Kritik an den Naturwissenschaften

Dieses Unterforum beschäftigt sich mit dem Umfang und den Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit sowie um die speziellen Gesichtspunkte des Systems der modernen Wissenschaften.
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AufDerSonne
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Do 5. Okt 2023, 19:56

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 18:10
Was machen eigentlich theoretische Physiker den ganzen Tag? Die Messen doch nicht, oder?
Stichwort: Michelson-Morley-Experiment.
Das war recht wichtig, wegen der Lichtgeschwindigkeit. Soviel ich weiss, auch für die Relativitätstheorie.
Und ja. Man unterscheidet ja gerne zwischen Experimentalphysikern, und theoretischen Physikern. Erstere messen wohl etwas mehr.



Ohne Gehirn kein Geist!

Nick Nickless
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Fr 6. Okt 2023, 12:30

AufDerSonne hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 19:51
Nick Nickless hat geschrieben :
Do 5. Okt 2023, 12:09
Wenn alle Dinge fallen, gemäß dem Gesetz, dann fällt auch dieser Apfel hier; oder wenn er gefallen ist, dann deshalb, weil alle Dinge nach der Hypothese gesetzmäßig fallen.
Es gibt eben Beobachtung und Erklärung.
Dass alle Dinge nach unten fallen, ist eine Beobachtung.
Das Gravitationsgesetz ist dann die mathematische Erklärung, warum das so ist.
1. Nein. Das einzelne Fallen ist Beobachtung, die Gesetz des Falls ist dann die hypothetische Verallgemeinerung oder Formulierung davon, aber keine Erklärung oder Begründung. Zu sagen, dass das einzelne Fallen erklärt wird durch das allgemeine Fallen, heißt nichts als im Kreis zu gehen. Sie fallen nach dem allgemeinen Gesetz, weil sie es halb eben so tun. Fertig.

Oder alle bisherigen Raben sind schwarz, das kann ich induktiv verallgemeinern zu »Alle Raben sind schwarz«, jetzt wieder zu sagen, die bisherigen Raben sind schwarz, weil alle Raben schwarz sind, das ist nur noch mit Worten gespielt.

2. Aus dem Gravitationsgesetz, dem Trägheitsgesetz und bestimmten einzelnen Umständen kann ich herleiten, warum ein bestimmter Körper in einer bestimmten Situation sich so und so verhält. Das habe ich eine sekundäre, anwendungsbezogene Erklärung genannt, die aber nicht zu verwechseln ist mit einer Erklärung der Voraussetzungen, eben des allgemeinen Verhaltens. Das ist ein Erklären AUS dem Gesetz, aber nicht DES Gesetzes selbst.

3. Dann gibt es allerdings noch einen weiteren Aspekt, auf den Jörn mit seinen Beispielen immer hinauswill. Ich kann nämlich versuchen, verschiedene, bislang getrennt betrachtete Phänomenbereiche, Messreihen, ganze Theorien und Gesetze, auf ein einziges allgemeines Gesetz zurückzuführen. Also z. B. Gravitation und Trägheit in einer Allg. Relativitätstheorie zusammenführen, oder Licht und Elektrizität - die ja zunächst einmal etwas ganz Verschiedenes sind - in der Quantentheorie zu vereinigen. Dann habe ich eine umfassende Theorie, aus der sich die Tatsachen und Theorien der vorher getrennten Bereiche herleiten lassen. Solches Herleiten kann man dann wieder eine »Erklärung« der besonderen Theorien nennen. Nur ist das dann halt wieder nur ein sekundäres Erklären, die jetzige primäre Theorie ist wieder nicht erklärt. Es ist, wie es, Gott hat es so gewollt, und wem es nicht gefällt, der muss auswandern. Und dann muss man außerdem noch zusehen, ob das »Erklären« hier nicht viel eher ein »Wegerklären« ist.

