Wahrheit die 99. ...

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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Jörn Budesheim
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Mi 29. Apr 2020, 07:09

Manch einem wird der Titel dieses Threads bekannt vorkommen. In einer weit vergangenen Zeit* haben einige User mit so illustren Namen wie: Nachtlicht, Pjotr, tigerente, it's not me, Schimmermatt, Jovis und viele andere mehr einen nach dem anderen Thread zum Thema Wahrheit eröffnet, so dass irgendwann mal eine (ironische Form) der Nummerierung notwendig wurde :)

Ich will es gleich zugeben: ich war it's not me. Damals habe ich in fester Überzeugung die Ansicht vertreten, dass Wahrheit prinzipiell sprachrelativ ist. Wahrheit ist in dieser Sicht also nicht absolut, sondern relativ. Nach meinen Erlebnissen ist das (oder ähnliches) nicht nur im intellektuellen Diskurs, sofern man davon sprechen kann, bis heute der Mainstream. Viele sind der Ansicht, dass man Wahrheit niemals haben kann, und wer gar behauptet, Wahrheit sei absolut, kommt nachgerade automatisch unter Ideologieverdacht.

Heute hingegen bin ich der Ansicht, dass es trivial ist, zu sagen, dass Wahrheit absolut ist. Trivial soll hier heißen, dass es sich dabei einfach um eine begriffliche Wahrheit handelt. Im völligen Gegensatz zu meinem früheren Ansichten würde ich heute nicht sagen, dass die Wahrheit relativ auf die Sprache ist, sondern umgekehrt, dass die Sprache "relativ" auf die Wahrheit ist. Damit ist gemeint, dass wir uns überhaupt nicht verständigen können, falls wir nicht über einen Begriff der Wahrheit, der absolut ist, verfügen würden. Eine weitere Bedingungen des Miteinandersprechens ist der Umstand, dass wir sehr viele Wahrheiten kennen und miteinander teilen.

Ich wollte einfach mal diesen Stein ins Wasser werfen und mal sehen was passiert :)

*Die Nummer 98 datierte aus dem Jahr 2004!




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Jörn Budesheim
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Do 30. Apr 2020, 05:53

In einigen dieser Threads ging es um eine Metapher von Maturana. Ich will hier ganz offen lassen, ob die Metapher von mir überhaupt korrekt wiedergegeben wurde. Wichtig ist jetzt nur, wie ich sie selbst argumentativ eingesetzt habe. Ich wende mich also nicht gegen Maturana, sondern gegen mein philosophisches Ich aus dem Jahr 2004. Man sollte sich bei dieser Metapher (z.b.) das System Mensch als U-Boot vorstellen. Hier ein kleiner Ausschnitt:
it's not me hat geschrieben : Solange sie funktionieren, kann man den bordeigenen Mittel (den Instrumenten) vertrauen, das heißt man „überlebt“. Aber geben sie ein Ab-Bild der Umwelt des U-Bootes? Sagen sie die Wahrheit? Zeigen Sie die ganze Wahrheit? Sind sie ein Spiegel? Ich würde hier wohl jeweils für ein Nein optieren.

Die Umwelt wirkt kausal auf die Instrumente im U-Boot ein, ja. Aber sie determiniert sie nicht: Ich könnte die Anzeigen auch gegen den Uhrzeigersinnlaufen lassen und jede beliebig andere Markierung verwenden; oder überhaupt völlig andere Geräte. Was man auch gut sieht in dieser Metapher ist, finde ich, dass nur ein sehr kleiner Teil der U-Boot-Umwelt die Instrumente „reizen“ kann. Eine ganz schmale Bandbreite wird überhaupt nur wahrgenommen und auch nur das, was sich in die „Sprache“ der Instrumente übersetzen lässt.
Heute finde ich diese Metapher schon vom Ansatz her verkehrt.

Zunächst einmal legt sie eine Wahrnehmungstheorie nahe, bei der es im System einen Homunculus gibt, der wahrnimmt. Schließlich gibt es in so einem U-Boot in der Regel einem Steuermann, der die Geräte abliest. Mit so einem grundsätzlich verfehlten Ansatz, kann man natürlich nichts zeigen.

Der zweite Einwand ist folgender: das Bild ist offenbar realistisch. Schließlich nimmt es in Anspruch, unsere Wahrnehmungs-Situation richtig darzustellen. Aber es ist natürlich völlig sinnlos, ein realistisches Bild aufzurufen, um den Konstruktivismus zu befeuern.

