Leben als Fragment
„Das Leben ist ein Fragment“, habe ich neulich gelesen. Ich kenne den Zusammenhang nicht, in dem dieser Satz steht, aber das macht nichts, er hat mich trotzdem zum Nachdenken angeregt. Ich habe sofort ein Kaleidoskop vor mir gesehen – lauter bunte Bruchstücke, die sich immer wieder neu zusammensetzen lassen.
Meine Idealvorstellung war bisher immer die eines reifenden Menschen gewesen, der irgendwann zur Vervollkommnung, zur Ganzheit gelangt – nie zu erreichen, aber beständig zu erstreben. Und nun weiß ich nicht, wie ich die Vorstellung eines fragmentarischen Lebens verstehen soll – eher als Mangel oder eher als so etwas wie eine Befreiung (von der Verpflichtung zur Perfektion etwa)?
Schon das Wort Fragment macht mir Schwierigkeiten. Laut Duden hat es zweierlei Bedeutungen:
a) Bruchstück eines ehemals Ganzen
b) Bruchstück eines zu schaffenden Ganzen
Beide Bedeutungen verweisen auf ein Ganzes, womit wir dann doch wieder beim „klassischen“ Ideal wären?
Ich finde jedenfalls die Vorstellung, mein Leben als etwas Fragmentarisches zu sehen, sehr reizvoll.
Meine Idealvorstellung war bisher immer die eines reifenden Menschen gewesen, der irgendwann zur Vervollkommnung, zur Ganzheit gelangt – nie zu erreichen, aber beständig zu erstreben. Und nun weiß ich nicht, wie ich die Vorstellung eines fragmentarischen Lebens verstehen soll – eher als Mangel oder eher als so etwas wie eine Befreiung (von der Verpflichtung zur Perfektion etwa)?
Schon das Wort Fragment macht mir Schwierigkeiten. Laut Duden hat es zweierlei Bedeutungen:
a) Bruchstück eines ehemals Ganzen
b) Bruchstück eines zu schaffenden Ganzen
Beide Bedeutungen verweisen auf ein Ganzes, womit wir dann doch wieder beim „klassischen“ Ideal wären?
Ich finde jedenfalls die Vorstellung, mein Leben als etwas Fragmentarisches zu sehen, sehr reizvoll.
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Ich habe mal einen Textfragment aus einem philosophischen Wörterbuch kopiert:
Fragment, von lat. fragmentum ›Bruchstück‹, Splitter, Trümmer, Überrest, bezeichnet ein unvollständiges, unvollendetes Werk, in theoretischen Zusammenhängen den Zustand des Bruchstückhaften und Unvollendeten überhaupt. Eine ↑Kunstphilosophie, die das Fragmentarische zu einer Grundbestimmung des Kunstwerks macht, hat in der Frühromantik und ihrer Auffassung der Poesie ihren Ursprung: »Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann« (Fr. Schlegel, 116. Athenäumsfragment). Der klassische geschlossene Begriff des Kunstwerks wird theoretisch aufgelöst, indem das Werk in der Einheit mit der ↑Kritik, d. h. der Reflexion auf das Werk als Moment seines Werdens begriffen wird (↑Rezeption). Das Werk als endliche ↑Erscheinung eines Unendlichen weist per se über sich hinaus und nötigt daher zur Reflexion. Sein F.charakter deutet auf das offene, prinzipiell nicht abschließbare Kunstwerk hin, das für das Kunstverständnis der Moderne konstitutiv geworden ist ...
