Rechte/Pflichten

Ethische Fragen und ihre rationale Begründbarkeit bewegen das philosophische Denken in einer Zeit, in der die Politik wieder über "Werte" debattiert und vertraute Grundlagen des politischen Handelns zur Disposition stehen.
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AndreaH
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Di 29. Nov 2022, 16:32



Ab der 42 Minute finde ich interessant, was Onora O'Neill zu Rechten und Pflichten spricht




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Jörn Budesheim
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Di 29. Nov 2022, 17:00

Onora O'Neill: "Sie haben niemals Rechte, es sei denn jemand übernimmt den Gegenpart der Pflichten." Das ist ein wichtiger Punkt, auch wenn es nicht ganz meiner Ansicht entspricht. Ich wollte gestern nicht nach diesem Zusammenhang fragen, um nicht noch ein weiteres Fass aufzumachen. Mein Beispiel waren dabei die Tiere. Sie haben Rechte - aber keine Pflichten - und das verpflichten uns, diese Rechte zu schützen.




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AufDerSonne
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Di 29. Nov 2022, 17:47

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 17:00
Onora O'Neill: "Sie haben niemals Rechte, es sei denn jemand übernimmt den Gegenpart der Pflichten." Das ist ein wichtiger Punkt, auch wenn es nicht ganz meiner Ansicht entspricht. Ich wollte gestern nicht nach diesem Zusammenhang fragen, um nicht noch ein weiteres Fass aufzumachen. Mein Beispiel waren dabei die Tiere. Sie haben Rechte - aber keine Pflichten - und das verpflichten uns, diese Rechte zu schützen.
Ich finde wieder, die obige Aussage sagt nicht viel aus. Also, Sie haben niemals Rechte, es sei denn jemand übernimmt den Gegenpart der Pflichten.
Was soll man damit anfangen?

Hat ein Elterntier nicht die Pflicht sein Junges zu ernähren? Das kommt darauf an wie man es sieht.



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Lucian Wing
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Di 29. Nov 2022, 18:33

AufDerSonne hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 17:47
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 17:00
Onora O'Neill: "Sie haben niemals Rechte, es sei denn jemand übernimmt den Gegenpart der Pflichten." Das ist ein wichtiger Punkt, auch wenn es nicht ganz meiner Ansicht entspricht. Ich wollte gestern nicht nach diesem Zusammenhang fragen, um nicht noch ein weiteres Fass aufzumachen. Mein Beispiel waren dabei die Tiere. Sie haben Rechte - aber keine Pflichten - und das verpflichten uns, diese Rechte zu schützen.
Ich finde wieder, die obige Aussage sagt nicht viel aus.
Das ist zwangsläufig so, wenn im Fernsehen Philosophie diskutiert wird.
Ich habe das Recht, mit 17 den Führerschein zu machen. Mit 14 aus der Kirche auszutreten. Ich habe das Recht zu heiraten. Ich habe das Recht, eine Krebsbehandlung zu verweigern. Welche Pflichten folgen jetzt für wen? Das wird albern. Denn da kommen dann Sachen raus wie "Irgendwer hat die Pflicht, mich daran zu hindern". Man definiert also das Verbot (kein Recht zu haben), mich daran nicht zu hindern, als eine Pflicht, mich nicht zu hindern.
Wie ich oben sagte: Dem "Recht auf" kann eine moralische Norm oder eine Rechtsnorm zugrunde liegen. Das gilt es zu definieren jeweils.

Jetzt komme ich auf Jörns Aussage zurück, dass es eine Pflicht gibt, Menschen in Notlagen zu helfen, sofern es zumutbar ist.

Mir geht es erst einmal um den reinen Begriff des Helfens. Dazu ein Beispiel.

