Wahrheit die 99. ...

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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NaWennDuMeinst
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Mo 5. Jul 2021, 09:49

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 09:39
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 09:27
DAS ist eine bloße Behauptung Deinerseits.
Und das ist einfach eine Lüge.
Nein, ist es nicht. Du versuchst hier unentwegt den Eindruck zu vermitteln es könne gar nichts anderes gelten als das was immer du für richtig hälst.
Das geht so weit, dass Du meinst die ganze Welt als Deinen Zeugen zu haben.
Das geht mir (und nicht nur mir) inzwischen dermaßen gegen den Strich. Nicht nur weil das offensichtlich falsch ist, sondern weil das nichts mehr mit Philosophie zu tun hat.
Und auch mit Wahrheit hat das nichts mehr zu tun. Das ist einfach nur pure Anmaßung..



But I, being poor, have only my dreams; I have spread my dreams under your feet;
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NaWennDuMeinst
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Mo 5. Jul 2021, 11:09

Vielleicht kann man das ja mal lesen, um wieder Bodenhaftung zu bekommen.
Da bekommt man mal einen Überblick über die verschiedenen Positionen in der Philosophie der Mathematik.

Die Ontologie von Mengen und Zahlen
https://link.springer.com/chapter/10.10 ... 04638-3_52

Während die Rede von Mengen und insbesondere Zahlen integraler Bestandteil sowohl unserer wissenschaftlichen als auch unserer alltäglichen Sprache ist,
gehen die Meinungen in der Philosophie der Mathematik, worüber wir mit diesen Ausdrücken sprechen, weit auseinander.



----

L. E. J. Brouwer, noch Jemand der partout nicht einsehen wollte, dass Zahlen mehr sind als Konstruktionen, war der Begründer des Intuitionismus, der Grundstein des Mathematischen Konstruuktivismus.
Er war Vollblutmathematiker, also vom Fach.

Erste Ansätze zur konstruktiven Mathematik stammen aus dem Intuitionismus von L. E. J. Brouwer. Weitere Ansätze wurden von Hermann Weyl, Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow und Errett Bishop, Arend Heyting, Solomon Feferman, Paul Lorenzen, Michael J. Beeson und Anne Sjerp Troelstra entwickelt.

Wittgenstein:
In seinen Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (BGM) und den 1939 in Cambridge gehaltenen Vorlesungen über die Grundlagen der Mathematik
wendet sich Ludwig Wittgenstein vehement gegen platonistische oder sonstige ontologisch realistische Vorstellungen mathematischer Objekte.


Der Philosoph und Mathematiker Ernst Kleinert wiederum hat - ähnlich wie Nietzsche - den mathematischen Hegemonieanspruch in Frage gestellt, indem er auf ihre grundsätzliche Begrenztheit in Bezug auf die Wirklichkeit hinwies (das Gleiche hat A. Einstein in seinem berühmten Zitat auch getan).

Fritz Mauthner, Richard Dedekind, L. E. J. Brouwer, Ernst Kleinert, Nietzsche, Wittgenstein.... einige von denen hervorragende Mathematiker und Philosophen... alles Idioten?
Zu meinen diese seien alle durch das Auftreten des Emporkömmlings Gabriel erledigt, indem der meint sämtliche Bereiche der Ontologie sozusagen in einem einzigen Rundumschlag abzufrühstücken, ist nichts weiter als pure Anmaßung und Arroganz.
Vielleicht nimmt man sich ja auch mal wieder Zeit für einen freieren Rundblick, anstatt den ganzen Tag nur durch den Gabriel-Tunnel zu schauen.



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Groot
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Mo 5. Jul 2021, 11:42

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 05:42
Groot hat geschrieben :
So 4. Jul 2021, 20:58
(aber dieses ist nicht, was Wahrheit ist, sondern eben das Sein...also das, woraus sich Sachverhalte und Tatsachen entwickeln lassen, sowie worauf Worte und Sinne verweisen.).
Begründung?

Sachverhalte und Tatsachen werden nicht entwickelt, sondern bestehen oder eben nicht. Und ihr Bestehen ist nicht grundsätzlich abhängig davon, ob wir sie in Worte fassen oder nicht. Die Tatsache, dass sich der Mond um die Erde dreht, bestand schon lange bevor man davon wusste. Die Tatsache, dass er sich um die Erde dreht, wurde entdeckt und nicht entwickelt.
Ja, das Sein ist. Sobald zerstückelung geschieht, also nicht mehr Sein, sondern Monde die sich drehen um Erden, dann stellen wir Sachverhalte fest, die wir dann zu Tatsachen klassifizieren, die es immer schon gab oder die kontingent sind.

