gefühl wiegen die Rechte der Frau schwerer, deswegen unterstütze ich die Positionen, die weiter oben mehrheitlich vertreten wurden.




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Stefanie
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Mi 6. Mär 2024, 14:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 14:09
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 12:56
Was ist irrational daran zu sagen, dass weder Staat noch Gesellschaft Zugriff auf den Körper der Frau bekommen sollten?
Das ist nicht unvernünftig, aber es setzt erstmal unbegründet voraus, dass das Gleiche nicht auch für den Fötus gilt. Und ich denke, das wird von einigen in Frage gestellt. Hier ist meines Erachtens die Biologie gefragt. Ich bin kein Biologe. Nach meinem Gefühl wiegen die Rechte der Frau schwerer, deswegen unterstütze ich die Positionen, die weiter oben mehrheitlich vertreten wurden.
Jörn, Deinen Satz verstehe ich nicht.
Was soll für den Fötus gelten, dass der Staat/Gesellschaft Zugriff auch auf ihn nimmt? ?



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Jörn Budesheim
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Mi 6. Mär 2024, 16:11

Stefanie hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 14:54
Jörn, Deinen Satz verstehe ich nicht.
Lucian fragt, was irrational daran sei zu sagen, dass weder der Staat noch die Gesellschaft Zugriff auf den Körper der Frau haben sollten. Aber das erklärt noch nicht, warum Staat und Gesellschaft Zugriff auf den Körper oder das Leben des Fötus haben sollten. Wenn ich es richtig sehe, ist das die (oder eine der) Frage(n), die sich Michael stellt.

Ab wann muss das Leben des Fötus geschützt werden? Wie kann man das feststellen? "Frankreich verankert Recht auf Abtreibung in Verfassung", heißt es in der Tagesschau. Das begrüße ich. Aber wenn ich philosophisch dafür einstehen müsste, bin ich mir nicht sicher, wie gut ich das könnte. Die Belange der Frauen wiegen meiner Ansicht nach schwerer. Aber ist das ein gutes Argument?

"Wir haben eine moralische Pflicht gegenüber den Frauen", sagte Premierminister Gabriel Attal mit Blick auf die Frauen, die bei heimlichen Abtreibungen gelitten hätten oder gestorben seien. "Wir senden eine Botschaft an alle Frauen: Ihr Körper gehört Ihnen und niemand kann für Sie entscheiden." Präsident Macron schrieb dazu im Onlinedienst X: "Frankreichs Stolz. Universelle Botschaft." (Tagesschau)




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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 16:29

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 14:09
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 12:56
Was ist irrational daran zu sagen, dass weder Staat noch Gesellschaft Zugriff auf den Körper der Frau bekommen sollten?
Das ist nicht unvernünftig, aber es setzt erstmal unbegründet voraus, dass das Gleiche nicht auch für den Fötus gilt. Und ich denke, das wird von einigen in Frage gestellt. Hier ist meines Erachtens die Biologie gefragt. Ich bin kein Biologe. Nach meinem Gefühl wiegen die Rechte der Frau schwerer, deswegen unterstütze ich die Positionen, die weiter oben mehrheitlich vertreten wurden.
Biologisch ist für mich der Punkt, dass der Fötus Teil des Lebens/Körpers der Frau ist. Er ist ohne dieses Leben selbst keines. Das ist der Grund, weshalb ich ihn in diesem Stadium überhaupt nicht getrennt vom Körper der Frau denke. Die Frau ist kein Gefäß, das einen getrennt von ihr vorhandenen Körper, eine getrennte Entität, beinhaltet. Das machen wir erst durch Bezugnahme auf den Fötus als ein eigenständiges, vom Körper der Frau getrenntes "Leben". Die Biologie kann das m.E. nicht leisten.

Es gibt m.W.n. auch keinen wirklich wasserdichten Begriff von "Leben". Die Frage wäre doch, ob Krebszellen auch "Leben" sind?