In Tomasellos Buch "Mensch werden" wird die berichtet, dass kleine Kinder so zwischen 2 und 3 bereits anderen helfen. Das möchte ich zur Begriffsklärung anzweifeln. Nehmen wir an ein Mensch lässt etwas fallen und es gelingt ihm nicht gleich, es wieder aufzuheben. Das Kleinkind sieht das und hebt es auf und gibt es diesem Menschen. Ist es das, was wir unter "helfen" verstehen? Ich meine: nein. Ich glaube nicht, dass das kleine Kind einen Begriff hat von "helfen". Ich glaube einfach, dass das Kleinkind mit seiner Handlung die Handlung eines anderen vollzieht. Es hat schon erkannt, was der Mensch tun will und übernimmt seine Handlung. Das erscheint mir so wenig "helfen" zu sein wie das Zucken des Epileptikers eine Handlung ist. Das Kind tut etwas, was es an sich selbst durch andere in diesem Alter permanent erfährt.

Hier sehe ich Parallelen zur Diskussion um "lernen, verstehen, Intelligenz" im anderen Faden, weil wir rein aus einem Verhalten des Kindes auf den Begriff des "Helfens" schließen. Die Frage wäre also, was wir unter "helfen" überhaupt verstehen. Jemandem in einer Notlage zu helfen: Ist das, wenn wir an seiner Stelle eine Handlung vollziehen? Oder muss mehr dazu kommen?

@Timberlake

Ich kann mit Kant nichts anfangen. Ich verstehe nicht viel von ihm, aber ich glaube zum Beispiel nicht an eine moralische Bestimmung des menschlichen Willens und demzufolge auch nicht, dass wenn der Wille gut ist, eine Handlung moralisch gerechtfertigt ist. Und eigentlich setzt er ja die Geschichte des Naturrechts wieder fort, wonach man die Prinzipien des richtigen Verhaltens mittels Vernunft erkennen könne. Das glaube ich einfach nicht. Und ich bin auch dagegen, die beiden Bereiche des Strebens nach Glück und den der Moral strikt zu trennen. Was mir vorschweben würde, wäre eine beide Bereiche zusammenführende integrative Ethik, und ich wäre dafür, dass wir uns daran erinnern, dass die Tugenden, die Frau O'Neill erwähnte, erst mit dem Christentum deckungsgleich mit Moral wurden. Das ist etwas, was in allen Moraldiskursen immer völlig untergeht. Die alte Tugendethik war nicht primär etwas Moralisches. Das haben uns andere eingebrockt.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim
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Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 18:33
Nehmen wir an ein Mensch lässt etwas fallen ...
In diesen Fällen bleibt die Hilfsbereitschaft in der Regel auch aus. Hilfsbereit sind sie nur, wenn es für sie so aussehen muss, dass jemand etwas hingefallen ist und er Hilfe braucht.




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AufDerSonne
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Di 29. Nov 2022, 19:28

Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 18:33
Hier sehe ich Parallelen zur Diskussion um "lernen, verstehen, Intelligenz" im anderen Faden, weil wir rein aus einem Verhalten des Kindes auf den Begriff des "Helfens" schließen. Die Frage wäre also, was wir unter "helfen" überhaupt verstehen. Jemandem in einer Notlage zu helfen: Ist das, wenn wir an seiner Stelle eine Handlung vollziehen? Oder muss mehr dazu kommen?

Und eigentlich setzt er ja die Geschichte des Naturrechts wieder fort, wonach man die Prinzipien des richtigen Verhaltens mittels Vernunft erkennen könne. Das glaube ich einfach nicht.
Ist einen Rat geben auch helfen?
Ist mein Gegenüber gewillt meine Hilfe anzunehmen? Biete ich die richtige Hilfe an?
Ich habe es oft so erlebt, dass ich die Hilfe, die mir angeboten wurde, nicht annehmen konnte. Und habe das oft auch bei anderen festgestellt, dass es ihnen gleich geht.

Richtig helfen ist schwierig. Und wenn der andere sich nicht helfen lassen will, fast unmöglich. Man muss sich sehr sicher sein, dass man das Problem des anderen richtig erfasst, damit man ihm wirkungsvoll helfen kann.

Zum zweiten Satz. Wie glaubst du, dass man das richtige Verhalten erkennen kann oder lernen kann? Durch Erfahrung anstatt durch Vernunft?
Ein Verhalten ist fast immer richtig. Einfach einmal abwarten und nicht gleich reagieren wollen. Nachfragen. Was willst du eigentlich? Meinst du es so?
Verständnis haben. Auch wenn es manchmal schwierig ist. Naja, jetzt wurde ich ein bisschen psychologisch. Man mag es mir nachsehen.



