Dieser Theorie liegt die Grundvorstellung zugrunde, dass das Individuum in einem ständigen Wechselbezug mit seiner Umwelt lebt. Die Umwelt übt Zwänge, Forderungen, Widerstände auf das Individuum aus und wirkt, sich ständig verändernd, auf die Sinnesorgane des Individuums ein. Andererseits wirkt das Individuum auf die Umwelt zurück und auf sie ein, indem es versucht, sie in seinem Sinne zu verändern. Diese Wechselwirkung dient insgesamt dazu, Spannungsfälle zwischen Individuum und Umwelt auszugleichen..." (G. Simm/H. Gonska)
Ich möchte in diesem Strang genau analysieren, was passiert, wenn wir etwas lernen und wenn wir etwas verstehen, das wir vorher nicht verstanden haben. Ich werde mathematische Begriffe bemühen, aber ihr seid eingeladen, auch anderes, was man verstehen kann, einzubringen.
Was ist das kartesische Produkt?
Wir gehen davon aus, dass wir das nicht wissen. Mich stören bei dieser Frage zwei Wörter. Kartesisch und Produkt. Das Wort Produkt ist uns vielleicht noch aus dem Mathematik-Unterricht der Grundschule vertraut. Es ist die Mehrfache Addition gleicher Summanden. Also, 4*3 = 3+3+3+3 = 12. Solche Sachen können einen Schüler recht verwirren. Bei vielen Menschen wir der Begriff kartesisches Produkt den Verstand in den Verteidigungsmodus schalten. Zwei Fremdwörter sind eines zu viel.

Nun, das Wort kartesisch hat eine überraschende Erklärung. Es geht zurück auf R. Descartes, 1596-1650 (Philosoph und Mathematiker). Und das Wort Produkt meint hier, das Produkt von zwei Mengen.
Schreiben tut man ein Produkt von zwei Mengen mit einem x-Zeichen, also: A x B (lies "A kreuz B").
Jetzt zuerst die sprachliche Formulierung des kartesischen Produkts: Das kartesische Produkt der Menge A mit der Menge B besteht aus allen Paaren (a,b), wobei a Element von A ist und b Element von B.
Jetzt die mehr mathematische: AxB := {(a,b)|a ist Element von A und b ist Element von B}. Die geschweiften Klammern bedeuten, dass das Ergebnis des kartesischen Produkts wieder eine Menge ist. Mengen schreibt man immer in geschweifte Klammern.
Andere Bezeichnungen für das kartesische Produkt sind: Kreuzprodukt, Mengenprodukt und Produktmenge. Ganz wichtig ist hier noch, dass ein Paar (a,b) ein geordnetes Paar ist, es kommt auf die Reihenfolge der Elemente an!
Also wieder etwas mehr mathematisch: (a,b) ist nicht gleich (b,a).
Es ist interessant zu sehen, wie viel ich jetzt schreiben musste, um ein so einfaches Konzept wie das kartesische Produkt zu erklären.
Und wahrscheinlich wird dem Laien noch nicht ganz klar sein, was das jetzt ist. Wieso? Weil er dazu noch keine Aufgaben gelöst hat, die das Verständnis für den Begriff festigen könnten.
Und was erstaunlich ist. Das kartesische Produkt kommt ganz ohne Zahlen aus. Ist mir gerade jetzt aufgefallen. Denn die Elemente der Mengen müssen keine Zahlen sein, es können auch Buchstaben sein. Das ist doch eine schöne Erkenntnis und ein Schritt hin zur Algebra. Ich habe jetzt eine Formel gebraucht, aber man könnte das Mengenprodukt auch gänzlich ohne Formel erklären, denke ich.
Mich erstaunt immer noch, wieviel ich schreiben musste für die Erklärung eines so einfachen Konzepts.
Dafür sollte man jetzt folgende Aufgabe ohne Probleme lösen können. Wie sieht das Mengenprodukt von A={1,2,3,4,5,6} mit sich selbst aus? Also AxA? Wie viele Elemente enthält diese Menge?
Nun, AxA = {(1,1),(1,2),(1,2),...,(2,1),(2,2),...,(6,5),(6,6)}. Die Menge enthält also 36 Elemente.
Ich hätte als Beispiel für diesen Thread auch die schriftliche Addition von zwei Zahlen wählen können. Wie rechnet man 5123 + 3934 schriftlich? Dann hätte niemand dabei sein sollen, der das nicht gelernt hat in der Schule. Mir ist bei einem Buch für 1. bis 4. Klässler bewusst geworden wie schwierig das schriftliche Addieren sein kann, wenn man es noch nicht kann. Ja, nicht wenigen Kindern macht schon das Zählen mühe von 1 bis 10, wenn sie klein sind.
Ich hoffe, aus meinen Erläuterungen bisher wurde uns bewusst, wie langwierig und schwierig es sein kann, etwas zu verstehen. Oft ist man sich gar nicht mehr bewusst, was man schon alles kann, damit man das Neue verstehen kann. Wichtig war mir bei diesem Beispiel zu zeigen, dass das Verstehen immer gleich abläuft für alles.
Ich denke der Prozess des Verstehens unterscheidet sich im Kern nicht, ob man jetzt ein mathematisches Problem oder irgend ein anderes verstehen will. Es sind immer die gleichen Legobausteine, die wir brauchen, wenn wir etwas verstehen wollen.