Dass die Autorinnen solcher Texte generell gar nicht die ernsthafte Absicht haben, die Wahrheit zu sagen, möchte ich ernsthaft bezweifeln. Jemand kann eine Geschichte erfinden, um zum Beispiel etwas Bestimmtes damit exemplarisch zu zeigen, um nur eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie Autorinnen die ernsthafte Absicht haben können, die Wahrheit zu sagen.Consul hat geschrieben : ↑So 28. Jul 2024, 23:09Rein fiktionale Geschichten oder Erzählungen sind unwahr/falsch, weil sie nicht der Wirklichkeit entsprechen. Allerdings besteht aufseiten der Autoren solcher Texte ja gar nicht die ernsthafte Absicht, die Wahrheit zu sagen; und die ästhetische und emotionale Wirkung fiktionaler Kunstwerke wird durch deren fehlende Wahrheits- oder Wirklichkeitstreue nicht geschmälert.
Die Wahrheit in der Literatur
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Eine Fiktion ist notwendigerweise nicht vollständig fiktiv. Die Tarzanfigur ist fiktiv. Dass es Urwälder gibt, ist nicht fiktiv. Das Erstechen des Krokodils ist fiktiv. Dass es scharfe Messer gibt, ist nicht fiktiv. Und so weiter. Ich bin dafür, dass man undifferenzierte Diskussions-Klumpen in Einzelteile zerlegt und diese dann diskutiert, statt Widersprüche zu verklumpen und darin zu verharren.
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Zu solch einem Urteil kommt man, wenn man Wahrheit auf extensionale Wahrheit reduziert. Es ist eine Definitionsfrage, ob man das will oder nicht. Ich bevorzuge eindeutig eine Sprechweise, die nicht nur extensionale Wahrheiten (alles, was der Fall ist) anerkennt, im Gegenteil es für wichtiger hält, im weiten Feld der Relativitäten das relativ Wahre zu erkennen. Das ist dann freilich kein unbestreitbares Wahres mehr. Aber wenn man genauer hinschaut, ist auch das angeblich Unbestreitbare keine absolute Wahrheit. Schon nach Popper lassen sich All(gemein)aussagen nicht verifizieren, ich meine jedoch viel mehr. Alles, was wir denken, ist, wenn es Welt zum Gegenstand hat, ein Abbilden. Es gibt aber nie Sicherheit, daß die Abbildung vollständig und korrekt/angemessen ist. Wir reichen nie vollkommen an die Wirklichkeit heran. Das macht aber nichts, denn es reicht vollkommen, die Welt so gut zu kennen, wie wir eben können. Es ist ein Wunder der Natur, daß sich in ihr hochkomplexe Strukturen entwickelt haben, deren Rekursivität zu einer Selbstabbildung geführt haben, die Welt, genauer: ein Teil der Welt hat ein Bewußtsein von sich selbst entwickelt, eine imprädikative Struktur. Sie kann nicht vollkommen sein, aber sie kann sich vervollkommnen.Consul hat geschrieben : ↑So 28. Jul 2024, 23:09
Allerdings besteht aufseiten der Autoren solcher Texte ja gar nicht die ernsthafte Absicht, die Wahrheit zu sagen; und die ästhetische und emotionale Wirkung fiktionaler Kunstwerke wird durch deren fehlende Wahrheits- oder Wirklichkeitstreue nicht geschmälert.
In diesem Sinn ist auch die extensionale Wahrheit, obwohl von ganz anderer Festigkeit und Verläßlichkeit, so wenig absolut wie die intensionale Wahrheit, an der das Subjekt beteiligt ist und nicht eliminiert werden kann. Das sind Wahrheiten, die schon im Ansatz nicht objektivierbar sind, in denen schon der Versuch, sie vollständig zu objektivieren, widersinnig ist.
Auch denke ich, daß wir diese relativen, subjektiven Wahrheiten im Vergleich mit dem Aufwand für die Naturwissenschaften zu sehr vernachlässigen; sie werden dem bloßen Meinen überlassen, und das öffnet der Willkür, Manipulation, dem nihilistischen Zynismus das Tor. Da ist der Einspruch gegen falsche Wahrheitsansprüche nicht an Wahrheit orientiert, sondern am Zerschlagen der Verbindlichkeit. Da verliert Kritik ihre progressive Bedeutung. Wir müssen an der regulativen Idee der Wahrheit festhalten, auch gerade bei den weichen Objekten des Denkens.
