Was ist eine Innenwelt?
Verfasst: Do 1. Jul 2021, 05:38
Was ist eine Innenwelt?
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Curd Volker RANZ, Sartre, Jean Paul (1947): Situationes vol. I, S. 31-36: Une Idée Fondamentale de la Phénoménologie de Husserl: L´ Intentionalité; übersetzt von und zitiert nach: Schmitz 1996, 88-89 hat geschrieben : Gegen diese Verdauungsphilosophie des Empiriokritizismus, des Neukantianismus, gegen jederlei Psychologismus bekräftigt Husserl unermüdlich, daß man die Dinge nicht im Bewußtsein auflösen kann. […] Husserl sieht im Bewußtsein ein irreduzibles Faktum, das kein physisches Bild wiedergeben kann, außer vielleicht das rasche und dunkle Bild des Platzens. […], denn das Bewußtsein hat kein ,Innen‘; es ist nichts als das Außer-sich, und diese absolute Flucht, diese Weigerung Substanz zu sein, sind das, was es als Bewußtsein konstituiert. Stellt euch eine zusammenhängende Folge von Platzungen vor, die euch von euch selbst abreißen […]; stellt euch vor, daß wir solchermaßen durch unsere Natur abgeworfen, allein gelassen sind in einer gleichgültigen, feindseligen und widersetzlichen Welt: Ihr werdet so den tiefen Sinn der Entdeckung gefaßt haben, die Husserl in dieser berühmten Sentenz ausdrückt: ,Jedes Bewußtsein ist Bewußtsein von etwas.‘ […] Diese Notwendigkeit für das Bewußtsein, als Bewußtsein einer anderen Sache als seiner selbst zu existieren, nennt Husserl ,Intentionalität‘. […] Aber für Husserl und die Phänomenologen beschränkt sich das Bewußtsein, das wird von den Dingen haben nicht auf ihre Erkenntnis. […] Diese berühmten ,subjektiven’ Reaktionen Haß, Liebe, Furcht, Sympathie, die sich in der übelriechenden Salzlake des Geistes herumtrieben: Sieh da! sie reißen sich davon ab; sie sind nichts als Weisen, die Welt zu entdecken. Es sind die Dinge selbst, die sich uns plötzlich entschleiern, als hassenswert, sympathisch, schrecklich, lieblich. […] Husserl hat den Schrecken und den Zauber in den Dingen wiederhergestellt. Sieh da! Proust sind wir los. Ledig zugleich des ,inneren Lebens‘ […]. Nicht in irgend einer Zufluchtsstätte kommt es dazu, daß wir uns entdecken: Das geschieht auf der Straßen, in der Stadt, mitten in der Masse, Sache unter Sachen, Mensch unter Menschen.
Christina Thürmer-Rohr schrieb in "Der Sinn des Unterscheidens und die Gefahren des Unbegrenzten" hat geschrieben : In Arendts Sicht ist das „Innere“ nicht-differenziert, durch kein Anderes, keine Pluralität in Rahmen gehalten. Diese Position mündet in einer ziemlich pauschalen Abneigung gegen psychische Realitäten, gegen Innerlichkeit und Subjektivität sowie gegen Psychologie und Psychoanalyse. Oberflächlich gesehen ist Arendts Aversion sicher als Antwort auf die a-politische Entwicklung der Psychoanalyse und vieler in die USA emigrierter Analytiker zu verstehen, auf deren Leugnung politischer Verantwortungen und ihren Rückzug auf intrapsychische Prozesse. Der Unwille über dieses Abtauchen in die Innenwelt mag Kritiker dazu verleitet haben, unbewusste psychische Vorgänge mit ihren oft verstörenden antisozialen Wirkungen insgesamt zu unterschätzen oder vollends abzuwehren, wie Arendt es getan hat. Arendt bezieht sich wohl auf die sog. Ein-Personen-Psychologie, die die Wirklichkeit und das Andere auf Subjektives, Gefühles, Empfundenes reduziert. Und so sprach sie vom „Unsinn des Unbewussten“, vom „Trugschluss aller modernen Psychologie“, die vorgäbe zu wissen, was sie nicht wissen könne, die die eigene Sicht verabsolutiere und glaube, dass das Innere „den gleichen Standards unterworfen“ sei wie die Welt...
Was hat Arendt eigentlich mit dem „Inneren“ gemeint, dem Beginn der gezeigten Gedankenkette: Innenwelt - Einheit - Grenzenlosigkeit - Allmacht - das Böse? Auf den ersten Blick erscheint ihre Behauptung, dieses „Innere“ sei bei allen gleich, ja reichlich absurd und stimmen wohl alle darin überein, dass die komplexen Psychen überhaupt nicht als Einheitsmodell zu beschreiben sind50. M.E. aber meint Arendt, wenn sie vom „Inneren“ spricht, gar nicht die Psyche, eher jenen seelischen Dunkelraum51, jenen Anteil des Psychischen, den Freud „Trieb“ genannt hat, den „Herrn der Innenwelt“, der diese im Griff hält.