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Jörn Budesheim
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Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 18:33
Ich habe das Recht, mit 17 den Führerschein zu machen.
Du hast das Recht den Führerschein zu machen. Dem steht die Pflicht des Staates gegenüber, die entsprechenden Strukturen bereitstellen, denn er verpflichtet dich ja, einen Führerschein zu machen, sofern du autofahren willst.
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 18:33
Ich habe das Recht zu heiraten.
im Grunde ist das ganz ähnlich wie bei dem "Führerscheinfall". Aus diesem Recht ergeben sich eine ganze Reihe von staatlich/gesellschaftlichen Pflichten: jemand muss die Heirat vollziehen und protokollieren, und sicherlich ergeben sich auch eine Reihe von staatlichen Pflichten zu entsprechenden gesetzlichen Regelungen etc. p.p. und natürlich diverse Verpflichtungen gegenüber dem Ehepartner.
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 18:33
Ich habe das Recht, eine Krebsbehandlung zu verweigern.
Daraus ergibt sich für die behandelnden Ärzte z.b die Pflicht, deinen Wünschen Folge zu leisten. Von dieser Pflicht werden sie wahrscheinlich nur entbunden, wenn man feststellen sollte, dass du nicht mehr für dich selbst entscheiden kannst.




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Lucian Wing
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Di 29. Nov 2022, 21:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 20:27
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 18:33
Ich habe das Recht, eine Krebsbehandlung zu verweigern.
Daraus ergibt sich für die behandelnden Ärzte z.b die Pflicht, deinen Wünschen Folge zu leisten. Von dieser Pflicht werden sie wahrscheinlich nur entbunden, wenn man feststellen sollte, dass du nicht mehr für dich selbst entscheiden kannst.
Genau das meinte ich: Ich habe ein Recht auf Behandlungsverweigerung. Das bedeutet lediglich: Diejenigen, die mich behandeln KÖNNTEN, haben kein Recht, das trotzdem zu tun. Daraus eine Pflicht zu konstruieren, etwas nicht zu tun, ist albern. Es gibt kein Recht, in diesem Falle in meine Selbstbestimmung einzugreifen. DAS ist der Punkt. Nicht eine konstruierte Pflicht. Auf der Ärzteseite gibt es ein Verbot, mich gegen meinen Willen zu behandeln. Aber keine Pflicht, mich nicht zu behandeln. Das ist nackter Unfug.

Du solltest dir vernünftige Pflichten suchen. Es gibt keine Pflicht etwas nicht zu tun. Es gibt entweder ein Recht, etwas zu tun, aber etwas nicht zu tun.
Es gibt eine Pflicht, beim Unfall Hilfe zu leisten. Es gibt keine Pflicht, beim Unfall eine Hilfeleistung nicht zu unterlassen. Kann man über die Gründe nachdenken.



Als ich vierzehn war, war mein Vater so unwissend. Ich konnte den alten Mann kaum in meiner Nähe ertragen. Aber mit einundzwanzig war ich verblüfft, wieviel er in sieben Jahren dazu gelernt hatte. (Mark Twain)

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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 20:27
Daraus ergibt sich für die behandelnden Ärzte z.b die Pflicht, deinen Wünschen Folge zu leisten.
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 21:01
Aber keine Pflicht, mich nicht zu behandeln. Das ist nackter Unfug.
Die Ärzte haben die Pflicht, deine Wünsche zu respektieren.




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Lucian Wing
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Di 29. Nov 2022, 21:12

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 21:08
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 20:27
Daraus ergibt sich für die behandelnden Ärzte z.b die Pflicht, deinen Wünschen Folge zu leisten.
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 21:01
Aber keine Pflicht, mich nicht zu behandeln. Das ist nackter Unfug.
Die Ärzte haben die Pflicht, deine Wünsche zu respektieren.
Das ist völlig wurscht, wir regeln das über eine Rechtsnorm, keine Pflichtennorm. Das ist der Punkt, woraus sich Handeln oder nicht handeln dürfen ergibt. Es gilt positives Recht. Keine negative Pflicht. Im Recht.