In dem Bild wird von mir seinerzeit vertreten, dass das System U-Boot immer nur kleine Ausschnitte der Wirklichkeit in den Blick bekommt. Was hier fehlt, ist eine Begründung, inwiefern das ein Einwand gegen den Realismus und ein entsprechendes Wahrheits-Verständnis ist. Meine Ansicht, dass die Tasse rechts von mir auf dem Tisch steht, ist wahr, wenn sie eben rechts von mir auf dem Tisch steht. Dass ich damit nur einen kleinen Ausschnitt des Zimmers, in dem ich mich gerade befinde, in den Blick nehme, spricht überhaupt nicht dagegen.

Auch der nächste Einwand meines 2004er Ichs gegen den Realismus ist meines Erachtens nicht stichhaltig: "Ich könnte die Anzeigen auch gegen den Uhrzeigersinnlaufen lassen und jede beliebig andere Markierung verwenden; oder überhaupt völlig andere Geräte." Unsere mentalen Zustände weisen der Regel zwei Aspekte auf. Einen Wie- und einen Was-Aspekt. Das heißt, sie "sind irgendwie", damit sind die berühmten Qualia gemeint. Und sie haben einen sogenannten "intentionalen Gehalt". Daraus, dass das "Wie" auch völlig anders sein könnte, folgt keineswegs, dass das "Was" verfehlt ist und uns die Dinge nicht so zeigt, wie sie an sich selbst sind. (Zudem muss man natürlich in Rechnung stellen, dass das Wiw selbst Teil der Realität ist.)

"... nur das, was sich in die „Sprache“ der Instrumente übersetzen lässt." Wenn ich recht sehe, ist das eine verkappte petitio principii. Es wird damit nur das herausgeholt, was man zuvor hineingelegt hat. Soweit ich heute sehe, wird damit einfach vorausgesetzt, dass die Sprache "ihrer Umwelt" gleichsam fremd gegenübersteht. Aber Denken und Sprechen sind etwas innerhalb der Wirklichkeit und wir gewinnen diese Fähigkeit auch in und mit ihr. Ich vertrete heute einen sogenannten Externalismus, der so eine strenge Trennung von vornherein ausschließt.




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Jovis
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Do 30. Apr 2020, 16:03

Hm ... ich weiß gar nicht mehr, welche Position ich damals vertreten habe ... :? Ich habe angefangen ein wenig in diesem alten thread zu lesen, es dann aber schnell aufgegeben, weil mich das nur verwirrt hat, es war mir jetzt auch zu mühsam, das alles nachzuvollziehen. Fang ich lieber frisch von vorn an! :)

Es erscheint mir widersinnig anzunehmen, dass wir als Wesen, die in der Welt und mit der Welt entstanden sind, keinen Zugang zu dieser Welt haben sollen. Wir stehen der Welt nicht fremd gegenüber, sondern sind ein Teil von ihr. Ich hatte damals offenbar Schwierigkeiten mit der Idee eines geschlossenen Systems, wie es die Metapher des U-Bootes nahelegt, und die habe ich heute noch.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 05:53
Aber Denken und Sprechen sind etwas innerhalb der Wirklichkeit und wir gewinnen diese Fähigkeit auch in und mit ihr. Ich vertrete heute einen sogenannten Externalismus, der so eine strenge Trennung von vornherein ausschließt.
Anscheinend haben wir heute also beide in etwa dieselbe Position? Und das nennt man dann Externalismus? Den Ausdruck kenne ich noch gar nicht.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 05:53
In dem Bild wird von mir seinerzeit vertreten, dass das System U-Boot immer nur kleine Ausschnitte der Wirklichkeit in den Blick bekommt. Was hier fehlt, ist eine Begründung, inwiefern das ein Einwand gegen den Realismus und ein entsprechendes Wahrheits-Verständnis ist. Meine Ansicht, dass die Tasse rechts von mir auf dem Tisch steht, ist wahr, wenn sie eben rechts von mir auf dem Tisch steht. Dass ich damit nur einen kleinen Ausschnitt des Zimmers, in dem ich mich gerade befinde, in den Blick nehme, spricht überhaupt nicht dagegen.
Bei "Ausschnitte der Wirklichkeit" muss ich an dieses gräßliche Thema des "Dings an sich" denken. Aus der unbestrittenen Tatsache, dass wir nur Teile der Wirklichkeit wahrnehmen, folgt ja nicht, dass diese Teilwahrnehmungen den Gegenstand gar nicht treffen und mithin falsch sind. Ein Insekt mag beim Anblick einer Blume andere Aspekte wahrnehmen als ich, aber daraus folgt meines Erachtens nur, dass die Blume eben ungemein vielfältig ist und viele Sichtweisen zulässt, die alle richtig oder wahr sind, auch wenn sie die Blume jeweils nicht als Ganzes erfassen.