Fragment, von lat. fragmentum ›Bruchstück‹, Splitter, Trümmer, Überrest, bezeichnet ein unvollständiges, unvollendetes Werk, in theoretischen Zusammenhängen den Zustand des Bruchstückhaften und Unvollendeten überhaupt. Eine ↑Kunstphilosophie, die das Fragmentarische zu einer Grundbestimmung des Kunstwerks macht, hat in der Frühromantik und ihrer Auffassung der Poesie ihren Ursprung: »Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann« (Fr. Schlegel, 116. Athenäumsfragment). Der klassische geschlossene Begriff des Kunstwerks wird theoretisch aufgelöst, indem das Werk in der Einheit mit der ↑Kritik, d. h. der Reflexion auf das Werk als Moment seines Werdens begriffen wird (↑Rezeption). Das Werk als endliche ↑Erscheinung eines Unendlichen weist per se über sich hinaus und nötigt daher zur Reflexion. Sein F.charakter deutet auf das offene, prinzipiell nicht abschließbare Kunstwerk hin, das für das Kunstverständnis der Moderne konstitutiv geworden ist ...
Kommt das Fragmentarische nicht dem nahe, was im Thread zur Selbsttötung auch angesprochen wurde? Dass ein Leben nicht zuende gelebt wird, sondern einfach mittendrin aufhört. In vielen Fällen jedenfalls. Vielleicht ist das damit gemeint.
Man müsste wohl heraus finden, in welchem Kontext der Satz auftauchte. Sonst kann man nicht viel dazu sagen.
Man müsste wohl heraus finden, in welchem Kontext der Satz auftauchte. Sonst kann man nicht viel dazu sagen.
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Meines Erachtens gibt es einige Bezugspunkte zu dem Thread zum Thema Selbsttötung > viewtopic.php?t=1052
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Jovis hat geschrieben : ↑Sa 20. Mär 2021, 16:34Meine Idealvorstellung war bisher immer die eines reifenden Menschen gewesen, der irgendwann zur Vervollkommnung, zur Ganzheit gelangt – nie zu erreichen, aber beständig zu erstreben. Und nun weiß ich nicht, wie ich die Vorstellung eines fragmentarischen Lebens verstehen soll – eher als Mangel oder eher als so etwas wie eine Befreiung (von der Verpflichtung zur Perfektion etwa)?
Schon das Wort Fragment macht mir Schwierigkeiten. Laut Duden hat es zweierlei Bedeutungen:
a) Bruchstück eines ehemals Ganzen
b) Bruchstück eines zu schaffenden Ganzen
Beide Bedeutungen verweisen auf ein Ganzes, womit wir dann doch wieder beim „klassischen“ Ideal wären?
Der Maler Paul Klee soll das mal in folgende Worte gefasst haben - in der Kunst ginge es immer um das Formende nie und das Form-Ende. Wenn man das eigene Leben als eine Art Kunstwerk betrachtet, dann kann man solchen Bemerkungen vielleicht etwas abgewinnen. Goethe soll angeblich so gedacht haben, und bei Beuys war es vielleicht ähnlich, ich weiß es nicht.Fr. Schlegel, 116. Athenäumsfragment hat geschrieben : Die romantische Dichtart ist noch im Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, daß sie ewig nur werden, nie vollendet sein kann«
Eine andere philosophische Frage, die hier vielleicht berührt ist, ist die Frage nach der Einheit der Person, die Frage nach der personalen Identität. Gibt es überhaupt so etwas wie ein beständiges, in sich identisches Ich, was sich in unserem Leben in irgendeiner Form durchhält? Oder müssen wir das Fragmentarische bereits an dieser Stelle verorten? Dann hätten wir vielleicht wirklich lauter bunte Bruchstücke, die sich immer wieder neu zusammensetzen lassen, aber nie zu einer letztgültigen, bruchlosen Einheit. In dieser Sicht wäre das Ganze nie zu erreichen, weil es es einfach nicht gibt, es ginge dabei also nicht um einen Mangel und auch nicht um ein Ziel. Der Philosoph Derek Parfit hat das in ein schönes Bild gefasst: das Ich wäre dann nicht eine einzelne Person, sondern eher so etwas wie ein Club, der aus vielen verschiedenen Mitgliedern besteht. Ich habe noch keine Vorstellung, wie ich dazu stehe.
