40 shades of consciousness
@Jörn: Ich kann Deinen Standpunkt gut nachvollziehen, auch wenn er sich tatsächlich von meinem stark unterscheidet. Das Schöne an dem Realismus, wie Du ihn im Anschluss an Gabriel vertrittst, ist aber auf jeden Fall seine entschiedene Klarheit. Das gefällt mir.
Ich selbst habe den Realismus, der ja in manchen Varianten durchaus einiges für sich hat, tatsächlich erst vor einiger Zeit aufgeben können - und zwar nach echt zähen geistigen Kämpfen über Jahre hinweg! Ich habe, so komisch es klingt, gemerkt: Er passt nicht zu mir. Oder anders gesagt: Er überzeugt mich im Grunde nicht. Details zu diesem Wandel meiner Überzeugung kann ich hier jetzt nicht aufführen, aber einiges wird sicherlich nach und nach in meinen Beiträgen deutlicher werden. Hier nur so viel: Für mich waren und sind v.a. die Neue Phänomenologie sowie z.T. auch die Luhmann'sche Systemtheorie echte Augenöffner; da hatte ich zu lange Zeit blinde Flecken. Durch diese Einflüsse werde ich jetzt zunehmend die Fesseln der alten Denkformen - Idealismus versus Realismus, Innen versus Außen, Geist versus Körper, Sein versus Bewusstsein, objektiv versus subjektiv u.v.m. - los. Das ist echt eine Befreiung; und ich hätte vorher nie gedacht, dass man jenseits der alten Oppositionen überhaupt etwas finden würde. (Wie gesagt, Näheres dazu später nach und nach. Jetzt muss ich auch erst mal wieder mehr ins Seminargetümmel, das Semester geht allmählich wieder los.)
P.S.: Übrigens: Den Satz von Dir: "Bewusstsein gibt es" kann ich natürlich nach wie vor unterschreiben. Und ebenso Deinen Satz: "Ich sehe vor mir die Tasse selbst (und nicht etwa eine innere Repräsentation)". (Da liegt unsere Differenz also nicht.)
Ich selbst habe den Realismus, der ja in manchen Varianten durchaus einiges für sich hat, tatsächlich erst vor einiger Zeit aufgeben können - und zwar nach echt zähen geistigen Kämpfen über Jahre hinweg! Ich habe, so komisch es klingt, gemerkt: Er passt nicht zu mir. Oder anders gesagt: Er überzeugt mich im Grunde nicht. Details zu diesem Wandel meiner Überzeugung kann ich hier jetzt nicht aufführen, aber einiges wird sicherlich nach und nach in meinen Beiträgen deutlicher werden. Hier nur so viel: Für mich waren und sind v.a. die Neue Phänomenologie sowie z.T. auch die Luhmann'sche Systemtheorie echte Augenöffner; da hatte ich zu lange Zeit blinde Flecken. Durch diese Einflüsse werde ich jetzt zunehmend die Fesseln der alten Denkformen - Idealismus versus Realismus, Innen versus Außen, Geist versus Körper, Sein versus Bewusstsein, objektiv versus subjektiv u.v.m. - los. Das ist echt eine Befreiung; und ich hätte vorher nie gedacht, dass man jenseits der alten Oppositionen überhaupt etwas finden würde. (Wie gesagt, Näheres dazu später nach und nach. Jetzt muss ich auch erst mal wieder mehr ins Seminargetümmel, das Semester geht allmählich wieder los.)
P.S.: Übrigens: Den Satz von Dir: "Bewusstsein gibt es" kann ich natürlich nach wie vor unterschreiben. Und ebenso Deinen Satz: "Ich sehe vor mir die Tasse selbst (und nicht etwa eine innere Repräsentation)". (Da liegt unsere Differenz also nicht.)
- Jörn Budesheim
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Dann haben dann haben wir die entgegengesetzte Entwicklung genommen, ich war früher ein radikaler Konstruktivist.
@Jörn: Ach, das ist ja interessant. Aber ein radikaler Konstruktivist, nun ja, soweit bin ich dann doch nicht gekommen Aber tatsächlich, mir fehlte bislang ganz der Sinn für konstruktivistische Ideen, die habe ich früher immer geradezu verteufelt. Aber weitaus stärker als das ist bei mir der Einfluss der Neuen Phänomenologie von Hermann Schmitz. Auch da war ich früher von der klassischen Phänomenologie und deren Sicht auf das Bewusstsein noch viel zu sehr verengt. (Naja, aber jetzt wollen wir mal mit unserer schönen Plauderei hier nicht mehr länger vom Thema dieses Fadens ablenken. Bis dann, Jörn.)
Wenn der reduktive (äquative) Materialismus wahr ist, dann kann es auch eine äußere, extrospektive Wahrnehmung von Bewusstseinsvorgängen (qua Nervenvorgängen) geben. Die Unterscheidung von äußerer und innerer Wahrnehmung beruht jedenfalls auf der Unterscheidung äußerer und innerer Sinne. Entsprechend kann ich meinen Körper sowohl mittels äußerer Sinne (Sehen, Hören, Tasten, Riechen, Schmecken) als auch mittels innerer Sinne wahrnehmen.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 7. Okt 2024, 08:19Das ist für mich aber ungereimt. Wahrnehmung ist grundsätzlich nichts Inneres, egal, worauf sich richtet, sonst könnte sie keine "Richtung", also keinen "intentionalen Gegenstand" haben. Was ist gewonnen, wenn man sagt, "die innere Wahrnehmung eigener Bewusstseinsinhalte nennen Psychologen Introspektion" statt "die Wahrnehmung eigener Bewusstseinsinhalte nennen Psychologen Introspektion"?
"Der innere Sinn, vermittelst dessen das Gemüth sich selbst oder seinen inneren Zustand anschauet…"
—Kant (Kritik der reinen Vernunft, B37)
Kant spricht hier von Introspektion. Die Rede von einem inneren Sinn oder inneren Sinnen kann zumindest in Bezug auf interozeptive Körperwahrnehmungen wörtlich genommen werden; aber es ist fraglich, ob man dies auch in Bezug auf introspektive Gemütswahrnehmungen tun kann. Denn introspektive Akte erfassen ihren Gegenstand im Gegensatz zu interozeptiven Akten direkt, unmittelbar, d.h. ohne Sinnesempfindungen oder -eindrücke, die als Erscheinungen des Wahrnehmungsgegenstands fungieren. Wenn ich eine Empfindung introspiziere, dann erlebe ich keine zweite, zusätzliche Empfindung als Erscheinung der introspizierten Empfindung.
Interozeption ist sinnliche innere Wahrnehmung des eigenen Körpers, wohingegen Introspektion unsinnliche innere Wahrnehmung des eigenen Geistes zu sein scheint, weil es keine besonderen Sinnesorgane oder Sinnesrezeptoren der Introspektion zu geben scheint. Aber wie ist sie dann überhaupt möglich?
Wie gesagt, aus reduktiv-materialistischer Sicht ist Introspektion eine Art von Interozeption, und der reduktive Materialist David Armstrong schreibt:
Aus reduktiv-materialistischer Sicht muss es bestimmte neurophysiologische Mechanismen der Introspektion geben, so wie es auch bestimmte neurophysiologische Mechanismen der Interozeption gibt. Die dualistische Vorstellung einer übersinnlichen inneren Wahrnehmung (von Zuständen) des eigenen Geistes oder der eigenen Seele ist aus jener Sicht inakzeptabel."If we make the materialist identification of mental states with material states of the brain, we can say that introspection is a self-scanning process in the brain."
———
"Wenn wir die materialistische Identifikation von mentalen Zuständen mit materiellen Zuständen des Gehirns vornehmen, können wir sagen, dass die Introspektion ein Selbstabtastungsvorgang im Gehirn ist." [© meine Übers.]
(Armstrong, D. M. A Materialist Theory of the Mind. London: Routledge & Kegan Paul, 1968. pp. 323-4)
"Bodily perception, indeed, serves as an excellent model with which to grasp the nature of introspection, for it has a further important resemblance to 'inner sense'. In introspection we are aware only of states of our own mind, not of other people's minds. In bodily perception we are aware only of states of our own body, and not of other people's bodies. The biological usefulness to the organism of a special knowledge of its own bodily and mental state is obvious in both cases."
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"Die Körperwahrnehmung ist in der Tat ein ausgezeichnetes Modell, um das Wesen der Introspektion zu verstehen, denn sie hat eine weitere wichtige Ähnlichkeit mit dem "inneren Sinn". Bei der Introspektion sind wir uns nur der Zustände unseres eigenen Geistes bewusst, nicht des Geistes anderer Menschen. Bei der Körperwahrnehmung sind wir uns nur der Zustände unseres eigenen Körpers bewusst, nicht aber der Körper anderer Menschen. Der biologische Nutzen einer besonderen Kenntnis des eigenen körperlichen und geistigen Zustands für den Organismus ist in beiden Fällen offensichtlich." [Übersetzt mit DeepL.com]
(Armstrong, D. M. A Materialist Theory of the Mind. London: Routledge & Kegan Paul, 1968. p. 96)
"The importance of proprioception and the other modes of bodily perception for us here is that they give us an unmysterious model for introspection. Introspection is a system, one that we still hardly understand in physiological terms, by which we monitor our own mind. In bodily perception, the mind monitors its own body. In introspection, the mind monitors itself."
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"Die Bedeutung der Propriozeption und der anderen Arten der Körperwahrnehmung für uns liegt darin, dass sie uns ein unmysteriöses Modell für die Introspektion liefern. Introspektion ist ein System, das wir physiologisch noch kaum verstehen, mit dem wir unseren eigenen Geist überwachen. Bei der Körperwahrnehmung überwacht der Geist seinen eigenen Körper. Bei der Introspektion überwacht der Geist sich selbst." [Übersetzt mit DeepL.com]
(Armstrong, D. M. The Mind-Body Problem: An Opinionated Introduction. Boulder, CO: Westview, 1999. p. 117)
"At the sensory level we continuously receive a flow of information about our own body through external and internal perceptions. Not only can we see our body and touch it, but we also have several inner receptors that convey information about the position of our limbs, the balance of our body, and its physiological condition. Unlike external perception, the inner sensory flow never stops and cannot be voluntarily controlled. Thus, an important amount of information is constantly available whether we want it or not, whether we pay attention to it or not. In that respect, our body qualifies as the object that we know best."