(Man könnte das alles auch in deinem neuen Thema "Realismus alt/neu" schreiben, die beiden Themen überschneiden sich ja stark. Oder sind im Grunde sogar identisch?)




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Jörn Budesheim
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Jovis hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 16:03
Externalismus
Stimmt, ich habe den Ausdruck einfach so dahin geworfen. Einschlägig dafür ist ein Zitat von Hilary Putnam: meanings just ain't in the head. Bedeutungen sind nun mal nicht (bloß) im Kopf. Wenn wir herausbekommen wollen, was Bedeutung ist, müssen wir immer unsere Umwelt mit in Rechnung stellen. So würde ich in aller Kürze den Begriff umreißen.

Ich nutze ihn allerdings etwas weiter, weil ich glaube, dass er für sehr vieles passt, z.b. auch für Gefühle.




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Fr 1. Mai 2020, 10:36

Jovis hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 16:03
Ein Insekt mag beim Anblick einer Blume andere Aspekte wahrnehmen als ich, aber daraus folgt meines Erachtens nur, dass die Blume eben ungemein vielfältig ist und viele Sichtweisen zulässt, die alle richtig oder wahr sind, auch wenn sie die Blume jeweils nicht als Ganzes erfassen.
Ja, so (ähnlich) sehe ich das auch.

Aber: Wenn zwei Personen von verschiedenen Seiten eine Blume betrachten. Dann wird beiden die Blume je anders gegeben. Aber mit dem Ausdruck "diese Blume" können sie sich auf dasselbe beziehen und sie als Ganzes erfassen, oder?!




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Fr 1. Mai 2020, 10:44

Jovis hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 16:03
Aspekte
Der Philosoph Mark Johnston schreibt, wir seien nicht etwa »Produzenten von Präsenz (producers of presence)«, sondern vielmehr »Probesonden/Sammler von Präsenz (samplers of presence)«

Damit möchte sagen: ich sehe die verschiedenen Aspekte, auch wenn es der Begriff vielleicht nahelegen sollte, nicht als eine Form unserer Konstruktion oder unserer Produktion. Wie die Pflanze aussieht, das kommt von der Pflanze her.

Johnston in »Objective Minds and the Objectivity of Our Minds«: »But modes of presentation are not mental; they are objective, in that they come with the objects themselves as the very features of those objects that make them available for demonstration, thought and talk. And they are individuated by the objects they present.«

(Zitiert nach Markus Gabriel, Sinn und Existenz)




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Jörn Budesheim
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Fr 1. Mai 2020, 10:53

Jovis hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 16:03
(Man könnte das alles auch in deinem neuen Thema "Realismus alt/neu" schreiben, die beiden Themen überschneiden sich ja stark. Oder sind im Grunde sogar identisch?)
Ich schätze, man kann die Themen so behandeln, dass sie sich überschneiden. In diesem Thread hier ging es mir (auch) darum, mal einen Blick auf alte Position zu werfen.

Bei dem Realismus Thread geht es mir eher um das "Dogma", dass Realismus oft automatisch mit der sogenannten "bewusstseinsunabhängigen Wirklichkeit" in Verbindung gebracht wird.




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Alethos
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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 10:53
Bei dem Realismus Thread geht es mir eher um das "Dogma", dass Realismus oft automatisch mit der sogenannten "bewusstseinsunabhängigen Wirklichkeit" in Verbindung gebracht wird.
Diese "Definition" von Realismus als "bewusstseinsunabhängige Wirklichkeit" findet man tatsächlich oft. Ironischerweise dient sie dem Standpunkt des Realisten nicht, setzt doch der Konstruktivismus und der Realtivismus da an: Da wir von der bewusstseinsunabhängigen Welt nichts wissen können ("Ding-an-sich-Diskussion"), ist alles, was wir wissen, relativ zu unseren inneren Einstellungen resp. Konstrukt unserer epistemischen Vermögen. Das ist die Krux: Wir können (und müssen) unsere inneren Einstellungen zur Realität hinzurechnen, ohne den falschen Schluss zu ziehen, sie werde dadurch weniger "robust".