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Mi 6. Mär 2024, 16:45

Spiegel/29.05.2005 hat geschrieben : Die meisten Deutschen sind nicht, wie der Gesetzgeber, der Auffassung, eine befruchtete Eizelle müsse bereits als menschliches Wesen betrachtet werden. Das ergab eine Befragung von 428 Personen durch Bioethik-Forscher der Universität Freiburg. Nur knapp ein Drittel der Befragten gab an, den Embryo bereits vor seiner Einnistung in die Gebärmutter als Menschen anzusehen; für etwa ein Viertel beginnt das Menschsein erst, wenn sich der Embryo sechs Tage nach der Befruchtung einnistet. Alle anderen - insgesamt mehr als 40 Prozent - setzen den Zeitpunkt der Menschwerdung sogar noch später an. Als besonders wichtig wird zum Beispiel die Ausbildung des Gehirns betrachtet. »Überrascht hat mich vor allem, dass diese Ansichten der Allgemeinbevölkerung ziemlich genau denen entsprechen, die wir bei Humangenetikern, also Fachkundigen, erfragt haben«, so der Psychologe Jürgen Barth, Autor der Studie. Frauen und Männer hingegen unterschieden sich in ihrer Meinung deutlich: »In den Augen der Frauen wird ein Embryo viel früher zum Menschen als in denen der Männer.«




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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 16:52

Weil Abtreibung ja auch immer eine heiß diskutierte Frage unter Theologen ist und war, sei mal an die "Animationsfrage" erinnert, über die man sich im Mittelalter und dann noch einmal heftig im 19. JH in Deutschland gestritten hat. Ursprünglich galt das Embryo mal als unbeseelt, irgendwann im Mittelalter (ich müsste nachschauen, wann genau) haben Theologen dann festgelegt, dass eine "Beseelung" stattfände. Ich meine, es sei die 14. Woche gewesen, aber ich müsste nochmal nachschauen, vermutlich in einem der Bücher von Kurt Flasch, wo ich das zu meiner Erheiterung gelesen habe. Jedenfalls war damit auch die Frage der Abtreibung verbunden, und frühe Theologen des Christentums waren sich hier durchaus nicht einig. Erst spät hat die Kirche ihre aktuelle Position zum Embryo entwickelt, und die "Potenzialität" des Personen-Seins, das auch die Position der Kirche zu bestimmten Forschungen an Prä-Embryonen bestimmt, ist absolut jüngeren Datums.



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Michael7Nigl
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Mi 6. Mär 2024, 20:56

Zur Ergänzung und Klärung: Meiner philosophischen Frage liegt kein spezielles Frauenbild zugrunde, sondern das Problem, inwieweit ein Ungeborenes als Person anerkannt werden muss, über dessen Rechte und Existenz nicht einfach willkürlich entschieden werden darf. Dabei sehe ich beide Elternteile gleichermaßen in der Verantwortung, wobei die Frage der Abtreibung letztendlich doch von der schwangeren Person entschieden werden muss.

Ich respektiere ausdrücklich jede vernünftige Meinung zu diesem Thema. Ich selbst vertrete keine dezidierte politische Position dazu, nur eine persönliche Einstellung. Das Entwicklungsstadium des Embryo bzw. Fötus spielt gewiss auch eine Rolle.

Die Verfassungsänderung in Frankreich scheint mir das Recht der schwangeren Person auf Selbstbestimmung gegenüber dem Recht des Ungeborenen auf Leben einseitig überzubetonen. Andererseits fände ich die entgegengesetzte Position aber ebenso falsch.
Zuletzt geändert von Michael7Nigl am Mi 6. Mär 2024, 21:10, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Mi 6. Mär 2024, 21:00

Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 16:52
Ursprünglich galt das Embryo mal als unbeseelt, irgendwann im Mittelalter (ich müsste nachschauen, wann genau) haben Theologen dann festgelegt, dass eine "Beseelung" stattfände. Ich meine, es sei die 14. Woche gewesen, aber ich müsste nochmal nachschauen, vermutlich in einem der Bücher von Kurt Flasch, wo ich das zu meiner Erheiterung gelesen habe.
Was hat an dieser Stelle eigentlich zu deiner Erheiterung geführt? Genau dieselben Fragen stellen wir uns doch heute auch. Wir reden heute zwar nicht mehr von Seele, sondern nutzen lieber die griechische Übersetzung dieses Wortes: Psyche. Aber der Sache nach geht es um die selben Fragen. Und sogar die Zeitspanne von 14 Wochen ähnelt den Zeiträumen in unseren Regelungen.