Oder Anders: Es ist die Sache und das Ding, das das Sein in Teile differenziert. Tatsachen und Sachverhalte werden aus Sachen und Dingen abgeleitet und sind sprachlich entwickelte Konzepte um Sachen und Dinge als kontingent oder notwendig zu beurteilen. Als jene Konzepte können sie sinnliche oder abstrakte Phänotypen haben.




Groot
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Mo 5. Jul 2021, 11:49

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
So 4. Jul 2021, 22:44
Groot hat geschrieben :
So 4. Jul 2021, 20:58
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 4. Jul 2021, 05:47


Nehmen wir ein Beispiel. Lange bevor es Menschen und andere Lebewesen gab, war es wahr, dass sich der Mond um die Erde drehte. Und es wäre auch dann wahr gewesen, wenn sich niemals so etwas wie eine Zivilisation gebildet hätte und es nie jemandem aufgefallen wäre, dass sich der Mond um die Erde dreht. Daher scheidet die Zivilisation als "Ort" der Wahrheit aus.
sehe ich nicht so. Ich wüsste nicht, wieso die Zivilisation nicht der Ort sein solle, wo dieses Wissen um den Mond und die Erde gespeichert sein solle als Wahrheit.

Worauf du anspielst ist mir egal. Denn ich meine nicht, dass der Mond nicht da sei, wenn ich nicht hinschaue. Natürlich gab es immer das Sein (aber dieses ist nicht, was Wahrheit ist, sondern eben das Sein...also das, woraus sich Sachverhalte und Tatsachen entwickeln lassen, sowie worauf Worte und Sinne verweisen.).
Ein ähnlicher Gedanke kam mir auch. Die Frage ist ob es Sinn macht zwischen der simplen Tatsache, dass es etwas gibt (etwas ist so und so, etwas existiert) und Wahrheit zu unterscheiden.
Also was ist mit Wahrheit überhaupt gemeint? Du meinst damit sowas wie einen menschlichen, mentalen Prozess bzw die Verarbeitung von Information, einen Begriff von Wahrheit haben, Jörn hingegen setzt Wahrheit mit Tataschen gleich: Wenn wir von Wahrheit sprechen meinen wir Tatsachen. Und für Tatsachen braucht es keine Menschen oder Zivilisationen (ausser für Tatsachen die menschengemacht sind).
Ich weiß nicht ob es Sinn macht, aber ich denke, dass unser Gottesbegriff und das damit einhergehende begriffliche Chaos, eine solch diffizile Unterscheidung aufnötigt. Denn der falsche Gott hat sich in die Historie, nicht aber in die Syntax/die Sprache gefressen...und weil er dort, in der Sprache, wenn überhaupt nur sehr säkular sein Unwesen treibt, ist diese Differenz m.e. notwendig um eben die Tradition mit falschem Ursprung genauso respektiert zu wissen, wie die Ebene des Sprachlichen, in der sich Wahrheiten finden lassen.

Wichtig ist m.e., dass Tatsachen sprachlich ausgehandelt werden, um dann nicht-sprachlich als Mond-Sache oder Kreisel-Sache prozesshaft (eben in der Tat) begriffen zu werden. Wir zergliedern das Sein in Einzeldinge, die dann als Tatsachen prozessieren und schriftlich fixierbare und beurteilbare Sachverhalte zu repräsentieren (die dann wiederum Sache und Ding abbilden)




Groot
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Mo 5. Jul 2021, 11:57

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 09:08
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 08:56
Wahrheiten gibt es aber auch über die Gegenstände (Zahlen) die Mathematiker erforschen.
Ja, eine ist zum Beispiel, dass Zahlen ein Erfindung des menschlichen Geistes sind.
Sie existieren nicht unabhängig vom Menschen.

Du kannst natürlich was anderes behaupten (und auch gerne noch mehr Gabriel zitieren), aber keiner muss dir das glauben.
Aber nur, weil Zahlen Auswuchs des Gehirns sind, heißt das ja nicht, dass diese nicht vielleicht auch Gesetzen unterliegen, die als Gesetze eben verortet sind im Geist. Aber der Geist ist ja auch wieder im Sein, also die Gesetze der Zahlen auch.