Es gibt seit dem Urteil des BVerfG zur Beihilfe zum Suizid das absolute Recht des Individuums frei von allen weltanschaulichen Hindernissen und Quertreibereien zu sterben. Aber daraus ergibt sich trotz dieses Rechts keine Pflicht, mich sterben zu lassen. Es gibt nur kein Recht, mich zu hindern.



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Lucian Wing
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Di 29. Nov 2022, 22:07

Solange man sich weigert, zwischen

1. Sittennorm
2. Moralnorm
3. Rechtsnorm

zu unterscheiden, wird das nichts mit den Pflichten.

Diese drei Normen kennen wir. Aus manchen davon ergeben sich, damit sie in eine Praxis umgesetzt werden können, Pflichten als Erfüllungsbedingungen. Aber es gibt keine Pflichtnormen. Es gibt Unterlassungspflichten in Form einer Rechtsnorm.



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AndreaH
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Di 29. Nov 2022, 23:12

Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 21:01


Genau das meinte ich: Ich habe ein Recht auf Behandlungsverweigerung. Das bedeutet lediglich: Diejenigen, die mich behandeln KÖNNTEN, haben kein Recht, das trotzdem zu tun. Daraus eine Pflicht zu konstruieren, etwas nicht zu tun, ist albern. Es gibt kein Recht, in diesem Falle in meine Selbstbestimmung einzugreifen. DAS ist der Punkt. Nicht eine konstruierte Pflicht. Auf der Ärzteseite gibt es ein Verbot, mich gegen meinen Willen zu behandeln. Aber keine Pflicht, mich nicht zu behandeln. Das ist nackter Unfug.
Heute liegt die Konzentration mehr auf den Rechten, früher auf den Pflichten. Rechte werden immer eingefordert. Der Arzt ist verpflichtet dir gesundheitlich zu helfen. Forderst du dein Recht ein, nicht behandelt zu werden, wirst du etwas unterschreiben müssen das du eigenverantwortlich vom Krankenhaus nach Hause spazierst. Somit verpflichtet sich der Arzt deinen Wünschen nachzukommen.

Abgesehen davon, fühlt sich die Gesellschaft auch heute genau so an, das sie ständig ihre Rechte fordert. ;)




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AndreaH
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Di 29. Nov 2022, 23:17

Vielleicht könnte man es auch etwas grobkörniger ausdrücken. Ein Recht ist etwas was ich nehme, eine Pflicht etwas was ich gebe.




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Lucian Wing
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Di 29. Nov 2022, 23:28

AndreaH hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 23:12
Lucian Wing hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 21:01


Genau das meinte ich: Ich habe ein Recht auf Behandlungsverweigerung. Das bedeutet lediglich: Diejenigen, die mich behandeln KÖNNTEN, haben kein Recht, das trotzdem zu tun. Daraus eine Pflicht zu konstruieren, etwas nicht zu tun, ist albern. Es gibt kein Recht, in diesem Falle in meine Selbstbestimmung einzugreifen. DAS ist der Punkt. Nicht eine konstruierte Pflicht. Auf der Ärzteseite gibt es ein Verbot, mich gegen meinen Willen zu behandeln. Aber keine Pflicht, mich nicht zu behandeln. Das ist nackter Unfug.
Heute liegt die Konzentration mehr auf den Rechten, früher auf den Pflichten. Rechte werden immer eingefordert. Der Arzt ist verpflichtet dir gesundheitlich zu helfen. Forderst du dein Recht ein, nicht behandelt zu werden, wirst du etwas unterschreiben müssen das du eigenverantwortlich vom Krankenhaus nach Hause spazierst. Somit verpflichtet sich der Arzt deinen Wünschen nachzukommen.

Abgesehen davon, fühlt sich die Gesellschaft auch heute genau so an, das sie ständig ihre Rechte fordert. ;)
Das Markierte ist unser Problem. Wir haben die Tätigkeit des Arztes in eine Moralnorm gepackt.
Ein guter = tugendhafter Arzt zuzeiten des Aristoteles war einer, der sein Handwerk verstand und gut = erfolgreich ausübte. Die Tugend des Arztes bestand nicht in einer moralischen Pflicht, sondern in der techné, seiner Fertigkeit. DAS war es, was einmal seine Tugend war. Wir haben das in eine moralische Pflicht umgedichtet (würde Nietzsche sagen).



