Multiple Realisierung

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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So 21. Apr 2024, 07:19

Michael7Nigl hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 06:11
viel zu spekulativ
David Chalmers hat in einem Video, das ich vor einiger Zeit hier gepostet habe, spekulative, phantastische Ideen gefordert, denn anders könne man einer Lösung des "harten Problems" nicht näher kommen. Das Spektrum dieser Ideen reicht von materialistischem Reduktionismus über Dualismus, Panpsychismus, Pluralismus und so weiter. Daniel Dennett, einer der Hauptvertreter reduktionistischer Ideen, der das Bewusstsein für eine Art Illusion hielt, ist übrigens in den letzten Tagen verstorben.

Ich finde die Radiometapher in ihren verschiedenen Formen faszinierend, ich erinnere mich noch, wie aufgeregt ich war, als ich zum ersten Mal davon las, das gehört zu den Dingen, die Philosophie für mich so schön und inspirierend machen.

Ich finde das Aufkommen des Panpsychismus faszinierend, ich hätte in den letzten Jahrzehnten nie geglaubt, dass dies eine reale Option sein könnte. Für mich war das, ehrlich gesagt, fast mein ganzes Leben lang eine Position von Spinnern. Eine Sichtweise, die ich mittlerweile gründlich revidiert habe.

Diese faszinierenden Entwicklungen haben mich zurzeit zu einer Art Agnostizismus geführt. Allerdings finde ich nicht alles gleichermaßen plausibel, hier ist meine verkürzt dargestellte Plausibilitätsskala.

Am wenigsten plausibel und am wahrscheinlichsten falsch erscheint mir der Materialismus. Daran habe ich ehrlich gesagt, trotz Agnostizismus, keine größeren Zweifel. Philosophen wie der von Dir erwähnte Nagel haben ihren Teil dazu beigetragen. Julian Nida-Rümelin: “Intentionen, Qualia und Inferenzen, menschliches Handeln [...] und objektive logische Zusammenhänge sprechen gegen die Plausibilität des zeitgenössischen physikalischen Naturalismus.” Die möglichen Unterscheidung zwischen Naturalismus, Physikalismus und Materialismus lasse ich der Einfachheit halber beiseite.

Ich sehe eigentlich nicht, was überhaupt für den Materialismus sprechen könnte, die Nutzer hier im Forum, die ihn bevorzugen, bringen in der Regel keine Argumente dafür, er wird einfach als wahr vorausgesetzt. Die Idee, alles aus einem "Prinzip" zu erklären, hat zwar eine lange und ehrenwerte Tradition, die vermutlich auch bei "den" Griechen ihren Ursprung hat, aber letztlich ist es religiöse Metaphysik. Nichts in unserem Leben macht sie plausibel, im Gegenteil. Nichtsdestotrotz war das eine Position, die ich selbst über Jahrzehnte vertreten habe.

Bettina Fröhlich schreibt in Platon, 2023 über die Aktualität Platons: "Nachdem dualistische Positionen in der Moderne von materialistischen und naturalistischen Auffassungen abgelöst wurden, werden heute wieder Stimmen laut, die für einen Substanzdualismus plädieren". Auch Markus Gabriel hat in einem kürzlich gehaltenen Vortrag dargelegt, dass und warum der Dualismus eine Renaissance erlebt, ohne sich freilich dieser Position anzuschließen. Dass der Dualismus eine reale Option ist, hätte ich ebenso wenig geglaubt, wie dass der Panpsychismus ernsthaft diskutiert wird. Beide akzeptiere ich als reale Möglichkeit, zumindest sind sie deutlich plausibler als irgendeine Form von Hardcore Materialismus.

Um das Ganze nicht zu lang werden zu lassen, füge ich kurz noch die Option hinzu, die mir persönlich am wahrscheinlichsten erscheint, und das ist der Pluralismus. Die Welt ist wahrscheinlich so bunt, wie sie uns erscheint, es gibt keine grundlegenden "Prinzipien", aus denen sich alles erklären lässt. Markus Gabriel hat dies in seinem Buch Sinn und Existenz ausführlich begründet. Bosonen sind demnach genauso real und objektiv wie Zahlen, Gedichte, moralische Normen, Schönheit, Parlamente, Gefühle... Es gibt auch keinen Goldstandard der "wirklichen" Existenz wie z.B. die bewusstseinsunabhängige Realität oder ähnliches.