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NaWennDuMeinst
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Mo 5. Jul 2021, 12:16

Groot hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 11:57
NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 09:08
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 08:56
Wahrheiten gibt es aber auch über die Gegenstände (Zahlen) die Mathematiker erforschen.
Ja, eine ist zum Beispiel, dass Zahlen ein Erfindung des menschlichen Geistes sind.
Sie existieren nicht unabhängig vom Menschen.

Du kannst natürlich was anderes behaupten (und auch gerne noch mehr Gabriel zitieren), aber keiner muss dir das glauben.
Aber nur, weil Zahlen Auswuchs des Gehirns sind,
Ich weiß nicht wie es sich wirklich verhält, also ob Zahlen nun menschliche Konstrukte oder vom menschlichen Verstand unabhängig existierende Entitäten sind.
Ich glaube zwar das Erste, aber ich weiß es nicht.
Ich wollte hier nur darauf hinweisen, dass sich die Zahlen nur sehr schwer als Kronzeugen für den Realismus "missbrauchen" lassen. Denn der ontologische Status der Zahlen ist ja selbst nicht geklärt.
heißt das ja nicht, dass diese nicht vielleicht auch Gesetzen unterliegen, die als Gesetze eben verortet sind im Geist. Aber der Geist ist ja auch wieder im Sein, also die Gesetze der Zahlen auch.
:-) Es ging ja nicht um die Frage ob Zahlen überhaupt existieren, sondern in welcher Form.
Dazu gibt es verschiedene Ansichten. Schau sie dir doch mal an und überlege dir, was dir plausibel erscheint.



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Nauplios
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Mo 5. Jul 2021, 12:41

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 11:09

... alles Idioten?
Alles Lügner. ;)


Der Rigorismus der Wahrheit, der dem Neuen Realismus innewohnt, hat im Gefolge den moralischen Rigorismus. Die Theorie der Praxis ist dabei das Gegenteil zur Praxis der Theorie. In der Theorie des Neuen Realismus sind die "verschiedenen Positionen", von denen Du sprichst, Gegenstand eines Abwägungsprozesses, der wahlweise zum Ziel der wissenschaftlichen Wahrheit, des moralischen Fortschritts, der Feststellung des ästhetisch Schönen u.ä. führt.

In der Praxis des Neuen Realismus ist das, was bei diesem Abwägungsprozeß keine Dienstbarkeit für das Wahre, Gute und Schöne erkennen läßt, "grober Unsinn", ein "unvorstellbarer Skandal", eine "politische Lüge" u.ä. - allesamt Verdikte aus der Gabriel' schen Praxis. Wo es paßt, wird das Hohe Lied der Wissenschaft gesungen, wo nicht, wird "Wissenschaftsgläubigkeit" attestiert.

"Verschiedene Positionen" - das ist ein theoretisch denkbarer Ausgangspunkt. In der Praxis wird daraus als Endpunkt der Kampf gegen die "postmoderne Beliebigkeit". Dieser Kampf ist längst ein weltanschaulicher. Geführt wird er nicht mehr im Rahmen von "verschiedenen Positionen" innerhalb einer philosophischen Vielfalt, sondern als Kulturkampf zwischen Orthodoxie und Häresie. Wer dabei auf der falschen Seite der Barrikade steht, ist nicht nur "Idiot". Er ist auch "Lügner". ;) Im Fall der Mathematik findet dieses Muster lediglich seine erneute Anwendung.




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NaWennDuMeinst
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Mo 5. Jul 2021, 12:58

Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 12:41
"Verschiedene Positionen" - das ist ein theoretisch denkbarer Ausgangspunkt. In der Praxis wird daraus als Endpunkt der Kampf gegen die "postmoderne Beliebigkeit". Dieser Kampf ist längst ein weltanschaulicher. Geführt wird er nicht mehr im Rahmen von "verschiedenen Positionen" innerhalb einer philosophischen Vielfalt, sondern als Kulturkampf zwischen Orthodoxie und Häresie. Wer dabei auf der falschen Seite der Barrikade steht, ist nicht nur "Idiot". Er ist auch "Lügner". ;) Im Fall der Mathematik findet dieses Muster lediglich seine erneute Anwendung.
Interessant ist aber in dem Zusammenhang, dass der "Glaubenskrieg um die Mathematik" (-> Grundlagenkrise der Mathematik) letztlich nur deshalb einen halbwegs befriedigenden Ausgang fand, weil ein jeder der verschiedenen "Glaubensanhänger" seinen Beitrag zur Lösung einbrachte. Kann man mal drüber nachdenken.