"Bewußtsein" ist unausgedehnt, es ist kein Raum, kein Behältnis.C.V. Ranz hat geschrieben : [...] denn das Bewußtsein hat kein ,Innen‘; es ist nichts als das Außer-sich, und diese absolute Flucht, diese Weigerung Substanz zu sein, sind das, was es als Bewußtsein konstituiert. [...] Diese Notwendigkeit für das Bewußtsein, als Bewußtsein einer anderen Sache als seiner selbst zu existieren, nennt Husserl ,Intentionalität‘. […] Diese berühmten ,subjektiven’ Reaktionen Haß, Liebe, Furcht, Sympathie, die sich in der übelriechenden Salzlake des Geistes herumtrieben: Sieh da! sie reißen sich davon ab; sie sind nichts als Weisen, die Welt zu entdecken. Es sind die Dinge selbst, die sich uns plötzlich entschleiern, als hassenswert, sympathisch, schrecklich, lieblich.
Quellen:"In der philosophischen Anthropologie wird die subjektive Seite der Eigenwelt häufig als Innenwelt beschrieben, so jedenfalls von Heidegger."
Eigenwelt in der von Martin Heidegger (1889–1976) eingeführten Bedeutung bezeichnet in der philosophischen Anthropologie die ausschließlich durch eigene Erfahrungen begründete Welt. Diese Erfahrungen sind in der Beziehung zum eigenen Selbst entstanden. Die Eigenwelt kann daher auch als subjektive oder persönliche Welt bezeichnet werden. Die Eigenwelt steht nur teilweise im Gegensatz zur Umwelt, die Menschen gemeinsam mit anderen Menschen teilen können und die daher auch als ‚Mitwelt‘ oder objektive Welt bezeichnet wird. Das ‚Mitsein‘ mit Anderen lässt das Dasein Anderer in der eigenen Welt begegnen.[1](a) Die Daseinsphilosphie Heideggers wurde insbesondere von Ludwig Binswanger (1881–1966) aufgegriffen, der sie in seiner psychotherapeutischen Praxis umzusetzen versuchte.
[...]
Die Unterscheidung zwischen Innen- und Außenbereich der Eigenwelt eines Individuums (Innenwelt und Außenwelt) hat sich auch im allgemeinen psychologischen Sprachgebrauch durchgesetzt und ist hier durch Begriffe wie Internalisierung oder Externalisierung geläufig.[4](a) Ein ähnliches begriffliches Konzept ist von Carl Gustav Jung (1875–1961) verwendet worden. Dieser spricht von Introversion und Extraversion.
Erfahrung womit, mit einer "Innenwelt" oder mit einer "Aussenwelt"?
Mit beidem. Bei Lichtschalter insbesondere mit der Außenwelt.
Zu viel inwiefern?Zusätzlich würde ich fragen, ob "Erfahrung" nicht zu viel Freiheit/Eigenständigkeit/Unabhängigkeit zulässt,
Letztlich Erfahrung; Prägung sehe ich nur als eine erste Grundlage bzw. einen Aspekt an.denn handelt es sich wirklich um "Erfahrung" oder um soetwas wie "Prägung"?
Naja, hast du darüber bestimmt, "eine Innenschau aufzubauen" oder hast du es bewusst miterlebt?
Klar, die "Innenschau" kann einem keiner zeigen u.ä., selbst das Lernen von Äußerem kann nur gefördert, aber nicht erzwungen werden, u.a. weil es auf Innerem letztlich beruht.Körper hat geschrieben : ↑Sa 19. Feb 2022, 17:31Naja, hast du darüber bestimmt, "eine Innenschau aufzubauen" oder hast du es bewusst miterlebt?
Ist diese "Innenschau" nicht etwas, das man dir nicht zeigen/vorführen/beibringen kann?
Ist es nicht etwas, in das du in deiner Entwicklung "hineinschlittern" musst, um überhaupt erst Situationen zu verwalten, die du als "das Machen von Erfahrung" einordnen kannst?
Ich bezeichne deine Idee von "weil es auf Innerem letztlich beruht" als eine sehr, sehr mutige These.
Nun "Erfahrung zu machen" schliesst in Bezug auf die Aussenwelt die gesamten Fehlermöglichkeiten mit ein - Täuschung, falsche Interpretation, falsche Schlussfolgerung, Über-/Untertreibung usw. usf.Burkart hat geschrieben : ↑So 20. Feb 2022, 09:32Ich verstehe nur nicht, was du mit deinem "ob "Erfahrung" nicht zu viel Freiheit/Eigenständigkeit/Unabhängigkeit zulässt," sagen willst. Wer lässt was zu bzw. inwiefern? Willst du vielleicht sagen, dass wir gar nicht wirklich Freiheit/Eigenständigkeit/Unabhängigkeit haben, um wirklich(e) Erfahrungen zu machen?