Burkart
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So 21. Apr 2024, 10:09

Michael7Nigl hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 06:11
Es ging mir nicht darum, den Panpsychismus auf einen Monismus oder den Materialismus festzulegen. Die Vorstellung, dass Mentales oder subjektives Erleben bereits in den Elementarteilchen angelegt sein könnte, also eine Art Protobewusstsein als Eigenschaft von Materie, ist für mich eine Möglichkeit den Materialismus als philosophische Position nicht ausschließen zu müssen.
Denn wie Bewusstsein aus toter Materie, wie wir sie heute in der Physik beschreiben - nur mit den Eigenschaften Masse, Ladung, Impuls etc. -, durch zunehmende Komplexität entstehen könnte - über die Chemie, Biologie hin zur Neurophysiologie -, wie sich Burkart das wohl vorstellt, leuchtet mir noch weniger ein.
Mir erscheint es plausibler, dass Bewusstsein tatsächlich durch unser Gehirn selbst erzeugt wird und dieses nicht lediglich als Empfänger dient.
Mit letzterem stimme ich insofern überein, dass Bewusstsein direkt unsererm Gehirn zugeordnet werden sollte.
Allerdings hast du mich missverstanden, dass Bewusstsein über zunehmende Komplexität entsteht: Bewusstsein ist kein Gegenstand, der entsteht, sondern nur unsere Beschreibung zu unterschiedlich komplexen Denk- oder vielleicht besser: Informatonsverarbeitungs-Strukturen, die in unterschiedlichen Lebewesen vorhanden sind.
Entstehen tun individuell die Lebewesen selbst wie auch deren evolutionärer Fortschritt langfristig betrachtet. Letzterer ist dafür verantwortlich, dass es unterschiedlich stark ausgeprägtes Bewusstsein gibt.
Auf dieser u.a. biologischen Ebene sollte man deshalb über unterschiedlich großes Bewusstsein sprechen, nicht auf einer physikalischen o.ä.

Wenn man sich hierzu auf eine physikalische Ebene bezieht, kann man sich gerne über Voraussetzungen Gedanken machen, die Bewusstsein bzw. den Geist/das Denken ermöglichen, also z.B. die Dynamik kleiner Teilchen (insbesondere auch deren Energie u.ä., die Zustanderhalt wie auch -änderungen ermöglicht) wie auch den Aufbau von Strukturen, die auf höherer Ebene dann Richtung (Bio-)Chemie usw. gehen, um dann (schließlich komplex genug) irgendwann als Bewusstsein u.ä. angesehen werden zu können.

Ich weiß nicht, ob wirklich klar ist, was ich mit Ebenen meine. Es sind nur unterschiedliche Abstraktions-"Höhen", die wir Denker uns von der Welt u.a. machen, nicht dass sie irgendwie unabhängig voneinader existieren o.ä.
Nehmen wir Mathematik als Beispiel. Da gibt es die natürlichen Zahlen als die/eine untere Objekt-Ebene. Diese Zahlen kann man z.B. charakterisieren, ob sie durch 2 teilbar sind oder nicht. Dazu habe wir Menschen die Begriffen "gerade" und "ungerade" geschaffen.
Wenn man nun über die Gerad-heit einer natürlichen Zahl spricht, begeben wir uns auf eine höhere (Abstraktions-)Ebene, die z.B. von der Zahl abstrahiert, also es egal ist für "gerade", ob es um eine 2 oder 4 geht.
Über Un-/Gerad-heit kann man nun überlegen, ob diese Mengen gleich "mächtig" sind (dem ist so) und kann so zu einer höheren Ebene kommen mit der Mächtigkeit.
=>
Insgesamt möchte ich mit dem Beispiel erklären, wie man zu unterschiedlichen (Denk-/Abstraktions-)Ebenen kommt. Und dies gilt (wenn auch sehr komplex) auch z.B. von der Physik bis hin zum Geist/Denken/Bewusstsein.



