Multiple Realisierung

Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt sich in der Philosophie der Zweig der analytischen Philosophie, deren Grundlagen u.a. auch die Philosophie des Geistes (mind) betreffen
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Jörn Budesheim
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Di 9. Jan 2024, 13:43

Michael7Nigl hat geschrieben :
Di 9. Jan 2024, 12:43
Die Identität von Mentalem und Körperlichem entspricht nicht der von reellen Zahlen, wo diese Relation selbstverständlich transitiv ist (a=c, b=c → a=b).
Es ist eher so gemeint, wie die Kopfseite einer Münze nicht von der Münze verschieden ist.
Identität ist Identität. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und Identität ist transitiv: immer. Alles andere wäre eine Mogelpackung.




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Jörn Budesheim
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Di 9. Jan 2024, 13:58

Michael7Nigl hat geschrieben :
Di 9. Jan 2024, 12:43
Jeder Lösungsversuch des Leib-Seele-Problems hat seine Schwierigkeiten: Der Dualismus scheitert bislang an der Erklärung, wie Geist und Materie miteinander interagierten.


Das hängt mit dem Kausalitätsbegriff zusammen, den man zugrunde legt, und wenn der schon materialistisch infiziert ist (z.B. als eine Art Micro-Banging), dann hat der Dualismus natürlich schlechte Karten. In diesem Video argumentiert Gabriel, dass die Zeiten für dualistische Vorstellungen selten so gut waren wie heute, ohne selbst eine dualistische Position einzunehmen. Ich hab vor kurzem ein Video eines Hirnforschers gesehen, der auch darauf hingewiesen hat, wie wichtig der Kausalbegriff ist. Wenn ich es noch mal finde, poste ich es.




Michael7Nigl
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Di 9. Jan 2024, 21:38

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Jan 2024, 13:43
Identität ist Identität. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und Identität ist transitiv: immer. Alles andere wäre eine Mogelpackung.
Dann reduziert sich Putnams Argument lediglich auf Vorstellungen, wonach Mentales in einem strengen Sinne identisch mit Körperlichen sei.

Es gibt m.E. keinen zwingenden Grund, den Begriff "Identitätstheorie" so zu verstehen und es ist fraglich, ob die Vertreter der Identitätstheorie einen solchen strengen Sinn der Identität überhaupt im Sinn hatten. Vielmehr finde ich das Zugrundelegen einer strengen Identität geradezu abwegig, denn man braucht kein großer Philosoph zu sein um zu erkennen, dass bspw. Schmerz etwas anderes ist als eine dynamische Teilchenkonfiguration.

Es ist m.E. nicht unsinnig, die Kopfseite einer Münze in einem schwachen Sinne als mit der Münze identisch zu bezeichnen. Falls man dies sprachlich nicht korrekt findet, müsste man eine so gemeinte Theorie "Teilidentitätstheorie" nennen. Wie gesagt ist für mich nicht klar, ob nicht die Vertreter der "Identitätstheorie" ein Konzept der "Teilidentitätstheorie" im Sinn hatten, dies jedoch nicht so bezeichneten; finde es aber naheliegend.

So verstehe ich auch die Überlegung des koreanischen Philosophen Jaegwon Kim, der folgende Frage aufwarf: Wenn etwa ein mentaler Zustand M durch ganz verschiedene physische Zustände P1 oder P2 oder … realisiert werden kann, warum kann man dann nicht den mentalen Zustand auf die Disjunktion der physischen Zustände reduzieren (M = P1 oder P2 oder …)? (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Jaegwon_Kim)
Jaegwon Kim wird heute immerhin als der Philosoph angesehen, welcher der Identitätstheorie ein Comeback verschaffte.


Ich möchte mich nun gar nicht in eine Diskussion verlieren, in der es darum geht die Motive der Vertreter der Identitätstheorie einzuordnen oder zu beurteilen, ob der Begriff "Identitätstheorie" im Sinne einer strengen Identität gemeint war.
Mir geht es um die Sache selbst: Gibt es einen Grund die Vorstellung abzulehnen, dass eine mentale Verfassung teilidentisch mit einem physischen Substrat sei, welches uns objektiv betrachtet als Materie erscheint, gleichzeitig aber auch eine subjektive Qualität aufweist (z.B. im Sinne eines Panpsychismus), sodass bestimmte körperliche Zustände mit subjektivem Erleben einhergehen?