Man hat also zwei Theorien; diese widersprechen sich, nämlich nur unter der Maßgabe, dass beide über »dasselbe« reden, über dieselben Elektronen oder was auch immer, die sich in bestimmter Weise verhalten. Die Aufgabe ist jetzt, die beiden Befunde, Theorien, »Tatsachen«, Anfänge, zu vereinigen, und zwar so, dass beide Befunde im Resultat als Aspekte oder Erscheinungsformen ein und derselben Wirklichkeit, als Ausprägungen ein und derselben Gesetzmäßigkeit, verstanden werden können. Dazu gibt es dann verschiedene Möglichkeiten, man kann an der einen oder anderen Schraube drehen, die eine oder andere Theoretisierung modifizieren. Man die Aufgabe auch (einstweilen) für unlösbar erklären, also die Identitätsannahme aufgeben. Außerdem sind bestimmte Randbedingungen zu beachten, z. B. dass das Licht nicht Licht sein darf, sondern als eine farblos-quantitative Bewegung (von reinen Quanten wohl letztlich, der Materie ergeht es nicht besser) reformuliert werden muss, dass es eine möglichst allgemeine Regel ist, keine mit tausend Erkern und Ausnahmen, dass (wenigstens stochastisch) eindeutige Kausalität herrscht. Außerdem dass bestimmte triviale Dinge, Ablesen und Funktionieren von Messgeräten, usw. gegeben sind.

Dazu bedarf es einer großen abstraktiven Kraft, die sehr weite Bereiche zusammensehen kann, ohne sich im Detail zu verlieren, sich an einzelnen »Tatsachen« oder Phänomenbereichen festzubeißen; das ist dann die hohe Kunst der Newtons und Einsteins. Und dieses abstraktive Zusammensehen kann man auch als Gedankenexperiment bezeichnen, das eben checkt, ob die verschiedenen, weit auseinanderliegenden Aspekte so zusammengehen.

4. Das Telos der ganzen Übung, worauf diese hinarbeitet, ist dann offenbar ungefähr dies, dass Quanten sich quantitativ-regelmäßig (gemäß einer bestimmten zufälligen Formel) verändern; dass also jede Realität (Substanz, Materie, Körper, Elektron, Licht usw.), die eine Quantität hätte (attributiv), eliminiert und in reine Quantität oder in quantitative Raumstrukturen überführt ist. Und das soll dann die Antwort darauf sein, warum die Sonne scheint? Tut sie ja gar nicht, das gewöhnliche Phänomens des Sonnenscheins ist ja nur Schein, es bewegen sich nur farblose Quanten, Raumkrümmungen, die sich vielleicht noch nicht einmal bewegen etc. Oder ist dies nicht eher die Verweigerung jeder Antwort nach der Devise: Die Quanten bewegen sich halt, wie sie sich eben bewegen? Basta. Der Raum ist halt so und so gekrümmt. Aus die Maus. Wobei dieses dann ja auch genau das ist, was man von vorne reingesteckt hat und allein als Realität anzuerkennen gesonnen war, eben nur die Natur als reines, allgemeines quantitatives Gesetz! Von daher nichts als eine große petitio principii. Niemand bestreitet, dass diese Betrachtungsweise oder diese Umwandlung der Natur möglich und von Nutzen ist, wie weit auch immer man damit kommen mag, keine »Tatsache« (im Rahmen der Nat. wiss.) spricht dagegen. Aber ist dies auch die Wahrheit der Natur? Oder hat man hier vielleicht nur eine Abstraktion hypostasiert, die ohne das, was sie ausgeschlossen hat (was aber im realen Gebrauch dieser Wiss. sehr wohl noch vorhanden ist), gar keinen oder einen nur stummelartigen Sinn mehr hat? Das ist dann die philosophische Frage, eben die Frage nach dem Unbedingten, nach dem, was zu seiner Existenz keines anderen bedarf. Also: Bedarf die Raumkrümmung noch eines anderen oder nicht? Ist sie die absolute Wirklichkeit?




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Jörn Budesheim
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Fr 6. Okt 2023, 13:24