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Quk
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So 21. Apr 2024, 16:08

Michael7Nigl hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 06:11
Es ging mir nicht darum, den Panpsychismus auf einen Monismus oder den Materialismus festzulegen. Die Vorstellung, dass Mentales oder subjektives Erleben bereits in den Elementarteilchen angelegt sein könnte, also eine Art Protobewusstsein als Eigenschaft von Materie, ist für mich eine Möglichkeit den Materialismus als philosophische Position nicht ausschließen zu müssen.
Denn wie Bewusstsein aus toter Materie, wie wir sie heute in der Physik beschreiben - nur mit den Eigenschaften Masse, Ladung, Impuls etc. -, durch zunehmende Komplexität entstehen könnte - über die Chemie, Biologie hin zur Neurophysiologie -, wie sich Burkart das wohl vorstellt, leuchtet mir noch weniger ein.
Den zitierten Sätzen stimme ich allen zu. Vor allem sehe ich keinen plausiblen Grund, die Skalierung des Bewusstseins mit der Skalierung einer Komplexität in Zusammenhang zu bringen. Wenn schon so, dann könnte es auch umgekehrt sein: Wo beispielsweise Qualia fehlen, müssen diese durch komplexere Informationsstrukturen ersetzt werden. Die Argumentation ist also beliebig in alle Richtungen.

Was die Radiometapher betrifft: Sie erscheint in der Diskussion offensichtlich vieldeutig; sie sollte aber Klarsicht reinbringen statt Nebel. Deshalb lege ich diese Metapher jetzt beiseite.




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Jörn Budesheim
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So 21. Apr 2024, 16:36

Meiner Meinung nach ist es schwierig, gleichzeitig den Panpsychismus und den Materialismus zu akzeptieren.

Was ist Materialismus? Da es Materie im herkömmlichen Sinne vielleicht gar nicht gibt, ist Materialismus für mich die These, dass es nur das gibt, was mit den Mitteln der Naturwissenschaft, in diesem Fall der Physik, erforscht werden kann. Materialismus wäre in diesem Fall gleichbedeutend mit Physikalismus. Das würde den Panpsychismus ausschließen.




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Quk
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So 21. Apr 2024, 16:52

Eigentlich ist das alles egal, denke ich, denn man kann wohl die Definition des einen Begriffs so ausdehnen, dass er in die Definition des anderen Begriffs hineinragt, und umgekehrt. Wenn ich etwa sage, die Physik umfasse auch dasjenige, was wir heute noch nicht kennen, dann kann die Physik in Zukunft vielleicht auch dasjenige umfassen, was wir heutzutage Geist nennen. So ähnlich hat wahrscheinlich auch Dennett gedacht. Oder man stellt Naturgesetze auf über die Vorgänge im Geist. Das wäre die Umkehrung. So wird der Geist zum wissenschaftlichen Objekt, wie etwa in der Psychologie. -- Seit Jahrtausenden reden wir alle aneinander vorbei. Reden wir doch mal über die Substanz an sich. Letztendlich ist die Substanz pure Information. Nun, ist Information materiell oder geistig? Weder noch.




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Quk
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So 21. Apr 2024, 17:27

"Das Radio kann sein Programm senden"

Meinst Du damit folgendes?

"Der Radioempfänger kann aus seinem Lautsprecher das Programm ertönen lassen"

Kurz gefragt: "Schallwellen senden" oder "Radiowellen senden"?

Das Verb senden bezieht sich in der Radiotechnik auf Radiowellen.


Edit: Warum hast Du Deinen Kommentar gelöscht, Jörn? Jetzt habe ich umsonst geantwortet.




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Jörn Budesheim
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So 21. Apr 2024, 17:36

Ich habe es gelöscht, weil ich glaube, dass uns das nicht weiter bringt. Ich finde die Metapher leicht verständlich und sehr erhellend, ja eigentlich genial, du findest sie unverständlich oder missverständlich, das können wir hier jetzt einfach festhalten, weiter werden wir wohl nicht kommen.