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"Auf der sensorischen Ebene erhalten wir durch äußere und innere Wahrnehmungen kontinuierlich einen Informationsfluss über unseren eigenen Körper. Wir können unseren Körper nicht nur sehen und berühren, sondern wir verfügen auch über mehrere innere Rezeptoren, die uns Informationen über die Position unserer Gliedmaßen, das Gleichgewicht unseres Körpers und seinen physiologischen Zustand übermitteln. Im Gegensatz zur äußeren Wahrnehmung hört der innere Sinnesfluss nie auf und kann nicht willentlich gesteuert werden. Somit steht uns ständig eine wichtige Menge an Informationen zur Verfügung, ob wir sie wollen oder nicht, ob wir ihnen Aufmerksamkeit schenken oder nicht. In dieser Hinsicht ist unser Körper das Objekt, das wir am besten kennen." [Übersetzt von Google Translate]
Bodily Awareness: https://plato.stanford.edu/entries/bodily-awareness/
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
- Jörn Budesheim
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Ich will noch mal versuchen, meine Kritik zu erläutern. Das, was man wahrnimmt, der "intentionale Gegenstand" ist Teil der Wahrnehmung selbst, er wird von ihr umfasst, denn wir nehmen immer etwas wahr. Wahrnehmung ist daher niemals rein "innerlich", denn sie hat immer eine "Richtung", also einen "intentionalen Gegenstand". Wenn man hier von Intentionalität spricht, spricht man – nach meinem Verständnis – von einer "logischen Struktur" der Wahrnehmung, die natürlich auch auf gewisse Weise "kausal" realisiert wird. Das ist mein Punkt: Etwas, was eine "Richtung" oder "Gerichtetheit" hat, kann nicht an dem Ort sein, von wo die "Richtung" vermutlich ihren Ausgang nimmt. Insbesondere John Searle hat (nach meiner Erinnerung) betont, dass wir zwischen der logischen Struktur eines mentalen Zustands und seiner kausalen Realisierung unterscheiden müssen. Die Vermeidung der Verwechslung von kausaler und intentionaler Ebene ist der Hintergrund meiner Kritik.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 7. Okt 2024, 08:19Das ist für mich aber ungereimt. Wahrnehmung ist grundsätzlich nichts Inneres, egal, worauf sich richtet, sonst könnte sie keine "Richtung", also keinen "intentionalen Gegenstand" haben. Was ist gewonnen, wenn man sagt, "die innere Wahrnehmung eigener Bewusstseinsinhalte nennen Psychologen Introspektion" statt "die Wahrnehmung eigener Bewusstseinsinhalte nennen Psychologen Introspektion"?
Ja klar.
Hier gilt eher: bei der Analyse sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Durch die grobmotorisch feststellbare Spezialisierung der Rezeptorzellen überlagen sie sozusagen das Nachdenken über die Fähigkeiten der anderen Zellen.
Über die Zell-Auffälligkeiten ist man in der Analyse verleitet, die "Mechanismen der Introspektion" als den unbekannten "kleinen Bruder" der "Mechanismen der Introzeption" anzusehen, aber die Wirklichkeit ist dramatisch anders: die "Mechanismen der Introspektion" sind das, wodurch in einem Nervensystem überhaupt erst Funktion zustande kommt und die "Mechanismen der Introzeption" sind zusätzlich (aber kein neues Prinzip!), so dass der Akteur mit einer Umwelt interagieren kann.
Ich habe in meinen Skripten ein paar ältere Notizen zum Thema ‚Intentionalität des Bewusstseins‘ gefunden, die hier vielleicht in den Faden passen. Das Ganze kommt mehr so aus phänomenologischer Richtung - also bitte einfach ignorieren, wenn es nicht in die laufende Argumentation passt. (Es können einige Rechtsschreibfehler drin sein, ich habe das Ganze jetzt aus Zeitgründen nicht mehr so genau durchlesen können.)
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Ich glaube dass das Modell der Intentionalität, dass in der Analytischen Philosophie des Geistes und in der älteren Phänomenologie zentral ist, an einem eher künstlichen Fall ausgedacht worden ist: Nämlich am Fall des Auftauchens eines isolierten bzw. gut abgegrenzten Wahrnehmungsgegenstandes im zentralen Gesichtsfeld. ‚Ich sehe vor mir eine Tasse‘ wäre ein Beispiel. Das Sehen wäre der intentionale Akt, die Tasse das intentionale Objekt.
Dieses Modell hat aber äußerst enge Grenzen für die Beschreibung des Bewusstseinslebens. Schon Gerüche z.B. nicht so nicht gegeben wie sichtbare Einzelobjekte – sie sind flüchtig und kaum klar zu greifen. Sie haben sie gewisse Unbestimmheit und liefern, anders als z.B. Tassen, keine ‚Dinge‘ oder ‚Dingeigenschaften‘ im Sinne strikter intentionaler Objektivität. (Und auch ‚Relationen‘ kann man bei Gerüchen kaum feststellen.)
Ähnliche Problem treten bei Gefühlen auf: Man kann sie, anders als abgegrenzte sichtbare Objekte (Tassen, Tische) z.B. nicht zählen, sie sind nicht ohne Weiteres einzeln. Und was nicht einzeln auftaucht, ist auch kaum so recht relationierbar, weil es eben keine eindeutigen Relata gibt. ‚Wie viele‘ Gefühle erlebe ich gerade, und welches dieser (dann ja wohl einzeln gedachten) Gefühle ‚wiegt am Stärksten‘? (Oder, mal aus Spaß: Wenn man in einem Laden 'Freude über das Wetter' oder 'Angst vor der Schlange' kaufen könnte - welches Gefühl wäre dann wohl teurer, welches preiswerter?)
Gefühle haben keine klare Intentionalstruktur. Man kann z.B., wenn man wütend ist, nicht sagen, dass man Wut wahrnimmt, so wie man eine Tasse wahrnimmt – zur Wut gehört ja gerade das Verschwinden einer Beziehung zu sich selbst sowie zu klar umrissenen Objekten. Angenommen, Peter ist wütend auf Paul: Dieser Bewusstseinszustand lässt sich kaum nach dem Schema intentionaler Akt-intentionales Objekt modellieren. Peter ist vor Wut außer sich und gar nicht mehr er selbst, d.h.: Wut geht nicht (wie der Blick auf die Tasse) von einem aktiven und steuernden Subjekt aus, sondern sie überfällt Peter, er steckt da drin, ist ihr vorübergehend ausgeliefert. Und die Wut hat, indem sie ihn affiziert, hat auch kein Objekt, da wütend sein ja gerade heißt, keine gegenständliche Beziehung mehr zu Paul realisieren zu können. In Peters Wut verschwinden beide: Peter und Paul. Peter kann Paul buchstäblich „nicht mehr sehen“; und sich selbst kann er, als von der Wut heimgesucht, auch nicht mehr aktiv auf etwas richten. Der Bewusstseinszustand der Wut hat ersichtlich nicht die Struktur der Intentionalität (Akt-Objekt).
(Anders ist es, wenn Peter seine Wut rückblickend aus objektiver (!) Distanz betrachtet – also z.B. über die Gründe für die Wut nachdenkt. Dann erhält Paul für Peter seine intentionale Objektivität zurück; die Verhältnisse klären sich. Aber der Gefühlszustand der Wut selbst enthält diese Struktur gerade nicht. Das Intentionalitätsmodell scheint also eher auf Beziehungen mit klarer Gegenstandsstruktur gemünzt zu sein, in denen z.B. klar ist: Ich hier-Tasse da.)
Ebensowenig gibt es ein intentionales Objekt bei der Erfahrung friedlicher Stille: Man kann ja nicht sagen, das intentionale Objekt des Bewusstseins sei dann ‚fehlende Information‘ im Wahrnehmungsfeld. Stille ist nicht Nullinformation oder Bewusstsein ‚von Nichts‘. Das Bewusstsein der Stille ist keine Mangelerfahrung - es handelt sich, und zwar leiblich unmittelbar spürbar, um einen geradezu erfüllten Zustand. Stille kann bekanntlich ganze Räume erfüllen: z.B. als gespannte Stille bei einer Feier, kurz bevor der Redner zu sprechen beginnt. Man kann diesen Bewusstseinszustand - der übrigens nicht irgendwo ‚innen‘ (im Geist oder Körper) ist, sondern in der Luft liegt oder im Raum schwebt - nicht nach dem Schema intentionaler Akt-intentionales Objekt verstehen. Denn was sollte im Falle gespannter Stille der Akt, und was das Objekt sein?
Man kann auch an das Erleben von Atmosphären denken. Beispiele: Man tritt aus der Wohnung vor die Tür und spürt die Frische. Hier richtet sich das Bewusstsein nicht auf irgendwelche greifbaren ‚Etwasse‘ als Daten oder Informationen – denn das Bewusstsein ist ja kein Thermometer, Hygrometer oder Ähnliches - sondern man spürt unmittelbar den Eindruck der Frische. Es gibt hier keinen Geist, der den Körper über die Frische informieren muss (oder umgekehrt): Frische ist unwillkürliches leibliches Spüren, das einen ganzheitlich befällt. Anderes Beispiel: Man kommt in eine Gesellschaft und spürt gleich, aber an nichts schon ganz klar Bestimmtem, dass eine ‚gereizte Stimmung‘ herrscht. Man kann hier nicht sagen, dass man dafür zunächst irgendwelche objektiven Daten wahrnehmen und durchdenken muss, um dann schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass die Atmosphäre angespannt ist. Die Stimmung empfängt das Bewusstsein dessen, der dazukommt, unmittelbar; sie fällt ihm auf, ohne dass er sich auf etwas Bestimmtes ‚richten‘ oder Gegenstände seines Gefühls finden muss. Er muss daher auch nicht zunächst einen intentionalen Akt ansetzen, um herauszufinden, was objektiv los ist. Er bemerkt subjektiv, was objektiv los ist, aber eben anhand vielsagender und entsprechend diffuser Eindrücke.
(Überhaupt denke ich, dass es im Leben zumeist Situationen sind, die erfahren werden, nicht Gegenstände im Sinne von Einzeldingen, Daten, Relationen oder was auch immer. In Begriff der Situationen liegt u.a. Bedeutsamkeit, eine gewisse Diffusität sowie ein gegenseitiges Einbegriffensein von Subjektivem und Objektivem: so z.B. bei der Stressituation, wo es um etwas irgendwie Wichtiges geht, und wo man andere mit der eigenen Unruhe ansteckt und umgekehrt. In Situationen steckt man einerseits selbst als ein Faktor für das, was objektiv passiert, mit drin; und gleichzeitig wird man von anderem betroffen, was um einen herum geschieht. Der Bewusstseinszustand ist von der Situation, in der sich jemand befindet und auf die er zugleich wirkt, nicht zu trennen. Das ist anders als bei: "Ich sehe eine Tasse" - dass ist ja eine im Leben praktisch so nicht vorkommende Konstellation, also eine Struktur mit minimaler Situativität.)