Wer wir sind, wer wir zu sein glauben, wer wir glauben gewesen zu sein, wer wir sein wollen, das hängt ja alles zusammen. Wir sind zu einem großen Teil einfach unsere Geschichte. Aber diese Geschichte haben wir nicht. Denn es gibt keinen Punkt, von dem aus wir unser Leben als Ganzes betrachten können. Wir können uns schließlich nicht neben uns stellen und unser Leben von außen betrachten. Wir können uns immer nur von da aus betrachten und entwerfen, wo wir gerade sind. Und diese Geschichte, die in dieses Jetzt mündet, steht uns immer nur in Fragmenten zur Verfügung und ist unüberschaubar - auch wenn wir das selbst sind.
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Vor wenigen Tagen ist ein Gedichtband der Wiener Schriftstellerin Jana Volkmann erschienen, zu dem ich ein paar Zeichnungen beisteuern durfte. Der Titel des Bandes lautet "Investitionsruinen". Das titelgebende Gedicht passt wunderbar hierher, ich kann es natürlich nicht ganz wiedergeben aus Gründen des copyright:
Jana Volkmann hat geschrieben : investitionsruine
wir sind eine investitionsruine
statussymbol eines instabilen herrschers
vision eines architekten im wahn
man wird uns kontrolliert sprengen
...
iselilja, mir kommt es nicht darauf an, den Kontext des Satzes herauszufinden. Ich finde ihn interessant, einfach so für sich. Aber was impliziert er alles? Ich kann ihn noch nicht wirklich einordnen. Deshalb bin ich neugierig auf eure Assoziationen und Gedanken.iselilja hat geschrieben : ↑Sa 20. Mär 2021, 23:44Kommt das Fragmentarische nicht dem nahe, was im Thread zur Selbsttötung auch angesprochen wurde? Dass ein Leben nicht zuende gelebt wird, sondern einfach mittendrin aufhört. In vielen Fällen jedenfalls. Vielleicht ist das damit gemeint.
Man müsste wohl heraus finden, in welchem Kontext der Satz auftauchte. Sonst kann man nicht viel dazu sagen.
Ich habe den thread zur Selbsttötung noch nicht gelesen, aber mir fällt spontan zu deinem Satz ein, dass jemand, der sein Leben selbst beendet, ja doch ein Ende gesetzt hat, dieses Leben also in gewisser Weise sehr wohl zu Ende gelebt wurde. Kommt natürlich u.a. darauf an, ob der Suizid aus spontaner Verzweiflung heraus geschieht oder länger erwogen wurde.
Aber der Gedanke des Zu-Ende-Lebens führt mich dazu zu fragen, ob die reine Zeitspanne etwas dazu beiträgt, das Fragmentarische aufzuheben? Wird unser Leben automatisch immer voller, ganzer, einheitlicher, je länger wir leben?
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Hier das fragliche Zitat:
Zu Erläuterung: Ich verfolge in diesem Jahr ein zeichnerisch/philosophisches Projekt zum Thema Suizid. Zur Begleitung habe ich den Thread eingerichtet, in denen ich - ergänzend zur Diskussion - hin um wieder Zeichnungen und Lektürefragmente poste.Patricia de Martelaere hat geschrieben : Wir bilden uns ein, daß wir »am Ende« unseres Lebens sterben werden, was nicht nur logisch, sondern auch gerecht und sehr schön wäre. Aber in Wirklichkeit sterben wir auf dem Weg, um die Kinder von der Schule abzuholen, im Badezimmer, während wir eine Kultursendung im Radio hören, oder im Bett mit einer Frau, die nicht die unsrige ist. Wir sterben, so scheint es, immer in den ungelegensten Momenten. Und alles, was wir unbedingt noch tun mussten, alles, was wir auf jeden Fall noch sagen wollten, wird einfach ungetan bleiben und ungesagt. Unser Leben wird durch den Tod unterbrochen, nicht beendet ...