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Quk
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So 21. Apr 2024, 17:54

Eine Ja-Nein-Beantwortung meiner Frage wäre dennoch nett gewesen, denn ich wollte Deinen Gedanken verstehen.




Meller
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So 21. Apr 2024, 18:04

Radio ist Empfänger von Radiowellen und Sender von Schallwellen. Ihr habt beide richtig gelegen.




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Quk
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So 21. Apr 2024, 18:10

Meller hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 18:04
Radio ist Empfänger von Radiowellen und Sender von Schallwellen. Ihr habt beide richtig gelegen.
Um Himmelswillen, es geht mir nicht ums Rechthaben. Eben weil das zweideutig ist, wollte ich wissen, welche der beiden Bedeutungen Jörn in seinem Halbsatz meint. Das ist wichtig im Kontext des zweiten Halbsatzes.




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Jörn Budesheim
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So 21. Apr 2024, 18:17

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 20. Apr 2024, 18:50
Hier ist meine einfachste Version, wie ich die Metapher verstehe:

Wir sind die Radios. Das Radio kann sein Programm senden, weil es die Radiowellen aus seiner Umgebung empfängt, so wie wir das Bewusstsein aus unserer Umgebung empfangen.

Ebenso wenig wie das Radio sein Programm produziert, produzieren wir das Bewusstsein.
Ich verstehe nicht, wie dieses Statement zu deiner Frage führen kann, das ist mir zu hoch.




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Stefanie
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So 21. Apr 2024, 18:30

Hmm, wer auch immer diese Methapher zu erst in die Welt gesetzt hat, wusste vielleicht nicht so genau, dass es einen Unterschied zwischen Radiowellen und Schallwellen gibt. Ich wusste das auch nicht so wirklich. Das habe ich gerade nachgelesen. Ich habe einen minimini klitzekleinen Hauch von Ahnung, warum das wichtig sein könnte.
Wenn es Radiowellen sind, bedeutet dies für die Übertragung dieser Methapher auf das Bewusstsein, dass das Bewusstein nicht greifbar, nicht gegenständlich ist, was wir dann von außen aus der Umwelt empfangen. Bei Schallwellen wäre es aber gegenständlich, oder?
Liest sich nicht gerade verständlich, gebe ich zu.



Der, die, das.
Wer, wie, was?
Wieso, weshalb, warum?
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Jörn Budesheim
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Stefanie
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So 21. Apr 2024, 18:49

Jörn, ich versuche lediglich herauszubekommen, wo die Problematik liegt.
Ansonsten kann ich die Methapher nachvollziehen.



Der, die, das.
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Quk
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So 21. Apr 2024, 18:52

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 18:17
Ich verstehe nicht, wie dieses Statement zu deiner Frage führen kann, das ist mir zu hoch.
Geh halt einfach davon aus, dass ich sehr dumm bin. Wir hatten hier schon tausend Fälle, wo ich dachte, es geht um etwas Eindeutiges, und dann wars doch jedesmal für den anderen völlig nicht-intuitiv und hochkompliziert, dass der eine den anderen nicht verstand. Völlige Verblüffung jedes Mal. Aus dieser Routine heraus stelle ich nur noch einfache Ja-Nein-Fragen. Anstatt das seitenweise zu ignorieren, könntest ja einfach mit Ja oder Nein antworten, und ich wäre dann nicht mehr so dumm wie zuvor.




Burkart
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So 21. Apr 2024, 19:06

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 16:36
Meiner Meinung nach ist es schwierig, gleichzeitig den Panpsychismus und den Materialismus zu akzeptieren.
Wie wäre es einem Mittelweg: Es gibt Materie und diese ist Grundlage für alles Psychisches/Geistiges.
Was ist Materialismus? Da es Materie im herkömmlichen Sinne vielleicht gar nicht gibt, ist Materialismus für mich die These, dass es nur das gibt, was mit den Mitteln der Naturwissenschaft, in diesem Fall der Physik, erforscht werden kann. Materialismus wäre in diesem Fall gleichbedeutend mit Physikalismus. Das würde den Panpsychismus ausschließen.
Die Erforschung von Materie, wie immer man sie nennt, ist nur ein Aspekt der Naturwissenschaft; Naturwissenschaft ist mehr, z.B. durch Biologie.
Andererseits hat die Naturwissenschaft nicht den Anspruch, alles erklären zu können oder zu wollen, z.B. wirtschaftliche oder politsche Zusammenhänge.
Somit gibt es auch keinen Grund, warum sie etwas wie Bewusstsein erklären können muss, insbesondere nur durch Materie.