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Lucian Wing
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Di 29. Nov 2022, 23:33

AndreaH hat geschrieben :
Di 29. Nov 2022, 23:17
Vielleicht könnte man es auch etwas grobkörniger ausdrücken. Ein Recht ist etwas was ich nehme, eine Pflicht etwas was ich gebe.
Für Abwehrrechte gilt das Nehmen nicht. Das führt allerhöchstens zu einer Unterlassungspflicht auf der anderen Seite. Aber eigentlich impliziert es ein Verbot, dem entgegenzuhandeln.

Bei den Anspruchsrechten entstehen eher Pflichten im Sinne von Erfüllungspflichten.

Aber auf den Strang bezogen bleibt von der Ausgangsfrage her immer noch völlig unklar, ob wir von moralischen oder rechtlichen Normen reden.



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Jörn Budesheim
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Mi 30. Nov 2022, 06:26

Hier ein Beispiel für eine rechtliche Norm:

"Am 4. März 1789 trat die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika (Gesetzestext von 1789) in Kraft. In diesem Urtext der amerikanischen Verfassung war den Bundesstaaten, die dies wünschten, Haltung und Einfuhr von Sklaven ausdrücklich gestattet"

https://www.juraforum.de/lexikon/chrono ... en-staaten




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Jörn Budesheim
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Was sind die Unterschiede zu einer "moralischen Norm"?

Ein Gesetz kann verfehlt sein (wie in vorliegendem Fall), eine moralische Norm nicht.
Ein Gesetz kann mit Zwang durchgesetzt werden, eine moralische Norm nicht.
Ein Gesetz wurde erlassen, eine moralische Norm nicht.
Ein Gesetz hat ein Datum, eine moralische Norm nicht.
Ein Gesetz gilt nicht überall, eine moralische Norm gilt universell.
...




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Lucian Wing
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Mi 30. Nov 2022, 09:08

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 08:20
Was sind die Unterschiede zu einer "moralischen Norm"?

Ein Gesetz kann verfehlt sein (wie in vorliegendem Fall), eine moralische Norm nicht.
Dann gäbe es nur eine einzige Moral.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 08:20
Ein Gesetz kann mit Zwang durchgesetzt werden, eine moralische Norm nicht.
Eine moralische Norm kann in Gesetzesform gegossen werden. Jede Quote ist ein Beispiel. Und wenn der Pflichtenkanon zu einem Teil des Rechts wird, dann würden auch hier moralische Normen mit Zwang durchsetzbar.

Es gibt eine Tendenz, Moralnormen in Gesetzesnormen zu gießen. Das ist beispielsweise der Inhalt von Identitätspolitik und des Begriffes, unter dem sie startete: Politik der Anerkennung. Das moralische "Recht auf" in ein rechltiches "Recht auf" zu überführen. Je individualistischer die Gesellschaft wird, desto mehr Ansprüche des Einzelnen müssen, da sie auf der Ebene der Moral nicht durchsetzbar sind, den Weg ins Recht finden. Das nagt natürlich an der sowieso instabilen und übergroßen und überkomplexen Gemeinschaft, weil immer mehr kleine Einheiten immer mehr Ansprüche gegeneinander entwickeln und versuchen, sie rechtlich geltend zu machen. Hier könnte man sagen, der Individualismus in Gestalt des Liberalismus hat längst begonnen sich zu kannibalisieren. Die Freiheit frisst sich selbst auf.



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Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 09:08
Dann gäbe es nur eine einzige Moral.
Genau so ist es. Es gibt nur eine Moral. Aber natürlich viele Moralvorstellungen.




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Lucian Wing
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Mi 30. Nov 2022, 09:35

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 09:23
Lucian Wing hat geschrieben :
Mi 30. Nov 2022, 09:08
Dann gäbe es nur eine einzige Moral.
Genau so ist es. Es gibt nur eine Moral. Aber natürlich viele Moralvorstellungen.
Du meinst Vorstellungen darüber, was moralisch ist?
Oder was Moral ist?



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