Ich will mit all dem vor allem sagen, dass das Modell des Bewusstseins als ‚Bewusstsein von etwas‘ auf die unwillkürliche Lebenserfahrung nur selten passt; jedenfalls wenn man sich unter dem ‚Etwas‘ etwas klar Bestimmtes, Einzelnes, Abgegrenztes versteht. Und wenn man generell Bewusstsein so versteht, als könne man es unbeteiligt und wie von außen betrachten. Man steckt ja immer mittendrin, wenn es um Bewusstsein geht. (Dazu hat auch Thomas Nagel in seinem Buch „The View from Nowhere“ einiges geschrieben.)
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Ich glaube dass das Modell der Intentionalität, dass in der Analytischen Philosophie des Geistes und in der älteren Phänomenologie zentral ist, an einem eher künstlichen Fall ausgedacht worden ist: Nämlich am Fall des Auftauchens eines isolierten bzw. gut abgegrenzten Wahrnehmungsgegenstandes im zentralen Gesichtsfeld. ‚Ich sehe vor mir eine Tasse‘ wäre ein Beispiel. Das Sehen wäre der intentionale Akt, die Tasse das intentionale Objekt.
Dieses Modell hat aber äußerst enge Grenzen für die Beschreibung des Bewusstseinslebens. Schon Gerüche z.B. nicht so nicht gegeben wie sichtbare Einzelobjekte – sie sind flüchtig und kaum klar zu greifen. Sie haben sie gewisse Unbestimmheit und liefern, anders als z.B. Tassen, keine ‚Dinge‘ oder ‚Dingeigenschaften‘ im Sinne strikter intentionaler Objektivität. (Und auch ‚Relationen‘ kann man bei Gerüchen kaum feststellen.)
Ähnliche Problem treten bei Gefühlen auf: Man kann sie, anders als abgegrenzte sichtbare Objekte (Tassen, Tische) z.B. nicht zählen, sie sind nicht ohne Weiteres einzeln. Und was nicht einzeln auftaucht, ist auch kaum so recht relationierbar, weil es eben keine eindeutigen Relata gibt. ‚Wie viele‘ Gefühle erlebe ich gerade, und welches dieser (dann ja wohl einzeln gedachten) Gefühle ‚wiegt am Stärksten‘? (Oder, mal aus Spaß: Wenn man in einem Laden 'Freude über das Wetter' oder 'Angst vor der Schlange' kaufen könnte - welches Gefühl wäre dann wohl teurer, welches preiswerter?)
Gefühle haben keine klare Intentionalstruktur. Man kann z.B., wenn man wütend ist, nicht sagen, dass man Wut wahrnimmt, so wie man eine Tasse wahrnimmt – zur Wut gehört ja gerade das Verschwinden einer Beziehung zu sich selbst sowie zu klar umrissenen Objekten. Angenommen, Peter ist wütend auf Paul: Dieser Bewusstseinszustand lässt sich kaum nach dem Schema intentionaler Akt-intentionales Objekt modellieren. Peter ist vor Wut außer sich und gar nicht mehr er selbst, d.h.: Wut geht nicht (wie der Blick auf die Tasse) von einem aktiven und steuernden Subjekt aus, sondern sie überfällt Peter, er steckt da drin, ist ihr vorübergehend ausgeliefert. Und die Wut hat, indem sie ihn affiziert, hat auch kein Objekt, da wütend sein ja gerade heißt, keine gegenständliche Beziehung mehr zu Paul realisieren zu können. In Peters Wut verschwinden beide: Peter und Paul. Peter kann Paul buchstäblich „nicht mehr sehen“; und sich selbst kann er, als von der Wut heimgesucht, auch nicht mehr aktiv auf etwas richten. Der Bewusstseinszustand der Wut hat ersichtlich nicht die Struktur der Intentionalität (Akt-Objekt).
(Anders ist es, wenn Peter seine Wut rückblickend aus objektiver (!) Distanz betrachtet – also z.B. über die Gründe für die Wut nachdenkt. Dann erhält Paul für Peter seine intentionale Objektivität zurück; die Verhältnisse klären sich. Aber der Gefühlszustand der Wut selbst enthält diese Struktur gerade nicht. Das Intentionalitätsmodell scheint also eher auf Beziehungen mit klarer Gegenstandsstruktur gemünzt zu sein, in denen z.B. klar ist: Ich hier-Tasse da.)
Ebensowenig gibt es ein intentionales Objekt bei der Erfahrung friedlicher Stille: Man kann ja nicht sagen, das intentionale Objekt des Bewusstseins sei dann ‚fehlende Information‘ im Wahrnehmungsfeld. Stille ist nicht Nullinformation oder Bewusstsein ‚von Nichts‘. Das Bewusstsein der Stille ist keine Mangelerfahrung - es handelt sich, und zwar leiblich unmittelbar spürbar, um einen geradezu erfüllten Zustand. Stille kann bekanntlich ganze Räume erfüllen: z.B. als gespannte Stille bei einer Feier, kurz bevor der Redner zu sprechen beginnt. Man kann diesen Bewusstseinszustand - der übrigens nicht irgendwo ‚innen‘ (im Geist oder Körper) ist, sondern in der Luft liegt oder im Raum schwebt - nicht nach dem Schema intentionaler Akt-intentionales Objekt verstehen. Denn was sollte im Falle gespannter Stille der Akt, und was das Objekt sein?
Man kann auch an das Erleben von Atmosphären denken. Beispiele: Man tritt aus der Wohnung vor die Tür und spürt die Frische. Hier richtet sich das Bewusstsein nicht auf irgendwelche greifbaren ‚Etwasse‘ als Daten oder Informationen – denn das Bewusstsein ist ja kein Thermometer, Hygrometer oder Ähnliches - sondern man spürt unmittelbar den Eindruck der Frische. Es gibt hier keinen Geist, der den Körper über die Frische informieren muss (oder umgekehrt): Frische ist unwillkürliches leibliches Spüren, das einen ganzheitlich befällt. Anderes Beispiel: Man kommt in eine Gesellschaft und spürt gleich, aber an nichts schon ganz klar Bestimmtem, dass eine ‚gereizte Stimmung‘ herrscht. Man kann hier nicht sagen, dass man dafür zunächst irgendwelche objektiven Daten wahrnehmen und durchdenken muss, um dann schließlich zu dem Schluss zu kommen, dass die Atmosphäre angespannt ist. Die Stimmung empfängt das Bewusstsein dessen, der dazukommt, unmittelbar; sie fällt ihm auf, ohne dass er sich auf etwas Bestimmtes ‚richten‘ oder Gegenstände seines Gefühls finden muss. Er muss daher auch nicht zunächst einen intentionalen Akt ansetzen, um herauszufinden, was objektiv los ist. Er bemerkt subjektiv, was objektiv los ist, aber eben anhand vielsagender und entsprechend diffuser Eindrücke.
(Überhaupt denke ich, dass es im Leben zumeist Situationen sind, die erfahren werden, nicht Gegenstände im Sinne von Einzeldingen, Daten, Relationen oder was auch immer. In Begriff der Situationen liegt u.a. Bedeutsamkeit, eine gewisse Diffusität sowie ein gegenseitiges Einbegriffensein von Subjektivem und Objektivem: so z.B. bei der Stressituation, wo es um etwas irgendwie Wichtiges geht, und wo man andere mit der eigenen Unruhe ansteckt und umgekehrt. In Situationen steckt man einerseits selbst als ein Faktor für das, was objektiv passiert, mit drin; und gleichzeitig wird man von anderem betroffen, was um einen herum geschieht. Der Bewusstseinszustand ist von der Situation, in der sich jemand befindet und auf die er zugleich wirkt, nicht zu trennen. Das ist anders als bei: "Ich sehe eine Tasse" - dass ist ja eine im Leben praktisch so nicht vorkommende Konstellation, also eine Struktur mit minimaler Situativität.)
Ich will mit all dem vor allem sagen, dass das Modell des Bewusstseins als ‚Bewusstsein von etwas‘ auf die unwillkürliche Lebenserfahrung nur selten passt; jedenfalls wenn man sich unter dem ‚Etwas‘ etwas klar Bestimmtes, Einzelnes, Abgegrenztes versteht. Und wenn man generell Bewusstsein so versteht, als könne man es unbeteiligt und wie von außen betrachten. Man steckt ja immer mittendrin, wenn es um Bewusstsein geht. (Dazu hat auch Thomas Nagel in seinem Buch „The View from Nowhere“ einiges geschrieben.)
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Dazu habe ich eine Frage: „Man tritt aus der Wohnung vor die Tür und spürt die Frische.“ Warum sollte die Frische nicht einfach als das intentionale Objekt gelten? Warum spricht die Tatsache, dass man die Frische unmittelbar und ganzheitlich spürt, dagegen, sie als intentionalen Gegenstand des Spürens zu verstehen? Gegenstände können doch durchaus vage und diffus sein.
Ich stimme zu, dass wir uns meistens (wenn nicht immer) in Situationen befinden oder durch Szenen bewegen. Doch auch hier sehe ich keinen Widerspruch zur Vorstellung, dass unser Bewusstsein auf etwas gerichtet ist. Spontan würde ich sogar sagen, dass die Bedeutsamkeit der Situationen oder Szenen einen wesentlichen Teil der intentionalen Gegenstände ausmacht. Aber selbst wenn wir wütend sind, richtet sich diese Wut auf etwas oder jemanden – sei es eine Person, ein Umstand oder wir selbst. Auch wenn wir außer uns sind vor Wut, bleibt ein Bezug bestehen: Wir sind wütend auf jemanden oder über etwas. Wenn wir hingegen vollkommen grundlos wütend wären, ohne Objekt, ohne Anlass, also ohne intentionalen Gegenstand, würden wir uns nicht zu Recht Sorgen um unseren Zustand machen?
Ich verstehe, dass du dich gegen die Vorstellung eines unbeteiligten Beobachters wendest, der klar umrissene Dinge im Blick hat. Das akzeptiere ich gerne. Aber auch derjenige, der in die Situation involviert ist und es möglicherweise mit vagen, vielleicht sogar im Verschwinden begriffenen, wolkenartigen Gebilden zu tun hat, wäre auf diese vagen Dinge gerichtet, finde ich.
Noch eine weitere Frage: All deine Beschreibungen in dem Text sind doch 1A-Realismus, auch wenn man sie nicht als Beispiele von Intentionalität verstehen will. Oder?