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Mi 10. Jan 2024, 08:51

Michael7Nigl hat geschrieben :
Di 9. Jan 2024, 21:38
Es gibt m.E. keinen zwingenden Grund, den Begriff "Identitätstheorie" so zu verstehen und es ist fraglich, ob die Vertreter der Identitätstheorie einen solchen strengen Sinn der Identität überhaupt im Sinn hatten. Vielmehr finde ich das Zugrundelegen einer strengen Identität geradezu abwegig, denn man braucht kein großer Philosoph zu sein um zu erkennen, dass bspw. Schmerz etwas anderes ist als eine dynamische Teilchenkonfiguration.
Wolfgang Detel, Grundkurs Philosophie, Philosophie des Geistes und der Sprache hat geschrieben : Typen-Identitätstheorie (Typen-Physikalismus)
  1. Mentale Typen (Eigenschaften) sind nichts weiter als bestimmte physikalische Typen (Eigenschaften).
  2. Das mentale Vokabular kann in ein synonymes physikalistisches Vokabular übersetzt werden.
Die Typen-Identitätstheorie behauptet etwa: Die Eigenschaft als Typus, Furcht zu empfinden, ist nichts weiter als die Eigenschaft, in der Amygdala des Gehirns einen Typus bestimmter neuronaler Aktivitäten aufzuweisen. Akzeptiert man den Typen-Physikalismus, so gibt es kein eigenständiges mentales Vokabular. Der Typen-Physikalismus ist eine robuste materialistische und reduktionistische Theorie.
Thomas Nagel, in "Geist und Kosmos, Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist" hat geschrieben :
Unter den Naturwissenschaftlern und Philosophen, die überhaupt Auffassungen zur Ordnung der Natur als Ganzes äußern, wird gemeinhin angenommen, dass der reduktive Materialismus die einzige ernsthafte Möglichkeit ist.

Ich denke, den Begriff Identitätstheorie muss man in der Regel wörtlich nehmen.




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Mi 10. Jan 2024, 09:12

Michael7Nigl hat geschrieben :
Di 9. Jan 2024, 21:38
Mir geht es um die Sache selbst: Gibt es einen Grund die Vorstellung abzulehnen, dass eine mentale Verfassung teilidentisch mit einem physischen Substrat sei, welches uns objektiv betrachtet als Materie erscheint, gleichzeitig aber auch eine subjektive Qualität aufweist (z.B. im Sinne eines Panpsychismus), sodass bestimmte körperliche Zustände mit subjektivem Erleben einhergehen?
Es geht mir auch um die Sache selbst: Gibt es einen Grund, die Idee abzulehnen, dass unser Geist (im vielfältigen Sinne des Wortes) eine eigene vielfältige Ordnung darstellt, die nicht auf etwas anderes reduziert werden kann? Der einzige Grund, den ich dafür sehe, ist, dass es nicht in ein physikalistisches Weltbild passt. Oder? Dazu noch einmal Alva Noë: Es gibt zwei Behauptungen, über die sich "alle" einig sind, die sich mit den Neurowissenschaften der Kognition und des Bewusstseins beschäftigen. Die erste ist, dass das Gehirn für alles verantwortlich ist, und die zweite ist, dass wir keine Ahnung haben, wie das Gehirn das macht. Und ich glaube, dass es eine Spannung zwischen diesen beiden Grundannahmen gibt.

Das Ganze beruht nur auf einer gewissen Metaphysik, scheint mir, die ganz ähnlich schon Demokrit vor einigen tausend Jahren vertreten hat: "Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter, in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum".

Zu deiner "Teilidentität": Dass das Gehirn als Träger des Bewusstseins bei uns notwendig ist, scheint weitgehend Konsens zu sein. Damit habe ich kein Problem, solange der Geist anerkannt bleibt. Notwendig ist aber nicht hinreichend. Hier sympathisiere ich mit Alva Noë und überhaupt mit externalistischen Positionen, die das Bewusstsein nicht einfach unter der Kalotte verorten.




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Mi 10. Jan 2024, 10:02

Michael7Nigl hat geschrieben :
Fr 5. Jan 2024, 18:42
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 5. Jan 2024, 13:57
Ich auch nicht, meine Ontologie ist bunt. Sie hat Platz für Elektronen, Hirschkühe, Gedichte, schlechtes Wetter, echte Menschen, schwarze Löcher, Zahlen, Geld, Liebe und vieles mehr.