Nick Nickless hat geschrieben :
Fr 6. Okt 2023, 12:30
3. Dann gibt es allerdings noch einen weiteren Aspekt, auf den Jörn mit seinen Beispielen immer hinauswill. Ich kann nämlich versuchen, verschiedene, bislang getrennt betrachtete Phänomenbereiche, Messreihen, ganze Theorien und Gesetze, auf ein einziges allgemeines Gesetz zurückzuführen. Also z. B. Gravitation und Trägheit in einer Allg. Relativitätstheorie zusammenführen, oder Licht und Elektrizität - die ja zunächst einmal etwas ganz Verschiedenes sind - in der Quantentheorie zu vereinigen. Dann habe ich eine umfassende Theorie, aus der sich die Tatsachen und Theorien der vorher getrennten Bereiche herleiten lassen. Solches Herleiten kann man dann wieder eine »Erklärung« der besonderen Theorien nennen. Nur ist das dann halt wieder nur ein sekundäres Erklären, die jetzige primäre Theorie ist wieder nicht erklärt. Es ist, wie es, Gott hat es so gewollt, und wem es nicht gefällt, der muss auswandern. Und dann muss man außerdem noch zusehen, ob das »Erklären« hier nicht viel eher ein »Wegerklären« ist.
Will ich darauf hinaus? Worauf ich hinaus will ist folgendes: Ich hab ein paar Beispiele für Erklärungen gebracht. Für mich sind das Erklärungen. Für dich anscheinend nicht. Warum, hab ich nicht verstanden.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 08:05

Vielleicht liegt gegenseitige Miss- oder Nichtverstehen daran, dass wir unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was eine Erklärung ist? Nehmen wir wieder ein Beispiel und gehen wiederum von Tatsachen aus, die wir für erklärungsbedürftig halten. Der Herr im grauen Anzug von gegenüber verlässt jeden Tag von Montag bis Sonntag um 8 Uhr das Haus. Warum tut er das? Die Erklärung lautet: Er geht zur Arbeit, aber warum auch am Wochenende? Die Erklärung ist einfach: Er ist selbständig.

Nick würde/müsste nun zwei Dinge einwenden: wir beginnen gar nicht mit einer Tatsache (der Herr im grauen Anzug verlässt jeden Tag um 8 Uhr das Haus, sondern mit X) und die Antwort (er geht zur Arbeit und ist selbständig) ist keine Erklärung. Kann mir jemand in einfachen Worten erklären, inwiefern wir hier nicht von Tatsachen ausgehen und warum die von mir angeboten Erklärungen keine Erklärung sind.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 08:18

Nick Nickless hat geschrieben :
Fr 6. Okt 2023, 12:30
... ist dies nicht eher die Verweigerung jeder Antwort nach der Devise: Die Quanten bewegen sich halt, wie sie sich eben bewegen?
Wieso ist der Gedanke, dass man möglicherweise an irgendeiner Stelle auf ein "faktum brutum", trifft die Verweigerung einer Antwort? Das verstehe ich nicht.




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Quk
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Sa 7. Okt 2023, 12:04

Ich denke, wir reden über zwei verschiedene Schärfegrade.

Nick und ich reden über maximale Schärfe.
Dieses Maximum ist relevant in der philosophischen Erkenntnistheorie, als auch in der Wissenschaft, im Journalismus und vor Gericht.

Jörn redet vermutlich über mittlere Schärfe.

Ich vermute, es gibt dreierlei mittelscharfe Perspektiven, unabhängig voneinander -- und alle drei sind wohl berechtigt:
(1) Trivialität: Eine triviale Beobachtung wie die der nördlicheren Position Hamburgs gegenüber Kassel erscheint so eindeutig, dass es mühsam wäre, sie zu bezweifeln in einem Kontext, der nur nach dem Breitengrad fragt. Die Breitengradfrage an sich ist trivial und in ihrem eigenen Kontext durchaus scharf. Mittelscharf wird sie erst, wenn sie in das Verhältnis gerät zur maximal scharfen philosophischen Frage nach der Sicherheit sinnlicher Wahrnehmung und der Fehlbarkeit unseres Verstandes. Aber dieses Schärfemaximum ist schlichtweg unnütz bei der reinen Breitengradfrage.
(2) Toleranz: In der alltäglichen Praxis ist eine gewisse Toleranz nötig, um voranzukommen. Im Alltag müssen wir oft Entscheidungen treffen, obwohl wir die zur Wahl stehenden Optionen nicht näher kennen. Wenn so eine Entscheidung gut ausgeht, und sie deshalb wiederholt wird, entsteht eine Routine. Aus dieser Routine heraus werden wir uns vermutlich abgewöhnen, das Funktionierende zu bezweifeln. Ist ja auch gut so, wenns funktioniert und keine Zeit zum Nachdenken ist. Diese Toleranz ist in solchen Fällen nötig, und daher erübrigt sich da die Forderung nach maximaler Schärfe.
(3) Vertrauen: Es gibt Menschen und Gegebenheiten, denen vertrauen wir so sehr, dass aus diesem tiefen Vertrauen heraus an eine Hinterfragung a priori überhaupt nicht zu denken ist. Diese durchaus nützliche Perspektive würde ich als eine Gefühlsperspektive bezeichnen -- als eine mittelscharfe, weil sie nicht die maximal scharfen Fragen der Philosophie, Wissenschaft, Justiz beantworten kann. Das muss sie auch nicht.
Zuletzt geändert von Quk am Sa 7. Okt 2023, 12:10, insgesamt 1-mal geändert.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 12:40