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Stefanie
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Mi 6. Mär 2024, 21:36

Ein paar Zahlen. Für Deutschland.
Die vier häufigsten Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch
1. Biographische Gründe bzw. Zeitpunkt der Schwangerschaft
2. Partnerschaftsprobleme und Beziehungsstatus
3. Überlastung
4. Medizinische Gründe
Den einen Grund, warum ein Schwangerschaftsabbruch im Raum steht, gibt es dabei meistens nicht. In der Regel spielen ganz vielschichtige Umstände in die Entscheidung mit hinein.
Quelle
https://www.profemina.org/de-de/abtreib ... te-gruende
Hinzukommt kommt immer die allge. Lage, Krisen, Kriege, Inflation.

Zahlen:
Es gibt auch schon die Zahlen für 2022, die etwas schlecht dargestellt sind. Im wesentlichen ist die Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche konstant. Corona hat sich auch ausgewirkt.
https://www.bpb.de/kurz-knapp/zahlen-un ... abbrueche/
Im Jahr 2021 erfolgten drei von vier Schwangerschaftsabbrüchen innerhalb der ersten zwei Monate der Schwangerschaft. Sehr viele Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, hatten zuvor noch keine Lebendgeburt – im Jahr 2021 lag ihr Anteil bei 40,9 Prozent. Im selben Jahr waren deutschlandweit 58 Prozent der Frauen zum Zeitpunkt des Eingriffs ledig, 38 Prozent waren verheiratet und 4 Prozent waren geschieden oder verwitwet.



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Stefanie
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Mi 6. Mär 2024, 21:53

Eine Fötus gegen den Willen der Frau zu schützen, bedeutet, die Frau zu zwingend, eine Schwangerschaft gegen ihren Willen auszutragen. Mit allen körperlichen und seelischen Folgen. Die andere Folge kann und wird sein, dass Frauen andere Wege suchen und finden, die Schwangerschaft zu beenden. Das bedeutet eine großes Risiko für die Gesundheit und sie werden dann auch noch kriminalisiert.

Es würde mehr helfen, wenn es neutrale, und zwar wirklich neutrale Beratungsangebote - nicht Pflicht - gibt, deren Beratung alles umfasst, und zwar medizinische, soziale, rechtliche, finanzielle Beratung. Die aktiv helfen und nicht nur einen Schein ausstellen.

Das Suchen, nach Ärzt*innen, die den Eingriff vornehmen bzw. die Tablette verschreiben, muss aufhören.

Und..
Keine Frau lässt leichtfertigt einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen.

Und jetzt bin ich raus aus diesem Thema.



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Michael7Nigl
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Mi 6. Mär 2024, 22:37

Wenn es einer Frau so wichtig ist, kein Kind zu bekommen, dann kann sie auch dementsprechend handeln. Man kann schließlich befriedigenden Sex ohne Geschlechtsverkehr haben. Damit dürfte die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden ungefähr bei 0% liegen. Männer tragen in meinen Augen gleichermaßen Verantwortung für ihr Sexualverhalten.

Wer auf Geschlechtsverkehr überhaupt nicht verzichten will, kann durch kombinierte Verhütungsmethoden (z.B. Pille und Kondom) die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft auf unter 0,1% pro Jahr drücken (d.h. der Erwartungswert einer Schwangerschaft liegt bei mindestens 1000 Jahren).

Wer trotzdem, also unfreiwillig, schwanger wird - "Sexunfall", versagende Verhütung - sollte meiner Meinung nach ein eingeschränktes Recht auf Abtreibung haben. Bei Vergewaltigung oder schwerem genetischen Defekt sollte m.E. ein Schwangerschaftsabbruch uneingeschränkt möglich sein.

Wie die Kriterien für einen Schwangerschaftsabbruch rechtlich formuliert und umgesetzt werden, ist ein Thema für sich. Mir geht es mehr um die ethische Bewertung. Und da finde ich es eben problematisch, wenn Abtreibungen bedingungslos legitimiert werden, ohne dem ungeborenen Leben einen gewissen Schutzstatus einzuräumen.