Ich stimme zu, dass wir uns meistens (wenn nicht immer) in Situationen befinden oder durch Szenen bewegen. Doch auch hier sehe ich keinen Widerspruch zur Vorstellung, dass unser Bewusstsein auf etwas gerichtet ist. Spontan würde ich sogar sagen, dass die Bedeutsamkeit der Situationen oder Szenen einen wesentlichen Teil der intentionalen Gegenstände ausmacht. Aber selbst wenn wir wütend sind, richtet sich diese Wut auf etwas oder jemanden – sei es eine Person, ein Umstand oder wir selbst. Auch wenn wir außer uns sind vor Wut, bleibt ein Bezug bestehen: Wir sind wütend auf jemanden oder über etwas. Wenn wir hingegen vollkommen grundlos wütend wären, ohne Objekt, ohne Anlass, also ohne intentionalen Gegenstand, würden wir uns nicht zu Recht Sorgen um unseren Zustand machen?
Ich verstehe, dass du dich gegen die Vorstellung eines unbeteiligten Beobachters wendest, der klar umrissene Dinge im Blick hat. Das akzeptiere ich gerne. Aber auch derjenige, der in die Situation involviert ist und es möglicherweise mit vagen, vielleicht sogar im Verschwinden begriffenen, wolkenartigen Gebilden zu tun hat, wäre auf diese vagen Dinge gerichtet, finde ich.
Noch eine weitere Frage: All deine Beschreibungen in dem Text sind doch 1A-Realismus, auch wenn man sie nicht als Beispiele von Intentionalität verstehen will. Oder?
@Jörn: Du schreibst: "Wir sind wütend auf jemanden oder über etwas." Das zu sagen, ist schon eine rationale Rekonstruktion der Wut, aber keine Beschreibung der Phänomenologie der Wut - also der Art, wie Wut erlebt wird. Phänomenologisch geht es um die Beschreibung des Wuterlebens selbst; also des Gefühls, das den Wütenden befällt und etwas mit ihm und seiner Umgebung macht. Um zu verstehen, was ich meine, muss man sozusagen versuchen, das Erleben selbst zu betrachten - sozusagen in "statu nascendi", wie es einem aus eigenem Erleben vertraut ist. Wut macht, dass man nicht(s) mehr klar sieht - sie ist geradezu ein klassischer Fall von 'nicht mehr objektiv sein können', ganz im Gegensatz etwa zum Denken. Wütend sein heißt auch, für so etwas wir Gründe unzugänglich sein. (Das ist auch bei vielen Formen der Liebe so, als bei einem weit verbreiteten Bewusstseinszustand: Liebe ist 'sehend', aber ohne Objekte oder Gründe. Liebende vertrauen sich blind...sie sehen einander, ohne füreinander intentionale Objekte zu sein.)
Die Frische wiederum ist schon deshalb kein intentionaler Gegenstand, weil sie gar nicht intendiert ist: ich richte mich nicht auf ein Objekt 'Frische', sondern sie betrifft mich. Und: Die Frische 'erfrischt mich', d.h., hier liegt kein klares Gegenüber von Subjekt und Objekt (wie bei der gesehenen Tasse) vor. Oder denke an folgendes Beispiel: Ist es kalt oder ist mir kalt? Auch solche ambivalenten Erfahrungen zeigen, dass man beim Erleben subjektive und objektive Momente oft nicht säuberlich voneinander isolieren und sozusagen auf zwei Seiten einer Beziehung (Akt-Objekt) verteilen kann. "Halb zog sie ihn, halb sank er hin", wie es bei Goethe heißt, der ja viel von Ambivalenzen wusste.
Realismus ist das alles nicht, weder ontologisch noch epistemisch. Es geht in phänomenologischen Beschreibungen z.B. nicht um eine an sich seiende Welt, in Bezug auf die ein Bewusstseinszustand wahr oder falsch ist. Wut, Liebe und andere Gefühle und Bewusstseinszustände sind nicht wahr oder falsch. Und sie sind auch nicht subjektiv in dem intentionalitätstheoretischen Sinne, dass ihnen Objekte (oder Eigenschaften von Objekten, Relationen zwischen Objekten usw.) korrelieren oder zugeordnet sind. Wenn Realismus also heißt, dass die Welt in ihrem objektiven Ansichsein von einem Subjekt in wahrheitsfähiger Weise erkannt wird, dann ist in meinen Darlegungen nichts Realistisches. Ich glaube ja eben auch nicht mehr an eine vorgegebene objektive Welt, die man in Gedanken oder Sätzen wiedergeben kann. (Und ohnehin sehe ich wahrheitsfähige objektive Erkenntnis nur als einen seltenen Ausnahmefall von Bewusstseinsprozessen an, die etwa in der Philosophie oder in den Wissenschaften eine Rolle spielen. Da hat man es mit neutralen Gegenständen zu tun, auf die sich der erkennende Geist dann richtet, die einen im Grunde persönlich gar nichts angehen. Im Leben selbst spielen meist ganz andere Dinge eine Rolle als Realität, Wahrheit usw.)
Die Frische wiederum ist schon deshalb kein intentionaler Gegenstand, weil sie gar nicht intendiert ist: ich richte mich nicht auf ein Objekt 'Frische', sondern sie betrifft mich. Und: Die Frische 'erfrischt mich', d.h., hier liegt kein klares Gegenüber von Subjekt und Objekt (wie bei der gesehenen Tasse) vor. Oder denke an folgendes Beispiel: Ist es kalt oder ist mir kalt? Auch solche ambivalenten Erfahrungen zeigen, dass man beim Erleben subjektive und objektive Momente oft nicht säuberlich voneinander isolieren und sozusagen auf zwei Seiten einer Beziehung (Akt-Objekt) verteilen kann. "Halb zog sie ihn, halb sank er hin", wie es bei Goethe heißt, der ja viel von Ambivalenzen wusste.
Realismus ist das alles nicht, weder ontologisch noch epistemisch. Es geht in phänomenologischen Beschreibungen z.B. nicht um eine an sich seiende Welt, in Bezug auf die ein Bewusstseinszustand wahr oder falsch ist. Wut, Liebe und andere Gefühle und Bewusstseinszustände sind nicht wahr oder falsch. Und sie sind auch nicht subjektiv in dem intentionalitätstheoretischen Sinne, dass ihnen Objekte (oder Eigenschaften von Objekten, Relationen zwischen Objekten usw.) korrelieren oder zugeordnet sind. Wenn Realismus also heißt, dass die Welt in ihrem objektiven Ansichsein von einem Subjekt in wahrheitsfähiger Weise erkannt wird, dann ist in meinen Darlegungen nichts Realistisches. Ich glaube ja eben auch nicht mehr an eine vorgegebene objektive Welt, die man in Gedanken oder Sätzen wiedergeben kann. (Und ohnehin sehe ich wahrheitsfähige objektive Erkenntnis nur als einen seltenen Ausnahmefall von Bewusstseinsprozessen an, die etwa in der Philosophie oder in den Wissenschaften eine Rolle spielen. Da hat man es mit neutralen Gegenständen zu tun, auf die sich der erkennende Geist dann richtet, die einen im Grunde persönlich gar nichts angehen. Im Leben selbst spielen meist ganz andere Dinge eine Rolle als Realität, Wahrheit usw.)
Zuletzt geändert von Thomas am Di 8. Okt 2024, 15:26, insgesamt 1-mal geändert.
- Jörn Budesheim
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Für mich ist das alles 1A Realismus, aber das nur am Rande, es ist ein anderes Thema.
@Jörn: Wie man es nun nennt, ist ja vielleicht auch nicht so wichtig.
Mir ging es vor allem darum, die phänomenologische Perspektive auf das Bewusstsein überhaupt mal ein wenig ins Spiel zu bringen, damit man das Thema nicht einseitig auf das Körper-Geist-Problem oder auf bestimmte analytische Zugänge ausrichtet. Consul argumentiert hier mehr aus der Perspektive der analytischen Ontologie und Geistphilosophie, Du mehr aus einer realistischen Sicht, ich mehr aus einer phänomenologischen. Ich finde diese Perspektivität aber sehr gut, da sie zeigt, von wie vielen Seiten man auf das Phänomen schauen kann - ganz nach dem Motto: ich sehe was, was Du nicht siehst.
Mir ging es vor allem darum, die phänomenologische Perspektive auf das Bewusstsein überhaupt mal ein wenig ins Spiel zu bringen, damit man das Thema nicht einseitig auf das Körper-Geist-Problem oder auf bestimmte analytische Zugänge ausrichtet. Consul argumentiert hier mehr aus der Perspektive der analytischen Ontologie und Geistphilosophie, Du mehr aus einer realistischen Sicht, ich mehr aus einer phänomenologischen. Ich finde diese Perspektivität aber sehr gut, da sie zeigt, von wie vielen Seiten man auf das Phänomen schauen kann - ganz nach dem Motto: ich sehe was, was Du nicht siehst.
Man kann auch sagen: Man spürt nicht Frische, sondern Frisches, d.i. etwas Frisches, nämlich frische Luft.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 8. Okt 2024, 14:00Dazu habe ich eine Frage: „Man tritt aus der Wohnung vor die Tür und spürt die Frische.“ Warum sollte die Frische nicht einfach als das intentionale Objekt gelten? Warum spricht die Tatsache, dass man die Frische unmittelbar und ganzheitlich spürt, dagegen, sie als intentionalen Gegenstand des Spürens zu verstehen? Gegenstände können doch durchaus vage und diffus sein.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
* Mit "innerer Wahrnehmung" ist die Wahrnehmung des Inneren des eigenen Körpers oder Geistes mittels nach innen gerichteter (introvertierter) Sinne gemeint; und entsprechend ist mit "äußerer Wahrnehmung" die Wahrnehmung des Äußeren des eigenen Körpers, oder die Wahrnehmung anderer Körper oder sonstiger äußerer Dinge mittels nach außen gerichteter (extrovertierter) Sinne gemeint (z.B. Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten).Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Di 8. Okt 2024, 08:51Ich will noch mal versuchen, meine Kritik zu erläutern. Das, was man wahrnimmt, der "intentionale Gegenstand" ist Teil der Wahrnehmung selbst, er wird von ihr umfasst, denn wir nehmen immer etwas wahr. Wahrnehmung ist daher niemals rein "innerlich", denn sie hat immer eine "Richtung", also einen "intentionalen Gegenstand". Wenn man hier von Intentionalität spricht, spricht man – nach meinem Verständnis – von einer "logischen Struktur" der Wahrnehmung, die natürlich auch auf gewisse Weise "kausal" realisiert wird. Das ist mein Punkt: Etwas, was eine "Richtung" oder "Gerichtetheit" hat, kann nicht an dem Ort sein, von wo die "Richtung" vermutlich ihren Ausgang nimmt. Insbesondere John Searle hat (nach meiner Erinnerung) betont, dass wir zwischen der logischen Struktur eines mentalen Zustands und seiner kausalen Realisierung unterscheiden müssen. Die Vermeidung der Verwechslung von kausaler und intentionaler Ebene ist der Hintergrund meiner Kritik.Jörn Budesheim hat geschrieben : ↑Mo 7. Okt 2024, 08:19Das ist für mich aber ungereimt. Wahrnehmung ist grundsätzlich nichts Inneres, egal, worauf sich richtet, sonst könnte sie keine "Richtung", also keinen "intentionalen Gegenstand" haben. Was ist gewonnen, wenn man sagt, "die innere Wahrnehmung eigener Bewusstseinsinhalte nennen Psychologen Introspektion" statt "die Wahrnehmung eigener Bewusstseinsinhalte nennen Psychologen Introspektion"?