Das Zusammenhanglose, das hier mitschwingt, ist aber anscheinend nicht gut auszuhalten. Ich habe erst kürzlich vom Konzept der Selbstnarration erfahren: Wir erzählen uns unser eigenes Leben als Geschichte, wir fingieren (?) eine durchgehende Handlung, in die sich alles Geschehen einfügt. Das ermöglicht uns die Ausbildung einer stabilen Identität. Das wäre dann quasi ein schöpferischer, ein künstlerischer Akt, mit dem Material des Gegebenen. Das hat Licht- und Schattenseiten. Zum Licht gehört die relative Freiheit des Schöpferischen - wir können bis zu einem gewissen Grade wählen, wie wir uns und unser Leben sehen wollen (und wie andere es sehen sollen); zum Schatten z.B. die Unsicherheit und eventuell auch Überforderung, die das mit sich bringen kann - ich muss mir meine Identität selbst schaffen, mit vielleicht völlig ungenügendem "Material" (prekäre Lebenssituationen etwa).Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 21. Mär 2021, 07:18Eine andere philosophische Frage, die hier vielleicht berührt ist, ist die Frage nach der Einheit der Person, die Frage nach der personalen Identität. Gibt es überhaupt so etwas wie ein beständiges, in sich identisches Ich, was sich in unserem Leben in irgendeiner Form durchhält? Oder müssen wir das Fragmentarische bereits an dieser Stelle verorten? Dann hätten wir vielleicht wirklich lauter bunte Bruchstücke, die sich immer wieder neu zusammensetzen lassen, aber nie zu einer letztgültigen, bruchlosen Einheit. In dieser Sicht wäre das Ganze nie zu erreichen, weil es es einfach nicht gibt, es ginge dabei also nicht um einen Mangel und auch nicht um ein Ziel. Der Philosoph Derek Parfit hat das in ein schönes Bild gefasst: das Ich wäre dann nicht eine einzelne Person, sondern eher so etwas wie ein Club, der aus vielen verschiedenen Mitgliedern besteht. Ich habe noch keine Vorstellung, wie ich dazu stehe.
Wer wir sind, wer wir zu sein glauben, wer wir glauben gewesen zu sein, wer wir sein wollen, das hängt ja alles zusammen. Wir sind zu einem großen Teil einfach unsere Geschichte. Aber diese Geschichte haben wir nicht. Denn es gibt keinen Punkt, von dem aus wir unser Leben als Ganzes betrachten können. Wir können uns schließlich nicht neben uns stellen und unser Leben von außen betrachten. Wir können uns immer nur von da aus betrachten und entwerfen, wo wir gerade sind. Und diese Geschichte, die in dieses Jetzt mündet, steht uns immer nur in Fragmenten zur Verfügung und ist unüberschaubar - auch wenn wir das selbst sind.
Das sind lauter Beispiele für plötzliche Tode. Die meisten Menschen sterben aber heutzutage im Krankenhaus, heißt es, d.h. mit zumindest einem kleinen Vorlauf, sodass man meist noch Gelegenheit hat, die "Unterbrechung" in so etwas wie ein "Beenden" münden zu lassen. Der Moment ist meistens trotzdem "ungelegen", (fast) immer zu früh ... Das wandelt sich allerdings gerade, denn jetzt kommen viele Tode eher zu spät, nach Jahren des Dahinvegetierens in Pflegeheimen etwa, bis man dann mit 90 oder mehr Jahren endlich sterben kann. Wann also ist der "richtige" Zeitpunkt zum Sterben?Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 21. Mär 2021, 10:54Patricia de Martelaere hat geschrieben : Wir bilden uns ein, daß wir »am Ende« unseres Lebens sterben werden, was nicht nur logisch, sondern auch gerecht und sehr schön wäre. Aber in Wirklichkeit sterben wir auf dem Weg, um die Kinder von der Schule abzuholen, im Badezimmer, während wir eine Kultursendung im Radio hören, oder im Bett mit einer Frau, die nicht die unsrige ist. Wir sterben, so scheint es, immer in den ungelegensten Momenten. Und alles, was wir unbedingt noch tun mussten, alles, was wir auf jeden Fall noch sagen wollten, wird einfach ungetan bleiben und ungesagt. Unser Leben wird durch den Tod unterbrochen, nicht beendet ...