immanka hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 12:20
Bitte erkläre mir mal jemand, wie ich auf einen konkreten Beitrag antworten kann. Oder wo erfährt man das?
Es gibt keine spezielle Funktion, um auf einen bestimmten Beitrag zu antworten. Man antwortet einfach und erklärt, worauf man sich bezieht und worum es geht.

Außerdem kann man natürlich den Beitrag zitieren, d.h. man klickt auf den Zitat-Button. Dann öffnet sich ein Fenster mit dem Zitat und man kann einen Kommentar, eine Antwort hinzufügen.




Burkart
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Sa 7. Okt 2023, 12:54

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 12:40
immanka hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 12:20
Bitte erkläre mir mal jemand, wie ich auf einen konkreten Beitrag antworten kann. Oder wo erfährt man das?
Es gibt keine spezielle Funktion, um auf einen bestimmten Beitrag zu antworten. Man antwortet einfach und erklärt, worauf man sich bezieht und worum es geht.

Außerdem kann man natürlich den Beitrag zitieren, d.h. man klickt auf den Zitat-Button. Dann öffnet sich ein Fenster mit dem Zitat und man kann einen Kommentar, eine Antwort hinzufügen.
Falls du den Zitat-Button suchst: Er ist rechts oben in jedem (Lese-)Beitrag und sieht ungefähr wie ein Anführungszeichen " aus.



Der Mensch als Philosophierender ist Ausgangspunkt aller Philosophie.
Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 12:59

Quk hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 12:04
Schärfegrade
Ich kann nicht genau sagen, worum es Nick geht, aber ich vermute, es geht ihm um etwas anderes, nämlich darum, dass die Naturwissenschaften prinzipiell keine Erklärung liefern können, sie können, so interpretiere ich seine Antworten, nichts liefern, was die Struktur einer Erklärung hat. Also nichts, was man eine Erklärung nennen könnte. Egal wie unscharf oder scharf, nichts, was die Naturwissenschaften liefern können, hat die Form einer Erklärung.

Das ist natürlich auch der Grund, warum ich ihn gefragt habe, was er unter einer Erklärung versteht.

Warum haben wir Tag und Nacht? Das hat mit der Stellung der Erde zur Sonne zu tun. Die Erklärung ist natürlich sehr unscharf, aber egal wie scharf man sie macht, ich vermute, Nick wird sie nicht als Erklärung akzeptieren. Ich hingegen würde sagen, dass es auf jeden Fall eine Erklärung ist.

Ich weiß also nicht, wie Nick das sieht, aber ich kann natürlich für mich sprechen: Es geht mir nicht (!) um Schärfegrade. Mir geht es darum, dass ich einfach nicht verstehe, warum die Naturwissenschaften nicht in der Lage sein sollen, Erklärungen zu liefern, wo sie es doch ständig tun.

Natürlich können sie nicht für alles Erklärungen liefern, z.B. nicht dafür, warum es in der zweiten Strophe von Bachmanns Gedicht an die Sonne heißt: "An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel ...". An dieser Stelle könnte man auch die Unterscheidung zwischen Erklären und Verstehen anführen, der ich durchaus zustimme.

Nachtrag: Manchmal lesen sich die Beiträge von Nick so, als wolle er sagen, dass die Naturwissenschaften aus strukturellen Gründen alles Qualitative verfehlen müssen. Dem stimme ich zu.




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Quk
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Sa 7. Okt 2023, 13:26

Beim Thema "Erklärung" sehe ich auch keine Schärfegrade.
Meine Schärfegrade bezogen sich auf das Thema "Tatsachen und Beobachtungen", was vor der Erklärung kommt.