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Jovis hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 16:03
die Blume jeweils nicht als Ganzes erfassen.
Die Vorstellung, es gäbe da eine Blume
als Ganzes halte ich schon für falsch. Dass es da überhaupt etwas Ganzes gäbe, ist logisch unmöglich. Nicht deshalb, weil wir die Ganzheit der Blume nicht erfassen können (etwa, weil wir auf Aspekte der Blume beschränkt wären - was wir sind), sondern weil es in Wirklichkeit das Ganze überhaupt (und das Ganze von etwas) nicht geben kann.

Wenn wir zur Wirklichkeit der Blume hinzuzählen, dass sie auf einer Wiese vorkommt, dass sie von Bienen angeflogen wird, dass sie in der Morgensonne so und im Abendlicht anders scheint - ja, dass sie Gegenstand eines Roman sein kann, einer Erzählung oder Erinnerung, dann gehört das alles zur "Ganzheit" der Blume. Es ist somit nicht nur schwierig vorzustellen, dass diese Wirklichkeit der Blume je in ein Ganzes gefasst werden könnte, sondern es ist ganz unmöglich, weil es da immer ein noch grösseres Ganze bräuchte, wo sich das kleinere Ganze beinhaltete.

Darum verzichten Neorealisten in der Regel auf Ganzheitskonzepte, weil sich Ganzheiten in der Wirklichkeit nicht finden lassen - prinzipiell nicht finden lassen.



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Schimmermatt
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Fr 1. Mai 2020, 17:38

Was nützt uns denn ein absoluter Wahrheitsbegriff, den wir haben oder nicht haben können, notwendig oder zufällig, wenn wir über die Gänze, die wir mit Alethos von gar nichts behaupten können (ziemlich kategorische Aussage!), nicht mal entscheiden können, ob sie zu Sachverhalt x ausreichend ist um x für x halten zu dürfen? Okay, haben wir einen absoluten Wahrheitsbegriff, gehe ich mit, aber das heißt quasi nichts anderes als dass wir mit Gottvertrauen und Grammatik (laut Nietzsche quasi das Gleiche...) auf die Welt gekommen sind. Daraus folgt nix. Kein Gott, kein richtiges Urteil, bloß eine ziemlich vage "reine Form", die inhaltlich kein Stück voran bringt und nur n kurzen Moment darüber wegtäuschen kann, dass sich hinter dem neuen Realismus nichts anderes als der zB von Alan Musgrave, ein Popper-Schüler, beschriebene Fallibilismus steckt - eine skeptisch-pragmatische Mixtur.



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Alethos
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Schimmermatt hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 17:38
Was nützt uns denn ein absoluter Wahrheitsbegriff, den wir haben oder nicht haben können, notwendig oder zufällig, wenn wir über die Gänze, die wir mit Alethos von gar nichts behaupten können (ziemlich kategorische Aussage!), nicht mal entscheiden können, ob sie zu Sachverhalt x ausreichend ist um x für x halten zu dürfen?
Um x für x halten zu dürfen, gibt es hinreichende Kriterien, das würde ich anders nicht behauptet haben wollen. Nur müssen wir doch sehen, dass wir uns dabei auf einer begrifflichen Ebene bewegen. Ein Tisch ist ein Tisch, wenn er die Eigenschaften eines Tisches hat, d.h. i.d.R. eine Tischplatte hat, die auf Tischbeinen steht. Damit haben wir den Begriff des Tisches hinlänglich erfasst, ja, wir würden sogar sagen, in der Gänze erfasst.

Aber der Begriff eines Gegenstandes und der Gegenstand selbst, das ist doch nicht dasselbe. Der Gegenstand, der von der Biene angeflogen wird, ist nun eben nicht der Begriff der Blume, sondern es ist derjenige Gegenstand, der unter den Begriff <Blume> fällt. Diese Blume dort, dieser konkrete Gegenstand, erzählt eine ganz andere Geschichte, die doch weit über die Grenzen des begriffslogischen Rahmens ausstrahlt.
Wo wir vom Begriff sagen können, dass er (mehr oder weniger) klar umrissen werden kann, und damit eine Einheit (eine Art Ganzheit) bildet, so können wir dasselbe doch vom Gegenstand nicht sagen.


Ich verstehe den Bogen, den du vom
Realismus zum Fallibismus schlägst, insofern, als der Realismus tatsächlich Objektivität behauptet. Objektiv ist eine Aussage dann, wenn sie wahr oder falsch sein kann. Jeder gute Realist behält ein Auge immer auf dem Umstand, dass er sich irren kann.