Wenn du kein physikali[sti]sches Weltbild vertrittst, kannst du kurz andeuten, welches Bild dir stattdessen vorschwebt?
Für mich steht die Philosophie in der Tradition des Sokrates: Ich weiß, dass ich nichts weiß.
["Unter euch, ihr Menschen, ist der der Weiseste, der wie Sokrates einsieht, daß er in der Tat nichts wert ist, was die Weisheit anbelangt." (Platon, Apologie. 23 St. 1 B)]
Dementsprechend habe ich kein festes Weltbild, sondern suche nur nach Erkenntnis, indem ich Fragen stelle.
Aber ein paar Dinge wissen wir doch, oder? Dass du Bewusstsein hast, weißt du, indem du es hast.




Michael7Nigl
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Mi 10. Jan 2024, 21:04

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Mi 10. Jan 2024, 09:12
Es geht mir auch um die Sache selbst: Gibt es einen Grund, die Idee abzulehnen, dass unser Geist (im vielfältigen Sinne des Wortes) eine eigene vielfältige Ordnung darstellt, die nicht auf etwas anderes reduziert werden kann? Der einzige Grund, den ich dafür sehe, ist, dass es nicht in ein physikalistisches Weltbild passt. Oder? Dazu noch einmal Alva Noë: Es gibt zwei Behauptungen, über die sich "alle" einig sind, die sich mit den Neurowissenschaften der Kognition und des Bewusstseins beschäftigen. Die erste ist, dass das Gehirn für alles verantwortlich ist, und die zweite ist, dass wir keine Ahnung haben, wie das Gehirn das macht. Und ich glaube, dass es eine Spannung zwischen diesen beiden Grundannahmen gibt.

Das Ganze beruht nur auf einer gewissen Metaphysik, scheint mir, die ganz ähnlich schon Demokrit vor einigen tausend Jahren vertreten hat: "Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter, in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum".

Zu deiner "Teilidentität": Dass das Gehirn als Träger des Bewusstseins bei uns notwendig ist, scheint weitgehend Konsens zu sein. Damit habe ich kein Problem, solange der Geist anerkannt bleibt. Notwendig ist aber nicht hinreichend. Hier sympathisiere ich mit Alva Noë und überhaupt mit externalistischen Positionen, die das Bewusstsein nicht einfach unter der Kalotte verorten.
Ich sehe keinen zwingenden Grund die Idee abzulehnen, dass unser Geist eine eigenständige Entität oder sogar ontologisch verschieden von Materie ist.
Mir geht es bei der Diskussion über die Identitätstheorie auch nicht darum, andere Lösungsansätze zum Leib-Seele-Problem auszuschließen.
Es ging mir vielmehr darum besser zu verstehen, ob Putnams Argument tatsächlich die Identitätstheorie bereits widerlegt oder ernsthaft in Frage stellt. Beides ist meines Erachtens nicht der Fall. Aus meiner Sicht kann eine "Teilidentitätstheorie" als Verallgemeinerung der Identitätstheorie gelten bzw. macht der Spezialfall einer strengen Identität hier gar keinen Sinn. Ich würde auch die von Dir angeführten Zitate dazu anders deuten.

Abschließend möchte ich mich noch bei allen Diskussionsteilnehmern in diesem Thread bedanken. Besonders dankbar bin ich Jörn Budesheim, der mich mit seinem Scharfsinn und seiner beharrlichen Skepsis zu einer Präzisierung der Begrifflichkeit genötigt hat, die mir am Ende das erhoffte bessere Verständnis von Putnams Argument und eine klarere Sicht auf die Position der Identitätstheorie innerhalb der Philosophie des Geistes ermöglichte.




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Do 11. Jan 2024, 07:28

Vielen Dank für deine netten Schlussworte, ich fand den Thread auch sehr gut.




Timberlake
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Sa 13. Jan 2024, 00:36

Michael7Nigl hat geschrieben :
Di 9. Jan 2024, 21:38
Jörn Budesheim hat geschrieben :
Di 9. Jan 2024, 13:43
Identität ist Identität. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Und Identität ist transitiv: immer. Alles andere wäre eine Mogelpackung.
Dann reduziert sich Putnams Argument lediglich auf Vorstellungen, wonach Mentales in einem strengen Sinne identisch mit Körperlichen sei.