Meiner Ansicht nach ist eine Erklärung niemals folgendes: Eine letzte Erklärung. Vielleicht ist es das, was Nick meint.

Für mich kann eine Erklärung zwei gute Dienste vollziehen:
• Die Beseitigung überflüssiger oder falscher Details.
• Die Addierung weiterer Details zur Vergrößerung der Informationsdichte.

Ich finde das nützlich.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 13:35

Eine Erklärung ist doch einfach eine Antwort auf die Frage "Warum ist das und das der Fall", oder? Und mit dieser Frage bezieht man sich immer auf eine Tatsache: Warum verhält es sich so und so?

Warum gibt es Tag und Nacht? Bezieht sich auf eine Tatsache, nämlich dass es Tag und Nacht gibt, und fragt nach einer Erklärung.

Warum fallen manche Dinge auf der Erde nach unten? Geht wieder von einer Tatsache aus und fragt, warum das so ist.

Woher kommt die Artenvielfalt? Geht von einer Tatsache aus, nämlich der Artenvielfalt, und fragt, warum es sie gibt.

Wenn ich Nick richtig verstehe, sagt er aus strukturellen/prinzipiellen Gründen können Naturwissenschaften solche Fragen nicht beantworten. Ich meine, er hat auch eine Erklärung angedeutet, aber ich verstehe es einfach nicht.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 13:52

Quk hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 13:26
Beim Thema "Erklärung" sehe ich auch keine Schärfegrade.
Meine Schärfegrade bezogen sich auf das Thema "Tatsachen und Beobachtungen", was vor der Erklärung kommt.
Nick ist - soweit ich ihn verstanden habe - der Meinung, dass vor der Erklärung keine Tatsache steht. Und das wiederum aus strukturellen/prinzipiellen Gründen. Für mich ist das rätselhaft, weil dann natürlich das, was erklärt werden soll, fehlt.




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AufDerSonne
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Sa 7. Okt 2023, 14:31

Quk hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 13:26
Meiner Ansicht nach ist eine Erklärung niemals folgendes: Eine letzte Erklärung. Vielleicht ist es das, was Nick meint.
Im strengen Sinne vielleicht nicht. Aber es gibt die letzte Erklärung in dem Sinne, dass man interessanterweise irgend einmal zufrieden ist mit der Begründung.
Also man kann DEN Grund finden. Man könnte vielleicht noch weiter fragen, warum denn das so ist, aber man tut es oft nicht, weil es kein Sinn hat.
In diesem Sinne gibt es den letzten Grund, einfach weil es auf die Situation bezogen keine weitere Begründung mehr bedarf.

Ich finde nach wie vor, irgendwie gibt es ein Problem zwischen Beobachtung und Erklärung. Ich sehe es auch nicht so recht.
Jemand könnte neben mir stehen und sieht, dass auf dem Bildschirm Buchstaben erscheinen. Er fragt, wieso. Möchte gerne eine Erklärung. Ich sage, das ist so, weil ich auf der Tastatur schreibe. Fertig.
Er möchte es vielleicht genauer wissen. Die Tasten machen einen Kontakt, es fliesst Strom usw. Bis anno Tabak. Aber vielleicht genügt in diesem Falle, dass er weiss, dass das Drücken einer Taste die Buchstaben auf den Bildschirm zeichnet.



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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 14:55

Ich denke, es gibt auch im strengen Sinne letzte Antworten:

"Warum hat Morphy Dame g8 gezogen?"
"Weil das ein Matt in zwei Zügen bedeutet und er die Partie damit gewinnt."

"Warum bist du so niedergeschlagen und traurig?"
"Weil mein Vater gestorben ist."

"Warum hast du einen Krankenwagen angerufen?"
"Weil das Unfallopfer schwer verletzt war!"

Natürlich kann man jetzt versuchen, sich Situationen auszumalen, wo die Fragerei weitergeht. Aber das ist nicht entscheidend: entscheidend ist, dass man sich Situationen ausmalen kann, wo die beiden Antworten einfach die letzte Erklärung sind, weil es tiefer nicht geht.