Aber ich verstehe nicht, warum du von absoluten Wahrheitsbegriffen sprichst. Gerade versuchen die neorealistischen Philosophen wie Koch oder Gabriel, von der Vorstellung absoluter Wahrheitspostulate wegzukommen, wenn sie behaupten, dass Wirklichkeit relational ist. Wenn Gabriel behauptet, dass zu existieren bedeute, in einem bestimmten (Frege-)Sinn zu existieren, dann knüpft er die Existenzaussage an die lokale Ordnung, in welcher dieses Existierende vorkommt. Die Bundeskanzlerin kommt nicht vor in der Ordnung der Frühlingsblumen, sie kommt auch nicht vor in der Reihe der natürlichen Zahlen, sondern im politischen Institutionengefüge der BRD. Dass diese Hintergründe für Neorealisten die Seinsbedingungen von Existierendem darstellen, das spricht nach meinem Dafürhalten für einen relationalen Wahrheitsbegriff. Es ist also wahr über die Bundeskanzlerin, dass sie als Gegenstand der politischen Ordnung Deutschlands vorkommt. Da braucht es keine Aussagen dazu, damit etwas wahrer werde über die Bundeskanzlerin.



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Schimmermatt
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Fr 1. Mai 2020, 19:38

Alethos hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 19:24
Objektiv ist eine Sachverhalt dann, wenn er wahre und falsche Aussagen möglich macht. Jeder gute Realist behält ein Auge immer auf den Umstand gerichtet, dass er sich irren kann.
Das ist bloß ein schwacher Schatten dessen, was Objektivität einstmals bedeutete, ein gutes Beispiel für die Vagheit, die heute als philosophische Position herhalten muss, nachdem das skeptische Feuer alles vernichtet hat. Objektiv hieß nämlich mal nicht-negativ formuliert, dass eine Erkenntnis ein Objekt in seiner Gänze fasst. Nun ist die Kontur des erhabenen Objektiven zu wachsweicher Intersubjektivität und reiner Form, bloßem Potenzial, verwaschen.

Abgesehen davon macht Dein saussure'scher Sprachausflug, Alethos, eines deutlich: das Denken, hier das Sprechen durch Begriffe, ist eben mitnichten "in der Realität", sondern bezieht eine Metaebene!

Zu guter Letzt schlage ich einenj anderen Bogen vom Fallibilismus zum Neorealismus. Wo der Fallibilist noch defensiv und bescheiden von der Not spricht, nun mal davon ausgehen zu müssen, dass die Zukunft der Vergangenheit ähnelt, mich also Brot auch morgen nähren wird, etc., obgleich er (noch?) keine Zukunften kennt, die nicht mittlerweile Vergangenheit geworden sind!, freut sich der Neorealist unangemessen über bloße Postulate und Wortspielchen wie die Umdefinition von Objektivität.

PS: Die "absolute Wahrheit" hatte Jörn, ich glaube im Eingangspost, angeschnitten. Ich bezog mich darauf.



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Jörn Budesheim
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Fr 1. Mai 2020, 20:18

Alethos hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 15:34
Jovis hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 16:03
die Blume jeweils nicht als Ganzes erfassen.
Die Vorstellung, es gäbe da eine Blume
als Ganzes halte ich schon für falsch. Dass es da überhaupt etwas Ganzes gäbe, ist logisch unmöglich. Nicht deshalb, weil wir die Ganzheit der Blume nicht erfassen können (etwa, weil wir auf Aspekte der Blume beschränkt wären - was wir sind), sondern weil es in Wirklichkeit das Ganze überhaupt (und das Ganze von etwas) nicht geben kann.

Wenn wir zur Wirklichkeit der Blume hinzuzählen, dass sie auf einer Wiese vorkommt, dass sie von Bienen angeflogen wird, dass sie in der Morgensonne so und im Abendlicht anders scheint - ja, dass sie Gegenstand eines Roman sein kann, einer Erzählung oder Erinnerung, dann gehört das alles zur "Ganzheit" der Blume. Es ist somit nicht nur schwierig vorzustellen, dass diese Wirklichkeit der Blume je in ein Ganzes gefasst werden könnte, sondern es ist ganz unmöglich, weil es da immer ein noch grösseres Ganze bräuchte, wo sich das kleinere Ganze beinhaltete.

Darum verzichten Neorealisten in der Regel auf Ganzheitskonzepte, weil sich Ganzheiten in der Wirklichkeit nicht finden lassen - prinzipiell nicht finden lassen.
Hier komme ich nicht ganz mit. Die Welt gibt es nach Markus Gabriel notwendig nicht. Nicht, weil wir sie nicht fassen können, sondern weil es nicht möglich ist, dass es sie gibt.