Mentales und Körperliches kann schon , im wahrsten Sinne des Wortes .. buchstäblich ! .. von Hause aus nicht identisch sein.

Mentales ! kann grundsätzlich nur mit Mentales! , wie auch Körperliches! grundsätzlich nur mit Körperliches! identisch sein kann.

Das Mentales durch die Identität "multiple" und somit stets von Identität zu Identität grundsätzlich verschieden "realisiert" wird , tut dem überhaupt keinem Abbruch. Das gleiche gilt grundsätzlich auch für Verschiedenheit von körperlichen Identitäten. Auch diese Verschiedenheit rüttelt grundsätzlich nichts an der von Hause aus grundsätzlichen Verschiedenheit von Mentalem und Körperlichen.
Wikipedia hat geschrieben :
Systemtheorie (Luhmann) .. Geschlossenheit der Operationen

Luhmann versteht unter Operation die Reproduktion eines Elements eines autopoietischen Systems mit Hilfe der Elemente desselben Systems. Ein System entsteht und erhält sich dadurch, dass Operationen aneinander anschließen.Wenn organische Prozesse als Operationen aneinander anschließen, entsteht ein organisches System. Wenn Gedanken als Operationen aneinander anschließen, entsteht ein psychisches System (auch: „Bewusstseinssystem“). Wenn Kommunikationen als Operationen aneinander anschließen, entsteht ein soziales System (auch: „Kommunikationssystem“).
Die Multiple Realisierung findet operativ geschlossen immer nur innerhalb des jeweiligen Systems statt. Also innerhalb eines mentalen bzw. innerhalb eines körperlichen Systems. Zumindest wenn man dergleichen als ein autopoietischen System versteht , dass sich mit Hilfe der Elemente desselben Systems reproduziert. Was ja wohl so abwegig nicht ist.
Michael7Nigl hat geschrieben :
Mi 10. Jan 2024, 21:04

Abschließend möchte ich mich noch bei allen Diskussionsteilnehmern in diesem Thread bedanken. Besonders dankbar bin ich Jörn Budesheim, der mich mit seinem Scharfsinn und seiner beharrlichen Skepsis zu einer Präzisierung der Begrifflichkeit genötigt hat, die mir am Ende das erhoffte bessere Verständnis von Putnams Argument und eine klarere Sicht auf die Position der Identitätstheorie innerhalb der Philosophie des Geistes ermöglichte.
Nur um mal an dieser Stelle, die Präzisierung der Begrifflichkeit abschließend im Sinne der Luhmannschen Systemtheorie zu nötigen. ;)




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Do 18. Apr 2024, 18:20



Ich kenne das Radioargument/die Radiometapher aus anderen Zusammenhängen, aber in dieser Version ist es mir neu. Mir scheint, dass viele Wissenschaftler sich jetzt dem Panpsychismus zuwenden und ihn als ernsthafte Möglichkeit in Betracht ziehen.

Neil Theise forscht an adulten Stammzellen und der Komplexitätstheorie in New York City, wo er Professor für Pathologie und Medizin an der Icahn School of Medicine am Mount Sinai und behandelnder Arzt am Mount Sinai Beth Israel Medical Center ist.




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Quk
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Do 18. Apr 2024, 19:51

Was symbolisiert der Radiosender in dieser Metapher?




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Fr 19. Apr 2024, 07:44

Eigentlich kenne ich die Metapher so: Wenn wir noch nie ein Radio gesehen hätten und uns fragen würden, was dort passiert, könnten wir auf die Idee kommen, dass das Radio selbst Text und Musik produziert. Das wäre im Prinzip auch die Position des Neurokonstruktivismus, zumindest vereinfacht ausgedrückt. Aber wie wir wissen, ist das ein Irrtum. Das Radio produziert die Programme nicht, es empfängt sie - wieder vereinfacht gesagt. Das Argument zeigt, dass die Existenz eines komplexen "Apparats" (Gehirn/Radio) nicht den Schluss zulässt, dass der fragliche Output (Musik/Text/...) von diesem Apparat konstruiert wird.