Bezogen auf die Ontologie stellt sich mir z.B. die Frage ob es sinnvoll ist von einer einheitlichen Ontologie auszugehen. Alle Dinge mit einer einzigen Theorie erschlagen? Was sagt denn die Erfahrung dazu?
Ging meistens schief, oder?
Wer dabei auf der falschen Seite der Barrikade steht, ist nicht nur "Idiot". Er ist auch "Lügner".
Das könn'se haben. Ich weiß mich zu wehren.
;-)



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Nauplios
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Mo 5. Jul 2021, 15:23

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 12:58

Bezogen auf die Ontologie stellt sich mir z.B. die Frage ob es sinnvoll ist von einer einheitlichen Ontologie auszugehen. Alle Dinge mit einer einzigen Theorie erschlagen? Was sagt denn die Erfahrung dazu?
Ging meistens schief, oder?

Das könn'se haben. Ich weiß mich zu wehren.
;-)
Das stimmt. ;)

Der Neue Realismus tritt mit einem Anspruch auf, der in einem reziproken Verhältnis steht zur philosophischen Gefahrenlage, die er beschwört. Wenn er von "Konstruktivismus" redet und in dem Zusammenhang etwa Kant erwähnt, dann wird Kant als ein Depp präsentiert. Kants Lehre von der "transzendentalen Idealität" und "empirischen Realität" wird als ein fauler Zauber mißverstanden, der den Gegenständen sozusagen ins Sein verhilft. - Solche Verzerrungen sollen Angst und Schrecken verbreiten, dem gegenüber der Neue Realismus sich als Rettung offeriert.

Worum es mir geht, ist mehr ein systemischer Fehler des Neuen Realismus. Charakterliche Fehler ("Arroganz", "Anmaßung" ...) schließt das nicht aus. -




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NaWennDuMeinst
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Mo 5. Jul 2021, 16:35

Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 15:23
Der Neue Realismus tritt mit einem Anspruch auf, der in einem reziproken Verhältnis steht zur philosophischen Gefahrenlage, die er beschwört.
Welche Gefahrenlage meinst Du da genau? Das massenhafte Aufkommen von Verschwörungstheorien? Präsidenten die die Lüge zur Wahrheit erklären?
Die Verleumdung der Wissenschaft als Knecht der Politik? "Lügenpresse, Lügenpresse"-Rufe?
Das kann natürlich nur meine Einbildung sein, aber mein Eindruck ist, dass solche Sachen extrem zugenommen haben.
Ist das alles die Folge konstruktivistischer Philosophien?
Und der neue Realismus soll da wieder "Zucht-und Ordnung" reinbringen?
Ist denn überhaupt klar wer hier Opfer und wer Täter ist?
Rührt dieses Beharren auf der eigenen Vorstellung von der Welt nun darauf, dass man meint sich die Welt konstruieren zu können wie man will, oder darauf, dass man meint die eine "wahre" Realität erkannt zu haben?
Ich habe immer noch nicht so wirklich verstanden was da im "Volk" eigentlich vor sich geht.
Geht es am Ende eigentlich gar nicht um Wahrheit, sondern nur um Interessen und Macht? Wahrheit nicht als Zweck, sondern als Mittel zum Zweck?

Wie auch immer. Das ist alles keine schöne Entwicklung. Die 4 Jahre Trump stecken mir immer noch in den Knochen.
Wie überwinden wir das? Und kann die Philosophie dabei überhaupt helfen?
Oder ist sie gar selbst das Problem?