Zurück zu dem Eingangszitat. Es ist richtig, daß fiktionale Texte sich nicht mit der objektiven Wahrheit ihrer Aussagen beschäftigen. Aber sie beschäftigen sich mit deren subjektiver und ästhetischer Wahrheit. Und die steht dann doch in einem Zusammenhang mit der objektiven. Künstlerisch muß man beides tun, den "objektiven" Wahrheiten gerecht werden, und sie souverän übersteigen.
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Was bedeutet das?
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Das gefällt mir gar nicht so schlecht, wobei ich bei "Ahnung von Wahrheit" von Wahrheit noch etwas stocke...artcube21 hat geschrieben : Kunst, heißt es bei Adorno, ist „Nachkomme der Magie“, eine Instanz, die „das Heilige vom Alltäglichen sonderte und jenes rein zu halten gebot“. Wie die Magie untersteht die Kunst einer „Sphäre eigener Gesetze“, die jenen des Profanen, Alltäglichen enthoben ist. Wie das Heilige untersteht sie keiner Zweck-Mittel-Rationalität, keinem vordergründigen ökonomischen Verwertungszwang. Im Gegensatz zur Kunst pochte die Magie allerdings darauf, mit Wahrheit ident zu sein, und legitimierte damit ihre gesellschaftliche Vormacht. Die Kunst dagegen ist „befreit“ in dem Sinne, dass sie keinen Herrschaftsanspruch erhebt oder legitimiert und nicht im Dienst der Rechtfertigung des Bestehenden steht. Nach Adorno gaukelt die Kunst nicht vor, einen direkten Zugang zur Wahrheit zu besitzen, sondern ermöglicht ästhetische Erfahrung, in der so etwas wie eine Ahnung von Wahrheit aufblitzen kann.
https://artcube21.at/
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Res extensa ist der kartesianische Begriff für die äußerliche, allen gleich erscheinende Welt, res cogitans das im (Einzel-)Bewußtsein Seiende. Das kann man nutzbar machen für eine kategoriale Trennung der Dinge in die, die in der Raumzeit ausgedehnt sind, Raumzeitbereiche einnehmen, aber auch andere notwendige Eigenschaften haben, und die, die etwas besitzen, was zusammengesetzte Dinge zu einem Ganzen macht, eine Tiefenstruktur, die senkrecht auf der Oberflächenstruktur steht. Wir sehen die Oberfläche (das ist metaphorisch gemeint), aber die Tiefe ist das, was das Ding zu einem verstehbaren, aber auch verstanden werden müssenden macht. Das kann man die res intensa nennen, res cogitans.
Dann gibt es eine dreigeteilte Welt, die der rein extensionalen Gebilde, die der rein intensionalen (die reine Mathematik/Logik) und den Dingen, die nur als beides erfaßt werden können. Gedankenobjekte sind intensional, mit einer extensionalen Spur. Realstrukturen sind Intensionalität in der Extension. So scheint mir die Welt als eine objektiv-subjektive Gesamtheit begreifbar zu sein.
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Es wäre hier interessant, die genauen Formulierungen von Adorno zu kennen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 29. Jul 2024, 16:45wobei ich bei "Ahnung von Wahrheit" von Wahrheit noch etwas stocke...
Aber man kann sich auch ohne klarmachen, warum das nicht widersprüchlich ist. Der klassische Wahrheitsbegriff schließt das Gemachtsein, also ein Subjekt als Grundlage aus, Wahrheit muß ubiquitär und zeitlos sein. Sie betrifft aber nur Totes, eine belebte, sich nicht determiniert entwickelnde Welt wird damit nicht erfaßt. Wir benötigen einen relativen und gleichzeitig sehr starken Begriff der Wahrheit, der das bewältigen kann. Er gipfelt in der dialektischen Wahrheit.