Neil Tyson geht nun einen Schritt weiter und behauptet, es sei möglich, dass Bewusstsein etwas ist, das das Universum durchdringt, Seite an Seite mit Materie, Energie, ... Vielleicht ist es sogar der Stoff, aus dem all dies entsteht. Das Gehirn ist wie ein Radio, das all das empfängt. Aber man muss in der Lage sein, die Dinge "scharf" zu stellen und sich auf ein Programm zu konzentrieren, sonst gerät alles durcheinander, wie bei seiner Mutter, die ein bisschen dement geworden ist.

Was ist der Sender in dieser Metapher? Das Bewusstsein, welches das Universum durchdringt.




Michael7Nigl
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Fr 19. Apr 2024, 08:34

Das Leib-Seele-Problem ist in der Philosophie hauptsächlich durch drei Lösungsansätze angegangen worden:

- Den Materialismus, der die Schwierigkeit hat das Bewusstsein zu erklären.
- Den Dualismus, der die Schwierigkeit hat die Interaktion zwischen Geist und Materie zu erklären.
- Den Idealismus, der die Schwierigkeit hat, dass er gar nichts erklärt.

Der Panpsychismus ist in meinen Augen eine Möglichkeit, sich das Vorhandensein von Bewusstsein in einer monistisch materiellen Welt vorzustellen. Materie wird also nicht vollständig durch die heutige Physik beschrieben, sondern hat auch noch einen Bewusstseins-Aspekt.




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Quk
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Fr 19. Apr 2024, 16:19

Jörn Budesheim hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 07:44
Was ist der Sender in dieser Metapher? Das Bewusstsein, welches das Universum durchdringt.
Michael7Nigl hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 08:34
Das Leib-Seele-Problem ist in der Philosophie hauptsächlich durch drei Lösungsansätze angegangen worden:

- Den Materialismus, der die Schwierigkeit hat das Bewusstsein zu erklären.
- Den Dualismus, der die Schwierigkeit hat die Interaktion zwischen Geist und Materie zu erklären.
- Den Idealismus, der die Schwierigkeit hat, dass er gar nichts erklärt.
Die Radiometapher wäre also eine Kombination aus Fichtes Idealismus und einer dualistischen Interaktion mittels objektspezifischer, einheitlicher Wellenlängen. Das Bewusstsein ist dann metaphermäßig ein weißes Rauschen (viele parallele Wellen unterschiedlicher Längen) und die Sinnesnerven stellen ihre Empfangsfrequenz auf bestimmte Frequenzen im Rauschen. Das Bewusstsein als weißes Licht. Ein im Hirn befindlicher Blaufilter beispielsweise zeigt, was für ein Blau in dem weißen Licht steckt.

Die Radiometapher hat ja zwei Ebenen: Die Frequenzen des akustischen Programms aus dem Lautsprecher und die Frequenzen der elektromagnetischen Übermittlung über die Antennen. Die Metapher funktioniert wohl auf beiden Ebenen. Eine Senderantenne strahlt ja auch mehrere, verschiedene Frequenzen aus (mehrere Programme gleichzeitig).




Burkart
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Fr 19. Apr 2024, 23:50

Michael7Nigl hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 08:34
Das Leib-Seele-Problem ist in der Philosophie hauptsächlich durch drei Lösungsansätze angegangen worden:

- Den Materialismus, der die Schwierigkeit hat das Bewusstsein zu erklären.
- Den Dualismus, der die Schwierigkeit hat die Interaktion zwischen Geist und Materie zu erklären.
- Den Idealismus, der die Schwierigkeit hat, dass er gar nichts erklärt.

Der Panpsychismus ist in meinen Augen eine Möglichkeit, sich das Vorhandensein von Bewusstsein in einer monistisch materiellen Welt vorzustellen.
Der Panpsychismus klingt nach einer guten Idee (zumindest, wenn man deren "geistige Eigenschaften" recht weit auslegt).
Materie wird also nicht vollständig durch die heutige Physik beschrieben, sondern hat auch noch einen Bewusstseins-Aspekt.
Ich würde es eher so formulieren:
Das Problem ist nicht, dass die Physik die Materie nicht gut genug beschreibt, sondern dass die auf ihr basierenden Zusammenhänge oft nicht gut genug durchdacht sind und dass diese u.a. zu etwas führen, was wir als Bewusstsein ansehen bzw. benennen. (Natürlich sind diese Zusammenhänge komplex und werden vermutlich am besten über diverse Ebenen o.ä. beschrieben.)