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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 22:57

Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 22:37

Wie die Kriterien für einen Schwangerschaftsabbruch rechtlich formuliert und umgesetzt werden, ist ein Thema für sich. Mir geht es mehr um die ethische Bewertung. Und da finde ich es eben problematisch, wenn Abtreibungen bedingungslos legitimiert werden, ohne dem ungeborenen Leben einen gewissen Schutzstatus einzuräumen.
Letzteres ist ja nicht der Fall. In Deutschland sah selbst die liberale Fristenregelung einen Zeitraum von 12 Wochen vor. Dieser Schutz wiederum wird dann aufgehoben, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder wenn bestimmte Formen der Schwerstbehinderung vorliegen.

Was du nicht beantwortest, ist die Frage, mit welchem Recht du einen Zugriff auf den Körper der Frau verlangst. Ich meine, es gibt ein paar wenige Grenzen, in denen der Zugriff einer Gemeinschaft oder eines Staates mit seinem Rechtswesen nicht wirksam werden soll. Was du hier sagst ...
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 22:37
Wenn es einer Frau so wichtig ist, kein Kind zu bekommen, dann kann sie auch dementsprechend handeln. Man kann schließlich befriedigenden Sex ohne Geschlechtsverkehr haben. Damit dürfte die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden ungefähr bei 0% liegen. Männer tragen in meinen Augen gleichermaßen Verantwortung für ihr Sexualverhalten.

Wer auf Geschlechtsverkehr überhaupt nicht verzichten will, kann durch kombinierte Verhütungsmethoden (z.B. Pille und Kondom) die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft auf unter 0,1% pro Jahr drücken (d.h. der Erwartungswert einer Schwangerschaft liegt bei mindestens 1000 Jahren).
... kann in meinen Augen niemals rechtfertigen, Zugriff auf den Körper der Frau nehmen zu wollen. Das ist deine private Sexualmoral, aber solche privaten Maximen sollten aus meiner Sicht das bleiben, was sie sind: dein subjektiver Glaube, aber keinesfalls eine Legitimation für ein Verbotsgesetz.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 23:11

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 21:00
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 16:52
Ursprünglich galt das Embryo mal als unbeseelt, irgendwann im Mittelalter (ich müsste nachschauen, wann genau) haben Theologen dann festgelegt, dass eine "Beseelung" stattfände. Ich meine, es sei die 14. Woche gewesen, aber ich müsste nochmal nachschauen, vermutlich in einem der Bücher von Kurt Flasch, wo ich das zu meiner Erheiterung gelesen habe.
Was hat an dieser Stelle eigentlich zu deiner Erheiterung geführt? Genau dieselben Fragen stellen wir uns doch heute auch. Wir reden heute zwar nicht mehr von Seele, sondern nutzen lieber die griechische Übersetzung dieses Wortes: Psyche. Aber der Sache nach geht es um die selben Fragen. Und sogar die Zeitspanne von 14 Wochen ähnelt den Zeiträumen in unseren Regelungen.
Ich muss das mal raussuchen, es war der ganze Kontext, der einem, der Religion mit Stirnrunzeln betrachtet, so lächerlich erschien. Da war ja nichts Wissenschaftliches dran, sondern es waren die üblichen theologischen Überlegungen, die zur Realität wenig Bezug haben.

Unsere Regelungen waren nie stringent und logisch. Denn wir heben unsere Argumentation ja insofern selektiv noch einmal auf, als wir erstens bei Gefährdung der Mutter und zweitens bei bestimmten Behinderungen auch Spätabtreibungen ohne Rücksicht auf Seele/Psyche doch erlauben.

Ich fand Abtreibungen nie schön. Aber ich muss die Wirklichkeit zur Kenntnis nehmen, dass es ungewollte Schwangerschaften immer gibt, und dann, so meine ich, lässt sich nicht wirklich wasserdicht rational begründen, warum es einer Gemeinschaft oder dem Staat erlaubt sein sollte, Zugriff auf den Körper der betroffenen Frauen zu nehmen. Vielleicht wäre das anders, wenn wir die letzten 100.000 Menschen auf dieser Welt wären, aber das sind wir nun einmal nicht. Sonst fiele mir kein wirklich schwerwiegender Grund ein.



