Mo 10. Jun 2024, 18:24
P1 ist eine Tautologie. Eine Eigenschaft, ein Prädikat am Objekt nenne ich objektiv, wenn sie/es mit dem Objekt gegeben ist, nicht von Außen von einem Subjekt an es herangetragen wird. Und objektiv ist ein Sachverhalt zwischen Objekten, der notwendig mit dem Aufeinandertreffen der Objekte auftritt. Das ist der korrekte Gebrauch des Wortes "objektiv".
P2 habe ich nicht gesagt. Wenn das Objekt ein Kunstobjekt ist, ist die Eigenschaft "schön" keine Materialeigenschaft, die dem Kunstobjekt, sei es ein Bild, ein Text, eine Komposition, als physischem Gegenstand zukommt. Es ist die Idee des Kunstwerks, die sich in seiner materialen Organisation materialisiert, auf die das konzipierende Subjekt von der sinnlichen Wahrnehmung des Kunstobjekts rückschließen muß. Diese Schönheit wird nicht unmittelbar am Objekt wahrgenommen, sondern erst mit seiner nicht immer angemessenen Interpretation. So ist diese Schönheit nicht ohne subjektive Tätigkeit des rezipierenden Subjekts vorhanden, nicht objektiv, sondern intersubjektiv. Das ist anders beim Naturschönen. Die "Schönheit" der Blumen wirkt unmittelbar, wobei ich da etwas problematisiere, von Schönheit zu sprechen, aber ja, im naiven Verständnis sind die Blumen einfach schön. Und wenn ich sie abmale, ist auch das Bild der Blumen einfach schön, naturschön, das gemalte Bild hat die gleiche ästhetische Qualität wie das abgebildete Original, es ist sogar so, daß das Bild für sich keine Qualität hat, das Material zählt nicht, nur seine Erscheinung. Allerdings gilt das nur für einen handwerklich versierten Landschaftsmaler, es gilt nicht für Monets Seerosen oder Turners Seebilder, die gehen über solche Naturschönheit hinaus. Und genau deshalb ist es Kunst.
Also K: künstlerische Schönheit ist im Wesentlichen nicht objektiv, freilich muß sie sich objektiv materialisieren, in ihrer Objektivierung erkannt, dechiffriert werden.
Was unbestreitbar am Objekt ist, ist prinzipiell am Objekt empirisch nachweisbar. Und jede ernsthafte Kunstbetrachtung wird sich um die objektive Erfassung des Kunstwerks bemühen. Das reicht aber nicht, um das Kunstwerk, seine Schönheit zu verstehen. Man muß es als einen sprachlichen Ausdruck lesen, seine materiale Beschaffenheit ist seine Syntax, die Interpretation liefert die Semantik.
Und jetzt komme ich zu den Blumen. Und zu Deinem Widerspruch: Wenn die Meßmethoden auf unseren Sinnen basieren, ermitteln sie nicht, was objektiv an den Sachen ist, sondern was wir wahrnehmen. Dies ist übrigens der ganz große, epochale Fortschritt im modernen Denken, das die naive Vorstellung von Objektivität abgelegt hat. Mit diesen Meßmethoden erkennen wir nicht Eigenschaften der Objekte, sondern solche unserer Wahrnehmung. Das ist etwas Geistiges, nicht objektiv Körperliches. Und dieses Geistige ist in der Tat empirischen Methoden unzugänglich. Das stimmt dann auch für die Seerosen Monets, ihre Schönheit erkenne ich, die "Schönheit" der Blumen, wie sie in der Natur gegeben sind, sehe ich unmittelbar, materiell, an der Sache, hier hatte ich von einem "Schönheitssinn" gesprochen, der nichts oder sagen wir lieber wenig mit der geistigen Schönheit von Kunstobjekten zu tun hat. Die Blumen sind, sie sprechen nicht zu mir. Die Kunst jedoch spricht zu/mit mir.