Bei der Blume ist es jedoch etwas anderes. Es gibt sie, das ist schon mal gut zu wissen :) mag sein, dass sie in irgendeiner Form unendlich ist. Aber es fehlt mir ein Schritt, um zu erkennen, das daraus folgt, dass sie keine "Ganzheit" sein kann?




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Alethos hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 19:24
Aber ich verstehe nicht, warum du von absoluten Wahrheitsbegriffen sprichst. Gerade versuchen die neorealistischen Philosophen wie Koch oder Gabriel, von der Vorstellung absoluter Wahrheitspostulate wegzukommen, wenn sie behaupten, dass Wirklichkeit relational ist
Die Wahrheit kann nicht zugleich absolut und relativ sein. Denn das wäre ein Widerspruch. Aber es gibt kein Problem mit dem Begriff der Relationalität. Wenn wir über unser Wohnzimmer sprechen, dann ist es ggf. wahr, dass dort ein Tisch steht. Und wenn es wahr ist, dann ist es absolut wahr. Weil wahr sein und absolut wahr sein Synonyme sind.

Weil du Gabriel erwähnst, habe ich mal ein Zitat rausgesucht, in einem Gespräch mit Michael Friedman sagt er: "alles, was wahr ist ist absolut wahr. Es gibt nichts, was relativ wahr ist. Man könnte [stattdessen] auch einfach sagen "wahr". Aber es ist wichtig das zu betonen, weil viele Menschen denken, das Wahrheit Grade hat. Oder dass es sogar relative Wahrheiten gibt. [Z.b.:] "Wahrheit für mich oder Wahrheit für andere". Wahrheit ist [jedoch] eine absolute Kategorie, weil Wahrheit uns in Verbindung setzt mit Tatsachen. ..."
Alethos hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 19:24
Die Bundeskanzlerin kommt nicht vor in der Ordnung der Frühlingsblumen, sie kommt auch nicht vor in der Reihe der natürlichen Zahlen, sondern im politischen Institutionengefüge der BRD. Dass diese Hintergründe für Neorealisten die Seinsbedingungen von Existierendem darstellen, das spricht nach meinem Dafürhalten für einen relationalen Wahrheitsbegriff.
Der Wahrheit Begriff ist also nach Gabriel absolut, relational ist der Begriff der Existenz. Wenn es wahr ist, dass die Kanzlerin am Montag eine Regierungserklärung hält, dann ist es absolut wahr.

Ich meine, ich hätte irgendwo auch etwas von Koch, mal sehen ob ich es morgen finde.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 20:18
Bei der Blume ist es jedoch etwas anderes. Es gibt sie, das ist schon mal gut zu wissen :) mag sein, dass sie in irgendeiner Form unendlich ist. Aber es fehlt mir ein Schritt, um zu erkennen, das daraus folgt, dass sie keine "Ganzheit" sein kann?
Dann versuche doch, wie bei der Wolke, zu denken, wo die Grenzen dieser Blume liegen. Was alles gehört zu ihrer Wirklichkeit? Vielleicht erstellst du eine Liste mit allen Wahrheiten über diese Blume.

Was für die Welt gilt (Listenargument) gilt auch für die Ganzheit des Gegenstands.



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Alethos hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 21:26
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 20:18
Bei der Blume ist es jedoch etwas anderes. Es gibt sie, das ist schon mal gut zu wissen :) mag sein, dass sie in irgendeiner Form unendlich ist. Aber es fehlt mir ein Schritt, um zu erkennen, das daraus folgt, dass sie keine "Ganzheit" sein kann?
Dann versuche doch, wie bei der Wolke, zu denken, wo die Grenzen dieser Blume liegen. Was alles gehört zu ihrer Wirklichkeit? Vielleicht erstellst du eine Liste mit allen Wahrheiten über diese Blume.

Was für die Welt gilt (Listenargument) gilt auch für die Ganzheit des Gegenstands.
Der Punkt ist hier folgendes: wenn wir die Blume herauspicken, dann ist sie bereits in einem Bereich lokalisiert, indem sie existiert. Und genau das ist bei den Begriff Welt nicht möglich.




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 3. Mai 2020, 06:04
Alethos hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 21:26
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 1. Mai 2020, 20:18
Bei der Blume ist es jedoch etwas anderes. Es gibt sie, das ist schon mal gut zu wissen :) mag sein, dass sie in irgendeiner Form unendlich ist. Aber es fehlt mir ein Schritt, um zu erkennen, das daraus folgt, dass sie keine "Ganzheit" sein kann?
Dann versuche doch, wie bei der Wolke, zu denken, wo die Grenzen dieser Blume liegen. Was alles gehört zu ihrer Wirklichkeit? Vielleicht erstellst du eine Liste mit allen Wahrheiten über diese Blume.