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Michael7Nigl
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Mi 6. Mär 2024, 23:23

Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 22:57
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 22:37

Wie die Kriterien für einen Schwangerschaftsabbruch rechtlich formuliert und umgesetzt werden, ist ein Thema für sich. Mir geht es mehr um die ethische Bewertung. Und da finde ich es eben problematisch, wenn Abtreibungen bedingungslos legitimiert werden, ohne dem ungeborenen Leben einen gewissen Schutzstatus einzuräumen.
Letzteres ist ja nicht der Fall. In Deutschland sah selbst die liberale Fristenregelung einen Zeitraum von 12 Wochen vor. Dieser Schutz wiederum wird dann aufgehoben, wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist oder wenn bestimmte Formen der Schwerstbehinderung vorliegen.

Was du nicht beantwortest, ist die Frage, mit welchem Recht du einen Zugriff auf den Körper der Frau verlangst. Ich meine, es gibt ein paar wenige Grenzen, in denen der Zugriff einer Gemeinschaft oder eines Staates mit seinem Rechtswesen nicht wirksam werden soll. Was du hier sagst ...
Wie bereits mehrfach betont, beziehe ich mich auf die Verfassungsänderung in Frankreich.

Wie kannst Du andererseits einem Ungeborenen jegliches Existenzrecht absprechen? Ich teile nicht Deine Auffassung, dass ein Fötus Teil des Körpers der schwangeren Person ist, über den sie frei verfügen könnte.
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 22:57
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 22:37
Wenn es einer Frau so wichtig ist, kein Kind zu bekommen, dann kann sie auch dementsprechend handeln. Man kann schließlich befriedigenden Sex ohne Geschlechtsverkehr haben. Damit dürfte die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden ungefähr bei 0% liegen. Männer tragen in meinen Augen gleichermaßen Verantwortung für ihr Sexualverhalten.

Wer auf Geschlechtsverkehr überhaupt nicht verzichten will, kann durch kombinierte Verhütungsmethoden (z.B. Pille und Kondom) die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft auf unter 0,1% pro Jahr drücken (d.h. der Erwartungswert einer Schwangerschaft liegt bei mindestens 1000 Jahren).
... kann in meinen Augen niemals rechtfertigen, Zugriff auf den Körper der Frau nehmen zu wollen. Das ist deine private Sexualmoral, aber solche privaten Maximen sollten aus meiner Sicht das bleiben, was sie sind: dein subjektiver Glaube, aber keinesfalls eine Legitimation für ein Verbotsgesetz.
Es geht mir hier überhaupt nicht um eine private Sexualmoral, sondern um Verantwortung und das Recht auf Leben.

Wenn Du der Meinung bist, dass Ungeborene uneingeschränkt getötet werden dürfen, respektiere ich das, sofern Du dies vernünftig begründest (z.B. mit dem Recht der schwangeren Person auf Selbstbestimmung, welches Du höher einschätzt). Darf man Deiner Meinung nach in dieser Frage auch anderer Ansicht sein?




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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 23:44

Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 23:23


Wie kannst Du andererseits einem Ungeborenen jegliches Existenzrecht absprechen? Ich teile nicht Deine Auffassung, dass ein Fötus Teil des Körpers der schwangeren Person ist, über den sie frei verfügen könnte.
1. Dann müssten wir das wissenschaftlich klären, inwiefern es sich um zwei Entitäten handelt.

2. Ich spreche ihm nicht jedes Existenzrecht ab, sondern ich spreche der Frau das Recht zu, das innerhalb bestimmter Fristen darüber entscheiden zu dürfen, ohne im Falle einer Abtreibung bestraft zu werden. Das ist etwas anderes als "jedes Existenzrecht absprechen", es ist eine Reaktion auf ein immer wiederkehrendes Dilemma.