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Die Philosophie eines Menschen kann durch Andere fahrlässig missverstanden oder gezielt diskreditiert oder gar ganz ignoriert werden, u.a. um eine eigene Meinung durchsetzen zu wollen.

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Burkart hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 23:50
Das Problem ist nicht, dass die Physik die Materie nicht gut genug beschreibt
Michael hat nicht geschrieben, dass die Physik die Materie „nicht gut genug” beschreibt, sondern dass sie sie nicht vollständig beschreibt.

Das ist meines Erachtens kein Manko ("nicht gut genug") sondern der Sache geschuldet.

Dass die Physik zum Bewusstsein nichts sagen kann, ist eine Beschränkung der Physik, die nicht aufgehoben werden kann, weil die Physik grundsätzlich an die Perspektive der dritten Person gebunden ist. Bewußtsein und Subjektivität bleiben dieser Perspektive aber notwendigerweise verschlossen. Die Vorstellung, dass die Physik nicht gut genug ist, um die Materie zu beschreiben, ist aber, so vermute ich, an eine Voraussetzung gebunden, die nicht erfüllt werden kann, nämlich dass es eine einzige Beobachtungsmethode gibt, die alles beschreiben kann.

Ich weiß nicht, ob der Panpsychismus richtig ist. Aber dass es eine Methode gibt, mit der man alles beschreiben kann, halte ich für ziemlich offensichtlich ausgeschlossen. Die Vorstellung, dass es möglich ist, ist meines Erachtens reine Religion, ein unbegründer Glaubensartikel.

Und diese Beschränkung der Physik ist nicht unserer Endlichkeit geschuldet, sondern der Wirklichkeit selbst, sie ist meiner Meinung nach einfach nicht so beschaffen, dass sie mit einer einzigen Methode vollständig erfasst werden kann. Sie ist mit anderen Worten unausweichlich pluralistisch verfasst.




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Quk hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 16:19
[Die Radiometapher wäre also eine Kombination aus Fichtes Idealismus und einer dualistischen Interaktion mittels objektspezifischer, einheitlicher Wellenlängen. Das Bewusstsein ist dann metaphermäßig ein weißes Rauschen (viele parallele Wellen unterschiedlicher Längen) und die Sinnesnerven stellen ihre Empfangsfrequenz auf bestimmte Frequenzen im Rauschen. Das Bewusstsein als weißes Licht. Ein im Hirn befindlicher Blaufilter beispielsweise zeigt, was für ein Blau in dem weißen Licht steckt.

Die Radiometapher hat ja zwei Ebenen: Die Frequenzen des akustischen Programms aus dem Lautsprecher und die Frequenzen der elektromagnetischen Übermittlung über die Antennen. Die Metapher funktioniert wohl auf beiden Ebenen. Eine Senderantenne strahlt ja auch mehrere, verschiedene Frequenzen aus (mehrere Programme gleichzeitig).
Ich kann dazu leider nicht viel sagen, weil ich das meiste nicht verstehe. Ich verstehe auch nicht, wie du das aus den Ausführungen des Wissenschaftlers herausliest!

Ich befürchte, wenn man eine Metapher zu wörtlich nimmt, verliert man sie aus den Augen.




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Sa 20. Apr 2024, 08:21

Michael7Nigl hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 08:34
Der Panpsychismus ist in meinen Augen eine Möglichkeit, sich das Vorhandensein von Bewusstsein in einer monistisch materiellen Welt vorzustellen.
Inwiefern ist das eine monistische Position?




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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 20. Apr 2024, 07:15
Burkart hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 23:50
Das Problem ist nicht, dass die Physik die Materie nicht gut genug beschreibt
Michael hat nicht geschrieben, dass die Physik die Materie „nicht gut genug” beschreibt, sondern dass sie sie nicht vollständig beschreibt.