* Wenn ich eine Tomate sehe, dann ist sie als intentionaler Gegenstand meines Sehens (durch Lichtreflexion an ihrer Oberfläche) Teil desjenigen außerhalb und innerhalb meines Körpers ablaufenden kausalen Vorganges, der schließlich in meinem Gehirn zu meinem Sehen der Tomate führt. Unter Sehen verstehe ich eine bewusste Seherfahrung, ein subjektives Seherlebnis, und die gesehene Tomate ist kein Bestandteil davon; denn sie befindet sich nicht wie ihre visuelle Erscheinung in meinem Gehirn.
Meine visuelle Wahrnehmung einer Tomate hat die Tomate als "transzendenten" intentionalen Gegenstand und einen bestimmten farblich-gestaltlichen Gesichtseindruck (Gesichtsempfindung/-erscheinung) als "immanenten" sensationalen Inhalt; und es ist allgemein so, dass der Wahrnehmungsgegenstand niemals Teil (ein Bestandteil) des Wahrnehmungsinhaltes ist. Denn eine subjektive Tomatenerscheinung ist keine Tomate, enthält keine und besteht auch nicht aus einer.
Eine erscheinende Tomate ist ein Ding da draußen, wohingegen ihr sinnliches Erscheinen ein Ereignis hier drinnen (in meinem Gehirn) ist.
Der intentionale Gegenstand einer Sinneswahrnehmung ist dasjenige, was durch deren sensationalen Inhalt erscheint—wobei Letzterer dasjenige ist, was in der Sinneswahrnehmung erlebt wird.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Im Fall einer Halluzination wird zwar eine Empfindung erlebt, aber es gibt nichts, das durch sie erscheint, sodass der intentionale Gegenstand bloß ein Scheingegenstand und die vermeintliche Wahrnehmung bloß eine Scheinwahrnehmung ist. Der sensationale Inhalt (Empfindungsgehalt) einer Halluzination ist real, wohingegen ihr intentionaler Gegenstand irreal ist.
Es kann allerdings beispielsweise auch visuelle Halluzinationen mit einem derart diffusen dynamischen Farbenspiel geben, dass sich darin keinerlei klare, deutliche Gestalten als intentionale Gegenstände abzeichnen. In solchen Fällen fehlt nicht nur ein realer intentionaler Gegenstand, sondern überhaupt ein intentionaler Gegenstand, sodass man derartige Halluzinationen als gegenstandslos bezeichnen kann. – Inhaltslos sind sie aber auch sie nicht, denn alle Halluzinationen haben notwendigerweise reale Empfindungen als Inhalte.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
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@Rolo Tomasi
Was ist Intentionalität? Thomas Fuchs schreibt dazu:
"Subjektivität ist [...] wesentlich auf das hin orientiert, was sie selbst nicht ist: Sie ist offen zur Welt, bezogen auf Gegenstände, gerichtet auf Inhalte und Bedeutungen. Erlebniszustände, die solcherart auf etwas gerichtet sind, also Wahrnehmungen, Gedanken, Wünsche, Vorstellungen oder Erinnerungen, besitzen das Merkmal der Intentionalität. Das heißt, sie haben einen intrinsischen Gehalt, auf den sie sich beziehen [...]" An anderer Stelle spricht er auch von "erlebter Bedeutsamkeit" und weiter: "Intentionalität ist demnach eine dreistellige Relation: Etwas bedeutet etwas für jemanden."
Sind Wut, Liebe, Frische, Kälte, Atmosphären nicht geradezu paradigmatische Zustände erlebter Bedeutsamkeit und damit von Intentionalität?
Ich könnte deinen Text als ein Plädoyer gegen vereinfachte oder eingeschränkte Vorstellungen von Intentionalität verstehen, wie etwa: "Ich sehe die Tasse." Das ist sicher eine Form von Intentionalität – aber eben nur eine. Sie betont einige Aspekte, die in anderen Formen von Intentionalität anders gelagert sind, etwa die klare "Trennung" zwischen "Subjekt" und "Objekt" oder die scharfe Kontur des "Objekts". Andere Elemente sind in diesem Modell hingegen weniger hervorgehoben: Zum Beispiel das Einbezogensein des Subjekts, das in der Regel nicht nur ein distanzierter Betrachter ist, sondern häufig in etwas involviert ist oder davon ergriffen wird.
Ich vermute jedoch, dass das für dich vielleicht wie ein fauler Kompromiss klingt :-)
Was ist Intentionalität? Thomas Fuchs schreibt dazu:
"Subjektivität ist [...] wesentlich auf das hin orientiert, was sie selbst nicht ist: Sie ist offen zur Welt, bezogen auf Gegenstände, gerichtet auf Inhalte und Bedeutungen. Erlebniszustände, die solcherart auf etwas gerichtet sind, also Wahrnehmungen, Gedanken, Wünsche, Vorstellungen oder Erinnerungen, besitzen das Merkmal der Intentionalität. Das heißt, sie haben einen intrinsischen Gehalt, auf den sie sich beziehen [...]" An anderer Stelle spricht er auch von "erlebter Bedeutsamkeit" und weiter: "Intentionalität ist demnach eine dreistellige Relation: Etwas bedeutet etwas für jemanden."
Sind Wut, Liebe, Frische, Kälte, Atmosphären nicht geradezu paradigmatische Zustände erlebter Bedeutsamkeit und damit von Intentionalität?
Ich könnte deinen Text als ein Plädoyer gegen vereinfachte oder eingeschränkte Vorstellungen von Intentionalität verstehen, wie etwa: "Ich sehe die Tasse." Das ist sicher eine Form von Intentionalität – aber eben nur eine. Sie betont einige Aspekte, die in anderen Formen von Intentionalität anders gelagert sind, etwa die klare "Trennung" zwischen "Subjekt" und "Objekt" oder die scharfe Kontur des "Objekts". Andere Elemente sind in diesem Modell hingegen weniger hervorgehoben: Zum Beispiel das Einbezogensein des Subjekts, das in der Regel nicht nur ein distanzierter Betrachter ist, sondern häufig in etwas involviert ist oder davon ergriffen wird.
Ich vermute jedoch, dass das für dich vielleicht wie ein fauler Kompromiss klingt :-)
@Jörn: Was Fuchs über Bewusstsein und Subjektivität als Weltoffenheit schreibt, teile ich - das habe ich ja in früheren Beiträgen auch selbst schon geschrieben. Aber die Intentionalitätsthese - als das Bezogensein auf Gegenstände - teile ich persönlich nicht. Einfach weil ich bei den meisten Bewusstseinszuständen keine Gliederung der Ich-Beziehung-Gegenstand erkenne. Es geht mir tatsächlich nicht darum, dass der intentionale Gegenstand bloß 'vage' ist, sondern dass diese Struktur als Ganze für die meisten unwillkürlichen Erlebnisse nicht wesentlich ist. Erlebnisse wie Frische, Wut oder Liebe sind ja nichts Vages in dem Sinne, dass ihre 'Objekte' unscharf sind. Es sind durchaus sehr bestimmt erlebte Gefühle.
Bei Wut, Liebe und Frische bin ich affektiv und leiblich betroffen: Eine Richtung von 'Ich auf Etwas' gibt es hier gar nicht. Wut, Frische und Liebe überfallen mich, sie suchen mich heim und infizieren mich; der Bewusstseinszustand ist längst da und hat mich erfüllt, bevor ich es überhaupt bemerke. Es ist ja nicht so, dass da zunächst irgendwelche (deutlichen oder vagen) Objekte sind, die 'ich' dann 'wahrnehme', 'registriere' oder 'beurteile', so dass dann effektiv Wut, Liebe oder Frische resultieren. Da sind gar keine 'Objekte' im technischen Sinne: Meine Frau ist nicht, neben vielem anderen auch, das 'Objekt' 'von' (bzw. meiner) Liebe.
Das Konzept Ich-intentionale Beziehung-Objekt ist m.E. aber nicht falsch. Es ist vielmehr eine neutrale Konstruktion, die dem Erleben aus theoretischer Distanz, also von einem Standpunkt jenseits des Sich-Befindens im jeweiligen Zustand, eine begrifflich-rationale Fassung zu geben versucht. Ich, Intentionalität und Objekt sind eben philosophische oder wissenschaftliche Konzepte, mit denen man ein Geschehen bestimmt, das selbst nicht schon in einer philosophischen oder wissenschaftlichen Distanz zu sich selbst abläuft. Objektivität ist eine enorme, in langen Askesen und Verzichtsprozessen herangezüchtete kulturelle Errungenschaft, die ich nicht kritisieren will. Die Frage ist eben nur, was diese Haltung der Objektivität einem zeigen kann - was sie einen sehen lässt und was nicht.
Ein entscheidender Punkt der Kritik ist für mich der, dass die Intentionalitätsthese von der Bestimmungsrichtung 'Subjekt auf Objekt' ausgeht (Searle spricht von: Geist-auf-Welt-Ausrichtung). In dieser Auffassung meldet sich aus meiner Sicht auch die Idee des autonomen Subjekts, die bei Husserl als leistendes (transzendentales) Subjekt eine zentrale Rolle spielt. Von hierher denkt auch Fuchs, der als Psychiater natürlich versucht, seinen Patienten die intentionale Kontrolle und Autonomie über ihr Erleben und Handeln wiederzugeben - und der deshalb dafür sorgen muss, dass sich dem Neurotiker oder Psychotiker die Welt überhaupt erst wieder öffnet. Intentionalität hat hintergründig immer etwas mit der Herrschaft oder Kontrolle des Ich über die Welt zu tun. Bei der Konstellation 'Ich-Sehen-Tasse' ist die Kontrolle recht leicht. Es wird schon schwieriger im Sozialen, wo Alter Ego eben gar kein Objekt ist, sondern selbst ein Subjekt. (Ich sehe einen, der mich sieht.: Wer ist da Subjekt und / oder Objekt? Und was hier: den anderen 'an sich' sehen, da er sich doch für mich so oder so gibt oder darstellt?)