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lat. res: Ding; cogitans: denkend; extensa: ausgedehntWolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Mo 29. Jul 2024, 17:11Res extensa ist der kartesianische Begriff für die äußerliche, allen gleich erscheinende Welt, res cogitans das im (Einzel-)Bewußtsein Seiende.
Res extensa sind bei Descartes die "ausgedehnten Sache" und "res cogitans" ist das gesamte Denken, Fühlen etc. Das sind einfach die Begriffe für seine beiden Substanzen des Dualismus.
Mit dem Wahrheitsbegriff hat das allerdings gar nichts zu tun:
Wenn man denkt, dass die Dinge so und so liegen und sie liegen so und so, dann hat man die Wahrheit gedacht. Das ist komplett unabhängig davon, über welche Art von Dingen man nachdenkt.
Wenn man denkt, dass 7 + 5 = 12 ist und 7 + 5 = 12, dann hat man etwas Wahres gedacht.
Wenn man denkt, dass Trump der schlechteste amerikanische Präsident aller Zeiten war und Trump war der schlechteste amerikanische Präsident aller Zeiten, dann hat man die Wahrheit gedacht.
Und wenn man denkt, dass der Mond sich näherungsweise kreisförmig und die Erde dreht, und der Mond dreht sich näherungsweise kreisförmig und die Erde, dann hat man etwas Wahres gedacht.
Bei der Wahrheit von fiktionalen Texten, falls es dergleichen gibt, was ich glaube, muss man sich also nicht fragen welcher Wahrheitstyp vorliegt, es gibt nämlich nur einen, sondern welches "so und so" vorliegt.
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Wie kommst du auf "widersprüchlich"?Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Mo 29. Jul 2024, 17:25Aber man kann sich auch ohne klarmachen, warum das nicht widersprüchlich ist.
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Und dieses "so und so" ist natürlich bei literarisch, fiktiven Texten deutlich komplexer und vielschichtiger als so etwas Einfaches wie "Donald Trump war der schlechteste Präsident der Vereinigten Staaten", wo man leicht versteht, worum es geht und die Wahrheit unmittelbar einleuchtet.
Ein Grund dafür ist der Umstand, dass das Textmaterial selbst sprechend sein kann, aber nicht muss: „Poesie ist ein anhaltendes Zögern zwischen Klang und Sinn“. (Paul Valéry)
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"Mit dem Wahrheitsbegriff hat das allerdings gar nichts zu tun"
Du meinst, Wahrheit hat nichts mit diesen zwei res zu tun?
"Wenn man denkt, dass die Dinge so und so liegen und sie liegen so und so, dann hat man die Wahrheit gedacht"
Du meinst, wenn man einen Gedanken denkt, der wahr ist (zutrifft), dann hat man die Wahrheit gedacht? Ist das nicht ein bißchen hoch gegriffen?
"Wenn man denkt, dass 7 + 5 = 12 ist und 7 + 5 = 12, dann hat man etwas Wahres gedacht"
Was gab es denn da zu denken? Du meinst, wenn Otto sagt "Otto", wenn er nach seinem Namen gefragt wird, hat er die Wahrheit gedacht und ausgesprochen?
Warum bringst Du das Beispiel mit Trump? Du meinst, da wird jeder anständige Mensch zustimmen, daß, wenn man A denkt, und A ist, man die Wahrheit bzw etwas Wahres gedacht hat? Ich hege keine Sympathien für Trump, aber woher weißt Du, daß T der SchlePaZ war?* Hättest Du nicht genauso gut schreiben können, "wenn T der weiseste PaZ war", die Aussage wäre absolut äquivalent gewesen.
Du meinst, die Aussagen über den SchlePaZ, die Addition und die Himmelsmechanik sind alle derselbe Wahrheitstyp?
Und egal, ob Fakt oder Fiktion, wenn "so oder so" so oder so ist, ist es die reine Wahrheit?
* Daß T der SchlePaZ der USA war, ist eine sehr gewagte These. Was ist mit den Präsidenten, die den Vietnamkrieg zu verantworten hatten? Was war bei Trump schlimmer? Sollte es zur iranischen A-Bombe kommen und diese jemals gezündet werden, dann wird T dafür verantwortlich sein. Aber moralische Urteile sind kein guter Ratgeber, um der Wahrheit auf die Sprünge zu helfen.