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Jörn Budesheim
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So 21. Apr 2024, 19:10

Zu der Radio-Metapher werde ich nichts mehr sagen.




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Quk
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So 21. Apr 2024, 20:04

Zur allgemeinen Diskussionsweise möchte ich abschließend folgendes erläutern:

Beispielsatz: "Das Blatt wurde weiß, indem es schwarz bemalt wurde."

Da der Satz für mich keinen Sinn ergibt, aber von einem intelligenten Menschen stammt, denke ich zunächst an einen Tippfehler. Zuerst frage ich mich, ob der Schreiber im ersten Halbsatz statt "weiß" "schwarz" meinte, schreiben zu wollen. Es geht nicht darum, den Schreiber darauf hinzuweisen, dass im ersten Halbsatz ein Tippfehler ist. Sondern es geht darum, herauszufinden, ob der Tippfehler im ersten oder im zweiten Halbsatz steckt. Denn der Sinn des ganzen Satzes besteht darin, den ersten und den zweiten Halbsatz in Einklang zu bringen: Entweder muss auf beiden Seiten "schwarz" oder auf beiden Seiten "weiß" stehen. -- Angewandt auf jenen Radiosatz: In seinem ersten Halbsatz könnten wahrlich Radiowellen statt Schallwellen gemeint gewesen sein, und in dem Fall wäre der zweite Halbsatz zu klären. Es geht also nicht darum, einen Tippfehler auszurufen, sondern um die Frage, ob er links oder rechts vom Komma steht. Und die Antwort kann die Gesamtaussage völlig verändern.

Fragen haben nicht immer so einen einfachen Hintergrund, wie es zunächst aussehen mag.




Michael7Nigl
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Mo 22. Apr 2024, 04:57

Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 07:19
Michael7Nigl hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 06:11
viel zu spekulativ
David Chalmers hat in einem Video, das ich vor einiger Zeit hier gepostet habe, spekulative, phantastische Ideen gefordert, denn anders könne man einer Lösung des "harten Problems" nicht näher kommen. Das Spektrum dieser Ideen reicht von materialistischem Reduktionismus über Dualismus, Panpsychismus, Pluralismus und so weiter. Daniel Dennett, einer der Hauptvertreter reduktionistischer Ideen, der das Bewusstsein für eine Art Illusion hielt, ist übrigens in den letzten Tagen verstorben.

Ich finde die Radiometapher in ihren verschiedenen Formen faszinierend, ich erinnere mich noch, wie aufgeregt ich war, als ich zum ersten Mal davon las, das gehört zu den Dingen, die Philosophie für mich so schön und inspirierend machen.
Dem stimme ich zu, wir brauchen manchmal verrückte Ideen, vor allem bei scheinbar unlösbaren Problemen. Die Vorstellung, dass es einen großen Bewusstseinspool gibt, aus dem sich unser individuelles Bewusstsein speist, ist keineswegs absurd und hat sogar spirituelle Parallelen in fernöstlichen Religionen. Insofern halte ich die Radiometapher schon auch für inspirierend. Lediglich als philosophische Position behagt sie mir persönlich nicht und erscheint mir unplausibel. Nichtsdestoweniger könnte sie selbstverständlich wahr sein oder einen wahren Kern haben.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 07:19
Ich finde das Aufkommen des Panpsychismus faszinierend, ich hätte in den letzten Jahrzehnten nie geglaubt, dass dies eine reale Option sein könnte. Für mich war das, ehrlich gesagt, fast mein ganzes Leben lang eine Position von Spinnern. Eine Sichtweise, die ich mittlerweile gründlich revidiert habe.

Diese faszinierenden Entwicklungen haben mich zurzeit zu einer Art Agnostizismus geführt. Allerdings finde ich nicht alles gleichermaßen plausibel, hier ist meine verkürzt dargestellte Plausibilitätsskala.