Ich teile mit Fuchs natürlich die These der Weltoffenheit; aber man muss diese nicht unmittelbar mit der Intentionalitätsthese verknüpfen. Ich deute die Weltoffenheit des Menschen qua Bewusstsein weniger im Sinne von subjektivem Gerichtetsein auf Objektives, sondern eher im Sinne der Neuen Phänomenologie als (zumeist affektives) Betroffensein von etwas. Die Offenheit bleibt natürlich, aber die Bestimmungsrichtung ist eine andere. Die Tasse zeigt sich mir, ein Gedanke kommt mir, ein Blick trifft mich, Wut befällt mich usw. Ich würde sagen, dass sich die Phänomene mir immer nur in dem Maße zeigen können, in dem ich ihnen qua Bewusstsein offenstehe. Ich habe also, gerade als Bewusstsein, Anteil daran, was die so genannten 'Objekte' für mich sind, was mir erscheinen kann. Einen strengen Blick, der mich (!) trifft, kann ich (!) mit einem Lächeln zu entwaffnen versuchen. Bewusstsein steht immer in Austausch mit seiner Welt, und für diese vielfältigen Formen von Kommunikation passt die Strukturierung des Bewusstseins durch die Relation Subjekt-Beziehung intentionales Objekt eher nicht so gut.
Bei Wut, Liebe und Frische bin ich affektiv und leiblich betroffen: Eine Richtung von 'Ich auf Etwas' gibt es hier gar nicht. Wut, Frische und Liebe überfallen mich, sie suchen mich heim und infizieren mich; der Bewusstseinszustand ist längst da und hat mich erfüllt, bevor ich es überhaupt bemerke. Es ist ja nicht so, dass da zunächst irgendwelche (deutlichen oder vagen) Objekte sind, die 'ich' dann 'wahrnehme', 'registriere' oder 'beurteile', so dass dann effektiv Wut, Liebe oder Frische resultieren. Da sind gar keine 'Objekte' im technischen Sinne: Meine Frau ist nicht, neben vielem anderen auch, das 'Objekt' 'von' (bzw. meiner) Liebe.
Das Konzept Ich-intentionale Beziehung-Objekt ist m.E. aber nicht falsch. Es ist vielmehr eine neutrale Konstruktion, die dem Erleben aus theoretischer Distanz, also von einem Standpunkt jenseits des Sich-Befindens im jeweiligen Zustand, eine begrifflich-rationale Fassung zu geben versucht. Ich, Intentionalität und Objekt sind eben philosophische oder wissenschaftliche Konzepte, mit denen man ein Geschehen bestimmt, das selbst nicht schon in einer philosophischen oder wissenschaftlichen Distanz zu sich selbst abläuft. Objektivität ist eine enorme, in langen Askesen und Verzichtsprozessen herangezüchtete kulturelle Errungenschaft, die ich nicht kritisieren will. Die Frage ist eben nur, was diese Haltung der Objektivität einem zeigen kann - was sie einen sehen lässt und was nicht.
Ein entscheidender Punkt der Kritik ist für mich der, dass die Intentionalitätsthese von der Bestimmungsrichtung 'Subjekt auf Objekt' ausgeht (Searle spricht von: Geist-auf-Welt-Ausrichtung). In dieser Auffassung meldet sich aus meiner Sicht auch die Idee des autonomen Subjekts, die bei Husserl als leistendes (transzendentales) Subjekt eine zentrale Rolle spielt. Von hierher denkt auch Fuchs, der als Psychiater natürlich versucht, seinen Patienten die intentionale Kontrolle und Autonomie über ihr Erleben und Handeln wiederzugeben - und der deshalb dafür sorgen muss, dass sich dem Neurotiker oder Psychotiker die Welt überhaupt erst wieder öffnet. Intentionalität hat hintergründig immer etwas mit der Herrschaft oder Kontrolle des Ich über die Welt zu tun. Bei der Konstellation 'Ich-Sehen-Tasse' ist die Kontrolle recht leicht. Es wird schon schwieriger im Sozialen, wo Alter Ego eben gar kein Objekt ist, sondern selbst ein Subjekt. (Ich sehe einen, der mich sieht.: Wer ist da Subjekt und / oder Objekt? Und was hier: den anderen 'an sich' sehen, da er sich doch für mich so oder so gibt oder darstellt?)
Ich teile mit Fuchs natürlich die These der Weltoffenheit; aber man muss diese nicht unmittelbar mit der Intentionalitätsthese verknüpfen. Ich deute die Weltoffenheit des Menschen qua Bewusstsein weniger im Sinne von subjektivem Gerichtetsein auf Objektives, sondern eher im Sinne der Neuen Phänomenologie als (zumeist affektives) Betroffensein von etwas. Die Offenheit bleibt natürlich, aber die Bestimmungsrichtung ist eine andere. Die Tasse zeigt sich mir, ein Gedanke kommt mir, ein Blick trifft mich, Wut befällt mich usw. Ich würde sagen, dass sich die Phänomene mir immer nur in dem Maße zeigen können, in dem ich ihnen qua Bewusstsein offenstehe. Ich habe also, gerade als Bewusstsein, Anteil daran, was die so genannten 'Objekte' für mich sind, was mir erscheinen kann. Einen strengen Blick, der mich (!) trifft, kann ich (!) mit einem Lächeln zu entwaffnen versuchen. Bewusstsein steht immer in Austausch mit seiner Welt, und für diese vielfältigen Formen von Kommunikation passt die Strukturierung des Bewusstseins durch die Relation Subjekt-Beziehung intentionales Objekt eher nicht so gut.
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Hmm, das fällt mir schwer. Ich stimme diesem Zitat und vielem anderen vollkommen zu. Nur sind das nach meinem Verständnis alles sehr schöne Beispiele für Intentionalität. An dieser Stelle komme ich zunächst nicht weiter.
Zunächst eine vorläufige Überlegung, später hoffentlich mehr :-)
Du sagst, die Bestimmungsrichtung sei eine andere ("Die Tasse zeigt sich mir"). Aber was ändert das an der dreistelligen Relation, von der Fuchs spricht: "Etwas bedeutet etwas für jemanden." Auch wenn die Wut mich befällt, hat sie doch einen Gegenstand; ich bin wütend auf etwas oder jemanden. Der Bewusstseinszustand der Wut, der mich ergriffen hat, hat einen Gehalt; sie bedeutet etwas. Ich bin wütend, weil ich den Bus schon wieder verpasst habe oder weil Karl beim Schach mogelt (das wäre wahrscheinlich eher Empörung, aber egal). Wenn mir ein rettender Gedanke kommt, bin ich glücklich und in einem entsprechenden Zustand, möglicherweise der Aufregung. Dennoch hat der Gedanke doch einen Inhalt, und die Aufgeregtheit hat einen Gegenstand, nämlich die Freude über den rettenden Gedanken usw. Hätten all diese Dinge keinen Gehalt, wären sie irgendwie leer und unbedeutend, so wie die Wirklichkeit für eine Überwachungskamera aussehen mag, metaphorisch gesprochen.
Zunächst eine vorläufige Überlegung, später hoffentlich mehr :-)
Du sagst, die Bestimmungsrichtung sei eine andere ("Die Tasse zeigt sich mir"). Aber was ändert das an der dreistelligen Relation, von der Fuchs spricht: "Etwas bedeutet etwas für jemanden." Auch wenn die Wut mich befällt, hat sie doch einen Gegenstand; ich bin wütend auf etwas oder jemanden. Der Bewusstseinszustand der Wut, der mich ergriffen hat, hat einen Gehalt; sie bedeutet etwas. Ich bin wütend, weil ich den Bus schon wieder verpasst habe oder weil Karl beim Schach mogelt (das wäre wahrscheinlich eher Empörung, aber egal). Wenn mir ein rettender Gedanke kommt, bin ich glücklich und in einem entsprechenden Zustand, möglicherweise der Aufregung. Dennoch hat der Gedanke doch einen Inhalt, und die Aufgeregtheit hat einen Gegenstand, nämlich die Freude über den rettenden Gedanken usw. Hätten all diese Dinge keinen Gehalt, wären sie irgendwie leer und unbedeutend, so wie die Wirklichkeit für eine Überwachungskamera aussehen mag, metaphorisch gesprochen.
RoloTomasi hat geschrieben : ↑Mi 9. Okt 2024, 11:03Ich teile mit Fuchs natürlich die These der Weltoffenheit; aber man muss diese nicht unmittelbar mit der Intentionalitätsthese verknüpfen. Ich deute die Weltoffenheit des Menschen qua Bewusstsein weniger im Sinne von subjektivem Gerichtetsein auf Objektives, sondern eher im Sinne der Neuen Phänomenologie als (zumeist affektives) Betroffensein von etwas. Die Offenheit bleibt natürlich, aber die Bestimmungsrichtung ist eine andere. Die Tasse zeigt sich mir, ein Gedanke kommt mir, ein Blick trifft mich, Wut befällt mich usw. Ich würde sagen, dass sich die Phänomene mir immer nur in dem Maße zeigen können, in dem ich ihnen qua Bewusstsein offenstehe. Ich habe also, gerade als Bewusstsein, Anteil daran, was die so genannten 'Objekte' für mich sind, was mir erscheinen kann. Einen strengen Blick, der mich (!) trifft, kann ich (!) mit einem Lächeln zu entwaffnen versuchen. Bewusstsein steht immer in Austausch mit seiner Welt, und für diese vielfältigen Formen von Kommunikation passt die Strukturierung des Bewusstseins durch die Relation Subjekt-Beziehung intentionales Objekt eher nicht so gut.
Wenn sich unter mir die Erde auftut und mir der Schreck in die Glieder fährt, ich also jede Kontrolle verloren habe, dann bin ich dennoch (oder gerade!) in einem intentionalen Zustand, finde ich. Offensichtlich ist gerade mit mir etwas Schreckliches geschehen, etwas von größter Bedeutsamkeit, das sich nachdrücklich meldet. Ich hab etwas Vergleichbares vor ein paar Jahren erlebt, bei einem schlimmen Sturz. Ein Blick, der mich trifft, kann dazu führen, dass ich vor Scham im Boden versinke, aber ich schäme mich doch für etwas, sonst wäre es keine Scham.RoloTomasi hat geschrieben : ↑Mi 9. Okt 2024, 11:03Intentionalität hat hintergründig immer etwas mit der Herrschaft oder Kontrolle des Ich über die Welt zu tun.
@Jörn:
Der Schreck ist ein super Beispiel für einen Bewusstseinszustand mit völligem Ausfallen jedweder Gegenständlichkeit. Im Schreckmoment, und von diesem sprechen wir doch (!?), zieht sich alles in die Enge des Plötzlichen, in "primitive Gegenwart" (Schmitz) zusammen. Ein Schreck hat keine Dauer, er zerreißt Dauer; schon deshalb haben Objekte im Schreckmoment gar keine Folie, auf der sich sich entfalten können. Denk auch an den Blitz, der weist Analogien zum Schreck auf: "Es blitzt", ja OK, aber was blitzt? Komische Frage: Es gibt kein etwas, das blitzt. Im Schreck gibts nur dies: "Zack!" oder "Booom!" Man selbst und die Welt sind für Bruchteile von Sekunden wie auf eine Spitze gestellt - und doch zugleich ganz weg.