Es ist schon bemerkenswert, dass bei der Frage, wie man sein Leben betrachten kann, so schnell die Rede auf den Tod kommt. Ist der Abschluss wirklich so wichtig für das, was auf dem Weg dorthin geschieht?
Dazu hätte viele, aber zunächst folgende zwei Fragen:
- Was empfindest du als fragmentarisch an deinem Leben resp. in welcher Vorstellung deines Lebens erscheint es als Fragment?
- Was ist daran reizvoll? Das Nischendasein? Der Gedanke, Teil von etwas Grösserem zu sein? Beides oder nichts von dem?
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Alle lächeln in derselben Sprache.
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hic et nunc
Will man beim Versuch diese Frage zu beantworten nicht ins theologische Fahrwasser geraten, bleibt wohl nur das hic et nunc.
Zwischen gescheiterten Plänen in der Vergangenheit und (vielleicht) überaus ambitionierten Plänen in der Zukunft, ist das hic et nunc der einzig verlässliche Augenblick, über den ich (für mich) eine Aussage treffen kann.
So ich nicht gerade beabsichtige meinem Leben ein vorzeitiges Ende zu setzen, kann ich mich an diesem "Fragment" sogar erfreuen, ihm mit Faust`s Worten einen würdigen Ausdruck verleihen:
„Verweile doch, du bist so schön".
Zwischen gescheiterten Plänen in der Vergangenheit und (vielleicht) überaus ambitionierten Plänen in der Zukunft, ist das hic et nunc der einzig verlässliche Augenblick, über den ich (für mich) eine Aussage treffen kann.
So ich nicht gerade beabsichtige meinem Leben ein vorzeitiges Ende zu setzen, kann ich mich an diesem "Fragment" sogar erfreuen, ihm mit Faust`s Worten einen würdigen Ausdruck verleihen:
„Verweile doch, du bist so schön".
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(Ф.М. Достоевский)
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Ja, stimmt, man kann auch andere Aspekte hervorheben. In einer gewissen Hinsicht gibt jedes Leben immer auch Antworten auf die Frage "was ist der Mensch?" Und weil es nicht die eine, die große Antwort auf diese Frage gibt, bleibt jede Antwort fragmentarisch. Das gleiche gilt wohl für die Frage, wer ich selbst bin. Eine Reihe von Antworten auf diese Frage hat man ausprobiert ... aber viele Wege bleiben ungegangen.
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Man könnte sich hier auch eine postmoderne Denkfigur vorstellen. ("Das fragmentierte Subjekt") Für alle möglichen Bereiche sind einheitsstiftende Erzählungen flöten gegangen - das Ende der großen Erzählungen, wie es so schön heißt; das Ende der kleinen Erzählungen gehört vielleicht dazu. Wenn die Erzählungen von einem selbst, die das eigene Leben zu einem Sinnganzen fügen sollen, sich als fingiert erweisen, und die Gesellschaft, bzw die Religion verbindliche Antwort mehr geben können, dann bleiben, da das Ganze "verwehrt" bzw illusionär ist, nurmehr Fragmente übrig. Das kann man mit einem Lächeln quittieren, ich bin nicht einer, ich bin viele. Das kann aber ebenso natürlich in Sinnkrisen führen: wer von den Vielen ist denn wirklich Ich.