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Nauplios
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Mo 5. Jul 2021, 18:06

NaWennDuMeinst hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 16:35
Nauplios hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 15:23
Der Neue Realismus tritt mit einem Anspruch auf, der in einem reziproken Verhältnis steht zur philosophischen Gefahrenlage, die er beschwört.
Welche Gefahrenlage meinst Du da genau? Das massenhafte Aufkommen von Verschwörungstheorien? Präsidenten die die Lüge zur Wahrheit erklären?
Die Verleumdung der Wissenschaft als Knecht der Politik? "Lügenpresse, Lügenpresse"-Rufe?
Das kann natürlich nur meine Einbildung sein, aber mein Eindruck ist, dass solche Sachen extrem zugenommen haben.
Ist das alles die Folge konstruktivistischer Philosophien?
Und der neue Realismus soll da wieder "Zucht-und Ordnung" reinbringen?
Ist denn überhaupt klar wer hier Opfer und wer Täter ist?
Rührt dieses Beharren auf der eigenen Vorstellung von der Welt nun darauf, dass man meint sich die Welt konstruieren zu können wie man will, oder darauf, dass man meint die eine "wahre" Realität erkannt zu haben?
Ich habe immer noch nicht so wirklich verstanden was da im "Volk" eigentlich vor sich geht.
Geht es am Ende eigentlich gar nicht um Wahrheit, sondern nur um Interessen und Macht? Wahrheit nicht als Zweck, sondern als Mittel zum Zweck?

Wie auch immer. Das ist alles keine schöne Entwicklung. Die 4 Jahre Trump stecken mir immer noch in den Knochen.
Wie überwinden wir das? Und kann die Philosophie dabei überhaupt helfen?
Oder ist sie gar selbst das Problem?
Der Neue Realismus würde vermutlich darauf so antworten: Konstruktivismus ist der Name für eine Pandemie, die seit Kant die Philosophie mit dem Virus des Ding-an-sich infiziert hat. Wenn die Erkenntnis bis zum Dich an sich nicht mehr vorstößt, bleibt die Wahrheit einer Konstruktion überlassen, die die Welt so macht, wie sie dem Konstrukteur gefällt. Wahrheit und Lüge werden ununterscheidbar, was im politischen Raum einen Trump überhaupt erst möglich gemacht hat. Trump ist einer von mehreren Spätschäden dieser Infektion, ein Phänomen des Long-Konstruktivismus.

Der Impfstoff, der uns aus dieser Pandamie wieder herausbringt, ist Realismus. Er ruft die philosophischen Antikörper auf den Plan und führt dazu, daß wir die Welt nun wieder erkennen können, wie sie an sich ist. Denn nur so kommen wir weg von der falschen Vorstellung, ein jeder habe seine eigene Wirklichkeit. Damit kann auch die Wahrheit aus den Klauen des (Kultur-) Relativismus befreit werden und das moralisch Gebotene aus dem Labyrinth des Beliebigen. Die "dunklen Zeiten" weichen der Aufklärung.

Die Philosophie kann selbstverständlich in diesem Aufklärungsprozess helfen. Deswegen ist es ja so wichtig, daß sie gehört wird - sei es in der Corona-Krise, sei es bei der Klimakrise u.ä. - Sie muß sogar weltweit gehört werden, denn es geht um nichts weniger als um den "moralischen Fortschritt der Menschheit".

---------

So oder ähnlich könnte eine Antwort auf Deine Fragen von seiten des Neuen Realismus ausfallen. -




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Nauplios
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Mo 5. Jul 2021, 18:39

Ein Standardeinwand des Neuen Realismus gegen "den" Konstruktivismus läuft auf den "performativen Selbstwiderspruch" hinaus: woher weiß der Konstrukteur, daß die Welt konstruiert ist, stehen ihm doch seinerseits nur Konstruktionen zur Verfügung.

Niklas Luhmann, der einen "operativen Konstruktivismus" vertritt, hat dazu einen kleinen Aufsatz geschrieben: Erkenntnis als Konstruktion. - Einen kurzen Einstieg gibt dazu dieser Artikel:

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Operati ... uktivismus




Burkart
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Mo 5. Jul 2021, 20:21

Ich weiß nicht, was es an Zahlen zu deuteln gilt: Selbstverständlich sind es Produkte unserer Gedanken, keine von Gedanken unahhängigen Entitäten.
Oder hat schon mal irgendwo eine Zahl herumliegen sehen o.ä.?



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Alethos
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Mo 5. Jul 2021, 20:47

Dass du einen Kuchen nicht in 4 absolut gleich grosse Teile schneiden kannst, heisst doch nicht, dass es realistischerweise unmöglich ist.
Die Teilbarkeit des Kuchens ist eine direkte Folge der Mathematik - nicht deiner Absicht, ihn zu teilen.



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Alle lächeln in derselben Sprache.