Ich weiß schon, was Du meinst: Es muss doch ein Thema oder Grund geben, worauf sich z.B. Scham bezieht. Das ist schon richtig. Aber dieser Grund ("Ich schäme mich wegen XY") ist nicht das Objekt des Schamgefühls. Das Schamgefühl beruht auf "Einleibung" (Schmitz), also z.B. auf dem Blick des Anderen. Es gibt keinen 'objektiven Grund', sich zu schämen. Das Schamgefühl ist als Gefühl ganz subjektiv, und manche haben auch gar keins oder zeigen es zumindest nicht - sie halten dann z.B. Blicken einfach stand. Was in der Scham passiert, sind keine Abläufe, die an irgendwelchen Objekten festgemacht sind; aber die rationale Rekonstruktion kann es so erscheinen lassen. Man sieht dies auch daran, dass manche skrupulösen oder selbst-unsicheren Menschen sich sozusagen notorisch schamhaft fühlen, obwohl sie gar nichts objektiv Beschämendes getan haben. Oder nimm die Paranoiker, die sich überall und von allem beobachtet fühlen, obwohl 'objektiv' gar nichts da (oder gegen sie) ist. Wie könnte es so etwas geben, wenn alles Erleben intentional auf etwas gerichtet oder durch etwas Objektives begründet wäre? In der Therapie wird man Paranoikern klarzumachen versuchen: Es gibt gar keinen Grund (!) für Deine Angst, deine Angst ist gegenstandslos (!). Und es wäre ganz richtig, so zu reden. Angst lebt ja in den meisten Fällen von Einbildungen: von 'nicht-existenten Gegenständen'. Es steht einem in der Angst gerade nichts in Distanz gegenüber, sondern die Enge ist schon spürbarer Teil des Selbst geworden.
(So, jetzt muss ich aber schnell los - demnächst mehr...)
Der Schreck ist ein super Beispiel für einen Bewusstseinszustand mit völligem Ausfallen jedweder Gegenständlichkeit. Im Schreckmoment, und von diesem sprechen wir doch (!?), zieht sich alles in die Enge des Plötzlichen, in "primitive Gegenwart" (Schmitz) zusammen. Ein Schreck hat keine Dauer, er zerreißt Dauer; schon deshalb haben Objekte im Schreckmoment gar keine Folie, auf der sich sich entfalten können. Denk auch an den Blitz, der weist Analogien zum Schreck auf: "Es blitzt", ja OK, aber was blitzt? Komische Frage: Es gibt kein etwas, das blitzt. Im Schreck gibts nur dies: "Zack!" oder "Booom!" Man selbst und die Welt sind für Bruchteile von Sekunden wie auf eine Spitze gestellt - und doch zugleich ganz weg.
Ich weiß schon, was Du meinst: Es muss doch ein Thema oder Grund geben, worauf sich z.B. Scham bezieht. Das ist schon richtig. Aber dieser Grund ("Ich schäme mich wegen XY") ist nicht das Objekt des Schamgefühls. Das Schamgefühl beruht auf "Einleibung" (Schmitz), also z.B. auf dem Blick des Anderen. Es gibt keinen 'objektiven Grund', sich zu schämen. Das Schamgefühl ist als Gefühl ganz subjektiv, und manche haben auch gar keins oder zeigen es zumindest nicht - sie halten dann z.B. Blicken einfach stand. Was in der Scham passiert, sind keine Abläufe, die an irgendwelchen Objekten festgemacht sind; aber die rationale Rekonstruktion kann es so erscheinen lassen. Man sieht dies auch daran, dass manche skrupulösen oder selbst-unsicheren Menschen sich sozusagen notorisch schamhaft fühlen, obwohl sie gar nichts objektiv Beschämendes getan haben. Oder nimm die Paranoiker, die sich überall und von allem beobachtet fühlen, obwohl 'objektiv' gar nichts da (oder gegen sie) ist. Wie könnte es so etwas geben, wenn alles Erleben intentional auf etwas gerichtet oder durch etwas Objektives begründet wäre? In der Therapie wird man Paranoikern klarzumachen versuchen: Es gibt gar keinen Grund (!) für Deine Angst, deine Angst ist gegenstandslos (!). Und es wäre ganz richtig, so zu reden. Angst lebt ja in den meisten Fällen von Einbildungen: von 'nicht-existenten Gegenständen'. Es steht einem in der Angst gerade nichts in Distanz gegenüber, sondern die Enge ist schon spürbarer Teil des Selbst geworden.
(So, jetzt muss ich aber schnell los - demnächst mehr...)
@RoloTomasi:
* Es gibt sowohl (äußere) Fremdwahrnehmung als auch (äußere und innere) Selbstwahrnehmung.
* Wenn von Intentionalität als der Gerichtetheit oder Bezogenheit auf einen Gegenstand die Rede ist, dann ist mit "Gegenstand" im allgemeinsten Sinn "etwas" gemeint und nicht "Ding" im engeren Sinn des Wortes.
* Ein Geisteszustand weist Intentionalität auf, wenn er auf irgendetwas (anderes) gerichtet oder bezogen ist, indem er es (re)präsentiert.
Eine Empfindung ist intentional im Sinn von (re)präsentational, wenn sie eine Erscheinung von etwas ist, das durch sie (re)präsentiert wird.
* Alle Gedanken (Kogitationen) und Vorstellungen (Imaginationen) sind zweifellos intentionale/repräsentationale Geisteszustände; aber wie verhält es sich bei Empfindungen (Sensationen) und Gefühlen sowie Stimmungen (Emotionen)? Sind auch sie allesamt intentionale/(re)präsentationale Geisteszustände?
Ich betrachte Gefühle und Stimmungen als Arten von Körperempfindungen und somit nicht als gegenstandslose Nichtwahrnehmungen, weil sie stets als Erscheinungen, als Präsentationen oder Repräsentationen (neuro)physiologischer Körpervorgänge/-zustände fungieren. Emotionen sind also Wahrnehmungen des eigenen Körpers und damit innere (interozeptive) Selbstwahrnehmungen.
Man mag einwenden, dass der Gegenstand eines Gefühls wie Wut nicht der eigene Körper, sondern die-/der-/dasjenige ist, worüber man wütend ist.
Hier muss zwischen dem Bezugsgegenstand und dem Wahrnehmungsgegenstand einer Emotion unterschieden werden: Ersterer ist beispielsweise eine bestimmte Person, während Letzterer der eigene Körper ist.
*
– Direkte Wahrnehmungsrealisten meinen, dass physische Sachen unsere unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände sind.
– Indirekte Wahrnehmungsrealisten meinen, dass psychische Sachen ("Sinnesideen", Sinnesdaten/-inhalte/-eindrücke/-empfindungen) unsere unmittelbaren, aber nicht unsere einzigen Wahrnehmungsgegenstände sind; denn wir nehmen physische Sachen indirekt wahr.
– Wahrnehmungsidealisten meinen, dass psychische Sachen ("Sinnesideen", Sinnesdaten/-inhalte/-eindrücke/-empfindungen) unsere unmittelbaren und unsere einzigen Wahrnehmungsgegenstände sind—weil es entweder überhaupt keine (mentalistisch irreduziblen) physischen Sachen gibt (wie in Berkeley's immaterialistischem Universum), oder (mentalistisch irreduzible) physische Sachen nur "noumenal" existieren und damit weder direkt noch indirekt wahrnehmbar sind.
* Wenn wir spüren, fühlen, sehen, hören, riechen oder schmecken, dann spüren, fühlen, sehen, hören, riechen oder schmecken wir etwas; aber was genau ist das gespürte, gefühlte, gesehene, gehörte, gerochene oder geschmeckte Etwas?
Wir sagen beispielsweise einerseits, dass wir den Geruch von Kaffee riechen und das Geräusch eines Flugzeuges hören, und andererseits, dass wir Kaffee riechen und ein Flugzeug hören. Unsere Wahrnehmungsverben sind also doppeldeutig:
1. "etwas sehen/hören/riechen/schmecken" = "eine Gesichts-/Gehör-/Geruchs-/Geschmacksempfindung haben"
2. "etwas sehen/hören/riechen/schmecken" = "eine Gesichts-/Gehör-/Geruchs-/Geschmacksempfindung haben, durch die etwas anderes wahrgenommen wird, indem sie als Erscheinung, als Präsentation (wörtl. Gegenwärtigung) oder Repräsentation (wörtl. Vergegenwärtigung) von etwas anderem fungiert"
Im Fall eines Tinnitus hört man etwas in Sinn 1, aber man hört nichts in Sinn 2.
* Besteht ein (phänomenologischer) Unterschied zwischen dem Hören von Stille und dem Nichthören? Ich denke ja, wobei fraglich ist, ob wir absolute Stille hören können.
* Es gibt sowohl (äußere) Fremdwahrnehmung als auch (äußere und innere) Selbstwahrnehmung.
* Wenn von Intentionalität als der Gerichtetheit oder Bezogenheit auf einen Gegenstand die Rede ist, dann ist mit "Gegenstand" im allgemeinsten Sinn "etwas" gemeint und nicht "Ding" im engeren Sinn des Wortes.
* Ein Geisteszustand weist Intentionalität auf, wenn er auf irgendetwas (anderes) gerichtet oder bezogen ist, indem er es (re)präsentiert.
Eine Empfindung ist intentional im Sinn von (re)präsentational, wenn sie eine Erscheinung von etwas ist, das durch sie (re)präsentiert wird.
* Alle Gedanken (Kogitationen) und Vorstellungen (Imaginationen) sind zweifellos intentionale/repräsentationale Geisteszustände; aber wie verhält es sich bei Empfindungen (Sensationen) und Gefühlen sowie Stimmungen (Emotionen)? Sind auch sie allesamt intentionale/(re)präsentationale Geisteszustände?
Ich betrachte Gefühle und Stimmungen als Arten von Körperempfindungen und somit nicht als gegenstandslose Nichtwahrnehmungen, weil sie stets als Erscheinungen, als Präsentationen oder Repräsentationen (neuro)physiologischer Körpervorgänge/-zustände fungieren. Emotionen sind also Wahrnehmungen des eigenen Körpers und damit innere (interozeptive) Selbstwahrnehmungen.
Man mag einwenden, dass der Gegenstand eines Gefühls wie Wut nicht der eigene Körper, sondern die-/der-/dasjenige ist, worüber man wütend ist.