3. Das einzige, was ich total verwerfe, ist in diesem Fall das Recht der Gemeinschaft/des Staates, Zugriff auf den Körper der Frau nehmen zu dürfen. Es ist einer der ganz wenigen Fälle, in denen ich einer solchen Gemeinschaft oder einem Staat keinerlei Recht über das Individuum einzuräumen bereit bin. In diesem Fall möchte ich, dass der Einzelne, also die Frau, keinerlei fremden Willen unterworfen werden darf. (So wie ich das auch im Falle des selbstbestimmten Sterbens vertrete.)



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Lucian Wing
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Mi 6. Mär 2024, 23:48

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 21:00
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 16:52
Ursprünglich galt das Embryo mal als unbeseelt, irgendwann im Mittelalter (ich müsste nachschauen, wann genau) haben Theologen dann festgelegt, dass eine "Beseelung" stattfände. Ich meine, es sei die 14. Woche gewesen, aber ich müsste nochmal nachschauen, vermutlich in einem der Bücher von Kurt Flasch, wo ich das zu meiner Erheiterung gelesen habe.
Was hat an dieser Stelle eigentlich zu deiner Erheiterung geführt? Genau dieselben Fragen stellen wir uns doch heute auch. Wir reden heute zwar nicht mehr von Seele, sondern nutzen lieber die griechische Übersetzung dieses Wortes: Psyche. Aber der Sache nach geht es um die selben Fragen. Und sogar die Zeitspanne von 14 Wochen ähnelt den Zeiträumen in unseren Regelungen.
Nochmal kurz: Ich war überzeugt, das bei Kurt Flasch gelesen zu haben. Aber ich habe sein Buch (Warum ich kein Christ bin) noch einmal durchgeblättert und es nicht gefunden.

Dafür habe ich kurz gegoogelt und eine stringente Zusammenfassung der religiösen Positionen gefunden. Ich weiß nicht, was das für ein Link ist, keine Garantie für die Seriosität: https://www.wissenschaft.de/allgemein/d ... eligionen/

Aber was daran erheiternd ist, ist vielleicht verständlich. :lol:



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Michael7Nigl
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Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 23:44
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 23:23
Wie kannst Du andererseits einem Ungeborenen jegliches Existenzrecht absprechen? Ich teile nicht Deine Auffassung, dass ein Fötus Teil des Körpers der schwangeren Person ist, über den sie frei verfügen könnte.
1. Dann müssten wir das wissenschaftlich klären, inwiefern es sich um zwei Entitäten handelt.
Ja, ich denke auch, dass das wissenschaftlich geklärt werden muss und kann. Spätestens, wenn der Fötus eine eigene Wahrnehmung hat, sollte dies aber nicht mehr in Frage stehen.
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 23:44
2. Ich spreche ihm nicht jedes Existenzrecht ab, sondern ich spreche der Frau das Recht zu, das innerhalb bestimmter Fristen darüber entscheiden zu dürfen, ohne im Falle einer Abtreibung bestraft zu werden. Das ist etwas anderes als "jedes Existenzrecht absprechen", es ist eine Reaktion auf ein immer wiederkehrendes Dilemma.

3. Das einzige, was ich total verwerfe, ist in diesem Fall das Recht der Gemeinschaft/des Staates, Zugriff auf den Körper der Frau nehmen zu dürfen. Es ist einer der ganz wenigen Fälle, in denen ich einer solchen Gemeinschaft oder einem Staat keinerlei Recht über das Individuum einzuräumen bereit bin. In diesem Fall möchte ich, dass der Einzelne, also die Frau, keinerlei fremden Willen unterworfen werden darf. (So wie ich das auch im Falle des selbstbestimmten Sterbens vertrete.)
Was genau meinst Du mit "innerhalb bestimmter Fristen darüber entscheiden zu dürfen"? Wenn außerhalb dieser Fristen nicht darüber entschieden werden darf, ist das doch das Recht, der schwangeren Person die Selbstbestimmung zu nehmen.