MIr fällt dazu ein, dass das Leben an sich als Fragment gesehen werden kann, da niemand vollständig werden oder sein kann. Jeder Mensch ist ein Teil/Fragment des Ganzen. Allerdings kann ich nicht genau definieren, was "Vollständigkeit" bedeutet. Bedeutet es eine Gesamtmenge aller Weltbilder, alles Wissens, aller Erfahrungen?Jovis hat geschrieben : ↑Sa 20. Mär 2021, 16:34„Das Leben ist ein Fragment“, habe ich neulich gelesen. Ich kenne den Zusammenhang nicht, in dem dieser Satz steht, aber das macht nichts, er hat mich trotzdem zum Nachdenken angeregt. Ich habe sofort ein Kaleidoskop vor mir gesehen – lauter bunte Bruchstücke, die sich immer wieder neu zusammensetzen lassen.
Meine Idealvorstellung war bisher immer die eines reifenden Menschen gewesen, der irgendwann zur Vervollkommnung, zur Ganzheit gelangt – nie zu erreichen, aber beständig zu erstreben. Und nun weiß ich nicht, wie ich die Vorstellung eines fragmentarischen Lebens verstehen soll – eher als Mangel oder eher als so etwas wie eine Befreiung (von der Verpflichtung zur Perfektion etwa)?
Schon das Wort Fragment macht mir Schwierigkeiten. Laut Duden hat es zweierlei Bedeutungen:
a) Bruchstück eines ehemals Ganzen
b) Bruchstück eines zu schaffenden Ganzen
Beide Bedeutungen verweisen auf ein Ganzes, womit wir dann doch wieder beim „klassischen“ Ideal wären?
Ich finde jedenfalls die Vorstellung, mein Leben als etwas Fragmentarisches zu sehen, sehr reizvoll.
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Ja, die Möglichkeit, das Leben als ein Fragment betrachten zu können, setzt voraus, wir wüßten, was Vollkommenheit, Vollendung, Vollständigkeit, das Ganze wären. Das ist eigentlich seltsam, weil, wer weiß das schon und wüßte es zu sagen ...transfinitum hat geschrieben : ↑So 21. Mär 2021, 17:16MIr fällt dazu ein, dass das Leben an sich als Fragment gesehen werden kann, da niemand vollständig werden oder sein kann. Jeder Mensch ist ein Teil/Fragment des Ganzen. Allerdings kann ich nicht genau definieren, was "Vollständigkeit" bedeutet. Bedeutet es eine Gesamtmenge aller Weltbilder, alles Wissens, aller Erfahrungen?
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(das ins Kursiv gesetzte fortführend) ... und alles, was wir bis dahin oder bis jetzt getan und gedacht und gefühlt haben, war unzulänglich, nicht genügend, unfertig ...Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑So 21. Mär 2021, 10:54Patricia de Martelaere hat geschrieben : Wir bilden uns ein, daß wir »am Ende« unseres Lebens sterben werden, was nicht nur logisch, sondern auch gerecht und sehr schön wäre. Aber in Wirklichkeit sterben wir auf dem Weg, um die Kinder von der Schule abzuholen, im Badezimmer, während wir eine Kultursendung im Radio hören, oder im Bett mit einer Frau, die nicht die unsrige ist. Wir sterben, so scheint es, immer in den ungelegensten Momenten. Und alles, was wir unbedingt noch tun mussten, alles, was wir auf jeden Fall noch sagen wollten, wird einfach ungetan bleiben und ungesagt. Unser Leben wird durch den Tod unterbrochen, nicht beendet ...
Die 3 Pünktchen sind für mich, wie ich merke, wie ein Symbol fürs Fragmentarische.
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Aber das ist keine Fortführung im Sinne des Textes, sondern?
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Wenn man nach diesem Textfragment sucht, dann findet man, dass es wahrscheinlich von dem Theologen Dieter Bonhoeffer ist. Es findet sich das ein oder andere dazu im Netz.