Hier muss zwischen dem Bezugsgegenstand und dem Wahrnehmungsgegenstand einer Emotion unterschieden werden: Ersterer ist beispielsweise eine bestimmte Person, während Letzterer der eigene Körper ist.
*
– Direkte Wahrnehmungsrealisten meinen, dass physische Sachen unsere unmittelbaren Wahrnehmungsgegenstände sind.
– Indirekte Wahrnehmungsrealisten meinen, dass psychische Sachen ("Sinnesideen", Sinnesdaten/-inhalte/-eindrücke/-empfindungen) unsere unmittelbaren, aber nicht unsere einzigen Wahrnehmungsgegenstände sind; denn wir nehmen physische Sachen indirekt wahr.
– Wahrnehmungsidealisten meinen, dass psychische Sachen ("Sinnesideen", Sinnesdaten/-inhalte/-eindrücke/-empfindungen) unsere unmittelbaren und unsere einzigen Wahrnehmungsgegenstände sind—weil es entweder überhaupt keine (mentalistisch irreduziblen) physischen Sachen gibt (wie in Berkeley's immaterialistischem Universum), oder (mentalistisch irreduzible) physische Sachen nur "noumenal" existieren und damit weder direkt noch indirekt wahrnehmbar sind.
* Wenn wir spüren, fühlen, sehen, hören, riechen oder schmecken, dann spüren, fühlen, sehen, hören, riechen oder schmecken wir etwas; aber was genau ist das gespürte, gefühlte, gesehene, gehörte, gerochene oder geschmeckte Etwas?
Wir sagen beispielsweise einerseits, dass wir den Geruch von Kaffee riechen und das Geräusch eines Flugzeuges hören, und andererseits, dass wir Kaffee riechen und ein Flugzeug hören. Unsere Wahrnehmungsverben sind also doppeldeutig:
1. "etwas sehen/hören/riechen/schmecken" = "eine Gesichts-/Gehör-/Geruchs-/Geschmacksempfindung haben"
2. "etwas sehen/hören/riechen/schmecken" = "eine Gesichts-/Gehör-/Geruchs-/Geschmacksempfindung haben, durch die etwas anderes wahrgenommen wird, indem sie als Erscheinung, als Präsentation (wörtl. Gegenwärtigung) oder Repräsentation (wörtl. Vergegenwärtigung) von etwas anderem fungiert"
Im Fall eines Tinnitus hört man etwas in Sinn 1, aber man hört nichts in Sinn 2.
* Besteht ein (phänomenologischer) Unterschied zwischen dem Hören von Stille und dem Nichthören? Ich denke ja, wobei fraglich ist, ob wir absolute Stille hören können.
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding
Was die Introspektion anbelangt, so behauptet Franz Brentano berühmterweise, dass sie immer nur als innere Wahrnehmung und niemals als innere Beobachtung vorkommen kann. Doch was genau ist der Unterschied zwischen Wahrnehmen und Beobachten?
In der Neubearbeitung des Grimmschen Wörterbuchs steht:
"beobachten = (1) jmdn., etwas aufmerksam wahrnehmen, bemerken, (2) jmdn., etwas lange, genau anschauen, betrachten, (3) etwas (längerfristig) forschend betrachten, durch studien, aufgrund von (lebens)erfahrungen u. ä. zu analysieren versuchen, (4) etwas (aufgrund genauer beobachtung) feststellen, bemerken"
Beobachtung ist also eine Art von Wahrnehmung: aufmerksame, wachsame Wahrnehmung, genaue, eingehende Betrachtung.
Für Brentano ist die innere Beobachtung von Bewusstseinsinhalten unmöglich, weil "wir niemals dem Gegenstande der innern Wahrnehmung unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden vermögen."
Das bezweifle ich stark; denn mir ist schleierhaft, wie innere Wahrnehmung ohne innere Aufmerksamkeit überhaupt eine bewusste Wahrnehmung sein könnte. Ich denke, ohne ein gewisses Mindestmaß an innerer Aufmerksamkeit kann es weder innere Beobachtung noch innere Wahrnehmung geben. Introspektion wäre damit grundsätzlich unmöglich.
Brentano hat allerdings insofern recht, als eine Person im Zustand glühenden Zornes oder rasender Wut nicht imstande ist, ebendiesen Zustand konzentriert, ruhig und genau zu beobachten.
In der Neubearbeitung des Grimmschen Wörterbuchs steht:
"beobachten = (1) jmdn., etwas aufmerksam wahrnehmen, bemerken, (2) jmdn., etwas lange, genau anschauen, betrachten, (3) etwas (längerfristig) forschend betrachten, durch studien, aufgrund von (lebens)erfahrungen u. ä. zu analysieren versuchen, (4) etwas (aufgrund genauer beobachtung) feststellen, bemerken"
Beobachtung ist also eine Art von Wahrnehmung: aufmerksame, wachsame Wahrnehmung, genaue, eingehende Betrachtung.
Für Brentano ist die innere Beobachtung von Bewusstseinsinhalten unmöglich, weil "wir niemals dem Gegenstande der innern Wahrnehmung unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden vermögen."
Das bezweifle ich stark; denn mir ist schleierhaft, wie innere Wahrnehmung ohne innere Aufmerksamkeit überhaupt eine bewusste Wahrnehmung sein könnte. Ich denke, ohne ein gewisses Mindestmaß an innerer Aufmerksamkeit kann es weder innere Beobachtung noch innere Wahrnehmung geben. Introspektion wäre damit grundsätzlich unmöglich.
Brentano hat allerdings insofern recht, als eine Person im Zustand glühenden Zornes oder rasender Wut nicht imstande ist, ebendiesen Zustand konzentriert, ruhig und genau zu beobachten.
"The 'organ' of introspection is attention, the orientation of which puts a subject in an appropriate relation to a targeted state."
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"Das 'Organ' der Introspektion ist die Aufmerksamkeit, deren Ausrichtung ein Subjekt in ein angemessenes Verhältnis zu einem Zielzustand setzt." [Übersetzt von DeepL]
(Goldman, Alvin I. Simulating Minds: The Philosophy, Psychology, and Neuroscience of Mindreading. New York: Oxford University Press, 2006. p. 244)
"Die Grundlage der Psychologie wie der Naturwissenschaft bilden Wahrnehmung und Erfahrung. Und zwar ist vor allem die innere Wahrnehmung der eigenen psychischen Phänomene, welche für sie eine Quelle wird. Was eine Vorstellung, was ein Urteil, was Freude und Leid, Begierde und Abneigung, Hoffnung und Furcht, Mut und Verzagen, was ein Entschluß und eine Absicht des Willens sei, davon würden wir niemals eine Kenntnis gewinnen, wenn nicht die innere Wahrnehmung in den eignen Phänomenen es uns vorführte.
Man merke aber wohl, wir sagten innere Wahrnehmung, nicht innere Beobachtung sei diese erste und unentbehrliche Quelle. Beides ist wohl zu unterscheiden. Ja die innere Wahrnehmung hat das Eigentümliche, daß sie nie innere Beobachtung werden kann. Gegenstände, die man, wie man zu sagen pflegt, äußerlich wahrnimmt, kann man beobachten, man wendet, um die Erscheinung genau aufzufassen, ihr seine volle Aufmerksamkeit zu. Bei Gegenständen, die man innerlich wahrnimmt, ist dies aber vollständig unmöglich. Dies ist insbesondere bei gewissen psychischen Phänomenen, wie z. B. beim Zorne unverkennbar. Denn wer den Zorn, der in ihm glüht, beobachten wollte, bei dem wäre er offenbar bereits gekühlt, und der Gegenstand der Beobachtung verschwunden. Dieselbe Unmöglichkeit besteht aber auch in allen andern Fällen. Es ist ein allgemein gültiges psychologisches Gesetz, daß wir niemals dem Gegenstande der innern Wahrnehmung unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden vermögen. Wir werden später uns eingehend damit zu beschäftigen haben; für jetzt genüge der Hinweis auf die Erfahrung, die jeder Unbefangene an sich selber macht. Auch die Psychologen, welche eine innere Beobachtung für möglich halten, heben sämtlich wenigstens ihre außerordentliche Schwierigkeit hervor. Und hierin liegt wohl das Zugeständnis, daß eine solche auch ihnen in den meisten Fällen nicht gelungen ist. In den Fällen aber, in welchen sie ausnahmsweise sie gelungen glaubten, sind sie ohne Zweifel einer Selbsttäuschung verfallen. Nur während man mit seiner Aufmerksamkeit einem anderen Gegenstande zugewandt ist, geschieht es, daß auch die auf ihn bezüglichen psychischen Vorgänge nebenbei zur Wahrnehmung gelangen. So kann die Beobachtung der pysischen Phänomene in der äußern Wahrnehmung, indem sie für die Erkenntnis der Natur uns Anhaltspunkte gibt, zugleich ein Mittel psychischer Erkenntnis werden. Und die Hinwendung der Aufmerksamkeit auf die physischen Phänomene in der Phantasie ist sogar, wenn nicht ausschließlich, doch jedenfalls zunächst und hauptsächlich für psychische Gesetze die Erkenntnisquelle.
Nicht ohne Grund heben wir diesen Unterschied zwischen innerer Wahrnehmnng und innerer Beobachtung hervor und betonen mit Nachdruck, daß die eine, nicht aber ebenso die andere bei den in uns bestehenden psychischen Phänomenen statthaben könne. Denn bis jetzt hat dies, meines Wissens noch kein Psychologe getan, und die nachteiligen Folgen, welche sich an eine solche Vermischung und Verwechslung knüpften, waren beträchtlich. Ich weiß Beispiele von jungen Leuten, die, im Begriffe mit dem Studium der Psychologie sich zu beschäftigen, an der Schwelle der Wissenschaft an der eigenen Befähigung verzweifeln wollten. Man hatte sie auf die innere Beobachtung als die vorzüglichste Quelle psychologischer Erkenntnis hingewiesen. Sie hatten sie versucht, sie hatten angestrengt sich darum gemüht und waren wiederholt dazu zurückgekehrt; aber ganz vergeblich hatten sie sich gequält, ein Taumel verworrener Ideen und ein müder Kopf waren das einzige, was sie davontrugen. So kamen sie denn zu dem allerdings richtigen Schlusse, daß sie zur Selbstbeobachtung keine Fähigkeit besäßen, und hieran knüpfte sich ihnen, vermöge der ihnen beigebrachten Meinung, der Glauben, daß es ihnen für psychologische Forschung an Begabung fehle."
(Brentano, Franz. Psychologie vom empirischen Standpunkte. Bd. 1. Leipzig: Duncker & Humblot, 1874. S. 35-7)
"Wenn du denkst, du denkst, dann denkst du nur, du denkst." – Juliane Werding