Am wenigsten plausibel und am wahrscheinlichsten falsch erscheint mir der Materialismus. Daran habe ich ehrlich gesagt, trotz Agnostizismus, keine größeren Zweifel. Philosophen wie der von Dir erwähnte Nagel haben ihren Teil dazu beigetragen. Julian Nida-Rümelin: “Intentionen, Qualia und Inferenzen, menschliches Handeln [...] und objektive logische Zusammenhänge sprechen gegen die Plausibilität des zeitgenössischen physikalischen Naturalismus.” Die möglichen Unterscheidung zwischen Naturalismus, Physikalismus und Materialismus lasse ich der Einfachheit halber beiseite.

Ich sehe eigentlich nicht, was überhaupt für den Materialismus sprechen könnte, die Nutzer hier im Forum, die ihn bevorzugen, bringen in der Regel keine Argumente dafür, er wird einfach als wahr vorausgesetzt. Die Idee, alles aus einem "Prinzip" zu erklären, hat zwar eine lange und ehrenwerte Tradition, die vermutlich auch bei "den" Griechen ihren Ursprung hat, aber letztlich ist es religiöse Metaphysik. Nichts in unserem Leben macht sie plausibel, im Gegenteil. Nichtsdestotrotz war das eine Position, die ich selbst über Jahrzehnte vertreten habe.
Eine unbewiesene These wie den Materialismus einfach als wahr vorauszusetzen, wäre schlichtweg unphilosophisch. Nichts liegt mir ferner, wie Du weißt. Trotzdem verbinde ich mit dem Materialismus eine Hoffnung, nämlich dass unser menschliches Dasein erklärbar wird. Warum existieren wir, warum existiert überhaupt etwas, welche Bedeutung hat der Tod? Diese Fragen sind mir sehr wichtig und ich sehe keine Möglichkeit, sie irgendwie sinnvoll zu beantworten. Die moderne Naturwissenschaft ist die einzige Disziplin, die uns m.E. den gesuchten Antworten möglicherweise näher bringen kann.
Diese Hoffnung oder die Machbarkeit eines solchen Projekts braucht man nicht vertreten. Ausschließen sollte man sie aber auch nicht, denn das wäre aus meiner Sicht ebenso unphilosophisch.
Jörn Budesheim hat geschrieben :
So 21. Apr 2024, 07:19
Bettina Fröhlich schreibt in Platon, 2023 über die Aktualität Platons: "Nachdem dualistische Positionen in der Moderne von materialistischen und naturalistischen Auffassungen abgelöst wurden, werden heute wieder Stimmen laut, die für einen Substanzdualismus plädieren". Auch Markus Gabriel hat in einem kürzlich gehaltenen Vortrag dargelegt, dass und warum der Dualismus eine Renaissance erlebt, ohne sich freilich dieser Position anzuschließen. Dass der Dualismus eine reale Option ist, hätte ich ebenso wenig geglaubt, wie dass der Panpsychismus ernsthaft diskutiert wird. Beide akzeptiere ich als reale Möglichkeit, zumindest sind sie deutlich plausibler als irgendeine Form von Hardcore Materialismus.

Um das Ganze nicht zu lang werden zu lassen, füge ich kurz noch die Option hinzu, die mir persönlich am wahrscheinlichsten erscheint, und das ist der Pluralismus. Die Welt ist wahrscheinlich so bunt, wie sie uns erscheint, es gibt keine grundlegenden "Prinzipien", aus denen sich alles erklären lässt. Markus Gabriel hat dies in seinem Buch Sinn und Existenz ausführlich begründet. Bosonen sind demnach genauso real und objektiv wie Zahlen, Gedichte, moralische Normen, Schönheit, Parlamente, Gefühle... Es gibt auch keinen Goldstandard der "wirklichen" Existenz wie z.B. die bewusstseinsunabhängige Realität oder ähnliches.
Eine allumfassende Welterklärung oder grundlegende Prinzipien müssen die Welt nicht zwangsläufig weniger bunt machen. Zum Beispiel hat das Phänomen des Regenbogens doch nichts an Schönheit eingebüßt dadurch, dass man es heute erklären kann (was sehr lange nicht der Fall war).