Du meinst, Wahrheit hat nichts mit diesen zwei res zu tun?
"Wenn man denkt, dass die Dinge so und so liegen und sie liegen so und so, dann hat man die Wahrheit gedacht"
Du meinst, wenn man einen Gedanken denkt, der wahr ist (zutrifft), dann hat man die Wahrheit gedacht? Ist das nicht ein bißchen hoch gegriffen?
"Wenn man denkt, dass 7 + 5 = 12 ist und 7 + 5 = 12, dann hat man etwas Wahres gedacht"
Was gab es denn da zu denken? Du meinst, wenn Otto sagt "Otto", wenn er nach seinem Namen gefragt wird, hat er die Wahrheit gedacht und ausgesprochen?
Warum bringst Du das Beispiel mit Trump? Du meinst, da wird jeder anständige Mensch zustimmen, daß, wenn man A denkt, und A ist, man die Wahrheit bzw etwas Wahres gedacht hat? Ich hege keine Sympathien für Trump, aber woher weißt Du, daß T der SchlePaZ war?* Hättest Du nicht genauso gut schreiben können, "wenn T der weiseste PaZ war", die Aussage wäre absolut äquivalent gewesen.
Du meinst, die Aussagen über den SchlePaZ, die Addition und die Himmelsmechanik sind alle derselbe Wahrheitstyp?
Und egal, ob Fakt oder Fiktion, wenn "so oder so" so oder so ist, ist es die reine Wahrheit?
* Daß T der SchlePaZ der USA war, ist eine sehr gewagte These. Was ist mit den Präsidenten, die den Vietnamkrieg zu verantworten hatten? Was war bei Trump schlimmer? Sollte es zur iranischen A-Bombe kommen und diese jemals gezündet werden, dann wird T dafür verantwortlich sein. Aber moralische Urteile sind kein guter Ratgeber, um der Wahrheit auf die Sprünge zu helfen.
Aus meiner umfangreichen Beschäftigung mit amerikanischer Geschichte kann ich das nicht bestätigen. Was zum Beispiel allein Trumps Vorbild Andrew Jackson angerichtet hat, halte ich für weitaus schlimmer. Bis weit ins 19. JH hinein gab es Gestalten, gegen die Trump doch noch wie ein Laienspieler wirkt.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 29. Jul 2024, 18:25Und dieses "so und so" ist natürlich bei literarisch, fiktiven Texten deutlich komplexer und vielschichtiger als so etwas Einfaches wie "Donald Trump war der schlechteste Präsident der Vereinigten Staaten", wo man leicht versteht, worum es geht und die Wahrheit unmittelbar einleuchtet.
Aber genau solche Sätze halte ich eben nicht für wahrheitsfähig. Sobald man den Begriff der Wahrheit auf eine Eigenschaft von Sätzen/Aussagen reduziert, hat man das Problem mit der Literatur nicht mehr. Das Fiktive kann aber muss sich nicht mit Tatsachen abgeben, das ist nicht seine Aufgabe, nicht Sinn und Zweck . Aber alles Nichtfiktive eben schon. Daher ist es müßig.
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Ja! Und zwar: "Die Überzeugung, dass p, ist genau dann wahr, wenn p." (Philosophische Grundbegriffe, Wahrheit, Ansgar Beckermann)
Du unterscheidest nicht ausreichend zwischen dem Begriff der Wahrheit; der Art und Weise, wie wir die Wahrheit herausfinden bzw. herauszufinden versuchen, und den Gegenstandsbereichen, die wir betrachten. Verschiedene Gegenstandbereiche, erfordern verschieden Methoden der Wahrheitsfindung, aber der Wahrheitsbegriff ist stets derselbe. Und zwar: "Die Überzeugung, dass p, ist genau dann wahr, wenn p." (Wobei wir den Begriff der Überzeugung meines Erachtens sehr weit und abstrakt fassen müssen, als intentionales Gebilde oder ähnlich.)