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Sa 7. Okt 2023, 15:14

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 14:55
Ich denke, es gibt auch im strengen Sinne letzte Antworten:

"Warum hat Morphy Dame g8 gezogen?"
"Weil das ein Matt in zwei Zügen bedeutet und er die Partie damit gewinnt."
Ja, in gewissen Situationen gibt es letzte Antworten. Aber ich habe mit meiner Antwort die Möglichkeit offen gelassen, dass eine letzte Antwort vielleicht einmal doch noch hinterfragt werden sollte.
Zum Beispiel die Frage, ob es sichere Erkenntnis gibt. Die ist ja, so viel ich weiss, für die meisten Philosophen nicht ganz so klar. Meine Antwort wäre einfach, ja. Aber viele Philosophen würden mir widersprechen. Das heisst doch, dass man da genauer sein muss als es auf den ersten Blick scheint.

Übrigens könnte man hier fragen, wieso Morphy die Partie gewinnen wollte.



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Sa 7. Okt 2023, 15:31

Klar, kann man sich Leute ausmalen, die die Antwort nicht verstehen. Aber was zeigt das?

Es geht hier doch nicht um die Psychologie Morphys, sondern um die innere Logik des Spiels, und dort ist die Antwort eben, dass dieser Zug in zwei Zügen zum Matt führt und damit ist die Frage endgültig beantwortet.




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Sa 7. Okt 2023, 15:53

Eine "Erklärung" beantwortet wahrscheinlich nicht nur Warum-Fragen, sondern jedwede W-Fragen:

Erkläre mir, wie das geht, woraus das besteht, wohin das will, wann das kommt, wessen Teil das ist etc. Aber ich glaube, dieser W-Punkt ist nicht der springende Punkt, zumal es letztendlich vielleicht doch immer auf ein Warum hinausläuft. Sondern das Problem ist hier womöglich wieder der Umgang mit dem Tatsachen-Begriff.

Inzwischen haben wir in dieser Diskussion, über mehrere Fäden verteilt, einen verschiedenlich geschüttelten Cocktail aus drei Zutaten:

• Beobachtung
• Tatsache
• Erklärung


Mein Kommentar mit den Schärfegraden bezieht sich auf die Begriffsentscheidung zwischen "Beobachtung" und "Tatsache". Da kommt die Erklärung noch nicht vor. Epistemologie, Wissenschaft, Journalismus, Justiz verlangen maximale Schärfe, was heißt, dass eine Beobachtung nicht ohne Skepsis direkt als Tatsache verkauft werden sollte, weil Sinne und Verstand fehlbar sind. In anderen Fällen reicht eine mittlere Beobachtungs-Schärfe aus, um direkt von einer Tatsache zu sprechen. Ich habe das weiter oben erörtert mit den drei Perspektiven, die mittelscharf sein dürfen: Trivialität (Hamburg nördlich von Kassel; Schachzug auf g8; das sind selbstbeziehende Trivialfragen), Toleranz (schnelle Alltagsentscheidung), Vertrauen (wichtige Gefühlsangelegenheiten).

Wenn Nick meint, dass vor der Erklärung keine Tatsache stehe, dann gehts vermutlich nicht darum, was eine Erklärung ist, sondern darum, ob man das Prä-Erklärung Stehende vorsichtig als Beobachtung verkaufen soll oder direkt als Tatsache. Und das hängt meiner Meinung nach vom Kontext des benötigten Schärfegrads ab. Wenn es um einen Fall maximaler Schärfe geht, stimme ich Nick zu. Vor der Erklärung steht keine Tatsache, sondern eine Beobachtung.

So viel von mir zum Bereich vor der Erklärung.

Nun zur Erklärung. Was ist das?
Eine alte Erklärung wird durch eine neue verfeinert, die wiederum durch eine neuere verfeinert wird, etc. Ein ganz normaler Lernprozess. Man lernt nie aus. Oh, ein schwarzer Schwan! Oh, das funktioniert ja ganz anders! Aber irgendwann endet jede Erklärung bei den Qualia, oder bei den Qualitäten, wenn man es so nennen will. Die Erlebnisqualität "rot" ist unerklärlich. Da hörts auf. Die Frequenzangabe ist eine Zahl, kein Quale.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 16:32