Was für die Welt gilt (Listenargument) gilt auch für die Ganzheit des Gegenstands.
Der Punkt ist hier folgendes: wenn wir die Blume herauspicken, dann ist sie bereits in einem Bereich lokalisiert, indem sie existiert. Und genau das ist bei den Begriff Welt nicht möglich.
Wenn die Frage lautet: "Wie viele Blumen stehen in der Vase?", dann darf uns der Umstand, dass wir vielleicht 3 sagen können, nicht zu glauben verleiten, es
stünden dort in der Vase wirklich drei Gegenstände. Es sind indefinit viele Gegenstände in jenen, die wir mit 3 quantifiziert haben. Die Quantifizierung ist eine Operation, bei der die Begriffsumfänge die Vektoren sind: Sie sind die begrifflichen Schemata (mit Kant gesprochen), durch die wir drei Gegenstände erkennen, aber es ist dies nicht die volle und ganze Wirklichkeit dessen, was unter diesen Begriffen vorkommt.

Dass ein Gegenstand ganz sein soll, das kann man sich nicht nur nicht vorstellen, wie sollte es überhaupt so etwas wie ganze Gegenstände geben... sie würden ja einen ganzen Raum für sich in Anspruch nehmen. Ganz wäre aber der Raum, den sie einnehmen, wenn es nichts neben ihm gibt. Ein Raum ist nicht ganz, wenn etwas anderes an ihn angrenzt. Denn es ist doch unmöglich, dass da zwischen diesem und jenem 'Raumeinnehmenden' keine unendliche Nähe bestünde. Das war m.E. auch Parmenides' Intuition, die ihn dazu brachte zu denken, dass es kein Vieles gibt. Natürlich gibt es ein Vieles, aber nur in der Kategorie der Quantität, mithin gibt es eine begriffliche Vielfalt, aber es gibt keine Vielfalt von Gegenständen. Was Parmenides "das Eine" nannte, heisst deshalb eigentlich das unendlich Mannigfaltige in einem seiend. Gegenstände sind nicht ganz, sie sind unendlich vielfältig und darum Eines: Seiendes überhaupt.

Bei der Blume, um zurückzukommen, sind da nicht nur keine starren Grenzen zwischen bspw. dem Blumenstiel und der Luft, die ihn umweht, noch ist mit der Räumlichkeit des Gegenstandes die umfassende Wirklichkeit des Gegenstands benannt. Wenn wir sagen, dass die gepflückte Blume von der Wiese in meine Hand wandert und wir bestimmen wollten, das sei seine volle Wirklichkeit, die da von hier nach da wanderte, so haben wir eben nur einen Sinn erfasst, in welchem die Blume vorkommt: Als räumliches Ding in meiner räumlichen Hand.

Alle Gedanken, die wir über diese Blume haben, die nicht-räumlich sind, alle Erzählungen, die vielleicht literarisch sind, würden dann aber nicht zur Wirklichkeit dieser Blume zählen, denn sie wandern gerade nicht von hier nach da, sie haben keine Ausdehnung, aber sie sind ebenso wirklich, wie es wahr ist, dass sie diesen Gegenstand betreffen. Dass dieser Gegenstand betroffen ist, das gehört zur Wirklichkeit dieses Gegenstands und es
wäre doch unangebracht zu behaupten, dass es eine abschliessende Fülle von Wahrheiten gebe, die diesen Gegenstand betreffen.



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So 3. Mai 2020, 18:25

Wenn es wahr ist, dass wir die Wirklichkeit ertasten, und Denken eine Form von Tasten ist, dann ist es auch wahr, dass das, was wir tasten, das Ertastete ist.

Es gehört zur Wirklichkeit der Dinge, dass wir sie ertasten. Ihr Ertastetsein ist wirklich - und es gehört zu ihrer Wirklichkeit genauso, dass sie ertastet werden, wie es wirklich ist, dass wir sie ertasten. Dann gehört aber zur Wirklichkeit der Gegentände ihre relationale Verortung in Tatsachen. Alle möglichen Tatsachen, in denen diese Gegenstände vorkommen, müssen zur Wirklichkeit dieser Gegenstände hinzugezählt werden. Sofern es aber keine Vollständigkeit an Tatsachen gibt, kann es auch keine Vollständigkeit an Wirklichkeiten geben, die einen Gegenstand betreffen. Und wo keine Vollständigkeit, da auch keine Ganzheit.