Wenn wir über Wahrheit in der Kunst sprechen, wird es sicher deutlich komplexer, als wir es durchschauen können, vermute ich, deswegen sollte man nicht schon mit konfusen Begriffen an den Start gehen. In eklatanter Unterschied ist folgender: Wenn ich irgendeinen physikalischen Gegenstand untersuche, dann dürfte es diesem Gegenstand "egal" sein, was ich da tue. Wenn ich aber Kunst betreibe, und dabei etwas "untersuche" (der Begriff ist vielleicht schon anrüchig) dann gehöre ich als Mensch in der Regel selbst zum Gegenstandbereich der ästhetischen "Untersuchung" und ändere mich ggf. unter dem ästhetischen Mikroskop dank der Untersuchung. Die Art der Darstellung kann das Dargestellte im Darstellen ändern, denn der "Geist ist nur das, wozu er sich macht" (Hegel). (Das gilt natürlich nicht exklusiv für die Kunst.)
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Ja, das ist ein guter Einwand. Allerdings hantieren Wahrheitstheorien nicht per se mit Sätzen/Aussagen, sondern sind in der Regel weiter gefasst und sprechen von Ansichten, Meinungen und Überzeugungen. Aber auch das wird schwierig, wenn wir über Kunst sprechen, keine Frage. Deswegen finde ich Tarskis "so und so" eigentlich ganz gut. Beispielweise können auch ein poetischer Text, ein Film und ein Bild (als intionale Gebilde) den Menschen als etwas zeigen, was so uns so ist und damit so uns so sein könnte oder sollte.Lucian Wing hat geschrieben : ↑Di 30. Jul 2024, 08:18Sobald man den Begriff der Wahrheit auf eine Eigenschaft von Sätzen/Aussagen reduziert ...
Es ist nicht gut, den Tatsachenbereich so einzuschränken, finde ich. Es geht nicht bloß um das "gegenwärtig Existierende". Kunst kann sich mit dem Möglichen, zum Beispiel mit Utopien oder Dystopien befassen. Auch Möglichkeitsräume gehören zu dem, was es gibt. Es gibt Tatsachen über das, was möglich ist.Lucian Wing hat geschrieben : ↑Di 30. Jul 2024, 08:18Das Fiktive kann aber muss sich nicht mit Tatsachen abgeben, das ist nicht seine Aufgabe, nicht Sinn und Zweck. Aber alles Nichtfiktive eben schon.
Auch Kontingenz kann ein Gegenstand der Kunst sein und ist es auch oft. Fast alles könnte, vieles sollte anders sein. Fantasie ist etwas, was uns den Bereich des Möglichen erschließen kann.
Natürlich gibt es auch Kunst, die es auf Darstellungsrichtigkeit anlegt. Sie zeigt etwas so und so und ist wahr, wenn, das, was sie zeigt, so und so ist. Manchmal wird das als überflüssig gebrandmarkt. Aber das ist nicht zwingend. Es kann schon die Auswahl des Gegenstands von größtem Belang sein. Gestern hab ich eine kurze Textpassage gelesen, in welcher der Autor Dürers Hase als wenig bedeutend eingestuft hat. Ich bin kein Kunsthistoriker, aber ich könnte mir vorstellen, dass allein der Umstand, dass Dürer zeigt, dass der Hase einer Darstellung wert ist, etwas Wahres sagt/zeigt.
Zudem ist es so, dass sich jeder Gegenstand in unendlichen vielen "so und so" zeigt. Die Künstlerin, die es auf Darstellungsrichtigkeit anlegt, wählt eine oder mehrere davon aus, aber nie alle, weil wir endliche Wesen sind. Auch das ist bereits etwas Bedeutsames, was etwas in ästhetischer Wiese etwas zeigen kann, was zugleich eine Wahrheit zeigt.