Das macht mich natürlich stutzig... sollten wir aneinander vorgeredet haben oder ich das Äußere anders interpretiert haben als du?
Soll das so klingen wie "Ich denke, also bin ich"?Die Einstufung der "Innenschau" ist der Sachverhalt, mit dem quasi alles steht oder fällt. Die gesamte Phänomenologie beruht auf einer Überzeugung, analog zu deiner Aussage.
Das Motto à la "Ich kann mir über nichts sicherer sein, als über die inneren Vorgänge" spielt eine zentrale Rolle.
Tja, was genau also heißt "Innenschau"? Sich irgendwie erfühlen oder sich im Detail zu kennen?Wenn ein Mensch auf eine Art funktioniert, dass er keine wirkliche "Innenschau" hat, dann verändert sich das Spiel grundlegend.
Einverstanden.Nun "Erfahrung zu machen" schliesst in Bezug auf die Aussenwelt die gesamten Fehlermöglichkeiten mit ein - Täuschung, falsche Interpretation, falsche Schlussfolgerung, Über-/Untertreibung usw. usf.Burkart hat geschrieben : ↑So 20. Feb 2022, 09:32Ich verstehe nur nicht, was du mit deinem "ob "Erfahrung" nicht zu viel Freiheit/Eigenständigkeit/Unabhängigkeit zulässt," sagen willst. Wer lässt was zu bzw. inwiefern? Willst du vielleicht sagen, dass wir gar nicht wirklich Freiheit/Eigenständigkeit/Unabhängigkeit haben, um wirklich(e) Erfahrungen zu machen?
Vor allem schliesst es eine Phase ohne die jeweiligen Erfahrungen mit ein.
Das ist nicht so einfach zu sagen. Natürlich kann ich mich nicht daran erinnern, was war, bevor meine Augen die Außenwelt wahrnehmen konnten.Gab es eine Zeit, in der du nicht wusstest, was Sehen ist?
Eher selten.Hast du schon mal gedacht, etwas zu sehen, dabei hast du es gehört?
Fehler inwiefern? Ich kann z.B. mit optisch auf das Falsche konzentrieren (oder auch gar nicht) und so z.B. einen Autounfall verursachen.Könntest du jetzt einen Fehler in diesen Bereichen machen?
Ist für dich die Innenschau so statisch, so unveränderbar, also z.B. nichts mit dazulernen?Nichts davon war der Fall. Hier sind keinerlei Erfahrungen involviert.
Ein Mensch hat keine Vorstellungen, wie es ohne diese "Innenschau" war oder sein könnte.
Die Innenschau ist ja wohl auch nur sowas wie das "Bewusstsein", das seine unbewussten Teile nicht kennt, ganz zu schweigen von Nervenimpulsen.Nun kommt noch hinzu, dass im Körper des Menschen eigentlich etwas anderes stattfindet, als in der "Innenschau" vorkommt.
Der menschliche Körper ist über Nervenimpulse aktiv - vermutlich millionenfach gleichzeitig detailliert erzeugte Impulse.
Was davon kommt in der "Innenschau" vor? -> Nichts.
Mir scheint, dass ich deine Innenschau nicht recht verstehe, z.B. "was der Körper nach aussen durchführt (z.B. Fernwahrnehmung über die Augen) wird in der "Innenschau" wiederholt angewandt."Nun ist das Rätsel damit aber noch nicht beendet, denn was kommt denn in der "Innenschau" z.B. beim Sehen vor?
=> Ich sehe, was ich sehe, d.h. ich bin überzeugt, mir anschauen zu können, dass ich gerade anschaue und was ich gerade anschaue.
Ich betrachte meinen Vorgang.
(das ist aus meiner Sicht mit dem Begriff "Qualia" beschrieben)
Wichtig dabei ist: die "Innenschau" ist in diesem Fall ein Betrachten, es ist kein Fühlen, kein Schmecken, kein Spühren, sondern ein Betrachten. Bei der Frage "wie ist die Farbe 'Rot'", "schaue ich mir die Farbe an" (zumindest soll der Versuch in diese Richtung unternommen werden).
Das ist nun in der Gesamtheit sehr verdächtig:
=> was tatsächlich im Inneren des Körpers geschieht, ist nicht Teil der "Innenschau" (-> Nervenimpulse).
=> was der Körper nach aussen durchführt (z.B. Fernwahrnehmung über die Augen) wird in der "Innenschau" wiederholt angewandt.
Wie gross ist der Zufall, dass wir bei einem Gedankengang einen "Blickwinkel" und einen "Standpunkt" einnehmen?
Wie gross ist er bei "Beweglichkeit im Denken"?
Sind wir in der "Innenschau" mehr, als ein Körper, der sein, zur Aussenwelt entwickeltes Perspektiv-, Objekt- und Handlungs-Verständnis, nochmals durchläuft?
Mit deiner "Weil-Aussage" möchtest du das zumindest behaupten.
Wie begründest du deine "Weil-Aussage"?