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Lucian Wing
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Do 7. Mär 2024, 08:45

Michael7Nigl hat geschrieben :
Do 7. Mär 2024, 00:41
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 23:44
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 23:23
Wie kannst Du andererseits einem Ungeborenen jegliches Existenzrecht absprechen? Ich teile nicht Deine Auffassung, dass ein Fötus Teil des Körpers der schwangeren Person ist, über den sie frei verfügen könnte.
1. Dann müssten wir das wissenschaftlich klären, inwiefern es sich um zwei Entitäten handelt.
Ja, ich denke auch, dass das wissenschaftlich geklärt werden muss und kann. Spätestens, wenn der Fötus eine eigene Wahrnehmung hat, sollte dies aber nicht mehr in Frage stehen.
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 6. Mär 2024, 23:44
2. Ich spreche ihm nicht jedes Existenzrecht ab, sondern ich spreche der Frau das Recht zu, das innerhalb bestimmter Fristen darüber entscheiden zu dürfen, ohne im Falle einer Abtreibung bestraft zu werden. Das ist etwas anderes als "jedes Existenzrecht absprechen", es ist eine Reaktion auf ein immer wiederkehrendes Dilemma.

3. Das einzige, was ich total verwerfe, ist in diesem Fall das Recht der Gemeinschaft/des Staates, Zugriff auf den Körper der Frau nehmen zu dürfen. Es ist einer der ganz wenigen Fälle, in denen ich einer solchen Gemeinschaft oder einem Staat keinerlei Recht über das Individuum einzuräumen bereit bin. In diesem Fall möchte ich, dass der Einzelne, also die Frau, keinerlei fremden Willen unterworfen werden darf. (So wie ich das auch im Falle des selbstbestimmten Sterbens vertrete.)
Was genau meinst Du mit "innerhalb bestimmter Fristen darüber entscheiden zu dürfen"? Wenn außerhalb dieser Fristen nicht darüber entschieden werden darf, ist das doch das Recht, der schwangeren Person die Selbstbestimmung zu nehmen.
Ich meine damit die Frist, wie sie in den meisten Ländern gilt und die etwa bei 12 oder 14 Wochen liegt. Das ist ein fairer Kompromiss zwischen der Freiheit der Frau, selbst über ihren Körper zu entscheiden und den Ansprüchen der Gesellschaft, denen man sich realistischerweise ebenso wenig entziehen kann wie man realistischerweise zur Kenntnis nehmen muss, dass es ungewollte Schwangerschaften gibt, aus welchen Gründen die nun immer auch eintreten mögen.

Dass die Fristen aller Überlegungen zum Trotze immer auch eine gewisse Willkürlichkeit haben, darauf wies ich ja hin mit den Ausnahmen, die man für Spätabtreibungen dann doch wieder macht. Deshalb halte ich auch den Begriff des "Lebens" für nur bedingt aussagekräftig, weil wir weder eine verlässliche Definition von Leben haben noch schützen wir Leben überhaupt konsequent, sofern es nicht um Menschen geht. Und nicht einmal da, und für viele Lebensschützer endet mit der Geburt sowieso die Sorge um den Schutz des geborenen Lebens.

Eine ungewollte Schwangerschaft ist ein Dilemma, für das es keine "gute" Lösung gibt. Ich entscheide mich für die Freiheit der Frauen, auch wenn ich sicher bin, dass es eine Freiheit ist, die für die betroffenen Frauen nicht mit positiven Gefühlen verbunden ist.



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Lucian Wing
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Do 7. Mär 2024, 13:05

Übrigens: die extreme Gegenposition hat dieser Tage das oberste Gericht des US-Bundesstaates Alabama vorgeführt, nach dessen Urteil eingefrorene Embryonen (für Zwecke der künstlichen Befruchtung) als Kinder anzusehen sind.



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Do 7. Mär 2024, 20:42

Lucian Wing hat geschrieben :
Do 7. Mär 2024, 08:45
Ich meine damit die Frist, wie sie in den meisten Ländern gilt und die etwa bei 12 oder 14 Wochen liegt. Das ist ein fairer Kompromiss zwischen der Freiheit der Frau, selbst über ihren Körper zu entscheiden und den Ansprüchen der Gesellschaft, denen man sich realistischerweise ebenso wenig entziehen kann wie man realistischerweise zur Kenntnis nehmen muss, dass es ungewollte Schwangerschaften gibt, aus welchen Gründen die nun immer auch eintreten mögen.
Verstehe ich Dich richtig, dass Du also ein Abtreibungsverbot ab etwa 3 Monaten (von Härtefällen abgesehen) befürwortest?




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