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Das kann man so machen. Dann schränkt man Wahrheit auf Dinge ein, die in der Form eines Objekts gegeben sind. Ich nenne das die "objektive Wahrheit". Dann hat man das lästige Subjekt aus der Definition von Wahrheit verbannt, Wahrheit soll subjektunabhängig sein, nur dann kann sie Ubiquität und universelle Gültigkeit beanspruchen; der Vorteil liegt auf der Hand, bei dieser Wahrheit sind keine Zweifel möglich. Das entspricht dem, was Jörn will: Wahrheit ist Wahrheit, nichts anderes. Die menschlichen Urteile sind diesem Bereich entlehnt oder zu verwerfen. Solch schöne Eindeutigkeit wollte auch der logische Positivismus erzwingen, und alles, was nicht der Fall ist, als unvernünftiges Sprechen eliminieren. Das Problem ist nur: damit fällt Sein und Wahrheit zusammen, es gibt kein vom (So-)Sein unterschiedenes Wahrsein. Genau das allerdings, diese Differenz, hat die Griechen zu dem Begriff der Wahrheit veranlaßt.Lucian Wing hat geschrieben : ↑Di 30. Jul 2024, 08:18
Aber genau solche Sätze halte ich eben nicht für wahrheitsfähig. Sobald man den Begriff der Wahrheit auf eine Eigenschaft von Sätzen/Aussagen reduziert, hat man das Problem mit der Literatur nicht mehr.
Daher sehe ich keinen Sinn darin, wie die Positivisten das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wenn wir Wahrheit zu einer Eigenschaft des Denkens machen, das wahr und falsch sein kann, sind wir nicht mehr nur auf der Objektebene, auf der etwas ist oder nicht ist. Was soll das überhaupt sein: DIE Wahrheit? Wo es keine denkenden Menschen gibt, wo ist sie? Das Sein ist nach wie vor, niemand, der es in Sein und Wahrheit verdoppelt. Oder ist diese Vorstellung unerträglich?
Wenn wir also sagen, Wahrheit ist eine Eigenschaft, die dem Denken zukommen kann oder nicht, dann beschreiben wir ein Subjekt. Ein sich reflektierendes Subjekt. Es denkt die Welt und zweifelt daran, daß es die Welt richtig denkt, und beginnt, sein Denken zu reflektieren und den Inhalt des Denkens, Dinge der Welt, mit dem Denken in Beziehung zu setzen, er betreibt Erkenntnistheorie, er bildet Wahrheitstheorien.
Aber Jörn möchte auf der Stufe "so oder so" stehenbleiben. Du auch?
Du sagst es ja: GröFaZ oder SchlePaZ sind keine extensionalen Begriffe. Und wir sollten nicht vergessen, daß sogar die Physik erkennen mußte, daß ihre extensionalen Begriffe nicht haltbar sind, die Quantenobjekte sind keine Objekte, wenn man voraussetzt, daß man einem Objekt eine eindeutige Position in der Raumzeit UND einen eindeutigen Impuls zuschreiben muß. Und eine Wirkgeschwindigkeit. Das erschüttert unser Verständnis vom physikalischen Ding. Andrerseits leben wir in der Mesowelt, wir dürfen von solchen Grenzen unserer Objektivität abstrahieren, es gibt also gute Gründe, zu akzeptieren, daß im Horizont unserer Welt es eine objektive Wahrheit gibt. Nur dürfen wir nicht vergessen, daß wir unseren Begriff des Objekts angelegt haben, Wahrheit ist dann die Anwendbarkeit und das Erklärungspotential dieses Begriffs auf die physikalische Welt.
Hier stellt sich die Frage, ob man das wahrhaftige Denken auf diesen Bereich beschränken soll. Das kann man machen, aber es werden nicht viele solcher Definition der Wahrheit folgen. Selbst die analytische Philosophie hat sich von ihrer positivistischen Herkunft verabschiedet. Ob der sprachanalytische Wahrheitsbegriff viel sinnvoller ist, will ich hier gar nicht diskutieren, es reicht zu wissen, daß der positivistische zu eng ist.