Wir sollten den Idealismus beiseite legen, wenn wir über die Wirklichkeit sprechen. Wenn Plato noch glaubte, dass es Ganzheiten gibt, und Leibniz diese in der unendlichen Kleinheit der Monaden verortete, können wir heute sagen: Es gibt keine Ganzheiten.



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So 3. Mai 2020, 19:22

Jovis hat geschrieben :
Do 30. Apr 2020, 16:03
Ein Insekt mag beim Anblick einer Blume andere Aspekte wahrnehmen als ich, aber daraus folgt meines Erachtens nur, dass die Blume eben ungemein vielfältig ist und viele Sichtweisen zulässt, die alle richtig oder wahr sind, auch wenn sie die Blume jeweils nicht als Ganzes erfassen.
Ich habe das jetzt noch mal zitiert, um mich zu vergewissern, worüber wir eigentlich diskutieren :) und mir scheint, die Formulierung "als Ganzes" ist möglicherweise doppeldeutig. einerseits kann es heißen - und ich vermute das ist hier gemeint - man kann nicht alle Aspekte mit der Blume erfassen. Im vorliegenden Fall u.a. einfach deswegen, weil uns eben die entsprechende Registratur fehlt, um die Sichtweise z.b. der Bienen zu haben.

Die andere Bedeutung kann jedoch sein, dass der Gegenstand (als Ganzer) eine Einheit bildet, falls das eine gute Paraphrase ist, ich bin mir noch nicht ganz sicher.

Ein anderer Punkt ist, dass es hier ja nicht einfach um die Blume geht, sondern um Gegenstände schlechthin, schätze ich, die Blumen sind doch nur ein Beispiel. Damit ergibt sich das Problem, dass nicht alles, was möglicherweise über die Blume als Gegenstand wahr ist, auch über andere Gegenstände wahr sein muss. Hier ist also eine gewisse Vorsicht geboten. Um gleich ein besonderes Beispiel zu bieten: auch Zahlen sind ja Gegenstände und diese nehmen wir ja nicht mit dem üblichen fünf Sinnen wahr... zudem kommt man an dieser Stelle natürlich auch nicht mit der Vorstellung weiter, sie seien nicht scharf gegen ihre Umgebung abgegrenzt :)

Das bringt mich zu der scharfen Abgrenzung. Ich vermute mal, dass die meisten raum-zeitlichen Gegenstände in irgendeiner Art und Weise nicht randscharf gegen ihren Hintergrund abgegrenzt sind. Mir ist nicht ganz klar, warum das ein Argument dafür sein sollte, dass diese Gegenstände keine Einheit in sich, also keine Ganzheit sein können?

Viele Gegenstände, die uns begegnen, sind allerdings nicht einfach bloß raumzeitlich. Nehmen wir einen Bahnhof. Ein Bahnhof ist ja im Grunde ein funktionaler Zusammenhang. Da dürften die Dinge mit "dem Ganzen" noch mal anders liegen.




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Alethos
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So 3. Mai 2020, 21:25

Wir sollten uns nicht auf die Diskussion über Gegenstände in ihrer Gänze versteifen, das ist ja eher ein Nebenschauplatz. Darum danke ich dir, Jörn, für diesen vermittelnden Beitrag.

Mir ging es, als ich bei Jovis dort einhakte, ja eigentlich um die Aspektiertheit, die sie betonte (die Biene sieht etwas anders an der Blume als wir). Diese Aspekte eines Dings gehören für meine Begriffe zur Wirklichkeit des Dings - und zwar des Dings an sich. Im Nachbarthread wird das als "Nebelgranate" (sinngemäss) beschrieben, nur verstehe ich nicht, wieso:

Der Stuhl, wenn ich den Raum verlasse, wenn er also an sich ist, bleibt konstant dieses Ding, das ich sehe, wenn ich wieder ins Zimmer komme. Jedes Mal, wenn ich das Zimmer betrete, ist er dieser Stuhl (Ding-für-mich), nur warum sollte dieser Stuhl in der Zwischenzeit etwas anderes sein als dieser Stuhl? Dass er mir immer gleich erscheint zeigt doch, dass er konstant so aussieht, und auch, wenn er einer Biene oder einer Fliege anders erscheine sollte, so doch auch diesen immer gleich - immer gleich, weil es zu seiner Wirklichkeit gehört, dass er den verschiedenen Sinnen (menschlichen, jenen von Fliegen und Bienen) so erscheinen muss. Das ist ganz eigentlich Fregesche Schule: Der Sinn eines Dings ist das Gegebensein eines Dings in diesem Aspekt seines Seins.



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