Quk hat geschrieben :
Sa 7. Okt 2023, 15:53
Wenn Nick meint, dass vor der Erklärung keine Tatsache stehe, dann gehts vermutlich nicht darum, was eine Erklärung ist, sondern darum, ob man das Prä-Erklärung Stehende vorsichtig als Beobachtung verkaufen soll oder direkt als Tatsache.
Wenn ich sage, ich selbst oder jemand hat das und das beobachtet, dann starte ich doch mit einer Tatsache, nämlich der Tatsache, dass jemand etwas beobachtet hat. Wir gehen immer von Tatsachen aus, der Tatsache, dass jemand etwas beobachtet hat oder der Tatsache, die diese Person und gegebenenfalls tausend andere auch beobachtet haben oder was auch immer. Am Anfang steht eine Tatsache und diese Tatsache halten wir für erklärungsbedürftig, bzw, sie macht uns neugierig, sie fasziniert uns sie packt uns oder etwas in der Art.




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Jörn Budesheim
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Sa 7. Okt 2023, 17:13

Das muss man vielleicht noch etwas weiter fassen. Am Anfang steht nicht allein eine Tatsache, sondern der Umstand, dass wir uns diese oder jene Tatsache erklären wollen. Irgendwann haben die Menschen angefangen sich zu fragen, warum es Tag und Nacht gibt. Vermutlich ist es sogar eher umgekehrt, in dem Moment, wo sie angefangen haben, sich solche Fragen zu stellen, sind sie erst in einem Vollsinne zu Menschen geworden.

Warum wird eine Person Astrophysiker? Um Daten zu sammeln oder weil sie vielleicht fasziniert ist von diesem Ort, an dem wir leben?




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Quk
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Sa 7. Okt 2023, 17:40

Die Tatsache, dass jemand etwas beobachtet, ist etwas anderes als der Beobachtungsinhalt, würde ich sagen.

Falls die Betonung so sein sollte: Die Tatsache, dass jemand etwas beobachtet, ist ja tatsächlich nur ein unbestimmtes "Etwas".

Ich möchte nochmal die Skepsis ansprechen, die es verhindert, eine Beobachtung direkt als Tatsache zu verkaufen.

Jörn, ich habe Dir ja in irgendeinem Faden zugestimmt mit meinem Einzeiler "Einverstanden". Ich stimme Dir zu. Ich will meine Zustimmung nur nochmal mit meinen Worten begründen:

Wenn eine Warum-Frage einen sicheren Fragerahmen voraussetzt, dann brauche ich praktisch keine Skepsis mehr.

Wenn dieser Fragerahmen allein die Schachregeln meint, und die g8-Frage erklärt wird mit der Stellung der Dame, dann gibt es keinen guten Grund, diesen engen Fragerahmen zu erweitern durch die Frage des Sinneszweifels.

Wenn dieser Fragerahmen allein die Breitengrade meint, und die Hamburg-Frage erklärt wird mit der Breitengradzahl, dann gibt es keinen guten Grund, diesen engen Fragerahmen zu erweitern durch die Frage des Sinneszweifels.

Es ist so wie die Frage nach der Uhrzeit. Ich muss noch zum Bäcker; wieviel Uhr ist es? Sechs. Tatsächlich sechs.
Da sagt keiner, meine Sinne und mein Verstand könnten irren, daher -- Obacht! -- könne es jetzt auch vier Uhr sein oder fünf!
Hier bezieht sich der Fragerahmen allein auf die Uhrzeit im Haushalts-Alltag, und nicht auf Epistemologie, Wissenschaft, Journalismus, Justiz.

Captain Kirk: "Sulu, wieviel Kilometer noch bis zum Aufprall?"
Sulu: "4300, Sir."
Spock: "4312 Komma 8, um genau zu sein."
Eigentlich sind es 4312,8363178653471...
Hier wird klar, dass eine rahmenlose Frage eine unendlich hohe Präzision verlangen könnte, die aber nie zu 100% erreicht würde. Zum einen ist die Welt ständig in Bewegung, sodass die verlangte Zahl noch während des Aussprechens nicht mehr aktuell sein könnte. Zum zweiten, weil die Naturgesetze sich jederzeit ändern könnten; es gibt keinen Grund zur Annahme, alles würde ewig so bleiben. Hier bin ich im rahmenlosen Bereich der Philosophie und nicht im Kontext des Schachs oder der Breitengradfrage.




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