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Das ist nicht richtig. Nehmen wir Boghossian "Angst vor der Wahrheit": Die Meinung von S, dass p, ist genau dann wahr, wenn p. Das lästige Subjekt ist aus dieser Standard-Definition von Wahrheit nicht verbannt. Du findest es auf der linken Seite der "Bedingung": "Die Meinung von S ..." Zweifel kann es nur geben, wenn wir einen Unterschied von Fürwahrhalten und Wahrheit anerkennen. Es mag Fälle geben, wo das zusammenfällt, aber in der Regel ist das der Ort des Zweifels. Man meint, dass die Dinge so und so liegen, aber sie könnten auch anders liegen. "Ich dachte, es wäre Frau Müller, aber es war jemand anders."Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Di 30. Jul 2024, 12:01Aber Jörn möchte auf der Stufe "so oder so" stehenbleiben
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Da liegt die Wahrheit wieder aufseiten des Objekts. Daher nennst Du es ja einen Wahrmacher. Es ist typisch, daß in Deinem Beispiel sich alles auf objektive Wahrheit zurückführen läßt:
Wenn "Ich dachte, es wäre Frau Müller, aber es war jemand anders.", dann ist es eine Frage nach der objektiven (extensionalen) Wahrheit, daß an diesem Ort zu dieser Zeit sich eine Person, die den Namen Müller trägt, aufhielt, da war jemand, und zwar Frau Müller, keine Frau Schmidt. Das ist möglicherweise überprüfbar; wenn es sonst keine Zeugen gibt, eventuell durch Selbstauskunft von Frau Müller. Schwieriger wird es, wenn ich an einer Konzerthalle vorbeigehe und später berichte, daß ein Streichquartett gespielt wurde, es könnte eine kammermusikalische Passage aus einer Symphonie sein, es könnte ein Tentett gewesen sein, welches den Titel Kammersinfonie trägt. Hier kann ich mich geirrt haben durch die fragmentarische Kenntnis, aber auch durch die Sicht auf das Musikstück, das als Kammersinfonie konzipiert sein kann oder als größeres kammermusikalisches Ensemblespiel. Diese Wahrheit, die sich auf ein Kunstwerk bezieht, ist nicht mehr extensional, ganz abgesehen davon, daß in ihm Gefühle und andere semantische Gehalte thematisch sind. Man kann das alles Schall und Rauch nennen, dann ist die Welt aber sehr oberflächlich und belanglos. Ich glaube nicht, daß irgend jemand in solch einer Welt leben möchte.
Wenn "Ich dachte, es wäre Frau Müller, aber es war jemand anders.", dann ist es eine Frage nach der objektiven (extensionalen) Wahrheit, daß an diesem Ort zu dieser Zeit sich eine Person, die den Namen Müller trägt, aufhielt, da war jemand, und zwar Frau Müller, keine Frau Schmidt. Das ist möglicherweise überprüfbar; wenn es sonst keine Zeugen gibt, eventuell durch Selbstauskunft von Frau Müller. Schwieriger wird es, wenn ich an einer Konzerthalle vorbeigehe und später berichte, daß ein Streichquartett gespielt wurde, es könnte eine kammermusikalische Passage aus einer Symphonie sein, es könnte ein Tentett gewesen sein, welches den Titel Kammersinfonie trägt. Hier kann ich mich geirrt haben durch die fragmentarische Kenntnis, aber auch durch die Sicht auf das Musikstück, das als Kammersinfonie konzipiert sein kann oder als größeres kammermusikalisches Ensemblespiel. Diese Wahrheit, die sich auf ein Kunstwerk bezieht, ist nicht mehr extensional, ganz abgesehen davon, daß in ihm Gefühle und andere semantische Gehalte thematisch sind. Man kann das alles Schall und Rauch nennen, dann ist die Welt aber sehr oberflächlich und belanglos. Ich glaube nicht, daß irgend jemand in solch einer Welt leben möchte.
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Du verwechselst mich mir Consul.Wolfgang Endemann hat geschrieben : ↑Di 30. Jul 2024, 14:01Daher nennst Du es ja einen Wahrmacher.
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Das ist eine ganz andere Frage. Nämlich die Frage, was wir wissen können und/oder wie wir die Wahrheit herausfinden. Schwierig und leicht kann nur sein, wie wir die Wahrheit herausfinden. Das verwechselst du durchgängig.
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Wahrheit hängt nicht an Überprüfbarkeit. Ich kann Ansichten haben, von denen ich nie wissen werde, ob sie wahr sind oder nicht.