Für die materialistische These spricht für mich, dass alles Geistige an Materie gebunden zu sein scheint. Darüber hinaus können heute grundlegende geistige Funktionen durch Maschinen nachgeahmt und sogar übertroffen werden. Das Gehirn wird als physikalische Grundlage für unser Erleben immer transparenter. Einzig und allein das Bewusstsein, die subjektive Qualität des Erlebens, bleibt uns nach wie vor ein unlösbares Rätsel.
Andererseits bin ich davon überzeugt, dass futuristische Maschinen irgendwann auch ein Bewusstsein haben werden. Wenn Computer nur weit genug entwickelt, neuronale Netze in ihrer Komplexität dem menschlichen Gehirn ähnlich werden, dann entsteht mit den entsprechenden Inputs (Wahrnehmung) sicherlich auch ein "künstliches" Bewusstsein. Denn warum sollte dieses Phänomen organischen und natürlich gezeugten Lebewesen vorbehalten sein?
Und eben dies schreit doch geradezu nach einer materialistischen Deutung, wenn aus gewöhnlicher Materie - Atomen, Molekülen - ein körperliches Gebilde zusammengesetzt wird, das Bewusstsein hat. (Dasselbe scheint mir beim Menschen der Fall zu sein.)

Sicherlich ist der Materialismus heute keineswegs die einzige Deutung für solche möglichen Voraussetzungen - die Radiometapher macht dies deutlich. Hält man jedoch an der Vorstellung fest, dass neuronale Aktivität nicht nur die geistigen Funktionen wie Sprache oder Mathematik hervorbringt, sondern auch das subjektive Erleben, dann genügt es nicht, lediglich das Vorhandensein von Bewusstsein in der Welt zu konstatieren. Man möchte doch auch eine Erklärung dafür haben und einen kausalen Entstehungsprozess ausfindig machen. Denn z.B. mein Bewusstsein ist ja nicht immer da oder dagewesen, sondern in meinen frühen Lebensjahren erst entstanden und nur während meinen Wachphasen, die mit charakteristischer neuronaler Aktivität einhergehen, tatsächlich feststellbar.




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Jörn Budesheim
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Registriert: Mi 19. Jul 2017, 09:24
Wohnort: Kassel
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Mo 22. Apr 2024, 18:10

Michael7Nigl hat geschrieben :
Mo 22. Apr 2024, 04:57
Trotzdem verbinde ich mit dem Materialismus eine Hoffnung, nämlich dass unser menschliches Dasein erklärbar wird. Warum existieren wir, warum existiert überhaupt etwas, welche Bedeutung hat der Tod?
Das finde ich erstaunlich! Kann es aus materialistischer Sicht so etwas wie Bedeutung und Sinn geben? Der Materialist kann doch nichts anderes anbieten als Nihilismus, oder? Streng genommen gibt es für ihn nicht einmal uns Menschen, weil er als Materialist die Existenz freier geistiger Wesen gar nicht annehmen kann.

Wenn man nach dem Menschen im Allgemeinen in existenzieller Hinsicht fragt, sollte man meines Erachtens nicht zuerst auf die Naturwissenschaften schauen. Auch wenn sie zweifellos Faszinierendes über die Wirklichkeit mancher Aspekte von uns zu sagen hat. Dafür bin ich sehr dankbar, wenn man zum Beispiel an die medizinischen Möglichkeiten denkt, die wir heute haben.

Wenn man nach dem Menschen fragt, gibt es sicher viele verschiedene Ansprechpartner: Wenn man nach der Biologie fragt, ist trivialerweise die Biologie zuständig. Die Psychologie kann viel beitragen, die Soziologie, die Geschichtswissenschaften und was weiß ich noch alles. Aber ganz oben auf meiner persönlichen Liste stehen Philosophie und Kunst. Ich glaube, beide beschäftigen sich im Wesentlichen mit dem Menschen. Vielleicht ist Religion auch wichtig, das will ich nicht ausschließen, aber als überzeugter Atheist ist das nicht meine erste Wahl.




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