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Alethos
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Mo 5. Jul 2021, 21:00

Zahlen sind nichts anderes als Informationspunkte im euklidischen Raum oder in anderen Geometrien. Ob wir diese Punkte mit 1 oder mit A darstellen, ändert nichts am Informationsgehalt dieser Punkte, die durch Zahlen repräsentiert werden.

Sofern aber diese Punkte gegebene Relationen darstellen, so sind sie nicht beliebige Punkte, etwa so, dass sie willkürlich gewählt werden könnten von Mathematikern, sondern sie werden den Mathematikern vorgegeben durch die Struktur der Welt, die mathematisch ist. Ob alles mathematisch beschreibbar ist, kann ich nicht sagen, aber alle Wirklichkeit findet ihre Sprache, wenn sie erkannt werden soll.



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Burkart
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Mo 5. Jul 2021, 21:48

Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 20:47
Dass du einen Kuchen nicht in 4 absolut gleich grosse Teile schneiden kannst, heisst doch nicht, dass es realistischerweise unmöglich ist.
Die Teilbarkeit des Kuchens ist eine direkte Folge der Mathematik - nicht deiner Absicht, ihn zu teilen.
Worauf beziehst du dich?



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

Burkart
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Mo 5. Jul 2021, 21:52

Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 21:00
Zahlen sind nichts anderes als Informationspunkte im euklidischen Raum oder in anderen Geometrien. Ob wir diese Punkte mit 1 oder mit A darstellen, ändert nichts am Informationsgehalt dieser Punkte, die durch Zahlen repräsentiert werden.

Sofern aber diese Punkte gegebene Relationen darstellen, so sind sie nicht beliebige Punkte, etwa so, dass sie willkürlich gewählt werden könnten von Mathematikern, sondern sie werden den Mathematikern vorgegeben durch die Struktur der Welt, die mathematisch ist. Ob alles mathematisch beschreibbar ist, kann ich nicht sagen, aber alle Wirklichkeit findet ihre Sprache, wenn sie erkannt werden soll.
Das sind schöne mathematische Modelle, die sich Menschen ausgedacht haben. Die Punkte sind dann in der mathematischen Welt (genauer dem Weltmodell) festgelegt bzw. ergeben sich aus ihr.



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Mo 5. Jul 2021, 21:54

Burkart hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 21:48
Alethos hat geschrieben :
Mo 5. Jul 2021, 20:47
Dass du einen Kuchen nicht in 4 absolut gleich grosse Teile schneiden kannst, heisst doch nicht, dass es realistischerweise unmöglich ist.
Die Teilbarkeit des Kuchens ist eine direkte Folge der Mathematik - nicht deiner Absicht, ihn zu teilen.
Worauf beziehst du dich?
Er will sagen: Doch, er hat schonmal Zahlen fliegen sehen.

Es gibt auch ein Beweisvideo.



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Burkart
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Mo 5. Jul 2021, 22:54

LOL (Graf Zahl und mein Lieblingsmonster :) )



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Di 6. Jul 2021, 23:01

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mo 21. Jun 2021, 20:20
Giulio Tononi hat geschrieben : Well, you see, Gallileo said famously in „The Assayer“ that in order to do science we would need to use the language of mathematics because reality is built, he said, of triangles and circles and figures like that. He was referring to the outside world because he had the foresight of saying ‚Let‘s forget about the observer, let‘s look at the outside world and describe it and then it speaks the language of mathematics. That‘s what his great insight was.

I think, in a way, the idea here is to forget about Gallileo and go inside ourselves and ask about the observer itself, ourselves, our consciousness. Well, that too, I think speaks the language of mathematics. In fact, I think, it‘s mathematics itself.
Wenn alles Information ist, dann ist alles Mathematik, denn alles Seiende findet Ausdruck in informierten Strukturen, die ihrerseits einer Logik folgen. Nicht wir also gäben der Wirklichkeit sprachlichen Ausdruck über Mathematik, sondern zu existieren selbst hiesse, mathematisch artikuliert zu sein. Zahlen wären nur Symbole für die Wirklichkeit, die zu uns spricht, indem sie uns informiert, und Logik wäre die Art und Weise von allem, die Wahrheit zu verkörpern.



Die Aussage, alles sei Information, ist dann nicht monistisch, wenn zugleich nicht behauptet wird, dass sich alles auf Information zurückführen lässt. Was „allem zugrunde liegt“, wird gar nicht gesagt, wenn gesagt wird, alle sei auch Information.



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