Das ist meines Erachtens kein Manko ("nicht gut genug") sondern der Sache geschuldet.
Von mir aus auch so, darum ging es mir nur nicht.
Dass die Physik zum Bewusstsein nichts sagen kann, ist eine Beschränkung der Physik, die nicht aufgehoben werden kann,
"Beschränkung" kann man sagen, aus meiner Sicht nur insofern, dass Bewusstsein gar nicht das Metier der Physik ist bzw. sein sollte, ähnlich wie sich vielmehr die Biologie u.ä. mit Tieren und Pflanzen beschäftigt.
weil die Physik grundsätzlich an die Perspektive der dritten Person gebunden ist.
Das ist ähnlich jede Wissenschaft, vielleicht mal etwas mehr oder etwas weniger.
Bewußtsein und Subjektivität bleiben dieser Perspektive aber notwendigerweise verschlossen. Die Vorstellung, dass die Physik nicht gut genug ist, um die Materie zu beschreiben, ist aber, so vermute ich, an eine Voraussetzung gebunden, die nicht erfüllt werden kann, nämlich dass es eine einzige Beobachtungsmethode gibt, die alles beschreiben kann.
Es kann doch gerne mehrere Methoden geben, das macht die Erkenntnis der Blinden auf den Elefanten doch besser (Anspielung auf die Parabel, du verstehst vermutlich).
Ich weiß nicht, ob der Panpsychismus richtig ist. Aber dass es eine Methode gibt, mit der man alles beschreiben kann, halte ich für ziemlich offensichtlich ausgeschlossen. Die Vorstellung, dass es möglich ist, ist meines Erachtens reine Religion, ein unbegründer Glaubensartikel.
Hm, Methode? Ist es nicht eher eine Philosophie bzw. Denk-Richtung?
Und diese Beschränkung der Physik ist nicht unserer Endlichkeit geschuldet, sondern der Wirklichkeit selbst, sie ist meiner Meinung nach einfach nicht so beschaffen, dass sie mit einer einzigen Methode vollständig erfasst werden kann. Sie ist mit anderen Worten unausweichlich pluralistisch verfasst.
Wie (wohl) gesagt: Nicht die Physik ist (hauptsächlich) für Bewusstsein "verantwortlich", ähnlich wie auch nicht für Leben (hier mehr Biochemie u.ä.) und Leben ist nun mal offensichtlich Voraussetzung für Bewusstsein.



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Jörn Budesheim hat geschrieben :
Sa 20. Apr 2024, 08:21
Michael7Nigl hat geschrieben :
Fr 19. Apr 2024, 08:34
Der Panpsychismus ist in meinen Augen eine Möglichkeit, sich das Vorhandensein von Bewusstsein in einer monistisch materiellen Welt vorzustellen.
Inwiefern ist das eine monistische Position?
Auch wenn du wikipedia nicht magst, hier ist es mAn beschrieben:
"Panpsychismus (von altgriech. πᾶν pan „alles“ und ψυχή psyche „Seele“) ist eine metaphysische Theorie, der zufolge alle existenten (und nicht auf anderes reduzierbaren) Objekte geistige Eigenschaften besitzen.

Der Panpsychismus bietet einen Lösungsvorschlag für das sogenannte „Leib-Seele-Problem“, das sich mit dem Verhältnis von Materie und Geist beschäftigt. Panpsychisten gehen davon aus, dass sich geistige Eigenschaften im Laufe der Zeit bis hin zum Bewusstsein entwickelt haben. Dualisten behaupten, dass der Geist nicht aus der Materie hervorgehen kann und prinzipiell von anderer Art ist als die Materie. Materialisten hingegen behaupten, dass mentale oder geistige Eigenschaften nichts anderes sind als „Nebenprodukte“ oder Funktionen komplexer materieller Systeme. Panpsychisten verneinen die dualistische Trennung von Geist und Materie. Sie verneinen aber auch die These, dass mentale Eigenschaften aus rein materiellen Dingen plötzlich und unvermittelt als emergente Eigenschaften hervorgehen können. Für Panpsychisten ist die Entwicklung des bewussten Erlebens und jeglicher geistiger Phänomene nur dann erklärbar, wenn deren Vorstufen schon in die Grundstruktur der materiellen Welt integriert sind. Solche Vorstufen geistiger Eigenschaften werden oft „proto-mentale“ Eigenschaften genannt. Der zeitgenössische Panpsychismus behauptet jedoch nicht, dass beispielsweise Atome oder Bakterien bereits Schmerzen oder ähnliche Bewusstseinszustände erleben können oder dass alle Dinge eine menschenähnliche Seele haben, wie es im (religiösen) Animismus der Fall ist."



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